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Details über die Realisierung der Kursstabilisierung im Börsenprospekt aufgenommen werden und Details über die tatsächlich durchgeführte Maßnahme erst bis zu
sieben Tagen nach ihrer Durchführung gegenüber den Behörden angezeigt werden
müssen (Art. 9 Abs. 2 und 3 AusnahmenVO). Der Anleger hat dementsprechend im
Zeitpunkt der Durchführung keine genauen Informationen über die einzelne Kurspflegemaßnahme. Der Marktteilnehmer ist dennoch in der Lage, einen nicht der
Norm entsprechenden Kursverlauf nach einer Emission mit der Durchführung von
Kursstabilisierungsmaßnahmen in Verbindung zu bringen. Er ist insoweit gewarnt.
Zwar besteht ein gewisses Informationsungleichgewicht, da nicht alle Anleger über
die gleichen Informationen verfügen. Allerdings wird durch die Veröffentlichung
und Bekanntgabe der Kursstabilisierungsmaßnahmen die ungleiche Informationsverteilung so gering wie möglich gehalten. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass bei der
Durchführung von Kursstabilisierungsmaßnahmen überlegenes Wissen zu Lasten
der übrigen Marktteilnehmer ausgenutzt werden wird, wie dies bei Marktmanipulationen der Fall ist. Folglich wird das Prinzip der Marktfairness durch die Durchführung von Kurspflegemaßnahmen nicht oder nur sehr gering belastet. Hier besteht ein
erheblicher Unterschied zu manipulativen Handlungen.
4. Zusammenfassung
Marktfairness bezieht sich auf das Verhalten der Marktteilnehmer untereinander.
Marktmanipulationen sind aufgrund der Vorspiegelung falscher Tatsachen und der
Erregung eines Irrtums gegenüber den anderen Marktbeteiligten unfair. Der Manipulator hat eine Machtstellung, die er gegenüber anderen Marktteilnehmern ausnutzt.
Dadurch sind die anderen Anleger nicht mehr in der Lage, angemessen auf die
Handlungen des Manipulators zu reagieren. Kurspflegemaßnahmen sind hingegen
aufgrund der Transparenz der Durchführungshandlungen für jeden erkennbar. Der
Kapitalmarkt wird über diese Maßnahmen umfangreich informiert. Die Anleger
müssen mit Kurspflegemaßnahmen rechnen. Jeder Marktteilnehmer kann das Handelsgeschehen unter dem Blickwinkel der Durchführung von Kurspflegemaßnahmen
betrachten und entsprechend reagieren bzw. Konsequenzen daraus ziehen. Die
Durchführung von Kurspflegemaßnahmen verstößt folglich nicht gegen das Prinzip
der Marktfairness. Insoweit können Manipulationshandlungen konkretisiert und von
der Kurspflege abgrenzt werden. Im Ergebnis stellt das Prinzip der Marktfairness ein
geeignetes Abgrenzungskriterium von Kurspflege und Marktmanipulation dar.
IV. Die Marktstruktur
Gem. § 8 Abs. 1 Nr. 5 MaKonV darf eine Gepflogenheit nur dann von der BaFin als
zulässige Marktpraxis anerkannt werden, wenn die Maßnahme den Strukturmerkmalen des Marktes, insbesondere dessen Regulierung und Überwachung, den gehandel-
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ten Finanzinstrumenten und der Art der Marktteilnehmer gerecht wird. Werden
diese Anforderungen auf Marktmanipulationen und Kurspflegemaßnahmen übertragen, bedeutet dies, dass eine unzulässige Maßnahme diesen Strukturmerkmalen
nicht zuwider laufen darf. Das Prinzip der Marktstruktur könnte daher zur Abgrenzung von Marktmanipulation und Kurspflege geeignet sein, wenn nur eine dieser
Handelstechniken den Strukturmerkmalen des Marktes entsprechen würde.
1. Die Definition der Marktstruktur
Das Prinzip der Marktstruktur definiert die weiteren Umstände eines Marktes an
sich und enthält Kriterien, die den Handel und dessen Voraussetzungen an dem
bestimmten Markt, seine Teilnehmer und weitere Charakteristika betreffen. Das
Prinzip der Marktstruktur beschreibt folglich die Handelsmechanismen.561 Der Organisationsrahmen für den Wertpapierhandel an den Börsen wird durch das BörsG
und das WpHG geschaffen.562 Zu den Strukturmerkmalen eines Marktes zählen
insbesondere die Art und der Grad der Regulierung, die Überwachung, die Art der
gehandelten Finanzinstrumente und die Art der Marktteilnehmer, z.B. der Anteil
unerfahrener und deshalb schutzwürdiger Privatanleger.563 Dabei ist insbesondere
von Bedeutung, ob es sich um einen organisierten Markt handelt und welche Marktsegmente mit unterschiedlichen Voraussetzungen es gibt.564 Das Prinzip der Marktstruktur stellt folglich keine Voraussetzungen auf, welche die verschiedenen Handelstechniken erfüllen müssen, damit sie als zulässig anerkannt werden können. Das
Prinzip der Marktstruktur stellt vielmehr Anforderungen für die verschiedenen
Märkte auf. Wird dann eine den Preis beeinflussende Handlung vorgenommen, muss
überprüft werden, ob diese Handlung im Einklang mit den auf diesem speziellen
Markt oder Marktsegment geltenden Regeln in Einklang steht. Es muss in jedem
Fall eine Überprüfung im Einzelfall erfolgen. Das Prinzip der Marktstruktur ist folglich sehr allgemein gehalten.
2. Die Beeinflussung der Marktstruktur durch Marktmanipulationen
Aufgrund der allgemeinen Anforderungen, die das Prinzip der Marktstruktur beinhaltet, ist es schwierig festzustellen, welche Handlungen gegen die jeweiligen strukturellen Bedingungen verstoßen. Es ist festzuhalten, dass Marktmanipulationen in
das freie Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage und damit in die Preisbildung
an einem Markt eingreifen.565 Der Manipulator führt diesen Eingriff mittels Täu-
561 Knauth/Käsler, WM 2006, 1041, 1049.
562 Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, Rn. 413.
563 Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, § 20a, Rn. 157.
564 Begr. MaKonV, BR-Drucks. 18/05 vom 07.01.2005, S. 22.
565 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn.16.367; Ziouvas, ZGR 2003, 113, 130.
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schung und Irreführung durch.566 Darüber hinaus versucht er seine Manipulationen
zu verdecken und zu verhindern, dass die Börsenüberwachung seine manipulativen
Handlungen entdeckt. Er will folglich die Regulierungs- und Überwachungsstellen
unterlaufen. Er handelt damit gegen die Strukturen und Richtlinien an den Märkten.
Sein Handeln entspricht nicht den Strukturbedingungen eines Marktes.
Marktmanipulationen können ferner dazu führen, dass die Anleger das Vertrauen
in den Markt verlieren, sich aus dem Markt zurückziehen und deshalb ihr Investment an anderer Stelle tätigen. Indem sich die Anleger aus einem Markt zurückziehen, verändert sich die Zusammensetzung und die Struktur der Anleger und Investoren am Markt und führt damit auch zu einer Veränderung der Marktstruktur. Insbesondere wenn Manipulatoren versuchen, die Nachfrage und das Angebot eines
Finanzinstruments zu bestimmen oder eine marktbeherrschende Stellung auszunutzen und Preise zu diktieren, ist eine Veränderung der Marktstrukturen möglich. Die
Marktstrukturen werden verändert, wenn in das Zusammenspiel von Angebot und
Nachfrage eingegriffen wird, da die Gefahr besteht, dass sich Anleger und Investoren aus dem Markt zurückziehen.
3. Die Beeinflussung der Marktstruktur durch Kurspflegemaßnahmen
Kurspflegemaßnahmen müssen in Einklang mit den gesetzlichen Regelungen durchgeführt werden, da sie andernfalls nicht unter die Ausnahmeregelungen des Safe
Harbour fallen und von dem Verbot der Marktmanipulation ausgenommen werden.
Sie werden gegenüber den Behörden umfangreich bekannt gemacht und dokumentiert (Art. 9 AusnahmenVO).567 Die Handelnden verhalten sich entsprechend den
von den Überwachungsstellen vorgegebenen Regelungen. Bei der Durchführung
von Kurspflegemaßnahmen wird nicht versucht, den Überwachungs- und Regulierungsapparat der Börsen zu unterlaufen. Kurspflegemaßnahmen erfolgen daher in
Einklang mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen eines Marktes und werden daher insoweit den Strukturbedingungen eines Marktes gerecht.
Allerdings wird auch durch Kurspflegemaßnahmen in das freie Zusammenspiel
von Angebot und Nachfrage eingegriffen, um den Preis in eine bestimmte, von den
Wertpapierhäusern und Kreditinstituten gewünschte Richtung zu lenken.568 Durch
diesen Eingriff in die Kursbildung haben die Anleger, je nachdem welches Anlageziel sie verfolgen, sowohl Vor- als auch Nachteile. Insbesondere langfristig orientierte Anleger profitieren nicht von Kurspflegemaßnahmen, da diese nur innerhalb
eines kurzen Zeitraums durchgeführt werden und sie deshalb keine Gewinne realisieren können.569 Für Spekulanten als kurzfristige Anleger hingegen sind Gewinne
innerhalb des relativ kurzen Stabilisierungszeitraums realisierbar und deshalb be-
566 Siehe oben S. 82.
567 Siehe oben S. 69.
568 Leppert/Stürwald, ZBB 2004, 302, 309; siehe oben S. 89.
569 Siehe oben S. 118.
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steht die Möglichkeit, dass derartige Investoren in den Wert einsteigen werden. Es
ist daher nicht auszuschließen, dass sich aufgrund der Ankündigung von Kurspflegemaßnahmen die Struktur und Art der Kapitalanleger in einem Markt ändern. Im
Hinblick auf Kurspflegemaßnahmen muss deshalb eine differenzierte Überprüfung
im Einzelfall erfolgen, ob diese den Strukturbedingungen eines Marktes gerecht
werden.
4. Zusammenfassung
Marktmanipulationen werden den Strukturbedingungen eines Marktes nicht gerecht.
Der Manipulator versucht bei der Durchführung die Überwachungs- und Regulierungsstellen zu unterlaufen und zu verhindern, dass seine manipulativen Handlungen
entdeckt werden. Es ist nicht auszuschließen, dass sich aufgrund von Marktmanipulationen die Anlegerstruktur eines Marktes ändert. Im Rahmen von Kurspflegemaßnahmen besteht auch die Möglichkeit, dass sich die Anlegerstruktur verändert. Allerdings werden Kurspflegemaßnahmen in Einklang mit den börsenrechtlichen Vorschriften durchgeführt und den Überwachungsstellen angezeigt. Die Gefahr einer
Veränderung der Marktstruktur ist bei Kurspflegemaßnahmen geringer als bei
Marktmanipulationen, kann aber im Ergebnis nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Eine Konkretisierung der Marktmanipulation und Abgrenzung von der Kurspflege
ist aufgrund des Prinzips der Marktstruktur gem. § 8 Abs. 1 Nr. 5 MaKonV nicht
uneingeschränkt möglich.
V. Die Marktintegrität
§ 8 Abs. 1 Nr. 6 MaKonV sieht vor, dass eine Gepflogenheit von der BaFin als eine
zulässige Marktpraxis anerkannt werden kann, wenn diese Gepflogenheit die Integrität anderer Märkte, auf denen dasselbe Finanzinstrument gehandelt wird, nicht
gefährdet. Dies bedeutet, dass Eingriffe in die Preisbildung nur dann zulässig sein
können, wenn durch diese die Integrität eines anderen Marktes, auf denen das beeinflusste Finanzinstrument auch noch gehandelt wird, nicht beeinträchtigt wird.
1. Die Definition der Marktintegrität
Gem. Erwägungsgrund (1) Durchführungs-Richtlinie 2004/72/EG570 ist ein faires
und effizientes Handeln seitens der Marktteilnehmer erforderlich, um ein normales
Funktionieren des Marktes zu ermöglichen und die Integrität des Marktes zu schützen. Insbesondere Marktpraktiken, die das freie Spiel von Angebot und Nachfrage
570 Siehe oben Fn. 109.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Durch Marktmanipulation und Kurspflege wird die Bildung der Börsenkurse gezielt beeinflusst. Die Abgrenzung der verbotenen Börsenkursmanipulationen und der erlaubten Kurspflege stellt aufgrund des Phänomens der Ähnlichkeit der Handelstechniken eine Herausforderung dar und ist gerade in Zeiten der Finanzmarktkrise von Bedeutung.
Die Arbeit untersucht die in § 20a WpHG und den europäischen Regelungen zur Verfügung gestellten Abgrenzungsmerkmale darauf, ob sie sich zur Konkretisierung der verbotenen Marktmanipulation von der erlaubten Kurspflege eignen. So werden für den Leser Leitlinien entwickelt, die eine eindeutige Klassifizierung von Markmanipulation und Kurspflege als zulässig bzw. unzulässig ermöglichen.