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Bundesverfassungsgerichts keine praktische Bedeutung. Am Allgemeinheitsgebot ist bislang noch nicht eine einzige Norm gescheitert.880
Insgesamt ist den Stimmen in der Literatur Recht zu geben, die das Regelungsverfahren als einziges und entscheidendes Kriterium des Gesetzesbegriffs unter
dem Grundgesetz ansehen.881 Trotz der Regelung in Art. 19 I S. 1 GG liegt dem
Grundgesetz ein formalisierter Gesetzesbegriff zugrunde. Die Gedanke einer Allgemeinheit des Gesetzes wird nicht zu einem umfassend geltenden und kontrollfähigem rechtlichen Merkmal aufgewertet.
Zu Beginn der Untersuchung wurde aufgezeigt, welche Bilder des Gesetzgebers in der Philosophiegeschichte dominierten. Welche Vorstellung der Legislative »transportiert« dann der aktuelle formalisierte Gesetzesbegriff?
Ein solches Gesetzesverständnis setzt der Legislative nur einen äußeren Rahmen, die inhaltliche Entscheidung liegt allein in den Händen des Parlaments. Ein
derartiges Verständnis drückt ein »Vertrauen« in den Gesetzgeber aus. Ein formalisiertes Gesetzesverständnis betont die Organsouveränität des Parlaments. Es
vermittelt die Botschaft, dass sich die Verfassungsgeber bewusst dafür entschieden haben, den gesetzlichen Vertretungskörperschaften eine umfassende inhaltliche Entscheidungskompetenz zu übertragen.882
II. Gesetzgebungsverfahren
Die kurzen Ausführungen zum dualistischen Gesetzesverständnis im 19. Jahrhundert deuteten bereits an, dass der Definition des Gesetzes innerhalb der Staatsrechtslehre eine zentrale Bedeutung beigemessen wurde. Mit Hilfe des Gesetzesbegriffes sollten »Machtsphären« voneinander abgegrenzt werden. Innerhalb des
Konstitutionalismus standen sich Monarch und aufstrebendes Bürgertum als
»Kontrahenten« gegenüber. Wie bereits ausgeführt, besteht diese Dichotomie unter dem Grundgesetz nicht mehr. Der Bundestag ist, um eine Formulierung von
Konrad Hesse aufzugreifen, der institutionelle Mittelpunkt des politischen Lebens der Bundesrepublik und damit das »besondere Organ«, dem die Entscheidung über die grundlegenden Fragen des Gemeinwesens anvertraut ist.883
Auch wenn unter dem Grundgesetz eine Definition des Gesetzes weiterhin notwendig erscheint, so hat doch die Auseinandersetzung um die Konkretisierung
dieses Begriffs im »modernen« Verfassungsrecht an Schärfe verloren. Die Frage,
wie der Gesetzesbegriff unter dem Grundgesetz zu bestimmen ist, steht in der
880 Vgl. Dreier: in: Dreier, GG – Kommentar, Band I, 2. Auflage, 2004, Art. 19 Rn.9; Huber:
in v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 2005, Art. 19 Rn. 6.
881 Vgl. Achterberg, Kriterien des Gesetzesbegriffs unter dem Grundgesetz, DÖV 1973, 289,
297.
882 Vgl. so auch Achterberg, Kriterien des Gesetzesbegriffs unter dem Grundgesetz, DÖV
1973, 289, 297.
883 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn.
574.
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neueren öffentlich–rechtlichen Literatur nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses. Aktuelle Grundgesetz-Kommentare verweisen lediglich auf die schon älteren
Monographien von Böckenförde,884 Roellecke885 und Starck.886 Neuere Aufsätze
fehlen, die Kontroverse um ein formelles oder inhaltliches Gesetzesverständnis
hat an Intensität verloren.
Dieser Befund lässt sich damit erklären, dass in der öffentlich-rechtlichen Diskussion ein Perspektivenwechsel stattgefunden hat. Unter der frühen Geltung des
Grundgesetzes war das Gesetz als »Produkt« Anknüpfungspunkt für umfassende
Überlegungen. So wird beispielsweise von Starck im Staatslexikon zum Begriff
»Gesetzgebung« ausgeführt:
»Nach einer älteren, heute noch fortwirkenden Bedeutungsschicht ist Gesetzgebung
in erster Linie das bewusste und planmäßige Setzen von Recht. Nicht das Verfahren,
sondern das Ergebnis dieses Verfahrens, die erlassenen Gesetze, stehen im Vordergrund«.887
Die Dogmatiker betrachteten die Gesetzgebung ergebnisorientiert, im Mittelpunkt stand die »fertige« Norm. Dem Verhältnis zwischen dem Gesetzgebungsverfahren und dessen Ergebnis wurde nur wenig Beachtung geschenkt.
Diese Betrachtungsweise der Staatsfunktion Gesetzgebung hat sich jedoch
zunehmend verändert. Nicht mehr das Gesetz selbst, sondern das Gesetzgebungsverfahren wird als der entscheidende Faktor im Bereich des Rechts eingeordnet.888 Die Tätigkeit der Legislative wird mehr und mehr aus einer prozeduralen
Perspektive heraus wahrgenommen. In die rechtliche Dogmatik hat die Überlegung Eingang gefunden, dass der Inhalt des Gesetzes untrennbar mit seinem
Erzeugungsverfahren zusammenhängt.889
884 Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 1981.
885 Roellecke, Der Begriff des positiven Gesetzes und das Grundgesetz, 1969.
886 Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970.
887 Vgl. Starck, Stichwort »Gesetzgebung« in: Staatslexikon, Band 2, 1986, Sp. 1003.
888 Vgl. Schmidt–Aßmann, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts,
in: Lerche/Schmitt-Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, 1, 31 ff., dies aufgreifend v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung,
2000, 55, nach dessen Ansicht die traditionelle Rechtswissenschaft zu Unrecht Gesetz und
Verordnung weitgehend isoliert von den rechtlichen Verfahren betrachtet hat. Dezidiert
auch Karpen, der ausführt, dass am Beginn jeder Behandlung der Normenlehre die
Erkenntnis stehe, dass es »das« Gesetz nicht mehr gebe. Eine Diskussion allein um den
Gesetzesbegriff werde nicht mehr geführt, vielmehr rückten Gesetzgebung und Gesetzesanwendung im Rahmen einer umfassenden juristischen Regelungstheorie näher zusammen. Vgl. Karpen, in: Karpen, Zum gegenwärtigen Stand der Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, 377, 380.
889 Vgl. Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des GG, 1979, 206;
Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1998, 178.
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1. Zunehmende Etablierung der Gesetzgebungslehre
So etabliert sich in zunehmendem Maß eine Gesetzgebungswissenschaft.890 Peter
Noll führt in seinem grundlegenden Werk »Gesetzgebungslehre« von 1973 aus,
dass die Rechtswissenschaft die Gesetzgebung bislang vernachlässigt habe. Eine
spekulative Staatsphilosophie habe den Gesetzgeber in unerreichbare Höhen hinaufdefiniert. Es sei eine Lehre der Gesetzgebung notwendig, die Kriterien und
Richtlinien zur rationalen891 Normgebung und Gestaltung erarbeite.892
Diese Forderung wurde aufgegriffen; es entwickelte sich eine Wissenschaft
vom Gesetzgeber, dem Gesetzgebungsverfahren und dem Gesetz als Produkt.893
890 Vgl. Karpen, in: Karpen, Zum gegenwärtigen Stand der Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, 371, 374; Mertens, Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikationen, 2004, 4; Müller, Elemente einer Rechtsetzungslehre, 1999, 25 ff; Müller, Inhalt
und Formen der Rechtsetzung als Problem der demokratischen Kompetenzordnung, 1979,
1; Schäffer, Über Möglichkeit, Notwendigkeit und Aufgaben einer Theorie der Rechtsetzung, in: Schäffer, Theorie der Rechtsetzung, 1988, 11, 17.
891 Zum Begriff der Rationalität vertiefend Fischer, Rationalisierung in der Gesetzgebung,
1985; Garrn, Zur Rationalität rechtlicher Entscheidungen, Stuttgart 1986, Schäffer, Rationalisierung der Rechtssetzung, in: Schäffer, Theorien der Rechtsetzung, 1988, 199 ff.
892 Vgl. Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, 9 ff.; prägnant formuliert Arthur Kaufmann, dass es
unter der Herrschaft des Naturrechts keiner besonderen Gesetzgebungslehre bedurfte. Das
positive Recht wurde aus dem natürlichen Recht durch rein logische Schlüsse abgeleitet.
Auch unter der Herrschaft des Rechtspositivismus galt die Gesetzgebung nicht als Gegenstand der Wissenschaft, sondern als solcher der Politik. Damit war eine wissenschaftliche
Lehre von der Gesetzgebung ebenfalls per definitionem ausgeschlossen. Beide Extrempositionen verhinderten folglich die Entwicklung einer Gesetzgebungstheorie. Vgl. Kaufmann, Rechtsphilosophie, 2. Auflage, 1997, 16. Auch Eichenberger führt aus, dass ein
ungeheures Vertrauen und Zutrauen zum Gesetzgeber bestehe. Man glaubt (unbegründeterweise: Anm. der Verf.) anscheinend noch immer an beinahe unbegrenzte Fähigkeiten
und die gesicherte Bonität der gesetzgebenden Organe. Vgl. Eichenberger, Gesetzgebung
im Rechtsstaat, VVDStRL 40 (1982), 7, 13; in diese Richtung ebenfalls Karpen, in: Karpen, Zum gegenwärtigen Stand der Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland,
1998, 374; Merten, Optimale Methodik der Gesetzgebung als Sorgfalts- oder Verfassungspflicht, in: Hill, Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1988, 81, 82; Morand, Die
Erfordernisse der Gesetzgebungsmethodik und des Verfassungsrechts im Hinblick auf die
Gestaltung der Rechtsvorschriften, in: Maihofer/Grimm, Gesetzgebungstheorie und
Rechtspolitik, 1988, 11, 27; Öhlinger, in: Öhlinger, Methodik der Gesetzgebung 1982, 1, 4.
893 Karpen definiert die Gesetzgebungslehre als eine Disziplin, die sich reflexiv mit den Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlicher Aufarbeitung und Vermittlung von Kenntnissen
über Gesetzgebung beschäftigt. Er unterscheidet verschiedene Arbeitsbereiche: Gesetzgebungsanalytik, Gesetzgebungstaktik, Gesetzgebungsmethodik und Gesetzgebungstechnik. Die vorliegende Untersuchung nimmt auf die Gesetzgebungsmethodik Bezug. Dieses
Arbeitsfeld der Gesetzgebungslehre zeichnet sich nach Ansicht Karpens dadurch aus, dass
es sich mit den rechtspolitischen und entscheidungstheoretischen Überlegungen bei der
Gesetzgebung beschäftigt. Überlegt wird, wie »gute«, »richtige«, »vollkommene« Gesetze
zustande kommen. Vgl. Karpen, in: Karpen, Zum gegenwärtigen Stand der Gesetzgebung
in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, 373. Diese Einteilung der Aufgabenbereiche
findet sich im Ansatz bereits bei Schäffer, Über Möglichkeit, Notwendigkeit und Aufgaben
einer Theorie der Rechtsetzung, in: Schäffer, Theorie der Rechtsetzung, 1988, 11, 33 ff.
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Ausgangspunkt dieses neuen Zweigs des öffentlichen Rechts war die Überlegung, dass die demokratische Legitimation des Gesetzgebers diesen nicht zu irrationalen Entscheidungen ermächtige. Auch der gesetzgeberische Beschluss sei
Ergebnis einer Informationsverarbeitung, und in einem solchen Prozess stellten
sich Fragen, die einem rationalen Diskurs und damit auch einer wissenschaftlichen Analyse zugänglich seien.894 Als regulative Idee gelte, dass wir nicht ein
Parlament wählten, um schlechtere, sondern um bessere Gesetze zu erhalten.895
Eine »Besonderheit« der Gesetzgebungslehre896 besteht hierbei darin, dass sie
sich im Schnittpunkt von Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft und Sozialwissenschaften befindet.897 Wie schon bei der Erörterung des Gesetzesbegriffs
aufgezeigt, kann und muss Gesetzgebung aus verschiedenen Perspektiven
betrachtet werden. Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung ist es, die Verbindungen zwischen Gesetzgebung und politischer Philosophie, genauer formuliert: zwischen Gesetzgebung und normativer Ethik, zu betrachten. Die zahlreichen Verknüpfungen zu den anderen Wissenschaftsbereichen können nur am
Rand aufgezeigt werden.
Unter dem »Dach« der Gesetzgebungswissenschaft wurden und werden zahlreiche Reformvorschläge für eine bessere Gesetzgebung entwickelt. Im Rahmen
der weiteren Untersuchung steht insbesondere ein umstrittener Ansatz innerhalb
der Gesetzgebungslehre im Mittelpunkt der Betrachtung: die Forderung nach
einem inneren Gesetzgebungsverfahren.
Bereits innerhalb der Urteilsanalyse wurde aufgezeigt, dass Stimmen in der
Literatur eine Verbindungslinie zwischen dieser Forderung und den aktuellen
Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts zum Länderfinanzausgleich ziehen.
Indem das Gericht den Finanzgesetzgeber an zusätzliche Verfahrensanforderungen bindet, scheint es die Idee eines inneren Gesetzgebungsverfahrens aufzugrei-
894 Vgl. Öhlinger, in: Öhlinger, Methodik der Gesetzgebung 1982, 1.
895 Vgl. Öhlinger, in: Öhlinger, Methodik der Gesetzgebung 1982, 1.
896 Stimmen in der Literatur bevorzugen gegenüber dem Begriff der Gesetzgebungslehre die
Bezeichnung Rechtsetzungslehre. Letztere zeige deutlicher auf, dass sich dieser Wissenschaftszweig mit Problemen der Rechtsetzung als Staatsfunktion, also mit Normen jeder
Art und Stufe beschäftige. Vgl. Müller, Elemente einer Rechtsetzungslehre, 1999, 1;
Schäffer, Über Möglichkeit, Notwendigkeit und Aufgaben einer Theorie der Rechtsetzung,
in: Schäffer, Theorie der Rechtsetzung, 1988, 11, 13 ff. In der vorliegenden Untersuchung
wird dennoch der Begriff der Gesetzgebungslehre verwandt, da dieser sich in der aktuellen
Literatur durchzusetzen scheint.
897 Vgl. Öhlinger, in: Öhlinger, Methodik der Gesetzgebung 1982, 4. Seiner Ansicht nach
muss sich die Gesetzgebungswissenschaft vor allem den Sozialwissenschaften gegenüber
öffnen und die Kooperation suchen. In diese Richtung ebenfalls Badura, Die Parlamentarische Volksvertretung und die Aufgabe der Gesetzgebung, ZG 1987, 301, 305; Kaufmann,
Rechtsphilosophie, 2. Auflage, 1997, 18. Die Interdisziplinarität und Internationalität der
Gesetzgebungslehre wird betont von Karpen, in: Karpen, Zum gegenwärtigen Stand der
Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, 372; Schäffer, Über Möglichkeit,
Notwendigkeit und Aufgaben einer Theorie der Rechtsetzung, in: Schäffer, Theorie der
Rechtsetzung, 1988, 11, 13.
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fen.898 Die Rezeption des Maßstäbe-Urteils gibt folglich Anlass, sich vertieft
gerade mit diesem speziellen Ansatz innerhalb der Gesetzgebungslehre zu
beschäftigen.
Die weitere Darstellung gliedert sich in folgende Schritte auf. Ehe genauer auf
die Figur des inneren Gesetzgebungsverfahrens selbst eingegangen wird, soll aufgezeigt werden, warum die Forderung nach Reformen der Gesetzgebung berechtigt sein könnte. Das Grundgesetz stellt nur in den Art. 76 ff. GG Regeln für die
Gesetzgebung auf. Umstritten ist, ob dieser Normenkomplex eine planwidrige
Regelungslücke enthält. Die Auseinandersetzung hierüber ist methodischer Ausgangspunkt für die verschiedenen Reformansätze der Gesetzgebungswissenschaft.
In einem nächsten Schritt wird dann der Begriff des inneren Gesetzgebungsverfahrens näher skizziert. Aufzuzeigen ist, welche Forderungen an das Parlament sich hinter diesem »Schlagwort« verbergen. Es folgen Ausführungen zu der
eigentlichen Kontroverse um den (rechtlichen) Charakter eines inneren Gesetzgebungsverfahrens. Handelt es sich um Pflichten für den Gesetzgeber, die aus der
Verfassung abgeleitet werden können, oder um bloße Vernunftgebote?899
2. Lückenhafte Regelung in Art. 76 ff. GG
Einigkeit besteht in der öffentlich- rechtlichen Dogmatik darüber, dass das
Grundgesetz nur wenige ausdrückliche Aussagen zum Gesetzgebungsverfahren
enthält. Allein die Art. 76 ff. Grundgesetz sind als verfassungsrechtliche Vorgabe
vorhanden. Diese Normen sind einziger Anknüpfungspunkt für die Frage nach
dem »Wie« der Gesetzgebung.
Sie regeln nur einen Ausschnitt des Entscheidungsprozess. In der Literatur
wird übereinstimmend festgestellt, dass das Grundgesetz lediglich Vorgaben für
das Gesetzgebungsverfahren im engeren Sinn beinhaltet. Die Art. 76 ff. GG
beschäftigten sich nur mit den Schritten, die sich direkt auf die Entscheidung des
Parlaments bezögen, wie beispielsweise der Gesetzesinitiative und dem
898 Vgl. 1. Teil, II, 3., c).
899 In der öffentlich-rechtlichen Literatur wird statt des Begriffs »Vernunftgebot« oftmals der
Begriff des Klugheitsgebots verwendet. Dieser erscheint jedoch im Hinblick auf den parlamentarischen Gesetzgeber nicht passend, weil »Klugheit« sich auf die Überlegungen
eines Individuums bezieht. Der Begriff der Vernunft hingegen hat einen weiteren Anwendungsbereich, ist nicht mit der Vorstellung individueller, persönlicher Entscheidungen verknüpft, Vgl. hierzu Höffe, Ethik und Politik, 4. Auflage, 1992, 187. Kant versteht unter
der Klugheit im engsten Sinn die Geschicklichkeit der Wahl der Mittel zu seinem eigenen
größten Wohlsein (Kant, Akademie Ausgabe, Band 4, 416. Klugheit ist von Pragmatik
geprägt, sie ist das Mittel bzw. der Weg, um Ziele im Leben erreichen zu können (vgl.
hierzu Pieper, Das Viergespann: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mass, München
1964, 24). Demgegenüber ist die Vernunft »objektiver«, losgelöst von den Neigungen des
Einzelnen.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
In seiner Entscheidung zum Länderfinanzausgleich hat das Bundesverfassungsgericht 1999 auf eine rechtsphilosophische Figur, John Rawls’ berühmten „Schleier des Nichtwissens“, zurückgegriffen. Dieser „Schleier“ ist in Rawls’ Werken Teil eines fiktiven Urzustands und bewirkt, dass die Entscheidungsträger ihre eigenen Interessen nicht kennen. Wenig beachtet wurde jedoch der Umstand, dass Rawls auch im Bereich der idealen Gesetzgebung auf diese Gedankenfigur verweist.
Die Arbeit setzt sich zunächst intensiv mit diesen Textpassagen auseinander, um in einem nächsten Schritt zu untersuchen, inwieweit Gesetzgebung unter dem Grundgesetz mit dem Gedanken eines unparteilichen Abgeordneten vereinbar ist.
Das Werk richtet sich an Verfassungsjuristen und Rechtsphilosophen.