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Da die Bezugsgröße für einen Markttrend unterschiedlich sein kann und nicht
hinreichend klar ist, ist es nahezu unmöglich, Markttrends festzustellen und zu überprüfen, aufgrund welcher Maßnahme oder welchem Einflussfaktor es zu einer entsprechenden Entwicklung des Kurses gekommen ist. Der Begriff des Markttrends ist
daher unbestimmt.
III. Die Art und Weise der Handlungen gegen den Markttrend
Unabhängig davon, dass der Begriff des Markttrends unbestimmt ist, ist auch die
Aussage, dass Kurspflegemaßnahmen mit und Marktmanipulation gegen den Markttrend erfolgen, nicht nachvollziehbar.
1. Die Auswirkungen von Marktmanipulationen
Hinsichtlich manipulativer Handlungen sind Fälle denkbar, bei denen zwar eine
unzulässige, manipulative Handlung vorliegt, der Manipulator aber nicht gegen den
Markttrend, das allgemeine Marktgeschehen, handelt. Als Beispiel ist auf das Scalping514 zu verweisen. Der Scalper erfüllt selbst dann die Voraussetzungen des § 20a
Abs. 1 WpHG, wenn er Empfehlungen abgibt, die inhaltlich richtig sind515 und damit dem Markttrend bzw. dem Marktgeschehen entsprechen. Seine Empfehlungen
führen dazu, dass sich der Markt, wie zuvor schon allgemein erwartet, noch schneller positiv oder negativ entwickelt. Der Markttrend bzw. das allgemeine Marktgeschehen wird damit nicht umgekehrt oder in eine andere Richtung gelenkt. Vielmehr
werden der Trend und die positive bzw. negative Stimmung der anderen Marktteilnehmer gegenüber dem Wertpapier ausgenutzt und gefördert.
2. Die Auswirkungen von Kurspflegemaßnahmen
Die Kurspflege umfasst solche marktausgleichenden An- und Verkäufe, die einer
stetigen und stabilen Kursentwicklung dienen und einem Abgleiten der Kurse oder
auch unerwünschten künstlichen Kurssteigerungen entgegenwirken sollen.516 Kurz
514 Siehe oben S. 58.
515 BGHSt 48, 373, 380 f.; siehe oben Fn. 38.
516 Arlt, Anlegerschutz, S. 89; Bosch in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rn. 10/339;
Bruchner/Pospischil in Lutter/Scheffer/Schneider, Konzernfinanzierung, Rn. 11.49; Crüwell/Fürhoff, Kurspflege, S. 334, 336; Johannsen-Roth, Erwerb eigener Aktien, S. 86; Krämer/Hess, FS für Döser, S. 171, 176; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 16.381
m.w.N.; Lenzen, WM 2000, 1131, 1133; Meißner, Kursstabilisierung, S. 27; Meyer, WM
2002, 1106; Möller, WM 2002, 309, 315; Munk, T-Aktie, S. 105 ff.; Schäfer, WM 1999,
1345; Schönhöft, Strafbarkeit der Marktmanipulation, S. 99; Schröder in Achenbach/Ransiek,
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nach einer Emission soll das Kursniveau durch Kursstabilisierungsmaßnahmen konstant gehalten werden, damit die Emission erfolgreich verläuft und das Vertrauen
der Anleger in die Emission gesichert wird. Eine hohe Volatilität zeigt, dass Angebot und Nachfrage noch nicht ausgeglichen und der Markt in der Bewertung des
Wertpapiers noch unentschlossen ist. Werden Kurspflegemaßnahmen dann eingesetzt, um eine gewisse Stabilität zu erzeugen und zu verhindern, dass der Börsenkurs
fällt, dann erfolgt die Stabilisierung gegen das aktuelle Marktgeschehen und damit
auch gegen den Markttrend. Dies ist das Ziel der Kurspflege. Der Kurs soll auf einem von dem Emittenten und den institutionellen Anlegern und Altaktionären gewünschten Wert gehalten werden, weil dieser Wert als besonders günstig für das
Unternehmen und die Entwicklung des Börsenkurses angesehen wird. Die Stabilisierungsan- und -verkäufe erfolgen antizyklisch. Würde sich der Markt zur Zufriedenheit des Emittenten und der mit der Emission verbundenen Institutionen entwickeln,
wären ein Eingreifen und damit eine Kurspflege letztlich nicht notwendig. Folglich
muss mit Hilfe von Kurspflegemaßnahmen schon aufgrund dem mit ihnen verfolgen
Sinn und Zweck gegen den Markttrend gearbeitet werden.
Die Aussage, Kurspflegemaßnahmen dürfen nicht gegen den Markttrend erfolgen, ist folglich so nicht mehr haltbar. Sie erklärt sich aus der Historie, da vor Änderung des WpHG durch das 4. FMFG und des AnSVG und noch mit Gültigkeit des
alten Tatbestands des Kursbetrugs gem. § 88 BörsG a.F. eine zeitliche Begrenzung
von Kurspflegemaßnahmen nicht gesetzlich vorgesehen war. Zu dieser Zeit wurden
Kursstabilisierungsmaßnahmen durchaus auch aus Gründen der Bilanzpflege oder
aus anderen legitimen Gründen, wie der Abwehr einer feindlichen Übernahme, als
zulässig angesehen. In einem solchen Fall machte es dann durchaus Sinn, Kurspflege, die gegen den Markttrend erfolgte, als unzulässig zu bewerten. Unter dem heutigen Verständnis von Kurspflegemaßnahmen, die nur noch zeitlich begrenzt kurz
nach einer Emission zu besonderen, eingeschränkten Zwecken durchgeführt werden
dürfen, ist diese Aussage nicht mehr vertretbar. Letztlich erfolgen Kurspflegemaßnahmen unter der Geltung der heutigen Regelungen immer entgegen dem Markttrend.
IV. Zusammenfassung
Der Begriff des Markttrends ist zur Abgrenzung von Kurspflege und Marktmanipulation nicht geeignet, weil er zu unbestimmt ist und viele Einzelfragen offen lässt. Es
kann nicht pauschal festgestellt werden, dass Marktmanipulationen immer gegen
den Markttrend erfolgen. Die These, dass Kurspflegemaßnahmen nicht gegen den
Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, X 2, Rn. 62; Schwark in Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, § 20a WpHG, Rn. 36; Schwintowski/Schäfer, Bankrecht, § 15, Rn. 90, S. 993f.; Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 20a, 38 I Nr. 4, 39 WpHG, Rn. 58; Vogel,
WM 2003, 2437; Weber, NZG 2000, 113, 115; Zieschang in Park, Kapitalmarktstrafrecht,
§ 263 StGB, Rn. 126; Ziouvas, ZGR 2003, 113, 136.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Durch Marktmanipulation und Kurspflege wird die Bildung der Börsenkurse gezielt beeinflusst. Die Abgrenzung der verbotenen Börsenkursmanipulationen und der erlaubten Kurspflege stellt aufgrund des Phänomens der Ähnlichkeit der Handelstechniken eine Herausforderung dar und ist gerade in Zeiten der Finanzmarktkrise von Bedeutung.
Die Arbeit untersucht die in § 20a WpHG und den europäischen Regelungen zur Verfügung gestellten Abgrenzungsmerkmale darauf, ob sie sich zur Konkretisierung der verbotenen Marktmanipulation von der erlaubten Kurspflege eignen. So werden für den Leser Leitlinien entwickelt, die eine eindeutige Klassifizierung von Markmanipulation und Kurspflege als zulässig bzw. unzulässig ermöglichen.