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1. Kapitel: Einführung in die Untersuchung
A. Marktmanipulation und Kurspflege als aktuelle Regelungsproblematik
Manipulationen durch Einflussnahme auf die Preisbildung an den Börsen sind ein
seit langem bekanntes Phänomen. Sie gehören zu den ältesten anlegerschädigenden
Praktiken im Börsenhandel1 und besitzen auch heute im täglichen Börsengeschäft
Relevanz. Im Jahre 2007 eröffnete die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht2 (BaFin) im Hinblick auf Kurs- und Marktmanipulationen in 61 Fällen neue
Untersuchungen.3 Zum Vorjahr blieb die Zahl der anhängigen Verfahren damit
gleich.4 Dies zeigt die dauerhafte Präsenz dieser Delikte. Kurs- und Marktpreismanipulationen fristen daher keineswegs ein Schattendasein, wie dies früher in der
Literatur behauptet wurde.5 Im Jahre 2007 blieb die Zahl der verfolgten Straftaten
und Ordnungswidrigkeiten zum Vorjahr, in dem sich die Zahl signifikant erhöht
1 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S. 491; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 16.357;
Lenzen, Börsenkursbildung, S. 1; dies., ZBB 2002, 279 f.
2 Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht wurde durch das Gesetz über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht vom 22. April 2002 (BGBl. I Nr. 25 vom 25. April 2002,
S. 1310 ff.) durch die Zusammenlegung der Aufsichtsämter für das Kreditwesen (BAKred),
den Wertpapierhandel (BAWe) und der Versicherungsaufsicht (BAV) gegründet.
3 Zur Aufdeckung von verbotenen Marktmanipulationen und Insidergeschäften kann die BaFin
auf einen umfassenden Datenbestand zurückgreifen, denn gem. § 9 WpHG ist ihr jedes Geschäft in Wertpapieren und Derivaten, die zum Handel an einer Börse im Europäischen Wirtschaftsraum zugelassen oder in den Freiverkehr einbezogen sind, zu melden. Im Jahr 2006
wurden von der BaFin 60 neue Untersuchungen eröffnet. Im Vorjahr 2003 waren es 51 relevante Fälle im Hinblick auf Kursmanipulationen. Am Ende des Jahres 2004 waren noch 65
Verfahren offen (BaFin, Jahresbericht 2004, S. 193; Jahresbericht 2005, S. 161; Jahresbericht
2006, S. 170; BaFin, Jahresbericht 2007, S. 180).
4 Ende 2005 waren mit den im Vorjahr noch nicht abgeschlossenen Verfahren insgesamt 93
Verfahren anhängig. Im Jahr 2006 erhöhte sich die Zahl auf 103 anhängige Verfahren. Im
Jahr 2004 wurden von der BaFin 52 neue Untersuchungen eröffnet. Im Vorjahr 2003 waren
es 51 relevante Fälle im Hinblick auf Kursmanipulationen (BaFin, Jahresbericht 2004,
S. 193; Jahresbericht 2005, S. 161; Jahresbericht 2006, S. 170).
5 Altenhain, BB 2002, 1874; Claussen, BB 2002, 105, 110, Fn. 71; Fischer zu Cramburg/Royé
in Heidel, Aktienrecht, § 20a WpHG Rn. 1; Holzborn/Israel, WM 2004, 1948, 1954; Lenzen,
ZBB 2002, 279, 280; Moosmeyer, wistra 2002, 161; Park, BB 2003, 1513; Pfüller/Anders,
WM 2003, 2445, 2446; Schröder in Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, X 2
Rn. 1; Spindler, BB 2004, 2197, 2201; Tripmaker, wistra 2002, 288; Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, vor § 20a Rn. 2; von Illberg/Neises, WM 2002, 635, 645; Worms in
Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 9 Rn. 40; Ziouvas, ZGR 2003, 113,
114.
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hatte, nahezu gleich.6 Es erfolgten zwei Verurteilungen nach öffentlicher Hauptverhandlung. Aufgrund von Anzeigen der BaFin ergingen zwei Strafbefehle.7 Des Weiteren verhängte die BaFin in fünf Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit verschiedene Geldbußen.8 Dies scheint zwar auf den ersten Blick keine große Anzahl
von Verfahren zu sein. Jedoch wurden allein im Jahr 2006 mehr Bußgelder verhängt
und es erfolgten mehr Verurteilungen als jemals zuvor.
Marktmanipulationen bestimmten in der jüngsten Vergangenheit das aktuelle Tagesgeschehen in den Medien. Im März 2007 nahm die Wettbewerbsaufsicht neue
Untersuchungen wegen des Vorwurfs der Preis- und Marktmanipulation durch die
deutschen Stromversorger auf. Auslöser waren kursierende interne Papiere über
Handelsdaten. Sie legten den Verdacht nahe, dass Stromkonzerne die Preise an der
Leipziger Strombörse EEX9 durch eine künstliche Verknappung von Kraftwerkskapazitäten in die Höhe trieben. Diese wurden so gesteuert, dass ohne echten Bedarf
teuere Kraftwerke zugeschaltet werden mussten, deren hohe Produktionskosten dann
den Börsenpreis bestimmten. Die BaFin ist in diesen Fall eingeschaltet.10
Hinzuweisen ist auch auf die Vorgänge bei der WestLB in Düsseldorf im April
2007. Die BaFin ermittelt in diesem Fall, da der Verdacht besteht, dass durch zwei
Mitarbeiter mit VW-Aktien Kursmanipulationen durchgeführt wurden. Ein Aktienhändler hatte die BaFin darauf hingewiesen, dass seit mehreren Monaten in den
Schlussauktionen der Stamm- und Vorzugsaktien von VW Umsätze in einer Grö-
ßenordnung erfolgten, die weit von dem regulären Umsatz abwichen. Zudem besteht
der Verdacht, dass der Kurs über einem gewissen Niveau massiv gehalten wurde.
Darüber hinaus zeigte sich aufgrund des Handelsvolumens, dass über einen Zeitraum von 10 Tagen hinweg der gesamte Streubesitz sowohl der Stamm- als auch der
Vorzugsaktien einmal vollständig gehandelt worden sein müsste. Der Kurs wurde
dadurch jedoch nicht maßgeblich beeinflusst. Es fehlte auch an Ad-hoc-
Mitteilungen, die eine entsprechende Änderung der Eigentümerstruktur bekannt
6 Im Jahr 2006 erfolgte eine Verurteilung nach öffentlicher Hauptverhandlung. Es wurde 2006
drei Strafbefehle verhängt. Ein Ordnungswidrigkeitenverfahren wurde mit einer Geldbuße
von € 3.750,00 abgeschlossen (BaFin, Jahresbericht 2006, S. 170).
7 Bei einem Strafbefehl beschränkte die Staatsanwaltschaft die Verfolgung jedoch auf Untreue.
Eine Marktmanipulation war nicht nachweisbar (BaFin, Jahresbericht 2007, S. 181).
8 BaFin, Jahresbericht 2007, S. 181.
9 EEX steht für „European Energy Exchange“. Die European Energy Exchange (EEX) ist ein
international aufgestellter europäischer Marktplatz für Energie und energienahe Produkte. Die
Teilnehmer können über einen offenen, gleichberechtigten und kostengünstigen elektronischen Zugang an der umsatzstärksten und teilnehmerstärksten Energiebörse Europas handeln
(weitere Information zur EEX unter www.eex.com). Die EEX ist eine Börse nach deutschem
Börsengesetz und regulierter Markt im Sinne der Finanzmarkt-Richtlinie (Richtlinie
2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für
Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und
der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung
der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABl. (EG) 2004 Nr. L 145 vom 30.04.2004, S. 1 ff.).
10 FAZ vom 12.03.2007, „Strombörse neue Manipulationsvorwürfe gegen Energieversorger“,
abrufbar unter www.faz.net; FAZ vom 13.03.2007, Nr. 61, S. 11, „Schwerwiegender Verdacht“.
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gemacht hätten und die eine Marktbewegung erklären würden.11 Durch diese Handlungen und damit verbundene Fehlspekulationen im Eigenhandel entstanden der
WestLB Verluste im zweistelligen Millionbereich. Die Sonderprüfung der BaFin
dauert in diesem Fall an. Auch jahrelange Manipulationen der Schlusskurse von
Vorzugsaktien der Metro AG und BMW AG durch Mitarbeiter der WestLB stehen
im Raum.12
Darüber hinaus ist auf die in den Medien verbreiteten Gerüchte um den Einstieg
des französischen Energie-Versorgers Electricité de France bei RWE zu verweisen.
Nach dem Bekanntwerden von Übernahme-Gerüchten stieg der Börsenkurs des
deutschen Energieunternehmens im Mai 2007 in die Höhe. Kurz nach der Veröffentlichung der Übernahme-Gerüchte erfolgte das Dementi der Konzerne. RWE vermutete eine gezielte Verbreitung der Gerüchte, um den Börsenkurs zu manipulieren und
kündigte an, die BaFin in dieser Sache einzuschalten.13 Diese Vorkommnisse könnten den Verdacht der Marktmanipulation begründen. Ein Ergebnis der Ermittlungen
ist bis dato nicht bekannt.
Diese aktuellen Fälle zeigen, dass Marktmanipulationen in den Medien und von
den einzelnen Teilnehmern der Kapitalmärkte mehr Beachtung geschenkt wird, als
dies noch vor wenigen Jahren der Fall war. Die Fälle zeigen, wie vielfältig die Manipulationsmöglichkeiten sind. Umso wichtiger ist es für den Kapitalmarkt und seine
Teilnehmer, dass eindeutig erkennbar ist, wann es sich um Marktmanipulationen
und deren Anzeichen handelt.
Von der Marktmanipulation ist die Kurspflege zu unterscheiden. Aus ökonomischen Gründen kann es notwendig bzw. wünschenswert sein, auf den Kurs einzuwirken, ohne dass sich der Handelnde der Verfolgung wegen einer Straftat oder
Ordnungswidrigkeit ausgesetzt sieht. Trotz der anerkannten Zulässigkeit von Kurspflege ist eine eindeutige Abgrenzung zur strafbaren Marktmanipulation aufgrund
der Strukturähnlichkeit nicht unproblematisch.
Ähnlich spektakuläre Pressemeldungen zu dem Phänomen der Kurspflege oder zu
Kursstabilisierungsmaßnahmen finden sich hingegen nicht. Dabei ist die Kursstabilisierung bzw. Kurspflege bei dem Börsengang eines Unternehmens an der Tagesordnung. Werden die drei größten Börsengänge an der Frankfurter Wertpapierbörse
im Jahr 2007 betrachtet, zeigt sich, dass sich jedes Unternehmen die Möglichkeit
offen gelassen hat, Kursstabilisierungsmaßnahmen durchzuführen.
11 FAZ vom 14.04.2007, Nr. 87, S.11, von Joachim Jahn und Werner Sturbeck, „Anzeige bei
der BaFin / WestLB erregte seit Monaten Verdacht“; Spiegel Online, vom 13.04.2007 „Finanzaufsicht ordnet Sonderprüfung an“, abrufbar unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/
0,1518,477177,00.html.
12 FTD.de vom 13.04.2007, von Ute Göggelmann und Nina Luttmer (Frankfurt), „BaFin verordnet WestLB Sonderprüfung“, abrufbar unter http://www.financialtimes.de/unternehmen/finanzdienstleister/186268.html; Spiegel Online, vom 14.04.2007 „Neue Anzeichen für
Marktmanipulation“, abrufbar unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/ 0,1518,47722,0.html.
13 RP-online, Artikel vom 11.05.2007 und 12.05.2007, abrufbar unter: http://www.rponline.de/public/article/aktuelles/wirtschaft/news/unternehmen/437946 bzw. http://www.rponline.de/public/article/aktuelles/wirtschaft/news/unternehmen/437490.
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Am 2. Juli 2007 wurden zum ersten Mal die Aktien der Tognum AG an der
Frankfurter Wertpapierbörse gehandelt. Dies war der größte Börsengang des Jahres
2007. Es wurden insgesamt 131.375.000 Stückaktien zu einem gesamten Emissionsvolumen von ca. € 2,0 Mrd. an die Börse gebracht. Der Emittent und die den Börsengang begleitenden Banken behielten sich das Recht vor, im Zusammenhang mit
der Platzierung Mehrzuteilungen vorzunehmen und Stabilisierungsmaßnahmen zu
ergreifen. Im Hinblick auf eine Mehrzuteilung wurden der Deutschen Bank AG als
Stabilisierungsmanager 11.250.000 Aktien der Tognum AG von dem abgebenden
Aktionär in Form der Wertpapierleihe zur Verfügung gestellt. Der abgebende Aktionär hat den Konsortialbanken die Option eingeräumt, diese Aktien zum Platzierungspreis abzüglich der vereinbarten Provision zu erwerben. Hierbei handelt es sich
um eine klassische Maßnahme zur Kurspflege, die als „Greenshoe-Option“14 bezeichnet wird. Der Begriff „Greenshoe“ geht zurück auf die Emission des Unternehmens Greenshoe Manufacturing Company, bei der dieses Instrument zum ersten
Mal eingesetzt wurde.15
Im Rahmen des Börsengangs der Hamburger Hafen und Logistik AG am 2. November 2007 an der Frankfurter Wertpapierbörse wurde eine solche Greenshoe-
Option als Kursstabilisierungsmaßnahme angewendet. Das Emissionsvolumen betrug in diesem Fall € 1,2 Mrd. Insgesamt wurden 22.540.000 Stückaktien an die
Börse gebracht. Der Wert des Greenshoe betrug in diesem Fall € 2,94 Mio.
Bei dem drittgrößten Börsengang des Jahres 2007 der Gerresheimer AG betrug
das Emissionsvolumen noch € 912 Mio. Am 1. Handelstag wurden an der Frankfurter Börse am 11.Juni 2007 25.300.000 Aktien gehandelt. Bei diesem Börsengang
wurde dem Stabilisierungsmanager ebenfalls die Möglichkeit einer Greenshoe-
Option über € 3,3 Mio. eingeräumt.
Einerseits sind Marktmanipulationen wegen ihres schädigenden Charakters verboten. Andererseits ist es unter bestimmten Umständen ökonomisch wünschenswert,
Kurspflege16 zu betreiben und auf die Bildung des Börsenpreises einzuwirken. Ohne
die Möglichkeit der Kursstabilisierung ist die Durchführung eines Börsenganges
nicht denkbar. Es stellt sich daher einerseits die Frage, warum solche Kursstabilisierungsmaßnahmen erlaubt werden, obwohl hier gezielt in die Bildung der Preise
eingegriffen wird. Andererseits ist die Marktmanipulation an sich aber verboten,
obwohl der Manipulator letztlich auch „nur“ auf die Bildung des Börsenpreises
einwirkt. Kurspflege und Marktmanipulation sind sich im Grunde daher sehr ähnlich.
14 Siehe unten S. 71.
15 Hein, WM 1996, 1, 6; Krämer/Hess, FS für Döser, S. 171, 173, Fn. 17; Meißner, Kursstabilisierung, S. 30, Fn. 16.
16 RegB 4. FMFG, BT-Drucks. 14/8017 vom 18.01.2002, S. 90; Arlt, Anlegerschutz, S. 89;
Benner in Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 9. Kapitel, Nr. 37, Rn. 89; Leppert/Stürwald, ZBB 2004, 302, 309; Meyer, AG 2004, 289, 291; Schönhöft, Strafbarkeit der
Marktmanipulation, S. 99 f.; Vogel, WM 2003, 2437, 2438; ders. in Assmann/Schneider,
WpHG, vor § 20a Rn. 28.
23
Dem Phänomen der Ähnlichkeit von Marktmanipulation und Kurspflege ist der
Gesetzgeber durch zahlreiche gesetzliche Regelungen entgegengetreten und hat
versucht herauszustellen, warum die Marktmanipulation einerseits verboten, Kurspflege aber andererseits erlaubt sein muss. Im Vorgriff auf die europäische Gesetzgebung hat der Bundesgesetzgeber bereits im Jahre 2002 das Verbot der Kurs- und
Marktpreismanipulation in § 20a WpHG durch das 4. Finanzmarktförderungsgesetz
(4. FMFG)17 neu geregelt und durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz
(AnSVG)18 weiter entwickelt.19 Der Gesetzgeber hob durch das 4. FMFG den bis zu
diesem Zeitpunkt gültigen Tatbestand des Kursbetruges gem. § 88 BörsG a.F. auf,
fasste die Regelungen vollkommen neu, überführte sie ins WpHG und verankerte sie
in § 20a WpHG unter dem Begriff des Verbotes der Marktmanipulation.20 Normiert
sind zum einen Verbote (Unterlassungspflichten), zum anderen / in der Alternative
des Verschweigens / Offenbarungsgebote (Handlungspflichten).21 Auf europäischer
Ebene wird das Verbot der Marktmanipulation von der Richtlinie 2003/6/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insidergeschäfte
und Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie)22 geregelt. Die europäische
Marktmissbrauchsrichtlinie soll gleiche Wettbewerbsbedingungen auf den europäischen Finanzmärkten schaffen und deren Integrität sicherstellen.23
Zur Konkretisierung des Tatbestandes der Marktmanipulation ermächtigte der
Gesetzgeber das Bundesministerium der Finanzen in § 20a Abs. 5 WpHG, eine
Rechtsverordnung zu erlassen. Diese Ermächtigung hat das Bundesfinanzministerium genutzt und die Verordnung zur Konkretisierung des Verbots der Marktmanipulation (MaKonV)24 am 01.03.2005 vorgestellt. Grundlage für den Erlass der Ma-
KonV ist die Durchführungsverordnung (EG) 2273/2003 (AusnahmenVO)25 zur
Marktmissbrauchsrichtlinie. Diese enthält Regelungen zum gleichen Gebiet und
findet seit Ablauf der Ingangsetzungsfrist neben der MaKonV in Deutschland unmit-
17 Das 4. FMFG vom 21.06.2002 ist am 01.07.2002 in Kraft getreten (BGBl. I Nr. 39 vom
26. Juni 2002, S. 2010 ff.); RegB 4. FMFG, BR-Drucks. 936/01 (neu) vom 14.11.2001.
18 Das AnSVG ist am 31.10.2004 in Kraft getreten (BGBl. I Nr. 56 vom 29. Oktober 2004,
S. 2630 ff.).
19 BaFin, Emittentenleitfaden, S. 86; Diekmann/Sustmann, NZG 2004, 929 ff.; Fischer zu
Cramburg/Royé in Heidel, Aktienrecht, § 20a WpHG, Rn. 1; Großmann/Nikoleyczik,
DB 2002, 2031 ff.; Kuthe, ZIP 2004, 883, 887; Plück/Kühn/Schmutzler, Kapitalmarktrecht,
S. 110; Reuschle, 4. FMFG, Einführung, Rn. 8; Rückert/Kuthe, BKR 2003, 647 ff.; Spindler,
NJW 2004, 3449, 3452; Streinz/Ohler, WM 2004, 1309, 1310.
20 Hutter/Leppert, NZG 2002, 649, 651; Weber, NJW 2004, 28, 29; ders., NZG 2004, 23.
21 Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, Einleitung zum WpHG, Rn. 12.
22 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über
Insidergeschäfte und Marktmanipulation, ABl. (EG) 2003 Nr. L 96 vom 12.04.2003, S. 16 ff.
23 Knauth/Käsler, WM 2006, 1041 ff.; Seitz, BKR 2002, 340 ff.; Weber, EuZW 2002, 43 ff.
24 Die MaKonV ist am 11.03.2005 in Kraft getreten (BGBl. I Nr. 15 vom 10. März 2005,
S. 515 ff.); Begr. MaKonV, BR-Drucks. 18/05 vom 7.1.2005.
25 Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung
der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates – Ausnahmeregelungen
für Rückkaufprogramme und Kursstabilisierungsmaßnahmen, ABl. (EG) 2003 Nr. L 336 vom
23.12.2003, S. 33.
24
telbare Anwendung. Mit der MaKonV verfolgte der Verordnungsgeber den Zweck,
den Marktteilnehmern Leitlinien an die Hand zu geben, welche Handlungen und
Unterlassungen als Marktmanipulation i.S.d. § 20a WpHG einzustufen sind.26 Die
MaKonV sollte eine bessere Orientierung bei der Beurteilung ermöglichen, ob ein
konkretes Verhalten der Marktteilnehmer marktkonform ist.27
Um den Adressaten der Vorschriften die Anwendung zu erleichtern, wurden Tatbestandausschließungsgründe für Kursstabilisierungsmaßnahmen in die gesetzlichen
Regelungen aufgenommen. Diese Vorschriften legen fest, unter welchen Voraussetzungen, insbesondere in welchem quantitativen und zeitlichen Rahmen Maßnahmen
der Kursstabilisierung eingesetzt werden dürfen.28 Der Zweck der Anwendungserleichterung wurde jedoch nur bedingt erreicht. Es ist nicht immer offensichtlich,
warum in dem einen Fall eine verbotene Handlung vorliegen soll; in einem anderen
Fall jedoch nicht. So bestimmen Art. 8 Abs. 2 und 3 AusnahmenVO, dass der Zeitraum, in dem Stabilisierungsmaßnahmen durchgeführt werden dürfen, für Aktien
und Aktien entsprechenden Wertpapiere 30 Kalendertage nach dem Zeitpunkt der
Notierungsaufnahme betragen soll. Wenn die Stabilisierungsmaßnahme z.B. 35
Tage nach der Notierungsaufnahme durchgeführt wird, ist die Rechtsfolge jedoch
nicht hinreichend klar. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass in diesem
Fall immer eine unzulässige Marktmanipulation vorliegen wird, denn nach Erwägungsgrund (2) AusnahmenVO stellen Stabilisierungsmaßnahmen, die den Anforderungen der Verordnung nicht genügen, nicht per se eine marktmissbräuchliche
Handlung dar. Die gesetzlichen Regelungen sind weder konkret noch abschließend.
Sie erleichtern nicht in jedem Fall die Einordnung einer Maßnahme als zulässig
bzw. unzulässig.
Es ist auch nicht ersichtlich, warum zwar die Manipulation der Börsenkurse gem.
§ 20a WpHG verboten, die Tätigkeit eines „Designated Sponsors“ hingegen erlaubt
ist. Der „Designated Sponsor“ ist eine aufgrund eines zivilrechtlichen Vertrages mit
dem Emittenten der betreuten Aktie verpflichtete, tätige Bank oder ein tätiges Finanzdienstleistungsunternehmen, welches auf Anfrage oder auf eigene Initiative
verbindliche Kauf- und Verkaufspreise für bestimmte Wertpapiere quotiert (sog.
„Quotes“) und so die kontinuierliche Handelsmöglichkeit der Wertpapiere gewährleistet.29 Der Tätigkeit des „Designated Sponsors“ liegt jedoch weder ein verbindliches Angebot noch reale Nachfrage des freien Marktes zugrunde, und es erfolgen
auch keine wirtschaftlich begründeten Umsätze, da der „Designated Sponsor“ aufgrund der Anordnungen der Geschäftsführung der Börse handelt.30 Der „Designated
Sponsor“ nimmt durch seine Tätigkeit Einfluss auf die Bildung des Börsenpreises,
26 Begr. MaKonV, BR-Drucks. 18/05 vom 07.01.2005, S. 2.
27 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 16.388.
28 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 16.406.
29 Willamowski in Heidel, Aktienrecht, Kapital 3, § 24 BörsG Rn. 3, Fn. 4.
30 Ekkenga/Maas, Wertpapieremissionen, Rn. 257; Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht,
§§ 20a, 38 I Nr. 4, 39 WpHG Rn. 14, Fn. 94; Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, § 20a
Rn. 229; Zieschang in Park, Kapitalmarktstrafrecht, § 263 Rn. 104.
25
die jedoch erlaubt und vom Verbot der Marktmanipulation nicht erfasst ist. Der
Gesetzgeber bzw. Verordnungsgeber hat diese Ausnahme jedoch nicht begründet.31
Die gesetzlichen Regelungen helfen bei den genannten Beispielen nicht, die Einordnung und Konkretisierung der kursbeeinflussenden Maßnahmen zu erleichtern.
Das Ziel des Gesetzgebers, dem Adressaten der Vorschriften Leitlinien an die Hand
zu geben, die eine eindeutige Klassifizierung der Maßnahmen als zulässig bzw.
unzulässig ermöglichen, kann nur als bedingt gelungen bezeichnet werden. Die
gesetzlichen Vorschriften lassen genügend Raum für Maßnahmen, die nicht eindeutig eingeordnet werden können. Leider mangelt es auch an einer eindeutigen Definition der Begriffe Marktmanipulation und Kurspflege. Eine Abgrenzung von Marktmanipulation und Kurspflege ist entsprechend schwierig, wenn auch nicht unmöglich.
B. Gang der Untersuchung
Um dem Gesetzesanwender eine Abgrenzung und Konkretisierung der Marktmanipulation und der Kurspflege zu erleichtern und die Defizite der gesetzlichen Regelungen aufzuzeigen, werden im Folgenden daher zunächst die Begrifflichkeiten
erläutert. Anschließend werden die verschiedenen Arten der Marktmanipulation
typologisiert und untersucht, welche Art der Marktmanipulation der Kurspflege am
Nächsten steht. Daran knüpft die Darstellung der rechtlichen Grundlagen der
Marktmanipulation und der Kurspflege an. In diesem Abschnitt werden kurz die
gesetzlichen Regelungen erläutert. Im Vordergrund stehen die gesetzlichen Kriterien
und Tatbestandsmerkmale, die eine Abgrenzung und Konkretisierung von Marktmanipulation und Kurspflege ermöglichen sollen. Letztlich wird untersucht, ob die
vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Kriterien zur Abgrenzung von Kurspflege und Marktmanipulation tauglich sind. Dabei werden sowohl die Marktmanipulation als auch die Kurspflege dahingehend überprüft, ob das jeweilige Kriterium sich
bei nur einer oder bei beiden Maßnahmen wieder finden lässt. Ziel der Arbeit ist es
festzustellen, inwieweit sich Kurspflege und Marktmanipulation tatsächlich unterscheiden. Es sollen dabei die Kriterien und Merkmale herausgestellt werden, die
diese Unterscheidung von Kurspflege und Marktmanipulation ermöglichen. Dem
Adressaten der gesetzlichen Vorschriften soll es möglich sein, eine Maßnahme anhand der dargestellten Kriterien zweifelsfrei einzuordnen und zu unterscheiden. Die
Arbeit endet mit einer thesenartigen Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse.
31 Siehe unten S. 127.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Durch Marktmanipulation und Kurspflege wird die Bildung der Börsenkurse gezielt beeinflusst. Die Abgrenzung der verbotenen Börsenkursmanipulationen und der erlaubten Kurspflege stellt aufgrund des Phänomens der Ähnlichkeit der Handelstechniken eine Herausforderung dar und ist gerade in Zeiten der Finanzmarktkrise von Bedeutung.
Die Arbeit untersucht die in § 20a WpHG und den europäischen Regelungen zur Verfügung gestellten Abgrenzungsmerkmale darauf, ob sie sich zur Konkretisierung der verbotenen Marktmanipulation von der erlaubten Kurspflege eignen. So werden für den Leser Leitlinien entwickelt, die eine eindeutige Klassifizierung von Markmanipulation und Kurspflege als zulässig bzw. unzulässig ermöglichen.