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nicht auf Art. 3 I GG berufen: ihre Rechtssphäre wird jedoch durch das föderale
Gleichbehandlungsgebot gleichwertig geschützt.
3. Inneres Gesetzgebungsverfahren und Art. 107 II GG
Im vierten Abschnitt der vorliegenden Arbeit wurde aufgezeigt, dass die Art. 76
ff. GG nur Rahmenregelungen enthalten. Kontrovers wird deshalb diskutiert, ob
die Verfassung im Abschnitt zur Gesetzgebung eine planwidrige Regelungslücke
enthält. So wurde insbesondere die Figur des inneren Gesetzgebungsverfahrens
entwickelt, um die (vermeintliche) »Lücke« zu schließen. Nach der hier vertretenen Ansicht handelt es sich bei einem legislativen Abwägungsgebot um eine ethische Forderung, die verrechtlicht werden müsste.
Wie der 65. Deutsche Juristentag gezeigt hat, werden verschiedene Wege zu
besserer Gesetzgebung diskutiert. Nach der hier vertretenen Ansicht würde eine
Begründungspflicht für den Gesetzgeber einen »schwachen« Schleier des Nichtwissens abbilden. Die Art. 76 ff. GG könnten durch Verfassungsänderung um
einen solchen Begründungszwang erweitert werden.
Die wohl herrschende Meinung in der Literatur steht derartigen Überlegungen
jedoch ablehnend gegenüber. Möglicherweise könnten jedoch die Ansätze der
Gesetzgebungslehre für eine immer wieder diskutierte Reform der Finanzverfassung1267 fruchtbar gemacht werden. Dies wäre dann der Fall, wenn die Vorstellung
eines Abwägungsgebotes in besonderem Maß mit dem Finanzausgleich kompatibel erscheint. Zu überlegen ist deshalb, ob die besondere Struktur der Finanzverfassung für ein inneres Gesetzgebungsverfahren und/ oder eine Rechtfertigungspflicht streitet.
a) Vage und ergänzungsbedürftige verfassungsrechtliche Vorgabe
Wie angesprochen, liegt das Problem der Finanzverfassung in ihrer Flexibilität.
Insbesondere Art. 107 II GG weist eine solche Offenheit auf, indem der Gesetzgeber lediglich angewiesen wird, einen angemessenen Ausgleich zu garantieren.
Damit scheint der Bundesgesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum zu besitzen. Wie bereits dargelegt, wurde Art. 107 II GG von der Literatur bis zum Erlass des Maßstäbe-Urteils derart verstanden, dass diese Verfassungsnorm dem
Gesetzgeber allein ein Ergebnis vorgebe. Art. 107 II GG enthalte keine ausgeprägten stabilisierenden und legitimierenden Verfahrensvorgaben.1268 Die offene
Formulierung dieser Verfassungsnormen räume dem Gesetzgeber bewusst kon-
1267 Vgl. statt vieler Kesper, Bundestaatliche Finanzordnung, 1998, 129 ff.; Seybold, Der
Finanzausgleich im Kontext des deutschen Föderalismus, 2004, 59 ff. jeweils mit weiteren
Nachweisen.
1268 Vgl. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich,1999, 70.
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trollfreie Spielräume ein. Sowohl hinsichtlich des Ziels (angemessener Ausgleich) als auch hinsichtlich des Verfahrens (nur Zustimmungspflichtigkeit) besitzt er Gestaltungsfreiheit.1269
Der vierte Teil der vorliegenden Arbeit hat jedoch aufgezeigt, dass die Vorstellung weiter legislativer Entscheidungsspielräume an Akzeptanz zu verlieren
scheint. Die Vertreter der sich etablierenden Gesetzgebungslehre fordern eine
strengere prozedurale Kontrolle der Legislative. Zu überlegen ist, ob diese ver-
änderte Sichtweise nicht in besonderem Maße geeignet ist, das Dauerproblem
Finanzausgleich zu lösen. An dieser Stelle ist noch einmal zu betonen, dass die
Gesetzgebungsaufträge in den Art. 106, 107 GG zwar einen Spezialfall der
Gesetzgebung darstellen, jedoch keine isoliert zu betrachtende Sondermaterie
darstellen. Mit dem FAG soll das Parlament abstrakte Kriterien für die Umverteilung festschreiben. Der Auftrag an den Bundesgesetzgeber besteht darin, dauerhafte Rahmenregelungen im Hinblick auf eine Verteilungssituation festzulegen.
Diese Tätigkeit unterscheidet sich jedoch nicht genuin von anderen gesetzgeberischen Aufgaben. Wie bereits zuvor angedeutet, können auch Grundrechtskonflikte als Verteilungskonflikte begriffen werden. Der Unterschied besteht nur
darin, dass nicht Gelder, sondern Freiheiten und Verhaltensspielräume verteilt
werden.1270
Aus diesem Grund erscheint es überzeugend, nicht nur kritisch zu hinterfragen,
ob die Art. 76 ff. GG eine planwidrige Regelungslücke enthalten, sondern auch
zu überlegen, ob die vagen Vorgaben in Art. 107 II GG ergänzungsbedürftig und
ergänzungsfähig sind. Die Diskussion um die Methode einer Entscheidungsfindung für den Gesetzgeber lässt sich unproblematisch auf die Frage verengen, ob
nicht der Finanzausgleichsgesetzgeber durch zusätzliche Verfahrensanforderungen diszipliniert werden sollte.
b) Finanzausgleich als Teil der Finanzplanung
Der Gedanke eines Abwägungsgebotes1271 könnte sich deshalb stimmig in die Finanzverfassung integrieren lassen, weil es sich bei der Entscheidung über Umverteilungen um eine Form der Planung handelt. So muss der Gesetzgeber im
Rahmen des Finanzausgleichs die mehrjährige Finanzplanung berücksichtigen
(Vgl. Art. 106 III S. 4 Nr. 1 GG).
Der Finanzausgleich ist hierbei Teil einer weitreichenderen Planung. Die Vorschriften zur Finanzplanung haben ihre Grundlage in Art. 109 II GG. Einfachgesetzliche Ausführungen enthalten das Stabilitätsgesetz (§ 9 StabG) und das
1269 Vgl. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, Band 3, 2001, Art.
107 Rn. 121; Wendt, in: Isensee/Kirchhof, HStR Band IV, 1990, § 104 Rn. 84 ff.
1270 Vgl. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976, 156.
1271 Vgl. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, Band 3, 2001, Art.
107 Rn. 61, der für den Finanzausgleich aus dem Grundsatz der Sachgerechtigkeit ein
finanzplanungsrechtliches Abwägungsgebot ableiten möchte.
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Haushaltsgrundsätzegesetz (§§ 50 bis 52 HGrG). Nach § 51 HGrG ist ein Finanzplanungsrat zu bilden, der die Aufgabe hat, die Finanzplanung von Bund, Ländern und Gemeinden zu koordinieren. Der Finanzplan stellt einen Regierungsplan
dar, der den gesetzgebenden Körperschaften nur zur Kenntnis gebracht wird (§ 50
III HGrG).1272 Ingesamt stellt er die übergeordnete planungsrechtliche Entscheidung dar. Der Finanzausgleich nach Art. 107 II GG ist ein »Zahnrad« dieser Planung, indem das FAG die Umverteilungen zwischen den Ländern konkretisiert.
Innerhalb des Systems der Finanzplanung besitzt der Finanzausgleich eine spezifische Zukunftsbezogenheit. Er soll nicht einen Bestand »wahren«, sondern
zukünftige autonome Gestaltungen schützen.1273
Insgesamt handelt es sich bei dem Finanzausgleich um eine Gesetzgebungsmaterie, die Teil einer umfassenden »Ressourcenplanung« ist.1274 Finanzplan,
Finanzausgleich und Haushaltsplanung bilden eine Einheit; sie garantieren
zusammen die finanzielle Handlungsfähigkeit von Bund und Ländern. Wie im
vierten Teil der vorliegenden Arbeit ausgeführt, stellt der Begriff der Planung die
Verbindung zwischen Verwaltungsrecht und Verfassungsrecht her. Soll der jeweilige Entscheidungsträger einen gerechten Augleich widerstreitender Interessen
herbeiführen, so kann er mit Hilfe eines Abwägungsgebotes diszipliniert und
kontrolliert werden. Der Vergleich zwischen Normenerlassrecht und Satzungserlassrecht liegt hier besonders nah.1275 Insoweit handelt es sich bei der Finanzverfassung um eine Materie, in die eine solche Methode der Entscheidungsfindung
strukturell integriert werden könnte.
c) Finalität der Finanzverfassung
Wie bereits in der Urteilsanalyse angesprochen, zeichnen sich die Art. 104a bis
109 GG durch eine besondere Finalität aus.1276 Weil Finanzen Mittel zum Zweck
sind, ist diese teleologische Betrachtungsweise dem Komplex der Finanzverfassung und des Finanzausgleichs immanent.1277 Indem Art. 107 II GG eine solche
Finalität besitzt, könnte sich für den Bundesgesetzgeber eine Pflicht zur Abwägung ergeben. Wie im vierten Teil dieser Bearbeitung ebenfalls deutlich wurde,
1272 Vgl. Hoppe, in Isensee/Kirchhof, HStR Band III, 1988, § 71 Rn. 32; Stern, Staatsrecht,
Band II, 1980, 716.
1273 Vgl. Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und als Garant vorhandener Finanzautonomie, 1982, 26.
1274 Zum Begriff der »Ressourcenplanung« vgl. Hoppe, in: Isensee/Kirchhof, HStR Band III,
1988, § 71 Rn. 9; Stern, Staatsrecht Band II, 1980, 710. Ressourcenplanung verbindet Zielvorstellungen mit den vorhandenen monetären Mitteln und sichert dadurch die Durchführbarkeit von Projekten.
1275 Vgl. für einen Vergleich von Normerlassrecht und Satzungsrecht, Kloepfer, Abwägungsregeln bei Satzungsgebung und Gesetzgebung, DVBl. 1995, 441 ff.; Kloepfer, Wie kann
die Gesetzgebung vom Planungs- und Verwaltungsrecht lernen? ZG 1988, 289 ff.
1276 Vgl. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, 85.
1277 Vgl. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, 96.
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besteht eine Verbindung zwischen finalen Normprogrammen und der Abwägung
als Denkmethode. Der Finanzausgleich kann dadurch charakterisiert werden,
dass mit der bündischen Einheit einerseits und der Autonomie der Länder andererseits zwei Prinzipien gegeneinander abgewogen werden müssen.1278
d) Exkurs : Ideal fast reiner Verfahrensgerechtigkeit
Insgesamt bietet sich der Gedanke zusätzlicher Verfahrensanforderungen als eine
»Lösung« für das Dauerproblem Länderfinanzausgleich an. Die aufgezeigten
strukturellen Eigenheiten der Finanzverfassung legen es nahe, in diesem Spezialfall der Gesetzgebung über ein Abwägungsgebot für die Legislative nachzudenken. Wie im vierten Teil der Arbeit aufgezeigt, stößt der Gedanke eines Gesetzgebungsverfahrensgesetzes bislang überwiegend auf Ablehnung. Für die Tätigkeit der Gesetzgebung insgesamt erscheint momentan höchstens eine strengere
Begründungspflicht für die Legislative durchsetzbar. Betrachtet man jedoch die
verschiedenen Bereiche der Gesetzgebung differenziert, so stellt der Länderfinanzausgleich eine Materie dar, innerhalb derer über umfassendere Reformansätze nachzudenken ist.
Ein solcher prozeduraler Ansatz entspricht in hohem Maß der Rawlsschen
Gerechtigkeitstheorie. Die besondere »Nähe« zwischen dieser Konzeption und
dem »Dauerproblem« Länderfinanzausgleich wird im nächsten Teil der Arbeit
vertieft erörtert. Dennoch lohnt sich bereits an dieser Stelle ein kurzer Blick auf
Rawls’ Vorstellungen von Verfahrensgerechtigkeit. Die Gesetzgebung unterliegt
bei Rawls grundsätzlich dem Ideal unvollkommener Verfahrensgerechtigkeit.1279
Im Hinblick auf Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik können jedoch die
Gerechtigkeitsgrundsätze als Maßstäbe zu unbestimmt sein. Dann muss sich die
Gesetzgebung an einem Ideal fast reiner Verfahrensgerechtigkeit orientieren.
Ausschlaggebend ist dabei, ob die Entscheidungen gemäß einer gerechten Verfassung gesetzgeberisch in Kraft gesetzt worden sind. Die Frage nach der Fairness des Gesetzgebungsverfahrens gewinnt in diesem Fall besondere Bedeutung.1280 Genau diese Konstellation liegt im Finanzausgleich vor. Wie ausgeführt,
wird dem Gesetzgeber in Art. 107 II GG ein vages Ziel vorgegeben. Je unbestimmter jedoch die übergeordnete Zielvorgabe ausfällt, desto wichtiger ist nach
dem Rawlsschen Ansatz die Ausgestaltung des Entscheidungsverfahrens.
1278 Vgl. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, 64.
1279 Vgl. Rawls, TG, Abschnitt 31, 226.
1280 Vgl. Rawls, TG, Abschnitt 31, 229.
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4. Zwischenergebnis
Der Finanzausgleich stellt einen Bereich dar, in dem die Unterscheidung von
Recht und Politik besonders schwer fällt. 1281 Betrachtet man die Realität der Entscheidungsfindung, so besitzt das Gesetzgebungsverfahren keine Bedeutung; es
stellt lediglich einen »formellen Abschluss« dar. Der eigentliche Gesetzgebungsprozess findet im Vorfeld statt; Verhandlungen zwischen den Ländern und die
Vorarbeit der Landesministerien prägen den Finanzausgleich.
Für das Bild der Finanzverfassung darf jedoch die vorherrschende Ausgleichspraxis nicht allein entscheidend sein. Betrachtet man allein die Finanzpolitik, so
besteht die Gefahr, vom Sein auf ein Sollen zu schließen.1282 Dieser Sichtweise
hat das Bundesverfassungsgericht entgegengewirkt, indem es die Justiziabilität
der Finanzverfassung grundsätzlich bejaht. Der Finanzausgleich ist nicht allein
dem Politischen zuzuordnen.
Mit seiner Entscheidung hat das Gericht jedoch lediglich eine Extremposition
ausgeschlossen. Das genaue Verhältnis von Politik und Recht ist weiterhin
schwierig zu bestimmen.
Daher besitzt die Theorie der Spielräume in diesem Abschnitt des Grundgesetzes eine besondere Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht und auch die Literatur setzen sich bis zum Maßstäbe-Urteil vor allem mit den inhaltlichen Spielräumen des Gesetzgebers auseinander. Es besteht hierbei die Tendenz, den
Finanzausgleich nicht länger als ein macht- und interessendeterminiertes Verfahren anzusehen. Stattdessen versuchen Rechtsprechung und Literatur, das wertund erkenntnistheoretische Element zu stärken und damit den Primat des Rechts
vor der Politik zu betonen.
Der Finanzausgleich wird hierbei jedoch ergebnisorientiert betrachtet. Mögliche zusätzliche Verfahrensanforderungen an den Gesetzgeber stehen nicht im
Mittelpunkt der Diskussion. Die »ethische« Dimension der Entscheidungsfindung ist noch nicht in den Finanzausgleich vorgedrungen. Während sich die
öffentlich-rechtliche Dogmatik zur Gesetzgebung zunehmend mit dem Verhältnis
»Recht – Politik – Ethik« beschäftigt, wird im Bereich der Finanzverfassung vor
allem das Verhältnis von »Recht – Politik« diskutiert. Die Gegenkonzeption eines
»inneren Gesetzgebungsverfahrens« findet nur am Rand Eingang in diesen
besonderen Abschnitt des Grundgesetzes. Einen Ansatz stellt das föderale
Gleichbehandlungsgebot dar, das den Gesetzgeber im Umgang mit den Ländern
»diszipliniert«.
Dabei ist eine noch stärker »prozedurale Sichtweise« des Finanzausgleichs mit
der Finanzverfassung vereinbar. Dem Bundesverfassungsgericht ist zuzustimmen, dass sich aus dem jetzigen Art. 107 II GG nur schwer zusätzliche Verfahrensanforderungen entnehmen lassen. Ein möglicher Weg bestünde darin, die
Formulierung »angemessen ausgeglichen« weit zu verstehen. Hier besteht jedoch
wie bei der Figur des inneren Gesetzgebungsverfahrens die Gefahr, »zu viel« in
1281 Vgl. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, 1999, 68.
1282 Vgl. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, 1999, 65.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
In seiner Entscheidung zum Länderfinanzausgleich hat das Bundesverfassungsgericht 1999 auf eine rechtsphilosophische Figur, John Rawls’ berühmten „Schleier des Nichtwissens“, zurückgegriffen. Dieser „Schleier“ ist in Rawls’ Werken Teil eines fiktiven Urzustands und bewirkt, dass die Entscheidungsträger ihre eigenen Interessen nicht kennen. Wenig beachtet wurde jedoch der Umstand, dass Rawls auch im Bereich der idealen Gesetzgebung auf diese Gedankenfigur verweist.
Die Arbeit setzt sich zunächst intensiv mit diesen Textpassagen auseinander, um in einem nächsten Schritt zu untersuchen, inwieweit Gesetzgebung unter dem Grundgesetz mit dem Gedanken eines unparteilichen Abgeordneten vereinbar ist.
Das Werk richtet sich an Verfassungsjuristen und Rechtsphilosophen.