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folgende Untersuchung zu Beginn kursorisch auf das veränderte Grundgerüst der
Konzeption ein.
Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es zudem, vor allem das Verhältnis von
Schleier des Nichtwissens und idealer Gesetzgebung aufzuzeigen. Anders als in
der bislang vorliegenden Sekundärliteratur steht nicht der Urzustand im Vordergrund der Betrachtung. Bei Rawls’ jüngeren Werken besteht jedoch die Schwierigkeit, dass sie nur kurze Anmerkungen und Verweise zum Vier-Stufen –Gang
enthalten. Rawls beschäftigt sich auch in seinen späteren Veröffentlichungen vornehmlich mit der ersten Ebene dieses Systems: der Urzustandsbeschreibung.
Jedoch wirken sich Modifikationen auf dieser Stufe auch auf die nachfolgenden
Ebenen Verfassungs- und einfache Gesetzgebung aus. Verändert sich beispielsweise der Bezugspunkt für den Schleier des Nichtwissens im Urzustand, so ist
davon auszugehen, dass Gleiches für die Ebenen der Verfassungs- und einfachen
Gesetzgebung gilt. Dies ist der Grund, aus dem im Folgenden vertieft untersucht
wird, inwieweit Rawls die Urzustandssituation neu gestaltet.
2. Hintergrund für den Schleier des Nichtwissens
a) Faktischer Pluralismus
In dem Folgewerk Politischer Liberalismus formuliert Rawls zu Beginn die entscheidende Frage, die er nunmehr mit seiner Gerechtigkeitskonzeption lösen
möchte: Wie kann eine gerechte und stabile Gesellschaft von freien und gleichen
Bürgern dauerhaft bestehen, wenn diese durch ihre vernünftigen religiösen, philosophischen und moralischen Lehren einschneidend voneinander geschieden
sind?512
Betrachtet man diese Ausführungen, so hat Rawls den Ausgangspunkt für
seine Überlegungen präzisiert. Mit Eine Theorie der Gerechtigkeit wollte er
Grundsätze aufstellen, die zu einer gerechten Grundstruktur der Gesellschaft
führten. Diese Grundstruktur sollte Verteilungskonflikte innerhalb bereits bestehender Gesellschaften auflösen beziehungsweise verhindern. Auf die Konfliktsituation selbst ging Rawls hierbei nicht näher ein. Er stellte nur die Anwendungsverhältnisse der Gerechtigkeit heraus: Verteilungskonflikte entstehen dadurch,
dass eine Knappheit an bestimmten Gütern vorherrscht (objektive Bedingung)
und Interessengegensätze bestehen (subjektive Bedingung).513 Es fehlten weitere
Ausführungen, welches Bild einer Gesellschaft er seiner Theorie zugrunde legte.
Seine Überlegungen blieben in diesem Bereich sehr abstrakt.
In Politischer Liberalismus hingegen zeigt Rawls auf, welche Hintergrundvorstellungen seine Gerechtigkeitstheorie prägen. Ausgangspunkt ist für ihn eine
512 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 67; erläuternd Hinsch, Politischer Konsens in einer
streitbaren Welt, in: Hinsch, Zur Idee des politischen Liberalismus, 1997, 9 ff.
513 Vgl. Rawls, TG, Abschnitt 22, 150.
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demokratische Gesellschaft, die durch eine Vielfalt gegensätzlicher und einander
ausschließender religiöser, philosophischer und moralischer Lehren gekennzeichnet ist. Die Bürger dieser Gesellschaft verfolgen vernünftige und dennoch
miteinander unverträgliche Konzeptionen des Guten.514 Ein vernünftiger Pluralismus ist für Rawls eine Tatsache des modernen Lebens. Er ist ein dauerhaftes
Merkmal der öffentlichen Kultur einer Demokratie.515 Es handelt sich hierbei
nicht um einen bedauernswerten Zustand. Die Vielfalt ist vielmehr ein unvermeidliches Ergebnis eines freien menschlichen Vernunftgebrauchs.516
In seinem letzten Werk Gerechtigkeit als Fairness nennt Rawls ausdrücklich
zwei Ziele, die er mit dieser weiteren Überarbeitung verfolgt: 1. die gravierenden
Mängel in Eine Theorie der Gerechtigkeit zu beheben. 2. die in Eine Theorie der
Gerechtigkeit vorgelegte Gerechtigkeitskonzeption mit den späteren Veröffentlichungen zu verbinden.517 Rawls knüpft hierbei in großen Teilen an die Ausführungen in Politischer Liberalismus an. Auch in Gerechtigkeit als Fairness
beschreibt er das Faktum eines vernünftigen Pluralismus. Die Verschiedenheit
der religiösen, philosophischen und moralischen Lehren stellt für ihn weiterhin
ein dauerhaftes Merkmal öffentlicher Kultur dar. Das Bild einer Demokratie ist
untrennbar mit einer Vielzahl divergierender Lebenspläne und Einstellungen verknüpft.518
b) Politische Konzeption
In seinen Folgewerken betont Rawls, dass er mit seiner Gerechtigkeitstheorie lediglich eine politische Konzeption entwickelt.519 Er unterscheidet zwischen umfassenden moralischen Lehren und Konzeptionen, die sich auf den Bereich des
Politischen beschränken.520 Weil Rawls von einem faktischen Pluralismus umfassender Lehren ausgeht, schränkt er seine Zielsetzung nunmehr deutlich ein. Er
selbst führt in seinen späteren Werken aus, dass er im Rahmen von Eine Theorie
der Gerechtigkeit eine umfassende moralische Lehre entwickeln wollte. Diesen
Anspruch verfolgt er jedoch nicht länger und versucht stattdessen, aus dem Gedanken einer Gerechtigkeit als Fairness eine frei stehende politische Theorie zu
entwickeln.521 Unter dem Begriff »frei stehend« versteht er, dass seine veränderte
Konzeption mit verschiedenen moralischen Ansichten vereinbar sein soll. Mit einer derart übergreifenden Gerechtigkeitskonzeption will Rawls eine soziale Ein-
514 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 13.
515 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 106, 420.
516 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 107.
517 Vgl. Rawls, Gerechtigkeit als Fairness, 13.
518 Vgl. Rawls, Gerechtigkeit als Fairness, 67.
519 Vgl. Rawls, Gerechtigkeit als Fairness, 16.
520 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 11.
521 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, Einleitung (1992), 11 ff, hierzu auch Dreben, On
Rawls and Political Liberalism, in: Freeman, Cambridge Companion to Rawls, 2003, 316,
331.
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heit gründen, die sich nicht auf einen gemeinsamen religiösen Glauben oder eine
gemeinsame philosophische Lehre stützt.522 Er möchte eine Hintergrundgerechtigkeit garantieren, die zu einer stabilen, wohlgeordneten Gesellschaft führt.523
c) Grundstruktur
Diese Hintergrundgerechtigkeit entspricht dem Begriff der Grundstruktur aus
Eine Theorie der Gerechtigkeit. Rawls will weiterhin ein gerechtes Rahmenwerk
gesellschaftlicher Regeln, eine institutionelle Basis für Verteilungsfragen entwickeln. In seinen Folgewerken berücksichtigt er hierbei den pluralistischen Charakter von Gesellschaften stärker.
In Politischer Liberalismus führt er aus, dass seine Gerechtigkeitstheorie die
Ungleichheiten in den Lebensperspektiven von Bürgern relativieren soll, welche
sich aufgrund sozialer Ausgangslagen, natürlicher Vorteile und historischer
Zufälligkeiten ergeben.524 Sie soll eine gemeinsame Basis für die Bürger darstellen. Mit ihrer Hilfe können sie grundlegende Fragen öffentlich diskutieren.525
Erreichen will Rawls dieses Ziel weiterhin dadurch, dass er eine Gerechtigkeitstheorie entwirft, die zu einer Grundstruktur der Gesellschaft führt. In Politischer
Liberalismus definiert er den Begriff der Grundstruktur als die Art und Weise, in
der die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen sich zu einem System zusammenfügen.526
Auch in Gerechtigkeit als Fairness zielt Rawls darauf ab, zu derartigen Rahmenbedingungen für eine Gesellschaft zu gelangen. Er präzisiert das Bild der
Grundstruktur noch einmal: Die Menschen einigen sich über Verteilungsgrundsätze. Diese Kooperationsregeln werden von allen anerkannt und jeder hält sich
an sie. Die Grundsätze bilden somit einen Rahmen für in der Gesellschaft entstehende Verteilungsfragen. Wenn sich jeder an ihnen orientiert, so ist die resultierende Einzelverteilung unabhängig von dem konkreten Ergebnis gerecht. Es entsteht ein Gesellschaftsbild, welches das Ideal der reinen Verfahrensgerechtigkeit
verwirklicht. Die Grundstruktur schafft einen Rahmen für Einzeltransaktionen
zwischen den Menschen. Es entwickelt sich aus ihr heraus eine Hintergrundgerechtigkeit als Basis. Auf dieser Basis bauen die einzelnen Verteilungen, die einzelnen Geschäfte des Alltags auf.527
Das Ziel »gerechte Grundstruktur« bleibt insgesamt bestehen. Rawls bezieht
sich auch weiter auf die Theorie des Gesellschaftsvertrages. Anders als in Eine
Theorie der Gerechtigkeit betont er jedoch stärker, dass er diese Argumentation
modifiziert. Sein Ziel ist es nicht, zu einem »klassischen« Gesellschaftsvertrag zu
522 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 421.
523 Vgl. Rawls, Gerechtigkeit als Fairness, 31 ff.
524 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 382.
525 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 198.
526 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 367.
527 Vgl. Rawls, Gerechtigkeit als Fairness, 95.
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gelangen. Er will mit Hilfe des Urzustands eine (fiktive) Übereinkunft über
Gerechtigkeitsgrundsätze vorstellen. Diese Grundsätze sollen zu einer bestimmten Grundstruktur der Gesellschaft führen. Rawls führt ausdrücklich aus, dass das
kontraktualistische Argument nicht Herrschaft an sich, sondern eine veränderte
Grundstruktur der Gesellschaft rechtfertigen soll. 528
d) Ideale/nichtideale Theorie
In der Weiterentwicklung bleibt auch die Zweiteilung in ideale und nichtideale
Theorie erhalten. Wenngleich Rawls dieses Begriffspaar in seinen Folgewerken
nicht oder nur am Rand verwendet, so bleibt die Gerechtigkeitskonzeption doch
ein Ideal. Ihre Aufgabe ist es, Ordnungsprinzipien anzugeben und dem politischen Handeln die Richtung zu weisen. Eine Idealtheorie ist für Rawls notwendig, damit der Wunsch nach Veränderung auf ein Ziel gerichtet ist.529 Ein Ideal beschreibt, was möglich ist und verwirklicht werden kann, auch wenn es vielleicht
niemals verwirklicht wird.530
Die Gerechtigkeitskonzeption kann »nur« ein gedanklicher Rahmen sein, der
Juristen dabei helfen kann, ihre Überlegungen zu ordnen, ihr Wissen zu ergänzen
und ihr Urteil zu schärfen.531 Dabei wendet sich die Konzeption weniger an Verfassungsrechtler als an die Bürger eines Verfassungsstaates. Sie soll ihnen die
Möglichkeit bieten, ihren gemeinsamen Status als gleiche Bürger zu verstehen.532
In Gerechtigkeit als Fairness betont Rawls den Modellcharakter seiner Konzeption noch mehr: Seine Theorie beinhalte einen realistischen Utopismus.533
Rawls beschäftigt sich vor allem mit der Grundstruktur für eine wohlgeordnete
Gesellschaft und entwickelt anhand dieses »Idealfalles« eine vollkommene oder
nahezu gerechte konstitutionelle Staatsform.534 Diese stellt ein Muster dar, welches nicht vollständig verwirklicht werden kann. Sein Wert besteht darin, dass der
Reformbedarf tatsächlich bestehender Grundstrukturen deutlich wird.
e) Stabilität einer wohlgeordneten Gesellschaft
Neben der veränderten Zielsetzung (Gerechtigkeit als Fairness, als eine politische Konzeption) unterscheiden sich Rawls’ spätere Überlegungen dadurch von
seinem Grundwerk, dass er den »Zeitrahmen« seiner Überlegungen erweitert. In
528 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 387, 402.
529 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 399.
530 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 313 im Zusammenhang mit dem Ideal des öffentlichen Vernunftgebrauchs.
531 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 495.
532 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 495.
533 Vgl. Rawls, Gerechtigkeit als Fairness, 36.
534 Vgl. Rawls, Gerechtigkeit als Fairness, 35.
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Eine Theorie der Gerechtigkeit beschäftigt sich Rawls primär mit der Übereinkunft der Gerechtigkeitsgrundsätze und damit der Begründung einer gerechten
Grundstruktur. Im Politischen Liberalismus dagegen steht die Frage im Vordergrund, ob und warum eine auf diesen Gerechtigkeitsgrundsätzen begründete fiktive Gesellschaft Stabilität besitzt.535 In Eine Theorie der Gerechtigkeit hatte er
diesen Aspekt nur ansatzweise im dritten Teil des Buches erörtert.536 Seine überarbeitete Konzeption weist nunmehr zwei Schwerpunkte auf, die ineinander greifen: 1. Wie kann die Wahl bestimmter Gerechtigkeitsgrundsätze begründet / gerechtfertigt werden? (Eine Theorie der Gerechtigkeit) 2. Warum führen diese zu
einer dauerhaften Grundstruktur für eine pluralistische Gesellschaft? (politischer
Liberalismus). Der Schleier des Nichtwissens könnte durch diese erweiterte Betrachtungsweise an Bedeutung verlieren. Denn er scheint allein ein gedankliches
Hilfsmittel zu sein, um die Wahl bestimmter Gerechtigkeitsgrundsätze und einer
bestimmten Verfassung zu rechtfertigen. Andererseits garantiert er jedoch gerade
dadurch, dass er den Einfluss der verschiedenen umfassenden Lehren ausschaltet,
die Entwicklung einer »neutralen« und damit stabilen Grundstruktur.
f) Gesteigerte Komplexität der Theorie
Rawls verändert in seinen Folgewerken zudem die Struktur seiner Ausführungen.
Er fasst bestimmte Gedankengänge als »Ideen« zusammen. In Eine Theorie der
Gerechtigkeit nimmt die Urzustandsbeschreibung eine zentrale Stellung ein. Sie
wird von Rawls als das entscheidende Gedankenexperiment innerhalb seiner
Theorie eingeordnet. Im Politischen Liberalismus hingegen erhält die Idee des
Urzustandes von Beginn an »Konkurrenz«. Rawls stellt weitere »Ideen« vor, die
in ihrer Gesamtheit die »Bausteine« für seine veränderte Gerechtigkeitskonzeption darstellen. Im Politischen Liberalismus gewinnen vor allem zwei Elemente
an Gewicht, die im Grundwerk zwar angesprochen wurden, jedoch dort keine exponierte Stellung hatten. Es handelt sich erstens um die Vorstellung der Bürger
als freier und gleicher Personen, zweitens um die Vorstellung einer wohlgeordneten Gesellschaft.537 Diese Konzeptionen der Gesellschaft und der Person ergänzen sich wechselseitig.538 Es handelt sich um zwei Vernunftideen,539 die möglicherweise in einem direkten Konkurrenzverhältnis zum Urzustand und damit
auch zum Schleier des Nichtwissens stehen.
In Gerechtigkeit als Fairness verschärft sich diese Entwicklung noch. Rawls
zeigt hier auf, das seine Gerechtigkeitskonzeption auf sechs Grundideen aufbaut540:
535 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 13 ff.
536 Vgl. Rawls, TG, Abschnitt 76, 539 ff.
537 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 80.
538 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 190.
539 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 191.
540 Vgl. Rawls, Gerechtigkeit als Fairness, 38, 55.
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Idee der Gesellschaft als faires System sozialer Kooperation
Idee des freien und gleichen Bürgers
Idee der wohlgeordneten Gesellschaft
Idee der Grundstruktur
Idee des Urzustandes
Idee der öffentlichen Rechtfertigung
Leider fehlen in den Folgewerken eindeutige Aussagen, in welchem Verhältnis
die verschiedenen Ideen zueinander stehen. Rawls bleibt eine Antwort schuldig,
ob er seine Konzeption lediglich verfeinert darstellen wollte oder vielmehr umfassend neu strukturiert. Dieser Befund führt dazu, dass die Bedeutung des
Schleiers in seinen späteren Werken mit einem »Fragezeichen« versehen werden
muss. Wird diese Gedankenfigur durch konkurrierende Ideen verdrängt? Das ist
in zweierlei Hinsicht denkbar: Zum einen ist unklar, wie das Verhältnis von Urzustand und der Idee der freien und gleichen Person aufzufassen ist. Es scheint,
als verliert die Urzustandsbeschreibung und damit auch der Schleier als zentrale
Bedingung an Bedeutung. Diese Veränderung an der Spitze des Vier –Stufen –
Gangs könnte sich auch auf die untergeordneten Ebenen Verfassungs- und Gesetzgebung auswirken. Zum anderen könnte ein Konkurrenzverhältnis zwischen
der Figur des Schleiers selbst und der Idee des öffentlichen Vernunftgebrauchs
bestehen. Rawls scheint sich innerhalb seines Folgewerkes den Überlegungen der
Diskurstheoretiker zu nähern.
3. Veränderter Urzustand
Die Idee des Urzustandes bleibt im Politischen Liberalismus grundsätzlich erhalten. Mit Hilfe dieser Ausgangssituation will Rawls auch in seiner weiterentwikkelten Konzeption einen Standpunkt aufzeigen, von dem aus eine faire Übereinkunft zwischen Personen erreicht werden kann.541 Zu untersuchen ist, inwieweit
er hierbei auf seine Ausführungen in Eine Theorie der Gerechtigkeit zurückgreift
oder Veränderungen vornimmt.
a) (Kantischer) Konstruktivismus542
In seinen Folgewerken betont Rawls noch mehr den modellhaften Charakter der
Ausgangssituation. Der Urzustand ist ein Darstellungsmittel, ein Bild, um Freiheit und Gleichheit von Personen auszudrücken.543 Als Gedankenexperiment hilft
er den Menschen herauszufinden, welchen Gerechtigkeitsgrundsätzen sie zustimmen würden. Es handelt sich um eine vorgestellte Situation, die der öffentlichen
Reflexion und Selbstklärung dient.544 Der Urzustand steht für einen Überlegungs-
541 Vgl. Rawls, Politischer Liberalismus, 90.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
In seiner Entscheidung zum Länderfinanzausgleich hat das Bundesverfassungsgericht 1999 auf eine rechtsphilosophische Figur, John Rawls’ berühmten „Schleier des Nichtwissens“, zurückgegriffen. Dieser „Schleier“ ist in Rawls’ Werken Teil eines fiktiven Urzustands und bewirkt, dass die Entscheidungsträger ihre eigenen Interessen nicht kennen. Wenig beachtet wurde jedoch der Umstand, dass Rawls auch im Bereich der idealen Gesetzgebung auf diese Gedankenfigur verweist.
Die Arbeit setzt sich zunächst intensiv mit diesen Textpassagen auseinander, um in einem nächsten Schritt zu untersuchen, inwieweit Gesetzgebung unter dem Grundgesetz mit dem Gedanken eines unparteilichen Abgeordneten vereinbar ist.
Das Werk richtet sich an Verfassungsjuristen und Rechtsphilosophen.