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steht die Möglichkeit, dass derartige Investoren in den Wert einsteigen werden. Es
ist daher nicht auszuschließen, dass sich aufgrund der Ankündigung von Kurspflegemaßnahmen die Struktur und Art der Kapitalanleger in einem Markt ändern. Im
Hinblick auf Kurspflegemaßnahmen muss deshalb eine differenzierte Überprüfung
im Einzelfall erfolgen, ob diese den Strukturbedingungen eines Marktes gerecht
werden.
4. Zusammenfassung
Marktmanipulationen werden den Strukturbedingungen eines Marktes nicht gerecht.
Der Manipulator versucht bei der Durchführung die Überwachungs- und Regulierungsstellen zu unterlaufen und zu verhindern, dass seine manipulativen Handlungen
entdeckt werden. Es ist nicht auszuschließen, dass sich aufgrund von Marktmanipulationen die Anlegerstruktur eines Marktes ändert. Im Rahmen von Kurspflegemaßnahmen besteht auch die Möglichkeit, dass sich die Anlegerstruktur verändert. Allerdings werden Kurspflegemaßnahmen in Einklang mit den börsenrechtlichen Vorschriften durchgeführt und den Überwachungsstellen angezeigt. Die Gefahr einer
Veränderung der Marktstruktur ist bei Kurspflegemaßnahmen geringer als bei
Marktmanipulationen, kann aber im Ergebnis nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Eine Konkretisierung der Marktmanipulation und Abgrenzung von der Kurspflege
ist aufgrund des Prinzips der Marktstruktur gem. § 8 Abs. 1 Nr. 5 MaKonV nicht
uneingeschränkt möglich.
V. Die Marktintegrität
§ 8 Abs. 1 Nr. 6 MaKonV sieht vor, dass eine Gepflogenheit von der BaFin als eine
zulässige Marktpraxis anerkannt werden kann, wenn diese Gepflogenheit die Integrität anderer Märkte, auf denen dasselbe Finanzinstrument gehandelt wird, nicht
gefährdet. Dies bedeutet, dass Eingriffe in die Preisbildung nur dann zulässig sein
können, wenn durch diese die Integrität eines anderen Marktes, auf denen das beeinflusste Finanzinstrument auch noch gehandelt wird, nicht beeinträchtigt wird.
1. Die Definition der Marktintegrität
Gem. Erwägungsgrund (1) Durchführungs-Richtlinie 2004/72/EG570 ist ein faires
und effizientes Handeln seitens der Marktteilnehmer erforderlich, um ein normales
Funktionieren des Marktes zu ermöglichen und die Integrität des Marktes zu schützen. Insbesondere Marktpraktiken, die das freie Spiel von Angebot und Nachfrage
570 Siehe oben Fn. 109.
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dadurch beeinträchtigen, dass die Möglichkeiten anderer Marktteilnehmer auf Geschäfte zu reagieren, eingeschränkt werden, können die Marktintegrität ernsthaft
gefährden. Unter dem Prinzip der Marktintegrität wird folglich die Makellosigkeit
und Unbestechlichkeit des Kapitalmarkts nebst aller funktionsbezogenen Einrichtungen verstanden. Ein integerer Kapitalmarkt ist frei von Einflüssen auf den Börsenpreis, die sich nicht aufgrund des freien, unbeeinflussten Zusammenspiels von
Angebot und Nachfrage gebildet haben. Die Preise an einem integeren Markt nähern
sich dem wahren Wert des Unternehmens an und werden von äußeren Einflüssen
wenig bis gar nicht tangiert. Eine zulässige Marktpraxis darf dabei nicht nur die
Integrität des Marktes, auf dem die entsprechenden Wertpapiere gehandelt werden,
nicht beeinflussen, sondern es dürfen auch andere Märkte nicht gefährdet werden.
Andere Märkte sind auch nicht organisierte Märkte und auch solche im EU- oder
EWR-Ausland, in denen sich die Gefährdung der Marktintegrität durch den sog.
Preisimport (§ 24 Abs. 2 S. 3 BörsG) bewirkt wird.571 Eine zulässige Marktpraxis
darf folglich die Integrität und damit den ordnungsgemäßen Handel keines Marktes
gefährden.
2. Die Beeinflussung der Marktintegrität durch Marktmanipulationen
Marktmanipulationen beeinträchtigen das Prinzip der Marktfunktion.572 Manipulative Handlungen greifen in das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage ein und
nehmen so Einfluss auf die Preisbildung an den Börsen. Durch die manipulativen
Eingriffe verlieren die Anleger das Vertrauen in die ordnungsgemäße Preisbildung
und die Kurswahrheit. Es besteht die Gefahr, dass sich die verunsicherten Anleger
von diesen Märkten zurückziehen und ihr Investment an anderer Stelle tätigen werden. Die Integrität der Kapitalmärkte ist deshalb gefährdet. Darüber hinaus sind
Marktmanipulationen auch nicht transparent und verletzen das Prinzip der Marktfairness. Sie werden mittels Täuschung und Irreführung ausgeführt und erlauben den
anderen Marktteilnehmern daher keine angemessene Reaktion.573 Diese fehlende
Transparenz führt ebenfalls zu einer Gefährdung der Marktintegrität, da Transparenz
die Voraussetzung für die Bildung von Investorenvertrauen ist. Ohne die notwendige Transparenz bleibt dem Anleger auch ein noch so hohes Maß an Marktintegrität
verborgen und er wird sein Misstrauen behalten.574 Transparenz ist daher mitunter
die Voraussetzung für einen integeren Kapitalmarkt. Durch die Manipulationshandlungen verlieren der Kapitalmarkt und die Preisbildung an den Börsen ihre Makellosigkeit. Folglich wird durch Marktmanipulationen das Prinzip der Marktintegrität
beeinträchtigt.
571 Begr. MaKonV, BR-Drucks. 18/05 vom 07.01.2005, S. 22; Vogel in Assmann/Schneider,
WpHG, § 20a, Rn. 159.
572 Siehe unten S. 141.
573 Siehe unten S. 144.
574 Caspari, NZG 2005, 98, 99.
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3. Die Beeinflussung der Marktintegrität durch Kurspflegemaßnahmen
Kurspflegemaßnahmen nehmen ebenfalls Einfluss auf die Preisbildung, indem sie
auf das freie Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage einwirken. Andernfalls
wäre eine entsprechende Beeinflussung der Preisbildung nicht erfolgreich durchführbar. Sie beeinträchtigen folglich auch die Marktfunktionen.575 Allerdings werden Kurspflegemaßnahmen umfangreich sowohl gegenüber Behörden als auch gegenüber Anlegern bekannt gemacht.576 Nur bei Einhaltung der Transparenzvorschriften kommt es in Betracht, dass die Regelungen des Safe Harbours Anwendung
finden und die jeweilige Kursstabilisierungsmaßnahme von dem Verbot der Marktmanipulation ausgenommen wird. Durch diese Art der Transparenz und die Stabilisierung der Preise soll das Vertrauen der Anleger gestärkt und nicht minimiert werden. Andere Marktteilnehmer sind aufgrund einer umfangreichen Bekanntgabe in
der Lage, auf die Kurspflegemaßnahmen entsprechend zu reagieren.577 Sie können
ihre Handlungen dem Marktgeschehen zu gegebener Zeit anpassen und entsprechend Käufe oder Verkäufe tätigen. Eine Gefährdung der Marktintegrität ist daher
weniger zu erwarten als bei Marktmanipulationen. Sie kann aber aufgrund der Einflussnahme in die Preisbildung durch Kurspflegemaßnahmen auch nicht gänzlich
ausgeschlossen werden. Ein Makel haftet insoweit auch den Preisen an, die stabilisiert worden sind. Dies gilt auch, wenn mit der Bekanntgabe der einzelnen Maßnahmen und der Stabilisierung der Kurse das Gegenteil bezweckt ist und das Vertrauen der Anleger in die Integrität der Märkte gewonnen bzw. gestärkt werden soll.
Ob durch Kurspflegemaßnahmen auch die Integrität eines anderen Marktes beeinträchtigt wird, kann wie bei der Prüfung der Manipulationshandlungen nur im Einzelfall aufgrund der konkreten Stabilisierung und deren Wirkungen festgestellt werden. Ein pauschales Urteil ist auch im Falle von Kurspflegemaßnahmen nicht möglich.
4. Zusammenfassung
Das Prinzip der Marktintegrität beschreibt die unbeeinträchtigte Funktionsfähigkeit
des Kapitalmarktes und seiner Einrichtungen. Ein integerer Kapitalmarkt ist frei von
Einflüssen auf den Börsenpreis, die sich nicht aufgrund des freien, unbeeinflussten
Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage gebildet haben. Die Preise an einem
integeren Markt nähern sich dem wahren Wert des Unternehmens an und werden
von äußeren Einflüssen wenig bis gar nicht tangiert. Sowohl Kurspflegemaßnahmen
als auch Marktmanipulationen nehmen Einfluss auf das freie Zusammenspiel von
Angebot und Nachfrage und beeinflussen so die Preisbildung. Marktmanipulationen
575 Siehe oben S. 142.
576 Siehe oben S. 69.
577 Siehe oben S. 145.
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und Kurspflegemaßnahmen gefährden daher je nach der Intensität der Einflussnahme auch die Integrität des jeweiligen Kapitalmarktes.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Durch Marktmanipulation und Kurspflege wird die Bildung der Börsenkurse gezielt beeinflusst. Die Abgrenzung der verbotenen Börsenkursmanipulationen und der erlaubten Kurspflege stellt aufgrund des Phänomens der Ähnlichkeit der Handelstechniken eine Herausforderung dar und ist gerade in Zeiten der Finanzmarktkrise von Bedeutung.
Die Arbeit untersucht die in § 20a WpHG und den europäischen Regelungen zur Verfügung gestellten Abgrenzungsmerkmale darauf, ob sie sich zur Konkretisierung der verbotenen Marktmanipulation von der erlaubten Kurspflege eignen. So werden für den Leser Leitlinien entwickelt, die eine eindeutige Klassifizierung von Markmanipulation und Kurspflege als zulässig bzw. unzulässig ermöglichen.