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Für Kurspflegemaßnahmen gibt es jedoch in den europäischen Regelungen detaillierte Vorschriften, die den zeitlichen Rahmen ihrer Ausübung betreffen. Es stellt
sich die Frage, ob die Kursstabilisierungsmaßnahmen das Regelungsziel des § 20a
WpHG tatsächlich gefährden und unzulässige Maßnahmen darstellen, wenn diese
außerhalb des erlaubten Zeitraums durchgeführt werden. Nur dann wäre der Aus-
übungszeitpunkt einer Transaktion ein geeignetes Kriterium, nach dem sich Marktmanipulationen und Kurspflegemaßnahmen voneinander unterscheiden ließen.
I. Gesetzliche Regelungen zur Begrenzung des Ausübungszeitpunkts einer Transaktion
Der europäische Gesetzgeber hat in Art. 8 AusnahmenVO detaillierte Regelungen
getroffen, wann und in welchem zeitlichen Rahmen Kursstabilisierungsmaßnahmen
durchgeführt werden dürfen.448 Gem. Art. 8 Abs. 1 AusnahmenVO müssen Kursstabilisierungsmaßnahmen zeitlich befristet sein. Unbefristete Maßnahmen sind nicht
zulässig (Art. 8 Abs. 1). Die Regelungen in Art. 8 AusnahmenVO legen einen Zeitraum zwischen 30 und 60 Kalendertagen nach einem IPO bzw. SPO fest, in dem
Maßnahmen zur Kurspflege durchgeführt werden können. Innerhalb dieses Zeitraums können Kurspflegemaßnahmen unter den Ausnahmen des Safe Harbours
durchgeführt werden und stellen keinen Verstoß gegen § 20a WpHG dar.
II. Die Begrenzung des Ausübungszeitraums
Kurspflegemaßnahmen fallen gem. Art. 8 AusnahmenVO nur dann in den Regelungsbereich des Safe Harbours, wenn diese in dem begrenzten Stabilisierungszeitraum durchgeführt werden. Dies könnte bedeuten, dass alle Maßnamen zur Preisbeeinflussung, die außerhalb dieses Zeitraums durchgeführt werden, eine Gefahr für
den Kapitalmarkt und seine funktionsbezogenen Einrichtungen darstellen. Diese
Maßnahmen wären dann als Marktmanipulationen einzuordnen. Der Gesetzgeber
geht folglich davon aus, dass sich der Nutzen von Kursstabilisierungsmaßnahmen
für den Kapitalmarkt und seine Teilnehmer nur in einem begrenzten Zeitraum entfalten kann.
1. Die Folgen eines kurzen Ausübungszeitraums
Kurspflegemaßnahmen werden nach einer Emission durchgeführt, um eine erfolgreiche Platzierung von Wertpapieren und einen ruhigen und langfristigen Absatz der
Wertpapiere zu gewährleisten. Die Emittenten der Wertpapiere sind an einer lang-
448 Siehe oben S. 68.
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fristigen Finanzierung ihres Unternehmens und an einer stetigen Entwicklung des
Börsen- und Marktpreises interessiert. Ihnen ist daran gelegen, einen großen Teil der
Wertpapiere nach einem Börsengang bei langfristig orientierten Anlegern zu platzieren.449 Die langfristigen Anleger sind daran interessiert, ein Investment über einen
längeren Zeitraum zu tätigen. Für sie ist es nicht von Bedeutung, dass sich ein Gewinn innerhalb einer kurzen Zeitspanne realisieren lässt.450 Anders ist dies bei den
kurzfristig orientierten Anlegern. Bei den kurzfristig orientierten Anlegern handelt
es sich um Spekulanten, die versuchen, durch schnellen Verkauf der Wertpapiere
Gewinne zu realisieren.451 Ihre Zahl ist jedoch im Verhältnis zu den anderen Kapitalmarktteilnehmern als gering einzuschätzen. Langfristig und kurzfristig orientierte
Anleger verfolgen dementsprechend unterschiedliche Ziele.452
Bei langfristig orientierten Anlegern ist aufgrund ihres Anlageziels nicht davon
auszugehen, dass sie Transaktionen in einem kurzen Zeitraum nach einer Emission
ausführen werden. Kurzfristig orientierte Anleger hingegen werden auch Transaktionen kurz nach der Emission vornehmen. Sie messen Kursstabilisierungsmaßnahmen und ihren Wirkungen eine wesentlich größere Bedeutung bei.453 Für sie stellen
solche Maßnahmen kostenlose Quasi-Put-Optionen mit positivem Wert dar.454 Dies
führt dazu, dass die Nachfrage nach den Wertpapieren, bei denen Kurspflege durchgeführt wird, deutlich höher ausfällt, als dies der Fall wäre, wenn keine Stabilisierungsmaßnahmen angekündigt worden wären. Die kurzfristig orientierten Anleger
können Vorteile aus Kursstabilisierungsmaßnahmen ziehen, wenn der Börsen- oder
Marktpreis unter den Emissionspreis fällt. Dies bedeutet, dass für den Spekulanten
die Möglichkeit größer ist, Gewinne zu realisieren, wenn das Finanzinstrument bei
der Neuemission unterbewertet ist.455 Dann wird durch die Wertpapierhäuser die
Nachfrage verknappt, und so ein Kursrückgang abgefedert. Der Verlust für die Spekulanten wird begrenzt. Ist das Wertpapier jedoch bei seiner Emission überbewertet,
werden weitere Wertpapiere in den Markt gegeben und mögliche Verluste durch
Kursstabilisierungsmaßnahmen abgefedert. Spekulanten können dann günstig in ein
Wertpapier einsteigen und es schnell wieder zu einem höheren Wert verkaufen.
Stabilisierungsmaßnahmen kommen daher auch den Spekulanten sehr wohl zu Gute.
Dementsprechend handelt es sich bei der erhöhten Nachfrage von Wertpapieren, bei
den Kursstabilisierungsmaßnahmen angekündigt worden sind, auch um die Nachfrage von Spekulanten.
Eine erhöhte Nachfrage von langfristig orientierten Anlegern ist hingegen nicht
zu erwarten, da für diese die in einem begrenzten Zeitraum durchgeführten Stabilisierungsmaßnahmen keine allzu große Bedeutung haben. Für die langfristig orien-
449 Trauten, Wertpapieremissionen, S. 23.
450 Meyer, AG 2004, 289, 291.
451 Arlt, Anlegerschutz, S. 92; Lenzen, WM 2000, 1131; Lorenz in Deilmann/Lorenz, Aktiengesellschaft, § 4, Rn. 59.
452 Lenzen, WM 2000, 1131.
453 Meyer, AG 2004, 289, 291.
454 Meißner, Kursstabilisierung, S. 55.
455 Meißner, Kursstabilisierung, S. 55 f.
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tierten Anleger ist die stetige und kontinuierliche Entwicklung des Börsen- oder
Marktpreises ausschlaggebend. Kurspflegemaßnahmen können weitere Nachteile
dergestalt nach sich ziehen, dass der Kurs nach der Beendigung der Maßnahmen
häufig fällt, so dass die Stabilisierung sogar den langfristig orientierten Anlegern
schaden kann, die sich erst nach der erfolgreichen Platzierung zum Kauf entschlie-
ßen und zum künstlich gestützten Preis teurer erwerben.456
Werden die Finanzinstrumente aber vermehrt durch Spekulanten nachgefragt,
wird der Börsen- oder Marktpreis nicht stabilisiert. Die Spekulanten sind in der
Lage, den Kurs erheblich zu bewegen, da sie sich schnell wieder von ihren Werten
trennen werden, um kurzfristige Gewinne zu realisieren. Die erhöhte Nachfrage und
der darauf folgende Wiederverkauf durch die Spekulanten erhöhen die Volatilität
der Börsen- oder Marktpreise.457 Ein Marktgleichgewicht, welches das Vertrauen
der langfristigen Anleger in die Bildung des Börsenkurses stärken soll,458 kann sich
nicht bilden. Kurspflegemaßnahmen können folglich in Zusammenhang mit Transaktionen von Spekulanten kurz nach einer Emission den Kapitalmarkt eher gefährden als stärken.
2. Die Konsequenzen eines langen Ausübungszeitraums
Um Schaden von dem Emittenten und den langfristig orientierten Anlegern abzuwenden, könnte der Stabilisierungszeitraum erheblich ausgedehnt werden. In diesem
Fall könnten auch langfristig orientierte Anleger von den Maßnahmen profitieren.
Im Jahre 2002 hat das OLG Frankfurt/Main459 eine Ausdehnung des Stabilisierungszeitraums für zulässig anerkannt und Maßnahmen innerhalb eines Jahres nach Handelsaufnahme als unbedenklich eingestuft. Diese Entscheidung ist in der Literatur460
stark kritisiert worden. Je länger der erlaubte Einflussnahmezeitraum ist, desto grö-
ßer sei auch die tatsächliche Möglichkeit der Einflussnahme auf den Börsenpreis.
Der Zweck der Manipulationsverbotes, das freie Zusammenspiel von Angebot und
Nachfrage sowie die Sicherung des Kapitalmarktes und seiner funktionsbezogenen
Einrichtungen, könne durch die Verlängerung des Stabilisierungszeitraums nicht
erreicht werden und würde daher Manipulationen unter dem Deckmantel angeblicher „Stabilisierungsmaßnahmen“ Tür und Tor öffnen. Allerdings ist aufgrund der
ökonomischen Auswirkungen von Kurspflegemaßnahmen auch zu erkennen, dass
die Begrenzung des Stabilisierungszeitraum auf einen Zeitraum kurz nach einer
Emission nicht sinnvoll ist und das von dem Verordnungsgeber anvisierte Ziel,
Schutz des Kapitalmarktes, gar nicht erreicht werden kann.
456 Lenzen, Börsenkursbildung, S. 15.
457 Thiessen, WiSt 2002, 523.
458 Lenzen, Börsenkursbildung, S. 15.
459 OLG Frankfurt, WM 1992, 572, 575.
460 Fleischer, ZIP 2003, 2045, 2048 m.w.N.
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III. Zusammenfassung
Durch die Begrenzung des Stabilisierungszeitraums werden den Adressaten objektive Kriterien für die Anwendung der Vorschrift an die Hand gegeben. Das Überschreiten des Zeitraums kann ein Indiz für eine unzulässige Maßnahme darstellen.
Eine Begrenzung des Stabilisierungszeitraums dient der Praktikabilität und der Überwachung der Regelungen.
Es ist jedoch ökonomisch nicht sinnvoll, den Stabilisierungszeitraum auf einen
Bereich kurz nach der Emission zu beschränken. Der mit den gesetzlichen Regelungen verfolgte Zweck, der Schutz des Kapitalmarktes und seiner Einrichtungen, kann
durch die Begrenzung des Ausübungszeitraums von Stabilisierungsmaßnahmen
nicht erreicht werden. Maßnahmen zur Preisbeeinflussung stellen, nur weil sie au-
ßerhalb des gesetzlich festgelegten Zeitraums ausgeübt wurden, keine unzulässige
Marktmanipulation dar. Folglich kann nicht auf den Ausübungszeitpunkt einer
Transaktion abgestellt werden, um festzustellen, ob es sich um eine Marktmanipulationsmaßnahme handelt. Die Begrenzung des Ausübungszeitraums ist daher kein
geeignetes Kriterium, um Kurspflege von Marktmanipulation abzugrenzen.
H. Der Ausführungsort einer Transaktion
Wertpapiere werden sowohl an Börsen als auch außerbörslich gehandelt.461 Danach
qualifizieren sich nur der regulierte Markt, der Freiverkehr, die Eurex Terminbörse
und die Warenbörsen als geeignete Handelsplattformen für die Bildung von Marktoder Börsenpreisen.462 Der Ort, an dem Wertpapierhandel betrieben wird und Transaktionen durchgeführt werden, könnte für die Abgrenzung zulässiger von unzulässigen Maßnahmen entscheidend sein. Voraussetzung wäre dafür, dass Kurspflegemaßnahmen nur an einem bestimmten Handelsplatz in zulässiger Weise durchgeführt werden können. Maßnahmen zur Preisbeeinflussung, die an anderen
Handelplätzen ausgeführt werden, wären dann als Marktmanipulation zu bewerten.
I. Maßnahmen zur Preisbeeinflussung am grauen Markt vor der Emission
Der Stabilisierungsort war in Deutschland vor In-Kraft-Treten der Änderungen, die
das 4. FMFG und das AnSVG mit sich brachten, gesetzlich nicht geregelt. Es war
jedoch allgemein anerkannt, dass die Stabilisierung nur an bestimmten Orten stattfinden darf. Obwohl der Handlungsort im Einzelnen nicht genau bestimmt war,463
461 Ziouvas, wistra 2003, 13, 15.
462 Ziouvas, wistra 2003, 13, 15.
463 Schäfer, WM 1999, 1345.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Durch Marktmanipulation und Kurspflege wird die Bildung der Börsenkurse gezielt beeinflusst. Die Abgrenzung der verbotenen Börsenkursmanipulationen und der erlaubten Kurspflege stellt aufgrund des Phänomens der Ähnlichkeit der Handelstechniken eine Herausforderung dar und ist gerade in Zeiten der Finanzmarktkrise von Bedeutung.
Die Arbeit untersucht die in § 20a WpHG und den europäischen Regelungen zur Verfügung gestellten Abgrenzungsmerkmale darauf, ob sie sich zur Konkretisierung der verbotenen Marktmanipulation von der erlaubten Kurspflege eignen. So werden für den Leser Leitlinien entwickelt, die eine eindeutige Klassifizierung von Markmanipulation und Kurspflege als zulässig bzw. unzulässig ermöglichen.