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Gleichermaßen bedeutend ist, warum der Scalper entsprechende Empfehlungen
ausspricht. Im Fall Sascha Opel hatte dieser bereits beim Erwerb und bei der Empfehlung der Aktien die Absicht, den sicher erwarteten Kursanstieg durch Veräußerung der Aktien gewinnbringend auszunutzen.192 Dies war der einzige Grund für die
ausgesprochenen Empfehlungen.193 Bei dieser Sachlage kommt es nach Auffassung
des 1. Strafsenates des BGH noch nicht einmal darauf an, dass die Empfehlung nach
fachmännischem Urteil sachlich gerechtfertigt wäre.194 Der 1. Strafsenat des BGH
hat ganz entscheidend auf die Motivation bzw. die Absicht des Handelnden abgestellt. Die Absicht, die Ziele und der Wissensvorsprung des Handelnden sind folglich als zentrale Elemente einer verbotenen Marktmanipulation und damit auch als
Abgrenzungskriterien zu werten.
e) Zusammenfassung
Zusammenfassend lassen sich in § 20a Abs. 1 Nr. 3 WpHG i.V.m. § 4 MaKonV
folgende Abgrenzungskriterien festhalten:
‚ die Täuschung des Marktes und seiner Teilnehmer
‚ die Transparenz des Marktgeschehens
‚ die Marktfairness
‚ die marktbeherrschende Stellung des Handelnden
‚ die Motivation des Handelnden.
IV. Die Ausnahmeregelungen des § 20a WpHG
Um die Anwendung des Tatbestandes des § 20a WpHG zu erleichtern, hat der Gesetzgeber positiv festgelegt, wann eine Ausnahme vom Tatbestand vorliegen bzw.
eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit aus besonderen Gründen nicht in Betracht
kommen soll.
1. Die Regelungen für Journalisten gem. § 20a Abs. 6 WpHG
Der Gesetzgeber hat durch das AnSVG in § 20a Abs. 6 WpHG geregelt, dass die
Angaben von Journalisten unter Berücksichtigung der für sie geltenden berufsständischen Regelungen zu beurteilen sind. Hierdurch hat der Gesetzgeber versucht, eine
uneingeschränkte und objektive Berichterstattung zu gewährleisten und so das Rege-
192 Weber, NZG 2000, 113, 124; Vogel, NStZ 2004, 252, 253; so auch die Autoren, die das
Insiderhandelsverbot im Grundsatz nicht für anwendbar hielten, siehe Volk, BB 1999, 66, 67;
ders., ZIP 1999, 787.
193 Widder, BB 2004, 15; Vogel, NStZ 2004, 252, 253.
194 BGHSt 48, 373, 380 f.; siehe oben Fn. 38.
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lungsziel des § 20a WpHG, die Stärkung des Kapitalmarktes im Sinne einer Effizienz der Märkte und einer Verbesserung des Anlegerschutzes, zu fördern. In diesem
Sinne betont auch Erwägungsgrund 15 der Marktmissbrauchsrichtlinie, dass vollständige und wirkliche Transparenz des Marktes Voraussetzung dafür ist, dass alle
Wirtschaftsakteure an integrierten Finanzmärkten gleichberechtigt teilnehmen können. Durch eine umfangreiche Transparenz des Geschehens an den Kapitalmärkten
kann dem Informationsungleichgewicht Einhalt geboten werden. Je umfassender die
Kapitalmarktteilnehmer informiert werden, desto weniger Raum bleibt für Manipulationen.
Diese Ausnahmeregelung für Journalisten soll jedoch dann nicht gelten, wenn die
Journalisten aus den unrichtigen oder irreführenden Angaben direkt oder indirekt
einen Nutzen ziehen oder Gewinne schöpfen. Hierdurch soll eine objektive und
richtige Information des Kapitalmarktes sichergestellt werden, ohne den Journalisten
eine Tür für Manipulationen durch Meinungsmache zu eröffnen, indem diese auf
ihre berufsständischen Regeln verweisen können. Folglich steht im Rahmen des
§ 20a WpHG die Verhinderung von Manipulationen jeglicher Art im Hinblick auf
das Schutzziel der Vorschrift im Vordergrund. Dementsprechend ist die Transparenz
des Marktes und der dort vorgenommenen Handlungen ein Abgrenzungskriterium
zulässiger von unzulässigen Maßnahmen.
2. Die Regelungen für eine zulässige Marktpraxis gem. § 20a Abs. 2 WpHG
Eine weitere Ausnahme vom Tatbestand besteht, wenn eine Marktpraxis von der
BaFin als zulässig anerkannt worden ist. Bei der Marktmanipulation durch Geschäfte und Aufträge gem. § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG, die geeignet sind, falsche oder
irreführende Signale an den Markt zu geben, ist die Grenze zwischen legalem
Marktverhalten und manipulativem Verhalten besonders schwer zu ziehen, da auf
das Spannungsfeld der handelsgestützten Marktmanipulation und der Kurspflege
Bezug genommen wird. Um die Einordnung der Handlungen zu erleichtern, enthält
§ 20a Abs. 2 WpHG eine Ausnahme vom Verbot des § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 2
WpHG, durch die positiv abgegrenzt werden soll, wann zulässige Einflussnahmen
auf die Kursbildung vorliegen.195 Danach wird nicht gegen das Verbot der Marktmanipulation verstoßen, wenn die Personen, welche Geschäfte abgeschlossen oder
Aufträge erteilt haben, nachweisen, dass sie legitime Gründe hatten und dass diese
Geschäfte oder Aufträge nicht gegen die zulässige Marktpraxis auf dem betreffenden regulierten Markt verstoßen.
Um die Definition der zulässigen Marktpraxis zu konkretisieren und die Abgrenzung dem Gesetzesanwender zu erleichtern, hat der europäische Gesetzgeber mit
Art. 2 und 3 Durchführungsrichtlinie 2004/72/EG196 zu berücksichtigende Faktoren
und Verfahren bei der Beurteilung von Marktpraktiken entwickelt. Der deutsche
195 Kuthe, ZIP 2004, 883, 887.
196 Siehe oben Fn. 109.
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Gesetzgeber hat die europarechtlichen Vorgaben mit § 20a Abs. 2 WpHG und den
§§ 7 - 10 MaKonV umgesetzt. Ferner hat der Ausschuss der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörden (Committee of European Securities Regulators / CESR)
Leitlinien zur Anwendung der Marktmissbrauchsrichtlinie veröffentlicht,197 die eine
Liste mit standardisierten Prüfungspunkten enthalten, nach denen die (Un-) Zulässigkeit einer Marktpraxis beurteilt werden soll.198
a) Die Definition einer zulässigen Marktpraxis
Gem. § 20a Abs. 2 WpHG gilt das Verbot des § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG nicht,
wenn die Handlung mit der zulässigen Marktpraxis auf dem betreffenden organisierten Markt oder dem betreffenden Freiverkehr vereinbar ist und der Handelnde hierfür legitime Gründe hat. § 20a Abs. 2 S. 1 WpHG enthält eine Legaldefinition der
zulässigen Marktpraxis. Als zulässige Marktpraxis werden die Gepflogenheiten und
Maßnahmen angesehen, die auf dem jeweiligen Markt nach vernünftigem Ermessen
erwartet werden können und von der Bundesanstalt als zulässige Marktpraxis
i.S.d. § 20a Abs. 2 WpHG anerkannt werden (§ 20a Abs. 2 S. 2 WpHG). Eine Gepflogenheit ist (objektiv) eine Übung, die (subjektiv) für üblich und angemessen
gehalten wird.199 Dass die Übung neu ist oder erst entwickelt wird, schließt eine
Gepflogenheit nicht aus; ein Marktverhalten, dass nur wenige Außenseiter an den
Tag legen, genügt aber nicht.200 Eine Gepflogenheit kann als zulässige Marktpraxis
anerkannt werden, wenn sie an bestehende Gewohnheiten anschließt oder sie in
einer Weise fortentwickelt, die mit den anerkannten Prinzipien, Strukturen, Mechanismen, Funktionsbedingungen und der Integrität der jeweiligen Märkte vereinbar
ist.201 Eine Marktpraxis ist nicht von vorne herein unzulässig, auch wenn sie zuvor
nicht ausdrücklich anerkannt wurde (§ 20a Abs. 2 S. 3 WpHG).
Bei der Beurteilung von Marktpraktiken spielen das Selbstverständnis der Marktteilnehmer und die Selbstregulierungsmechanismen der Märkte eine wichtige Rolle.202 Die Prüfung, ob es sich bei einer Gepflogenheit um eine zulässige Marktpraxis
handelt, muss mit Blick auf das Schutzziel des § 20a WpHG erfolgen. Der Schutz
der Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte und das Vertrauen aller Anleger auf eine
ordnungsgemäße Preisbildung an den Börsen müssen immer Ausgangspunkt für die
Beurteilung der Zulässigkeit einer Marktpraxis sein.
197 Abrufbar unter www.cesr-eu.org/data/document/04_505b.pdf.
198 Fischer zu Cramburg/Royé in Heidel, Aktienrecht, § 20a WpHG, Rn. 11, Fn. 21.
199 Schönhöft, Strafbarkeit der Marktmanipulation, S. 121; Vogel in Assmann/Schneider, WpHG,
§ 20a, Rn. 141.
200 Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, § 20a, Rn. 141.
201 Eichelberger, Marktmanipulation, S. 296.
202 Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, § 20a, Rn. 141.
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b) Legitime Gründe gem. § 20a Abs. 2 S. 1 WpHG
§ 20a Abs. 2 S. 1 WpHG verlangt, das der im Einklang mit einer zulässigen Marktpraxis Handelnde hierfür legitime Gründe hat. Nach dem Regierungsentwurf zum
AnSVG203 handelt es sich um ein subjektives Element, das nicht vorliegt, wenn
festgestellt werden konnte, dass der Handelnde in betrügerischer oder manipulativer
Absicht gehandelt hat. Folglich wird auf die Absicht des Handelnden und den
Zweck der Maßnahme als mögliches Kriterium zur Abgrenzung zulässiger von unzulässigen Maßnahmen zur Kurseinwirkung abgestellt.
Konkretisiert wird § 20a Abs. 2 WpHG durch §§ 7 - 10 MaKonV. Dabei betreffen §§ 7, 9, 10 MaKonV das Annerkennungsverfahren, § 8 MaKonV enthält Kriterien, wann eine zulässige Marktpraxis vorliegen soll.
c) Die Konkretisierung der zulässigen Marktpraxis nach der MaKonV
Gem. §§ 7, 9 und 10 MaKonV enthalten Regelungen zum Verfahren, wie durch die
BaFin eine zulässige Marktpraxis anerkannt werden kann. Die Vorschriften legen
fest, in welchem Rahmen die Marktpraxis überprüft werden muss, welche Behörden
an dem Verfahren zu beteiligen sind und letztlich wie und in welchem Umfang die
Entscheidung der BaFin bekannt gegeben wird. Hinweise darauf, wann eine zulässige Marktpraxis vorliegt, enthalten die Vorschriften nicht.
§ 8 MaKonV enthält jedoch materielle Kriterien, welche die Zulässigkeit oder
Unzulässigkeit einer Marktpraxis beschreiben und ist daher von großer Bedeutung
für die Unterscheidung von Kurspflege und Marktmanipulation. Die in § 8 MaKonV
enthaltenen Kriterien beschreiben die Hauptfunktionen der Börsen und Märkte,
jederzeit schnelle, kostengünstige und sichere Geschäfte zu vermitteln und eine
effektive Preisbildung zu gewährleisten.204
Gem. § 8 Abs. 1 Nr. 1 MaKonV berücksichtigt die BaFin bei der Anerkennung
von Gepflogenheiten als zulässige Marktpraxis, ob die Gepflogenheit für den Markt
hinreichend transparent ist. Manipulativ und verboten kann gem. § 8 Abs. 1 Nr. 2
MaKonV nur ein Verhalten sein, wenn es die Liquidität und Leistungsfähigkeit des
Marktes beeinträchtigt. Des Weiteren darf die Marktfunktion durch eine Marktpraxis
nicht beeinträchtigt werden (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 MaKonV). Anerkannte Gepflogenheiten müssen fair gegenüber allen Marktteilnehmern sein (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 MaKonV).
Ferner ist in § 8 Abs. 1 Nr. 5 MaKonV festgelegt, dass die Gepflogenheit den Strukturmerkmalen des Marktes und den gehandelten Finanzinstrumenten gerecht werden
muss. Letztlich sieht § 8 Abs. 1 Nr. 6 MaKonV vor, dass die Integrität anderer
Märkte, auf denen dasselbe Finanzinstrument gehandelt wird, nicht gefährdet wer-
203 Begr. RegE AnSVG, BT-Drucks. 15/3174 vom 24.05.2004, S. 37.
204 Knauth/Käsler, WM 2006, 1041, 1048 f.
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den darf. Dies bedeutet für die Abgrenzung einer zulässigen Maßnahme, dass diese
die Integrität eines Marktes nicht beeinträchtigen darf.
d) Zusammenfassung
Aus den Ausnahmeregelungen gem. § 20a Abs. 2 und 6 WpHG lässt sich erkennen,
dass die Transparenz der Kapitalmärkte, die Absicht des Handelnden und damit
auch der Zweck der Handlung bedeutsam für die Entscheidung ist, ob es sich um
eine zulässige oder unzulässige Maßnahme handelt. § 8 MaKonV enthält die verschiedene Abgrenzungskriterien, die zur Einordnung zulässiger von unzulässigen
Maßnahmen vom Verordnungsgeber zur Verfügung gestellt werden.
V. Zwischenergebnis
Es hat sich gezeigt, dass der Tatbestand des Verbots der Marktmanipulation gem.
§ 20a WpHG und die Regelungen der MaKonV sehr weit gefasst sind und dadurch
eine Vielzahl verschiedener Verhaltensweisen erfasst werden, die sich zur Manipulation des Börsen- oder Marktpreises eignen. Zur Abgrenzung stellt der Gesetzbzw. Verordnungsgeber folgende Kriterien zur Verfügung:
‚ das Täuschungselement
‚ der Zweck einer Transaktion
‚ die Motive für eine Transaktion
‚ die Transparenz des Marktes – die Kenntnis der Anleger
‚ die Bildung des Börsenpreises gem. § 24 Abs. 2 BörsG
‚ das Volumen einer Transaktion
‚ der Ausübungszeitpunkt einer Transaktion
‚ der Handel von Finanzinstrumenten an verschiedenen Märkten
‚ die Person des Manipulators bzw. des die Kurspflege Durchführenden
‚ die marktbeherrschende Stellung des Handelnden
‚ die Handlung gegen den Markttrend
‚ die Marktliquidität
‚ die Funktionsfähigkeit des Marktes
‚ die Marktfairness
‚ die Marktstruktur
‚ die Marktintegrität.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Durch Marktmanipulation und Kurspflege wird die Bildung der Börsenkurse gezielt beeinflusst. Die Abgrenzung der verbotenen Börsenkursmanipulationen und der erlaubten Kurspflege stellt aufgrund des Phänomens der Ähnlichkeit der Handelstechniken eine Herausforderung dar und ist gerade in Zeiten der Finanzmarktkrise von Bedeutung.
Die Arbeit untersucht die in § 20a WpHG und den europäischen Regelungen zur Verfügung gestellten Abgrenzungsmerkmale darauf, ob sie sich zur Konkretisierung der verbotenen Marktmanipulation von der erlaubten Kurspflege eignen. So werden für den Leser Leitlinien entwickelt, die eine eindeutige Klassifizierung von Markmanipulation und Kurspflege als zulässig bzw. unzulässig ermöglichen.