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gern. Aufgrund der Verknappung der Marktliquidität kann daher keine Maßnahme
als eindeutig zulässig bzw. unzulässig eingeordnet werden. Die Marktliquidität ist
daher nicht zur Konkretisierung der Marktmanipulation und Abgrenzung gegenüber
der Kurspflege geeignet.
II. Die Marktfunktion
Gem. § 8 Abs. 1 Nr. 3 MaKonV kann eine Gepflogenheit nur dann als zulässige
Marktpraxis anerkannt werden kann, wenn gewährleistet wird, dass die Marktkräfte
ordnungsgemäß funktionieren. Dies bedeutet, dass das freie Zusammenspiel von
Angebot und Nachfrage unter Berücksichtigung wesentlicher Parameter gewährleistet werden muss. Zu diesen Parametern zählen insbesondere die Marktbedingungen
vor Einführung der Marktpraxis, der Durchschnittskurs des Handelstages und die
tägliche Schlussnotierung.533 Eine Konkretisierung und Abgrenzung von Kurspflege
und Marktmanipulation über die Gewährleistung der Marktfunktion wäre dann möglich, wenn die Marktfunktionen durch lediglich eine der Handelstechniken beeinträchtigt würden.
1. Die Definition der Marktfunktion
Das Schutzgut des § 20a WpHG ist der überindividuelle Funktionsschutz der kapitalmarktbezogenen Einrichtungen und Ablaufmechanismen.534 Bei der Überprüfung,
ob ein Marktverhalten als zulässig anerkannt werden kann, soll die BaFin alle Auswirkungen der Marktpraxis auf die genannten Parameter, im Wesentlichen folglich
Angebot und Nachfrage, würdigen. Es besteht insofern die Möglichkeit, dass das
Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage durch die Marktpraxis negativ beeinflusst werden könnte.535 Weder der Verordnungstext der MaKonV, noch die entsprechende Begründung enthalten jedoch Hinweise darauf, was unter einer negativen Beeinflussung zu verstehen oder wie dieses Kriterium näher einzugrenzen ist.
Die Entwicklung des Kapitalmarktes basiert im Wesentlichen auf Angebot und
Nachfrage. Wie sich Angebot und Nachfrage bilden, hängt von unterschiedlichen
Faktoren ab. Angebot und Nachfrage sind auch die Grundlage für die Bildung des
533 Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, § 20a, Rn. 157.
534 Caspari, NZG 2005, 98, 101 f.; Groß, WM 2002, 477, 484; Knauth/Käsler, WM 2006, 1041,
1041; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 16.367; Kümpel, Kapitalmarktrecht, S. 19;
Kümpel/Veil, WpHG, S. 126; diess. in Kümpel/Hammen/Ekkenga, Kapitalmarktrecht, WpHG,
§ 20a, Kennziffer 065, Rn. 196; Lenzen, WM 2000, 1131; Möller, WM 2002, 309, 313;
Schröder in Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, X 2, Rn. 3, S. 716;
Schwark in Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 20a WpHG, Rn. 5; Sorgenfrei in
Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 20a, 38 I Nr. 4, 39 WpHG, Rn. 4; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, Rn. 347.
535 Begr. MaKonV, BR-Drucks. 18/05 vom 07.01.2005, S. 21.
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Börsenpreises. Der Kapitalmarkt kann nur ordnungsgemäß funktionieren, wenn sich
auch Angebot und Nachfrage unbeeinflusst aufgrund des tatsächlichen Handelsgeschehens bilden können. Sie sind daher zentrale Elemente des Kapitalmarktes und
der Marktfunktion.
2. Die Beeinflussung der Marktfunktion durch Marktmanipulationen
Bei der Marktfunktion handelt es sich um ein generalklauselartiges Kriterium, das
eine Gesamtwürdigung der Auswirkungen der Marktpraxis auf die wichtigsten
Marktparameter voraussetzt, die negativ beeinflusst werden müssen.536 Freilich wäre
es kurzschlüssig, z.B. von einem Absinken der Durchschnittskurse oder Schlussnotierungen ohne weiteres auf die Unzulässigkeit einer neuen Marktpraxis zu schlie-
ßen.537
In § 20a Abs. 1 S. 1 WpHG wird in jeder der drei Alternativen des Tatbestands
darauf abgestellt, dass sich eine Handlung entweder direkt auf den Börsen- oder
Marktpreis auswirken muss oder sich die Handlung zumindest auf den Preis auswirken könnte, um tatbestandsmäßig zu sein. Der Manipulator will folglich einen Preis
herbeiführen, der dem nicht entspricht, der sich bei unbeeinflusstem Spiel der
Marktkräfte gebildet hätte.538 Einen solchen Preis kann er nur herbeiführen, wenn er
Angebot und Nachfrage eines Wertpapiers beeinflusst, da sich der Preis aufgrund
des unbeeinflussten Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage bildet.539 Der
Manipulator muss gezielt versuchen, in die Preisbildung einzugreifen. Dies ist der
Zweck seines Handelns.540 Eine negative Beeinflussung kann nur so verstanden
werden, dass eine ordnungsgemäße Preisbildung durch die Eingriffe des Manipulators gefährdet wird.
Unter Betrachtung der Regelungen von § 3 MaKonV zeigt sich, dass die von § 8
Abs. 1 Nr. 3 MaKonV genannten Parameter, die besonders berücksichtigt werden
sollen, durch Marktmanipulationen beeinflusst werden können. Dabei ist im Einzelfall zu prüfen, wie die Marktbedingungen vor Einführung der Marktpraxis, die als
zulässig anerkannt werden soll, ausgesehen haben. Die Durchschnittskurse eines
Handelstages hingegen werden z.B. im Falle des „Advancing the Bid“541 negativ
beeinflusst. Hierbei versucht der Handelnde, die Nachfrage nach einem Wertpapier
zu erhöhen, indem er den Eindruck einer größeren Kursdynamik erweckt. Er will
Kursbewegungen aufgrund lebhafter, wirtschaftlich motivierter Umsätze vortäu-
536 Begr. MaKonV, BR-Drucks. 18/05 vom 07.01.2005, S. 21.
537 Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, § 20a, Rn. 153.
538 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn.16.367.
539 Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, § 20a, Rn. 17.
540 Siehe oben S. 88.
541 Siehe oben S. 43.
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schen.542 Hierdurch werden die Durchschnittskurse des Handelstages beeinflusst.
Gleiches gilt für den Fall des „Pumping and Dumping“.543 Auch hier werden Handelsaktivitäten unter mehreren Kapitalmarktteilnehmern abgesprochen und dadurch
mehrere Kaufaufträge zu sukzessiv höheren Preisen abgegeben.544 Dadurch wirken
die Manipulatoren auf die Nachfrage nach einem Wertpapier ein und erhöhen diese
künstlich. Im Falle des „Marking the Close“545 wird gezielt auf die Schlussnotierung
eines Kurses eingewirkt, um andere Marktteilnehmer zu beeinflussen, die auf
Grundlage dieser Schlussnotierung handeln.546 Bei den „Prearranged Trades“547
werden Wertpapiere absprachegemäß hin und her geschoben und dadurch das Angebot und die Nachfrage beeinflusst.548
Marktmanipulationen beeinflussen folglich in erheblichem Maße das Angebot
und die Nachfrage an den Kapitalmärkten negativ. Sie stören daher die Marktfunktion. Ein anderes Ergebnis ließe sich auch mit dem Regelungsziel des § 20a WpHG
nicht vereinbaren.
3. Die Beeinflussung der Marktfunktion durch Kurspflegemaßnahmen
Bei der Vornahme von Kursstabilisierungsmaßnahmen ist die Kursbeeinflussungsabsicht beim Handelnden vorhanden, da es in der Natur der Sache liegt, dass diese
Maßnahmen zur Kursbeeinflussung vorgenommen werden.549 Der Handelnde weiß
um die kursbeeinflussende Wirkung seiner Transaktionen und bezweckt diese Wirkung. Er greift aktiv in das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage ein. Kurspflegemaßnahmen kommt nur die notwendige Stabilisierungswirkung zu und Kurs-
542 Arlt, Anlegerschutz, S. 88; Benner in Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 9. Kapitel,
Rn. 65; Schlüter, Börsenhandelsrecht, D., Rn. 278; Sorgenfrei, wistra 2002, 321, 328; Zieschang in Park, Kapitalmarktstrafrecht, § 263 StGB, Rn. 95, S. 73.
543 Siehe oben S. 44.
544 Arlt, Anlegerschutz, S. 88; Benner in Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 9. Kapitel,
Rn. 65; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 16.402; Schlüter, Börsenhandelsrecht, D.,
Rn. 278; Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 20a, 38 I Nr. 4, 39 WpHG, Rn. 53;
Zieschang in Park, Kapitalmarktstrafrecht, § 263 StGB, Rn. 145, S. 85.
545 Siehe oben S. 45.
546 Arlt, Anlegerschutz, S. 89; Benner in Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 9. Kapitel,
Rn. 65, 90 ff.; Dier/Fürhoff, AG 2002, 604, 608; Möller, WM 2002, 309, 314; Sorgenfrei in
Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 20a, 38 I Nr. 4, 39 WpHG, Rn. 54; Zieschang in Park, Kapitalmarktstrafrecht, § 263 StGB, Rn. 135, S. 83; Ziouvas, ZGR 2003, 113, 134 f.
547 Siehe oben S. 49.
548 Arlt, Anlegerschutz, S. 78; Benner in Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 9. Kapitel,
Rn. 65; Groß, Kapitalmarktrecht, 2. Auflage 2002, § 88 BörsG a.F., Rn. 3a; Kümpel, Bankund Kapitalmarktrecht, Rn. 16.401; Lenzen, Börsenkursbildung, S. 11; Möller, WM 2002,
309, 313; Sahin, Unlautere Handelspraktiken, S. 11, 15; Schlüter; Börsenhandelsrecht, D.,
Rn. 278; Schwark in Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, WpHG, § 20a, Rn. 25; Sorgenfrei, wistra 2002, 321, 327; Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, vor § 20a, Rn. 23.
549 Grüger, Kurspflege, S. 172, Fn. 150; Vogel in Assmann/Schneider, WpHG, vor § 20a, Rn. 28,
§ 20a, Rn. 193 ff.
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schwankungen können nur vermieden werden, wenn zu den im Widerspruch stehenden Aufträgen der anderen Marktteilnehmer ein Gegenpol geschaffen wird. Es wird
also künstlich das Angebot oder die Nachfrage eines zu stabilisierenden Wertpapiers
erhöht oder gesenkt. Anders kann der mit Kurspflegemaßnahmen gewünschte
Zweck nicht erreicht werden.
Trotz dieser Eingriffe in das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage sind
Kursstabilisierungsmaßnahmen unter den Voraussetzungen der AusnahmenVO von
dem Verbot der Marktmanipulation freigestellt. Diese Sonderregelung rechtfertigt
sich im Hinblick auf die Funktion der Börse, einen ordnungsgemäßen Handel aufrecht zu erhalten und die Preiskontinuität sicherzustellen.550 Auch wenn Kursstabilisierungsmaßnahmen mit dem Ziel durchgeführt werden, die funktionsbezogenen
Einrichtungen des Kapitalmarkts zu schützen und für eine ordnungsgemäße Preisbildung an den Börsen sorgen, wird mit ihrer Durchführung für einen begrenzten,
kurzen Zeitraum in die sich selbst regulierenden Mechanismen des Kapitalmarktes
eingegriffen. Dies geschieht, weil die Kapitalmarktteilnehmer der Ansicht sind, dass
der Markt eine Regulierung nicht aus eigener Kraft ohne Schaden für die emittierten
Wertpapiere vornehmen kann.
Mit dem Ziel, den Kapitalmarkt und seine Einrichtungen zu schützen, wird bei
der Durchführung von Kurspflegemaßnahmen in die Marktfunktion und das freie
Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage eingegriffen, auch wenn diese Eingriffe aus redlichen Motiven erfolgen. Hier wird deutlich, dass der Unterschied zwischen Kurspflege und Marktmanipulation in der Motivationslage551 liegen kann, aus
der sie vorgenommen werden.
4. Zusammenfassung
Das Funktionieren der Marktkräfte und das freie Zusammenspiel von Angebot und
Nachfrage werden sowohl bei Marktmanipulationen als auch bei der Durchführung
von Kurspflegemaßnahmen beeinflusst. Die Marktfunktion eignet sich daher nicht
zur Konkretisierung der Marktmanipulation und Abgrenzung von der Kurspflege.
Unter diesen Gesichtspunkten ist es ebenfalls fraglich, ob die Marktfunktion gem.
§ 8 Abs. 1 Nr. 3 MaKonV geeignet ist festzulegen, ob eine Gepflogenheit als zulässige Marktpraxis anerkannt werden kann.
550 RegB 4. FMFG, BT-Drucks. 14/8017 vom 18.01.2002, S. 90; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 16.383; Vogel, WM 2003, 2437, 2438.
551 Siehe oben S. 91.
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III. Die Marktfairness
Ein weiteres Kriterium zur Anerkennung einer Gepflogenheit als zulässige Marktpraxis ist gem. § 8 Abs. 1 Nr. 4 MaKonV die Marktfairness. Solange ein Verhalten
fair gegenüber anderen Kapitalmarktteilnehmern ist, wird es als zulässig angesehen.
Für den Konflikt zwischen zulässigen und unzulässigen Maßnahmen zur Kursbeeinflussung bedeutet dies, dass eine erlaubte Maßnahme auch fair gegenüber den anderen Marktteilnehmern sein muss. Erfüllt entweder nur die Marktmanipulation oder
die Kurspflege dieses Kriterium, könnte sich das Prinzip der Marktfairness dazu
eignen, die einzelnen Maßnahmen zu konkretisieren und voneinander abzugrenzen.
1. Die Definition der Marktfairness
Nach dem Prinzip der Marktfairness muss eine zulässige Gepflogenheit mit dem
Handelsmechanismus auf dem Markt vereinbar sein und den anderen Marktteilnehmern eine angemessene und rechtzeitige Reaktion erlauben. Die Fairness am Markt
verhindert, dass kollidierende Interessen der Marktteilnehmer zu einer Fehlentwicklung des Kapitalmarktes führen: Auf einem fairen Kapitalmarkt werden die Anleger
gleich behandelt und präventive Maßnahmen gegen die Gefahr von Betrug und
Irreführung implementiert.552 Nur in einen fairen Markt wird der Anleger Vertrauen
setzen; fühlt er sich jedoch unfair behandelt, wird er sich von dem Markt abwenden
und seine Investitionen an anderen Plätzen tätigen.553 Ein fairer Markt zeichnet sich
somit dadurch aus, dass eine Marktseite ihre Machtposition nicht unangemessen
ausnutzen kann. Das Ziel ist eine weitgehende Gleichheit zwischen den einzelnen
Kapitalmarktteilnehmern. Jeder Marktbeteiligte muss die Möglichkeit haben, als
eigenverantwortliche Person Einfluss zu nehmen und darf keine Mittel der Täuschung oder Irreführung verwenden.554 Transparenz ist dementsprechend ein bedeutendes Mittel, um Marktfairness herzustellen. Die Marktfairness regelt folglich die
Beziehung der einzelnen Kapitalmarktteilnehmer untereinander.
2. Die Beeinflussung der Marktfairness durch Marktmanipulationen
Bei der Durchführung von Marktmanipulationen hat der Handelnde einen Wissensvorsprung. Er weiß, dass er Informationen in den Markt gibt, welche die anderen
Marktteilnehmer entweder gar nicht oder nicht in dem Umfang oder der Form haben. Es besteht eine Informationsasymmetrie.555 Der Manipulator hat entsprechend
552 Caspari, NZG 2005, 98, 99.
553 Caspari, ZGR 1994, 530, 533; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 8.418.
554 Caspari, NZG 2005, 98, 101; Kissel in Tilch/Arloth, Rechtslexikon, Stichwort: „Faires Verhalten“, S. 1567.
555 Siehe oben S. 99.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Durch Marktmanipulation und Kurspflege wird die Bildung der Börsenkurse gezielt beeinflusst. Die Abgrenzung der verbotenen Börsenkursmanipulationen und der erlaubten Kurspflege stellt aufgrund des Phänomens der Ähnlichkeit der Handelstechniken eine Herausforderung dar und ist gerade in Zeiten der Finanzmarktkrise von Bedeutung.
Die Arbeit untersucht die in § 20a WpHG und den europäischen Regelungen zur Verfügung gestellten Abgrenzungsmerkmale darauf, ob sie sich zur Konkretisierung der verbotenen Marktmanipulation von der erlaubten Kurspflege eignen. So werden für den Leser Leitlinien entwickelt, die eine eindeutige Klassifizierung von Markmanipulation und Kurspflege als zulässig bzw. unzulässig ermöglichen.