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B. Kurspflege
Dem Spannungsfeld zwischen zulässiger Kurspflege und unzulässiger Marktmanipulation ist der Gesetzgeber mittlerweile selbst entgegen getreten und hat in § 20a
Abs. 3 WpHG positiv Ausnahmen vom Tatbestand205 als sog. Safe-Harbour-
Regelungen geschaffen, bei deren Vorliegen eine Verwirklichung des Verbotes der
Marktmanipulation in jedem Falle ausscheidet.206 Gem. § 20a Abs. 3 S. 1 WpHG
stellen der Handel mit eigenen Aktien im Rahmen von Rückkaufprogrammen sowie
Maßnahmen zur Stabilisierung des Preises von Finanzinstrumenten keinen Verstoß
gegen das Verbot des § 20a Abs. 1 S. 1 WpHG dar. Dies gilt, soweit diese nach
Maßgabe der AusnahmenVO erfolgen.
Aus dogmatischer Sicht handelt es sich bei den Safe Harbours um Tatbestandsausschließungsgründe, d.h. sie sind verbindlich und sperren einen Rückgriff
auf § 20a Abs. 1 WpHG.207 Für den Anwendungsbereich der Safe Harbours verweist
§ 20a Abs. 3 S. 1 WpHG und inhaltsgleich § 5 MaKonV auf den Anwendungsbereich der AusnahmenVO. Art. 2 Nr. 6 AusnahmenVO erfasst Transaktionen mit
relevanten Wertpapieren, die auf einem regulierten Markt i.S.d. Art. 1 Nr. 4 Marktmissbrauchsrichtlinie im Gebiet der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraums
zum Handel zugelassen sind bzw. wenn für sie ein signifikantes Zeichnungsangebot
besteht. § 20a Abs. 3 S. 2 WpHG erweitert den Anwendungsbereich auf Wertpapiere, die zwar nicht zugelassen, aber in den Freiverkehr oder den regulierten Markt
einbezogen sind.
I. Kursstabilisierungsmaßnahmen
Gem. § 20a Abs. 3 WpHG i.V.m. § 5 MaKonV stellen Maßnahmen zur Stabilisierung des Preises von Finanzinstrumenten keinen Verstoß gegen das Verbot der
Marktmanipulation dar, wenn diese den Voraussetzungen der AusnahmenVO genügen. Kursstabilisierungsmaßnahmen stellen klassische Maßnahmen zur Kurspflege
dar, die dann zur Anwendung gelangen, wenn auf ordnungsgemäße und erlaubte
Weise in die Preisbildung an den Börsen eingegriffen wird. Aus den Regelungen der
AusnahmenVO für Kursstabilisierungsmaßnahmen könnten sich daher wichtige
Erkenntnisse gewinnen lassen, wie sich Kurspflege und Marktmanipulation voneinander unterscheiden.
205 Siehe oben S. 61.
206 Altenhain, BB 2002, 1874, 1876; Rückert/Kuthe, BKR 2003, 647, 648;
Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 263; Spindler, BB 2004, 2197, 2201; Weber, NJW
2004, 3674, 3675.
207 Bisson/Kunz, BKR 2005, 186, 189; Bürgers, BKR 2004, 424, 429; Holzborn/Israel, WM
2004, 1948, 1954; Schönhöft, Strafbarkeit der Marktmanipulation, S. 102 m. w. N.; Singhof/Weber, AG 2005, 549, 555; kritisch Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 20a,
38 I Nr. 4, 39 WpHG, Rn. 59.
67
1. Der Regelungsbereich des Safe Harbours
Der Ausgangspunkt für den Regelungsbereichs des Safe Harbours für Kursstabilisierungsmaßnahmen sind die Vorschriften der AusnahmenVO.
a) Anwendungsbereich in persönlicher Hinsicht
In persönlicher Hinsicht erfasst die AusnahmenVO nur Stabilisierungsmaßnahmen,
die von Wertpapierdienstleistungsunternehmen, nämlich Wertpapierhäusern gem.
Art. 2 Nr. 1 AusnahmenVO i.V.m. Art. 1 Nr. 2 Wertpapierdienstleistungs-
Richtlinie208 und Kreditinstituten gem. Art. 2 Nr. 2 AusnahmenVO i.V.m. Art. 1 Nr.
1 Richtlinie 2000/12/EG209 durchgeführt werden. Während § 5 KuMaKV noch forderte, dass ein Stabilisierungsmanager als ein die Maßnahme leitendes Organ bestimmt wird, findet sich diese Voraussetzung in der AusnahmenVO nicht mehr.
Gleichwohl heißt es in Erwägungsgrund (17), dass die Tätigkeiten der an der Kursstabilisierung beteiligten Wertpapierhäuser und Kreditinstitute sinnvoll koordiniert
werden sollen. Während der Durchführung der Maßnahme soll in jedem betreffenden Mitgliedstaat ein Wertpapierhaus bzw. ein Kreditinstitut als zentrale Auskunftsstelle für etwaige regulierende Eingriffe der zuständigen Behörde zur Verfügung
stehen.
b) Anwendungsbereich in sachlicher Hinsicht
In sachlicher Hinsicht erfasst der Safe Harbour nur Stabilisierungsmaßnahmen im
Rahmen von öffentlich angekündigten Erst- oder Zweitplatzierungen relevanter
Wertpapiere (Art. 2 Nr. 6 AusnahmenVO), die sich sowohl hinsichtlich des Werts
der angebotenen Wertpapiere als auch hinsichtlich der Verkaufsmethoden vom üblichen Handel unterscheiden (vgl. Art. 2 Nr. 7, 9 AusnahmenVO: „signifikantes
Zeichnungsanbot“). Erfasst sind nur Erst- oder Zweitemissionen i.S.v. formalisierten
„Initial“ oder „Secondary Public Offerings“210 (IPO/SPO), nicht aber in den üblichen Handel fallende Platzierungen, die sich als Privattransaktionen (Erwägungs-
208 Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen,
ABl. (EG) 1993 Nr. L 141 vom 11.06.1993, S. 27.
209 Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 über
die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute, ABl. (EG) 2000 Nr. L 126
vom 26.05.2000, S. 1.
210 „Initial Public Offering“ (IPO) meint das öffentlich angekündigte und erstmalige Angebot
von Wertpapieren. Bei einem „Secondary Public Offering“ (SPO) handelt es sich um eine öffentlich angekündigte Zweitplatzierung von relevanten Wertpapieren (Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, § 20a, Rn. 209; Fleischer, ZIP 2003, 2045, 2046).
68
grund [14] AusnahmenVO) oder Privatplatzierungen darstellen.211 Die Kontrolle
und Überwachung solcher Privatplatzierungen durch die BaFin als Aufsichtsorgan
wäre kaum möglich. Deshalb sollen diese nicht in den Anwendungsbereich des Safe
Harbours fallen.
2. Der Stabilisierungszeitraum
Der Zeitraum, in dem zulässige Kursstabilisierungsmaßnahmen durchgeführt werden dürfen, wird von Art. 8 AusnahmenVO begrenzt. Unbefristete Maßnahmen sind
nicht zulässig (Art. 8 Abs. 1). Die Vorschrift unterscheidet nach der Art der Platzierung (IPO/SPO) und nach den zu stabilisierenden Wertpapieren.
Der Zeitraum, in dem Stabilisierungsmaßnahmen durchgeführt werden dürfen,
beträgt für Aktien und Aktien entsprechenden Wertpapieren 30 Kalendertage nach
dem Zeitpunkt der Notierungsaufnahme bei einem IPO und 30 Kalendertage nach
dem Datum der Veröffentlichung des Schluss- bzw. Sekundäremissionspreises bei
einem SPO (Art. 8 Abs. 2 und 3 AusnahmenVO). Eine Stabilisierung während des
„Bookbuildings“212 wird nicht von dem Safe Harbour erfasst.213 Bei Schuldverschreibungen und anderen verbrieften Schuldtiteln beginnt der Stabilisierungszeitraum gem. Art. 8 Abs. 4 und 5 AusnahmenVO an dem Tag, an dem die endgültigen
Konditionen des Angebots angemessen bekannt gegeben werden. Er endet spätestens 30 Kalendertage nach dem Tag, an dem der Emittent den Emissionserlös erhalten hat oder / sollte dies früher eintreten / spätestens 60 Kalendertage nach der
Zuteilung der Wertpapiere.
Für die Zulässigkeit einer Maßnahme kann der Zeitpunkt, zu dem sie ausgeübt
wird, entscheidend sein. Es kann ferner von Bedeutung sein, ob eine Maßnahme
überhaupt unter einer zeitlichen Begrenzung steht, da Art. 8 Abs. 1 AusnahmenVO
eine solche zeitliche Begrenzung verlangt. Dadurch wird verhindert, dass Kurspflege kontinuierlich betrieben wird. Die Gefahr, dass ein künstliches Preisniveau geschaffen und über einen längeren Zeitraum gehalten wird, wird so minimiert. Die
zeitlichen Restriktionen zeigen, dass die Eingriffe auf die Börsenpreisbildung möglichst gering gehalten werden sollen. Der Zeitpunkt, zu dem eine Maßnahme zur
211 Schlitt/Schäfer, AG 2004, 346, 357; Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, § 20a, Rn. 209.
212 Beim „Bookbuilding-Verfahren“ werden die Anleger in einer Pre-Marketing-Phase über das
Wertpapier informiert und die ersten Preisvorstellungen ermittelt. Daran schließt sich eine
Zeichnungsperiode (Bookbuilding-Phase) an, in der Zeichnungen für ein Wertpapier innerhalb einer bestimmten Preisspanne entgegen genommen werden. Auf dieser Grundlage wird
dann über die Zuteilung der Wertpapiere an die Anleger entschieden (Bosch in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rn. 10/86; Groß in Hellner/Steuer, Bankrecht und
Bankpraxis, Rn. 10/262a ff.; ders., ZHR 162 (1998) 318 ff.; Heidelbach in Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, § 37 BörsG, Rn. 7 ff.; Hein, WM 1996, 1 ff.; Krug, BKR 2005,
302 ff.; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 9.203).
213 Pfüller/Anders, WM 2003, 2445, 2452; zum Bookbuilding allgemein siehe Groß, ZHR 162
(1998) 318 ff.; Hein, WM 1996, 1 ff.
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Beeinflussung der Preisbildung durchgeführt wird, kann daher für die Zulässigkeit
der Maßnahme eine wichtige Rolle spielen.
3. Publikations-, Dokumentations- und Organisationspflichten
Art. 9 AusnahmenVO enthält eine Reihe von Offenlegungs- und Publizitätspflichten, um dem im Hinblick auf Kursstabilisierungsmaßnahmen bestehenden Informationsungleichgewicht im Markt entgegen zu wirken.
Adressaten dieser Regelungen sind die Emittenten, die Bieter gem. Art. 2 Nr. 10
AusnahmenVO oder andere beteiligte Unternehmen, wenn diese die Stabilisierungsmaßnahmen durchführen.214 Nach Art. 9 Abs. 1 AusnahmenVO sind die Adressaten verpflichtet, vor der Durchführung einer Stabilisierungsmaßnahme bekannt
zugeben, dass eine Kursstabilisierungsmaßnahme in Betracht gezogen wird, die
Ausführung aber nicht sicher ist (Art. 9 Abs. 1a). Außerdem sollen die Adressaten
den Marktpreis, der gestützt werden soll (Art. 9 Abs. 1b), den Stabilisierungszeitraum (Art. 9 Abs. 1c) und die für die Durchführung der Maßnahme zuständige Person (Art. 9 Abs. 1d) bekannt geben.215 Regelmäßig erfolgt eine solche Bekanntgabe
im Prospekt. Hinweise auf Wirkungen und Risiken der Stabilisierungsmaßnahmen
verlangt die AusnahmenVO nicht. Allerdings sind die Durchführungsbestimmungen
der sog. Prospekt-Richtlinie216 vorrangig, nach der z.B. auf die Möglichkeit eines
höheren Marktpreises infolge von Stabilisierungsmaßnahmen hingewiesen werden
muss. Diese Grundsätze dienen der Stabilisierungstransparenz. Der BGH hat schon
1993 im Hornblower-Fischer-Urteil217 erklärt, dass der Prospekt die Anleger über
eine außergewöhnliche und breit angelegte, längerfristig gedachte Beeinflussung des
Aktienkurses unterrichten müsse.218 Heute bestimmt sich die Offenlegung von Stabilisierungsmaßnahmen nach § 7 WpPG i.V.m. Anhang III Ziffer 5.2.5 der Prospekt-
Richtlinie.219
Die Einzelheiten aller tatsächlich durchgeführten Stabilisierungsmaßnahmen
müssen am Ende des 7. Handelstages nach dem Tag der Ausführung der letzten
Stabilisierungsmaßnahme der BaFin mitgeteilt worden sein (Art. 9 Abs. 2 und 3
AusnahmenVO). Die durchgeführten Maßnahmen müssen zudem umfangreich dokumentiert werden, so dass die Daten für eine mögliche spätere Nachprüfung zur
214 Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, § 20a, Rn. 216.
215 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 16.413.
216 Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29. April 2004 zur Umsetzung der
Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Informationen sowie das Format, die Aufnahme von Informationen mittels
Verweis und die Veröffentlichung solcher Prospekte und die Verbreitung von Werbung,
ABl. (EG) 2004 Nr. L 149 vom 30.04.2004, S. 1; berichtigte Fassung ABl. (EG) 2004
Nr. L 215 vom 16.06.2004, S. 3.
217 BGHZ 123, 106, 116 = ZIP 1993, 1467, 1470.
218 Fleischer, ZIP 2003, 2045, 2047.
219 Groß, Kapitalmarktrecht, 3. Auflage 2006, §§ 44, 45 BörsG, Rn. 50.
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Verfügung stehen (Art. 9 Abs. 4 AusnahmenVO). Handeln mehrere Wertpapierdienstleistungsunternehmen gemeinsam, ist ein Unternehmen als zentrale Auskunftsstelle zu bestimmen, sog. Lead-Manager220 (Art. 9 Abs. 5 AusnahmenVO).
Der europäische Gesetzgeber sieht die Transparenz einer Maßnahme zur Einwirkung auf die Bildung des Börsenpreises für dessen Zulässigkeit als entscheidend
ansieht. Dies ist der alleinige Grund, warum zahlreiche Veröffentlichungs-, Publikations- und Dokumentationspflichten gesetzlich festgeschrieben wurden. Der Gesetzgeber hat der Transparenz als Unterscheidungsmerkmal der Marktmanipulation von
der Kurspflege aufgrund der Intensität der Offenlegungsverpflichtungen ein besonderes Gewicht verliehen. Die Transparenz einer Maßnahme kann daher für Feststellung, ob es sich um eine zulässige oder unzulässige Maßnahme handelt von entscheidender Bedeutung sein.
4. Der Stabilisierungspreis
Gem. Art. 10 Abs. 1 AusnahmenVO darf bei Aktienemissionen die Stabilisierung
keinesfalls zu einem höheren als dem Emissionspreis erfolgen, der als Angebotspreis, nicht als Zeichnungspreis im aktienrechtlichen Sinne zu verstehen ist.221
Der Eingriff auf die Bildung des Börsenpreises soll so gering wie möglich gehalten werden. Warum der Emissionspreis als Referenz gewählt wurde, wird in der
AusnahmenVO nicht begründet. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Emissionspreis Angebot und Nachfrage nach dem Wertpapier richtig und ordnungsgemäß
widerspiegeln soll. Würde der Kurs über diesem Wert stabilisiert, stünde der stabilisierte Kurs in keinem realen Verhältnis mehr zu der tatsächlichen Auftragslage. Ein
künstliches Preisniveau würde geschaffen. Dies soll verhindert werden. Mit dem
Zweck der Kurspflege, nämlich dem Ausgleich kurzfristiger Kursschwankungen
nach der Emission unter Verkaufsdruck geratener Wertpapiere, hätte eine Maßnahme dann nichts mehr zu tun.
5. Ergänzende Stabilisierungsmaßnahmen
Gem. Art. 2 Nr. 12 AusnahmenVO sind ergänzende Stabilisierungsmaßnahmen eine
Überzeichnung oder die Ausübung einer Greenshoe-Option durch ein Wertpapierhaus oder Kreditinstitut, die im Rahmen eines signifikanten Zeichnungsangebots
relevanter Wertpapiere ausschließlich der Vereinfachung der eigentlichen Kursstabilisierungsmaßnahme dient. Es handelt sich um verschiedene Arten der Mehrzuteilung von Wertpapieren.
220 Siehe oben S. 67.
221 Pfüller/Anders, WM 2003, 2445, 2452.
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a) Die Überzeichnung
Unter einer Überzeichnung ist eine Klausel im Emissions- bzw. Garantievertrag zu
verstehen, die es erlaubt, Zeichnungs- oder Kaufangebote für relevante Wertpapiere
über die ursprünglich geplante Menge hinaus anzunehmen (Art. 2 Nr. 13 AusnahmenVO). Eine Überzeichnung liegt vor, wenn es im Rahmen des Bookbuildings222
mehr Kaufinteressenten als Aktien gibt. Je nach dem, wie hoch die Aktie überzeichnet ist, entwickelt sich auch der Wert der Aktien und damit verbunden letztlich auch
der Emissionspreis.
b) Die Greenshoe-Option
Die Greenshoe-Option soll Kursstabilisierungen vereinfachen und stellt eine gängige
Marktpraxis dar.223 Unter einer Greenshoe-Option wird eine Überzeichnungsreserve
verstanden, die der Bieter einem Wertpapierhaus oder einem Kreditinstitut im Rahmen des Zeichnungsangebots zugesteht.224 Diese Häuser bzw. Institute können dann
innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach der Emission der relevanten Wertpapiere eine bestimmte Menge dieser Wertpapiere zum Ausgabekurs erwerben (Art. 2 Nr.
14).225 Die Greenshoe-Option dient der Abfederung eines bei einer Emission erwarteten Nachfrageüberhangs, indem mehr Wertpapiere zum Emissionspreis zugeteilt
als eigentlich emittiert werden.226 Es handelt sich um eine Mehrzuteilungsoption,227
folglich um eine Art Emissionsreserve, die aufgrund der Greenshoe-Vereinbarung
aus dem Besitz der Altaktionäre abgerufen werden kann.228
Auch der Emittent kann eine Greenshoe-Option einräumen. In diesem Fall wird
der Emissionsbank das Recht eingeräumt, weitere, neue Aktien aus einer Kapitalerhöhung zu zeichnen und diese zum Platzierungspreis zu erwerben.229 Die Einräumung einer Greenshoe-Option durch den Emittenten wurde durch eine Entscheidung
des Kammergerichts Berlin im Jahre 2001 für unzulässig erklärt.230 Das Urteil stieß
222 Siehe oben Fn. 212.
223 Vogel, WM 2003, 2437 f. m.w.N.; siehe oben S. 22.
224 Schanz, Börseneinführung, § 10, Rn. 91 ff.
225 Bisson/Kunz, BKR 2005, 186, 189; Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, Kapitel 35,
Rn. 35 f.; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 16.423; Meißner, Kursstabilisierung,
S. 30; Meyer, AG 2004, 289, 290; Schäfer, WM 1999, 1345, 1346; Schwark in Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, 3. Auflage 2004, § 20a, Rn. 41; Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 20a, 38 I Nr. 4, 39 WpHG, Rn. 71 ff.
226 Bisson/Kunz, BKR 2005, 186, 189.
227 Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, § 20a, Rn. 224.
228 Meyer, AG 2004, 289, 290; Schröder in Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsrecht,
X 2, Rn. 63.
229 Groß, ZIP 2002, 160, 162; Meyer, AG 2004, 289, 290; ders., WM 2002, 1106, 1108.
230 KG Berlin, Urteil vom 22.08.2001, Aktz. 23 U 6712/99, AG 2002, 243 = WM 2002, 653 =
ZIP 2001, 2178 = DB 2002, 313 = BKR 2002, 464 = DStR 2002, 1681.
72
im Schrifttum auf allgemeine Ablehnung.231 Eine abschließende Klärung durch eine
höchstrichterliche Entscheidung ist bislang nicht erreicht worden.
c) Naked-Shorts
Problematisch sind im Rahmen von Mehrzuteilungen sog. „Naked Shorts“232. Darunter wird eine Mehrzuteilung verstanden, die nicht durch eine Greenshoe-Option
abgesichert ist.233 Bei den ungedeckten Überzeichnungen besteht die gleiche Manipulationsgefahr wie bei Leerverkäufen234, wenn diese gezielt zur Manipulation eingesetzt werden oder von dem Handelnden gar nicht gedeckt werden können. Deshalb begrenzt Art. 11 b) AusnahmenVO das Volumen eines „Naked Shorts“ auf 5 %
des Emissionsvolumens. Solange aber eine ordnungemäße Durchführung gewährleistet ist und kein erhöhtes Risiko für die Transparenz oder Richtigkeit der Kursbildung erkennbar ist, steht der Zulässigkeit von „Naked Shorts“ nichts entgegen.235
Auch Greenshoe-Optionen, die Interessenkonflikte, z.B. Eigeninteressen des die
Stabilisierungsmaßnahme Durchführenden, begründen können, sind problematisch,236 da bei Eigeninteressen immer eine erhöhte Manipulationsgefahr besteht.
d) Bedingungen für die Durchführung von Überzeichnungen und der Greenshoe-
Optionen
Art. 11 AusnahmenVO stellt die Durchführung einer Überzeichnung bzw. Greenshoe-Option unter verschiedene Bedingungen. Art. 11 a, c, e begrenzen den Zeitraum, in dem die Option ausgeübt werden darf. Art. 11 b, d schränken die zu handelnde Aktienmenge bzw. das Volumen der Transaktion ein. Greenshoe-Optionen
sind danach zulässig, wenn sie 15% des Emissionsvolumens nicht überschreiten und
im Rahmen einer Überzeichnung innerhalb des Stabilisierungszeitraums des Art. 8
231 Zur Kritik in der Literatur siehe Busch, AG 2002, 230, 231; Groß, ZIP 2002, 160 ff.; Meyer,
WM 2002, 116 ff.; Schanz, BKR 2002, 439 ff.; Sinewe, DB 2002, 314 f.
232 Ein „Naked Short“ ist eine Maßnahme zur Stabilisierung, bei der die Emissionsbanken den
Investoren eine höhere Anzahl von Aktien zuteilen, als sie nach dem Übernahmevertrag vom
Emittenten erwerben, ohne auf den Greenshoe zurückgreifen zu können. Es handelt sich dabei um eine Form der Leerverkäufe. Um diese bedienen zu können, müssen die Emissionsbanken Aktien am Sekundärmarkt erwerben. Sie sind mit einem erheblichen Aufwand an Kapitaleinsatz verbunden und sind daher selten und werden nur bei extrem großen Emissionen
angewandt (Krämer/Hess, FS für Döser, S. 171, 173, Fn. 18; Meyer, AG 2004, 289, 290).
Gem. § 12 Abs. 1 S. 2 KuMaKV war ein „Naked Short“ noch verboten (Sorgenfrei in Park,
Kapitalmarktstrafrecht, §§ 20a, 38 I Nr. 4, 39 WpHG, Rn. 71).
233 Meyer, AG 2004, 289, 290.
234 Siehe unten S. 129.
235 Pfüller/Anders, WM 2003, 2445, 2453.
236 Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, § 20a, Rn. 224.
73
AusnahmenVO ausgeübt werden. Die Öffentlichkeit muss außerdem über eine entsprechende Greenshoe-Option detailliert informiert werden. Es besteht insoweit
Prospektpflicht.237
Der europäische Gesetzgeber bedient sich einmal mehr der bereits bekannten Abgrenzungskriterien für zulässige Maßnahmen. Er besteht bei der Durchführung auf
Transparenz und umfassende Information der Marktteilnehmer und begrenzt das
Volumen der Transaktion, um Eingriffe auf den Börsenpreis gering zu halten. Auch
diese Regelungen im Rahmen der klassischen Stabilisierungsmaßnahmen, wie der
Greenshoe-Option, zeigen welches Gewicht die Transparenz der Stabilisierungsmaßnahmen für den Gesetzgeber hat.
II. Rückkaufprogramme für eigene Aktien
Gem. § 20a Abs. 3 WpHG und § 5 MaKonV stellt der Handel mit eigenen Aktien im
Rahmen von Rückkaufprogrammen unter Beachtung der Regelungen der AusnahmenVO keinen Verstoß gegen das Verbot der Marktmanipulation dar. Der Erwerb
eigener Aktien erfolgt durch den Rückerwerb von Aktien an der Börse. Es besteht
daher auch bei Erwerb eigener Aktien eine Nähe zur Kurspflege, da es sich um reale
Transaktionen in Form von Käufen handelt. Daraus folgt ferner eine Verbundenheit
mit der handelsgestützten Marktmanipulation, so dass insbesondere auch der Erwerb
eigener Aktien im Rahmen von Rückkaufprogrammen Merkmale zur Unterscheidung von Marktmanipulation und Kurspflege liefern könnte.
1. Der Erwerb eigener Aktien und Marktmanipulation
Ein Spannungsfeld zur Marktmanipulation bildet sich beim Rückkauf eigener Aktien, da der Rückkauf zwar aufgrund der Verknappung des umlaufenden Aktienmaterials und Erhöhung der Eigenkapitalrendite der verbleibenden Aktien (§ 71a AktG)
in den meisten Fällen positive Wirkung auf das Kursniveau haben wird. Aber es ist
nicht zu verkennen, dass durch den Aufbau einer künstlichen Nachfrage durch den
konzentrierten Rückerwerb der Preisbildungsmechanismus des Kapitalmarktes in
unzulässiger Weise beeinflusst werden kann.238 Dies ist insbesondere problematisch,
wenn der Aktienkauf nicht hinreichend offen gelegt wird und daher angesichts der
Anonymität des Marktes die bestehende Nachfrage fälschlich als Marktentscheidung
unbeteiligter Dritte gedeutet werden kann.239
237 Schlitt/Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 263, Fn. 171.
238 Singhof/Weber, AG 2005, 549, 553.
239 Oechsler in Kropff/Semler, Münchener Kommentar zum AktG, Bd. 2, § 71, Rn. 25, 195;
Singhof/Weber, AG 2005, 549, 553; von Rosen/Helm, AG 1996, 434, 437.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Durch Marktmanipulation und Kurspflege wird die Bildung der Börsenkurse gezielt beeinflusst. Die Abgrenzung der verbotenen Börsenkursmanipulationen und der erlaubten Kurspflege stellt aufgrund des Phänomens der Ähnlichkeit der Handelstechniken eine Herausforderung dar und ist gerade in Zeiten der Finanzmarktkrise von Bedeutung.
Die Arbeit untersucht die in § 20a WpHG und den europäischen Regelungen zur Verfügung gestellten Abgrenzungsmerkmale darauf, ob sie sich zur Konkretisierung der verbotenen Marktmanipulation von der erlaubten Kurspflege eignen. So werden für den Leser Leitlinien entwickelt, die eine eindeutige Klassifizierung von Markmanipulation und Kurspflege als zulässig bzw. unzulässig ermöglichen.