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III. Die Marktfairness
Ein weiteres Kriterium zur Anerkennung einer Gepflogenheit als zulässige Marktpraxis ist gem. § 8 Abs. 1 Nr. 4 MaKonV die Marktfairness. Solange ein Verhalten
fair gegenüber anderen Kapitalmarktteilnehmern ist, wird es als zulässig angesehen.
Für den Konflikt zwischen zulässigen und unzulässigen Maßnahmen zur Kursbeeinflussung bedeutet dies, dass eine erlaubte Maßnahme auch fair gegenüber den anderen Marktteilnehmern sein muss. Erfüllt entweder nur die Marktmanipulation oder
die Kurspflege dieses Kriterium, könnte sich das Prinzip der Marktfairness dazu
eignen, die einzelnen Maßnahmen zu konkretisieren und voneinander abzugrenzen.
1. Die Definition der Marktfairness
Nach dem Prinzip der Marktfairness muss eine zulässige Gepflogenheit mit dem
Handelsmechanismus auf dem Markt vereinbar sein und den anderen Marktteilnehmern eine angemessene und rechtzeitige Reaktion erlauben. Die Fairness am Markt
verhindert, dass kollidierende Interessen der Marktteilnehmer zu einer Fehlentwicklung des Kapitalmarktes führen: Auf einem fairen Kapitalmarkt werden die Anleger
gleich behandelt und präventive Maßnahmen gegen die Gefahr von Betrug und
Irreführung implementiert.552 Nur in einen fairen Markt wird der Anleger Vertrauen
setzen; fühlt er sich jedoch unfair behandelt, wird er sich von dem Markt abwenden
und seine Investitionen an anderen Plätzen tätigen.553 Ein fairer Markt zeichnet sich
somit dadurch aus, dass eine Marktseite ihre Machtposition nicht unangemessen
ausnutzen kann. Das Ziel ist eine weitgehende Gleichheit zwischen den einzelnen
Kapitalmarktteilnehmern. Jeder Marktbeteiligte muss die Möglichkeit haben, als
eigenverantwortliche Person Einfluss zu nehmen und darf keine Mittel der Täuschung oder Irreführung verwenden.554 Transparenz ist dementsprechend ein bedeutendes Mittel, um Marktfairness herzustellen. Die Marktfairness regelt folglich die
Beziehung der einzelnen Kapitalmarktteilnehmer untereinander.
2. Die Beeinflussung der Marktfairness durch Marktmanipulationen
Bei der Durchführung von Marktmanipulationen hat der Handelnde einen Wissensvorsprung. Er weiß, dass er Informationen in den Markt gibt, welche die anderen
Marktteilnehmer entweder gar nicht oder nicht in dem Umfang oder der Form haben. Es besteht eine Informationsasymmetrie.555 Der Manipulator hat entsprechend
552 Caspari, NZG 2005, 98, 99.
553 Caspari, ZGR 1994, 530, 533; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 8.418.
554 Caspari, NZG 2005, 98, 101; Kissel in Tilch/Arloth, Rechtslexikon, Stichwort: „Faires Verhalten“, S. 1567.
555 Siehe oben S. 99.
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überlegenes Wissen. Er will die Anleger über Tatsachen täuschen und so einen Irrtum erzeugen. Hierdurch fehlen den anderen Marktbeteiligten Informationen, die es
ihnen ermöglichen würden, auf das Handeln des Manipulators angemessen zu reagieren. Es besteht im Falle einer Manipulation keine Gleichheit zwischen den Kapitalmarktteilnehmern. Wird z.B. ein wirtschaftlich begründeter Preisverfall bei einem
Finanzinstrument vorübergehend künstlich (etwa durch „Pumping und Dumping“556
oder „Painting the Tape“557) aufrecht gehalten, nimmt dies den anderen Marktteilnehmern die Möglichkeit, sich rechtzeitig von dem Finanzinstrument zu trennen.558
Der Manipulator hat eine Machtposition, die er gegenüber den getäuschten und
unwissenden Anlegern ausnutzt. Es herrscht kein Marktgleichgewicht und damit
auch keine Marktfairness. Durch Marktmanipulationen wird die Fairness der Kapitalmarktteilnehmer untereinander erheblich beeinträchtigt. Durch diese Beeinträchtigung ist ein effektiver Handel nicht mehr gewährleistet. Angebot und Nachfrage am
Kapitalmarkt bilden sich nicht mehr aufgrund eines unbeeinflussten Zusammenspiels, sondern durch die Beeinträchtigung der Kenntnisse der Marktteilnehmer
erfolgt die Bildung aufgrund einer defizitären Informationslage. Durch die Störung
der Marktfairness infolge von Marktmanipulationen sind folglich auch die Preisbildung an den Börsen und damit die Funktionsfähigkeit des gesamten Kapitalmarktes
beeinträchtigt. Marktmanipulation führen letztlich dazu, dass die Marktfairness
erheblich negativ beeinflusst wird.
3. Die Beeinflussung der Marktfairness durch Kurspflegemaßnahmen
Durch Kurspflegemaßnahmen wird ebenso wie bei Marktmanipulationen bekanntermaßen auf die Preisbildung an den Börsen eingewirkt. Bei der Durchführung von
Kurspflegemaßnahmen besteht jedoch das im Rahmen der Marktfairness geforderte
Gleichgewicht der Marktteilnehmer untereinander. Um Kurspflegemaßnahmen
durchzuführen wird niemand getäuscht. Der Durchführende manipuliert die Preisbildung nicht, indem er falsche Tatsachen vorspiegelt und hierdurch einen Irrtum
erregt. Im Gegenteil: Kurspflegemaßnahmen sind gegenüber Behörden und Anlegern vor und nach ihrer Durchführung umfangreich bekannt zu machen.559 Sie müssen im Börsenprospekt angekündigt werden.560 Dem Kapitalmarktteilnehmer ist es
aufgrund dieser Transparenz der Kurspflegemaßnahmen möglich, sich umfangreich
über die mögliche Durchführung zu informieren. Er ist darüber hinaus in der Lage,
auf das Marktgeschehen zu reagieren. Problematisch könnte es sein, dass keine
556 Siehe oben S. 44.
557 Siehe oben S. 33.
558 Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, § 20a, Rn. 157.
559 Siehe oben S. 69.
560 Heute bestimmt sich die Offenlegung von Stabilisierungsmaßnahmen nach § 7 WpPG i.V.m.
Anhang III Ziffer 5.2.5 der Prospekt-Richtlinie (siehe auch Groß, Kapitalmarktrecht,
3. Auflage 2006, §§ 44, 45 BörsG, Rn. 50).
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Details über die Realisierung der Kursstabilisierung im Börsenprospekt aufgenommen werden und Details über die tatsächlich durchgeführte Maßnahme erst bis zu
sieben Tagen nach ihrer Durchführung gegenüber den Behörden angezeigt werden
müssen (Art. 9 Abs. 2 und 3 AusnahmenVO). Der Anleger hat dementsprechend im
Zeitpunkt der Durchführung keine genauen Informationen über die einzelne Kurspflegemaßnahme. Der Marktteilnehmer ist dennoch in der Lage, einen nicht der
Norm entsprechenden Kursverlauf nach einer Emission mit der Durchführung von
Kursstabilisierungsmaßnahmen in Verbindung zu bringen. Er ist insoweit gewarnt.
Zwar besteht ein gewisses Informationsungleichgewicht, da nicht alle Anleger über
die gleichen Informationen verfügen. Allerdings wird durch die Veröffentlichung
und Bekanntgabe der Kursstabilisierungsmaßnahmen die ungleiche Informationsverteilung so gering wie möglich gehalten. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass bei der
Durchführung von Kursstabilisierungsmaßnahmen überlegenes Wissen zu Lasten
der übrigen Marktteilnehmer ausgenutzt werden wird, wie dies bei Marktmanipulationen der Fall ist. Folglich wird das Prinzip der Marktfairness durch die Durchführung von Kurspflegemaßnahmen nicht oder nur sehr gering belastet. Hier besteht ein
erheblicher Unterschied zu manipulativen Handlungen.
4. Zusammenfassung
Marktfairness bezieht sich auf das Verhalten der Marktteilnehmer untereinander.
Marktmanipulationen sind aufgrund der Vorspiegelung falscher Tatsachen und der
Erregung eines Irrtums gegenüber den anderen Marktbeteiligten unfair. Der Manipulator hat eine Machtstellung, die er gegenüber anderen Marktteilnehmern ausnutzt.
Dadurch sind die anderen Anleger nicht mehr in der Lage, angemessen auf die
Handlungen des Manipulators zu reagieren. Kurspflegemaßnahmen sind hingegen
aufgrund der Transparenz der Durchführungshandlungen für jeden erkennbar. Der
Kapitalmarkt wird über diese Maßnahmen umfangreich informiert. Die Anleger
müssen mit Kurspflegemaßnahmen rechnen. Jeder Marktteilnehmer kann das Handelsgeschehen unter dem Blickwinkel der Durchführung von Kurspflegemaßnahmen
betrachten und entsprechend reagieren bzw. Konsequenzen daraus ziehen. Die
Durchführung von Kurspflegemaßnahmen verstößt folglich nicht gegen das Prinzip
der Marktfairness. Insoweit können Manipulationshandlungen konkretisiert und von
der Kurspflege abgrenzt werden. Im Ergebnis stellt das Prinzip der Marktfairness ein
geeignetes Abgrenzungskriterium von Kurspflege und Marktmanipulation dar.
IV. Die Marktstruktur
Gem. § 8 Abs. 1 Nr. 5 MaKonV darf eine Gepflogenheit nur dann von der BaFin als
zulässige Marktpraxis anerkannt werden, wenn die Maßnahme den Strukturmerkmalen des Marktes, insbesondere dessen Regulierung und Überwachung, den gehandel-
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References
Zusammenfassung
Durch Marktmanipulation und Kurspflege wird die Bildung der Börsenkurse gezielt beeinflusst. Die Abgrenzung der verbotenen Börsenkursmanipulationen und der erlaubten Kurspflege stellt aufgrund des Phänomens der Ähnlichkeit der Handelstechniken eine Herausforderung dar und ist gerade in Zeiten der Finanzmarktkrise von Bedeutung.
Die Arbeit untersucht die in § 20a WpHG und den europäischen Regelungen zur Verfügung gestellten Abgrenzungsmerkmale darauf, ob sie sich zur Konkretisierung der verbotenen Marktmanipulation von der erlaubten Kurspflege eignen. So werden für den Leser Leitlinien entwickelt, die eine eindeutige Klassifizierung von Markmanipulation und Kurspflege als zulässig bzw. unzulässig ermöglichen.