232
rechten.957 Damit führt das Argument des Grundrechtsschutzes wieder zurück zu
der Frage, ob sich ein Abwägungsgebot letztlich aus diesen Strukturprinzipien
heraus begründen lässt.
Schließlich ist auch aus systematischen Gründen den kritischen Stimmen in der
Literatur zuzustimmen. Das Grundgesetz selbst teilt sich in Grundrechtsteil und
Organisationsstatut auf. Auch wenn diese Abschnitte nicht streng isoliert nebeneinander stehen, so können die Grundrechte nur bedingt als »Interpretationsmaterial« für den Bereich der Gesetzgebung herangezogen werden. Der Gedanke der
Einheit der Verfassung würde hierdurch überstrapaziert werden; jegliche Unterscheidung zwischen Bürger-Staat-Verhältnis einerseits und innerstaatlicher Organisation andererseits würde aufgehoben.
Insgesamt können zusätzliche Verfahrensanforderungen nicht überzeugend
aus dem Grundgesetz in seiner jetzigen Fassung abgeleitet werden. Weder der
Gedanke des Grundrechtschutzes noch Rechtsstaats- und Demokratieprinzip
können allein eine Methode der Entscheidungsfindung als Verfassungspflicht
legitimieren. Selbst wenn sich ein unbenannter Verfassungsgrundsatz mit dem
Inhalt »Rationalität im Gesetzgebungsverfahren« ableiten ließe, wäre dieser zu
allgemein und vage. Er bedürfte einer Konkretisierung und Ausgestaltung.958
6. Bedenken gegenüber einer solchen Verfassungsinterpretation
Bevor in der abschließenden Stellungnahme auf die Frage eingegangen wird, auf
welchem Weg zusätzliche Verfahrensanforderungen an den Gesetzgeber institutionalisiert werden könnten, ist zu überlegen, ob sich aus der Systematik des
Grundgesetzes nicht auch gewichtige Bedenken gegen ein inneres Gesetzgebungsverfahren ergeben. Möglicherweise stellt die Idee einer Methodik der Gesetzgebung einen »Fremdkörper« innerhalb der Verfassung dar. Der Versuch, das
innere Gesetzgebungsverfahren mit Hilfe des Demokratieprinzips zu legitimieren, hat bereits die »Achillesferse« dieses Reformansatzes aufgezeigt. Zusätzliche Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren könnten unvereinbar mit der
Theorie der Spielräume sein.
a) Theorie der Spielräume959
Diese Theorie besagt abstrakt, dass der Gesetzgeber bei seiner Tätigkeit einen
Gestaltungsspielraum besitzt; er ist in seinem Handeln nicht vollständig determi-
957 Vgl. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976, 198, v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 185.
958 Vgl. Lücke, Die allgemeine Gesetzgebungsordnung, ZG 2001, 1, 36.
959 Diese Bezeichnung lehnt sich an die Ausführungen von Robert Alexy an. Er fordert im
Hinblick auf das Verhältnis von Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit sowie
im Verhältnis von Verfassungsgericht und Gesetzgeber eine Dogmatik der Spielräume.
233
niert. Für eine solche Sichtweise kann angeführt werden, dass der Gesetzgeber
nach der Systematik des Grundgesetzes über eine herausgehobene Stellung verfügt. Das Parlament als oberstes Staatsorgan ist den anderen Organen vorgeordnet.960 Anders als Verwaltung und Judikative ist die Gesetzgebung nur an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden (Art. 20 III GG).
Auch das Bundesverfassungsgericht führt (nicht nur im Urteil zum Maßstäbegesetz) aus, dass der Gesetzgeber die unbestimmten Normen der Verfassung konkretisieren soll.961 An früherer Stelle der Untersuchung wurde bereits auf den
Begriff der Verfassungskonkretisierung eingegangen. Der Gesetzgeber soll die
Verfassung ausschöpfen und ausfüllen, jedoch auch anreichern und fortbilden.
Die Theorie der Spielräume betont den Vorrang des Gesetzgebers gegenüber
den nachfolgenden Ebenen der Rechtsordnung. Sie versteht folglich dass Demokratieprinzip derart, dass dem Gesetzgeber mit den Art. 76 ff. GG bewusst ein
weiter, kontrollfester Gestaltungsrahmen gesetzt wird.
aa) Arten von Spielräumen
Der Begriff des Gestaltungsspielraums ist mehrdeutig. Die folgende Darstellung
orientiert sich an den Ausführungen von Raabe, der zwischen Einschätzungsspielräumen und normativen Spielräumen unterscheidet.962 Raabe selbst beschäftigt sich umfassend mit der ersten Kategorie und untersucht die Grenzen empirischer Erkenntnis im Bereich der Grundrechte.963
Wendet man die Theorie der Spielräume auf die Gesetzgebung an, so besteht
im Bereich des Gesetzgebungsverfahrens ein normativer Spielraum. Ein solcher
960 Eine solche Theorie habe ihren Schwer- und Ausgangspunkt im Bereich der Grundrechte,
reiche aber über diesen hinaus. Vgl. Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, VVDStRL 61 (2002), 8, 13 ff. Vgl. zum
Begriff des Spielraums als Terminus der (theoretischen) Philosophie, Knebel, Stichwort
»Spielraum« in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 9, 1995, Sp. 1390 ff.
960 Vgl. Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, 95.
961 Es verwendet hierbei auch den schlichten Begriff des Spielraums (BVerfGE 89, 214 (234);
BVerfGE 90, 128 (143)), jedoch ebenfalls zahlreiche verwandte Ausdrücke, wie zum Beispiel Anpassungsspielraum (BVerfGE 56, 54 (82)); Handlungsspielraum (BVerfGE 39,
210 (225)); Bewertungsspielraum (BVerfGE 99, 341 (353)). Die Terminologie erscheint
auf den ersten Blick verwirrend. Vgl. vertiefend und mit weiteren Nachweisen Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit,
VVDStRL 61 (2002), 8, 15 und Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 251 ff.
962 Vgl. Raabe, Grundrechte und Erkenntnis, 1998, 475 ff. Raabe nimmt im Rahmen seiner
Ausführungen noch feinere Differenzierungen vor. So unterscheidet er im Bereich normativer Spielraume für den Gesetzgeber Abwägungs- und Differenzierungsspielräume. Auch
setzt er sich kurz mit den Spielräumen von Exekutivorganen und dem Interpretationsspielraum der Fachgerichte auseinander.
963 Er setzt sich intensiv mit dem Verhältnis von Grundrechten und Demokratie im Fall von
derartigen Erkenntnisproblemen auseinander, vgl. Raabe, Grundrechte und Erkenntnis,
1998.
234
liege dort vor, wo die definitive materielle Normativität der Verfassung ende, es
entstünden strukturelle Spielräume.964 Alles, was das Grundgesetz freistelle, liege
im alleinigen Entscheidungsbereich des Gesetzgebers.965
Wie an anderer Stelle aufgezeigt, schreibt die Verfassung mit den Art. 76 ff.
GG nur das äußere Gesetzgebungsverfahren fest Dies führte zu der Folgefrage,
ob das Grundgesetz in diesem Bereich eine planwidrige Regelungslücke enthält.
Nach der Theorie der Spielräume handelt es sich um ein bewusstes Schweigen der
Verfassung. Das Grundgesetz will dem Gesetzgeber bei seiner Tätigkeit Gestaltungsfreiheit einräumen.
Der Gedanke eines normativen Spielraums stellt damit eine Gegenkonzeption
zu der Figur des inneren Gesetzgebungsverfahrens dar.966 Die Befürworter einer
solchen Gestaltungsfreiheit setzen sich intensiv mit dem Verhältnis von Politik
und Gesetzgebung auseinander.
bb) Gesetzgebung als politische Entscheidung
Für einen normativen Spielraum des Gesetzgebers spricht, dass dem Gesetz als
staatlicher Handlungsform kein Eigenwert zukommt. Es wird von dem parlamentarischen Gesetzgeber nicht die einzig richtige Entscheidung verlangt. Würde
man eine solche Funktion des Gesetzes annehmen, so käme der Legislative keinerlei Spielraum, keinerlei politische Entscheidungsmacht zu. Eine solche Determination gesetzlichen Handelns wird jedoch nicht einmal von den »klassischen«
Naturrechtstheorien angenommen. Dem Gesetzgeber wird auch dort zumindest
ein Umsetzungsspielraum eingeräumt. Das Naturrecht besitzt eine Allgemeinheit
(negativ: Unbestimmtheit, positiv: Offenheit). Den menschlichen Gesetzgeber
trifft folglich eine Interpretationspflicht, will er naturrechtliche Gebote in positive Gesetze umsetzen. Besonders deutlich wird diese Eigenart des Naturrechts
beispielsweise in den Ausführungen Thomas von Aquins. Wie bereits im zweiten
Teil der Untersuchung ausgeführt, entwickelt er eine Gesetzeshierarchie, in der
das menschliche Gesetz (Lex humana seu positiva) durch Schlussfolgerung (conclusio) oder durch nähere Bestimmung (determinatio) aus dem Naturrecht (Lex
naturalis) gewonnen wird. Die Lex naturalis enthält jedoch in seiner Konzeption
nur allgemeine Prinzipien.967 Es besteht deshalb auf der Ebene der menschlichen
964 Vgl. Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, VVDStRL 61 (2002) 8, 16.
965 Vgl. Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, VVDStRL 61, (2002) 8, 14.
966 Vgl. Badura, Die parlamentarische Volksvertretung und die Aufgabe der Gesetzgebung,
ZG 1987, 301, 309; ähnlich Ossenbühl, der allgemein davon spricht, dass Gestaltungsfreiheit und Rechtsbindung in einem prinzipiellen Gegensatz stehen. Siehe auch Ossenbühl,
Abwägung im Verfassungsrecht, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/Schulte, Abwägung im
Recht, 1995, 25, 25.
967 Vgl. v. Aquin, Summa Theologica, Deutsche Thomas- Ausgabe Band 17b, 1966, I II 94,
4 Antwort.
235
Gesetze ein eigener Freiheitsspielraum. Die Menschen können eigenständige
Handlungsurteile treffen. Dies verdeutlicht Thomas mit dem Hinweis darauf,
dass bei verschiedenen Völkern verschiedene positive Gesetze existieren.968
Bei der Gesetzgebung handelt es sich folglich immer auch um eine politisch
geprägte Entscheidung.969 Das Staatsrecht ist insgesamt in hohem Maß mit der
Politik verknüpft. Das zweckbezogene und politische Element lässt sich aus der
Staatsrechtslehre nicht eliminieren.970 Konrad Hesse charakterisiert die legislative Tätigkeit wie folgt: »Im Rahmen der demokratischen Ordnung ist Gesetzgebung Form politischer Willensbildung«.971
cc) Gesetzgebungsverfahren als Rahmen
Aufgabe des Gesetzgebungsverfahrens ist es dann allein, den politischen Entscheidungsprozess zu »zähmen«.972 Das Grundgesetz selber garantiert mit den
Art. 76 ff. GG, dass der Gesetzgeber nicht völlig frei agieren kann, sondern an einen äußeren Ablauf gebunden ist. Auch wenn es sich hierbei nur um einen sehr
weiten Rahmen handelt, so gewährleisten diese Regelungen doch bereits eine gewisse inhaltliche Güte des Gesetzes. Durch das im Grundgesetz vorgesehene Verfahren wird das Gesetz zu einem Instrument, das politisch organisierte und parlamentarisch vertretene Minderheiten schützt.973
dd) Gleichgewicht / Wechselwirkung von Politik und Recht
Nach der Theorie der Spielräume setzt sich die Gesetzgebung aus rechtlichen und
politischen Elementen zusammen. Die Art. 76 ff. GG geben bewusst nur eine
Rahmenregelung vor, innerhalb derer der Gesetzgeber eine politische Gestaltungsfreiheit besitzt. Die Systematik des Grundgesetzes scheint Rücksicht auf die
Eigengesetzlichkeiten der Politik zu nehmen
Diejenigen Stimmen in der Literatur, die ein inneres Gesetzgebungsverfahren
als Verfassungspflicht ablehnen, folgen einem solchen Verfassungsverständnis.
Der Gesetzgeber besitze unter dem Grundgesetz unbestritten eine politische
968 Vgl. v. Aquin, Summa Theologica, Deutsche Thomas- Ausgabe Band 17b S. th. I II 95,3 ad 4.
969 Vgl. Starck, Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, 169, 175.
970 Vgl. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 1981, 385.
971 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1999, Rn.
503.
972 Vgl. ähnlich v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 55.
973 Vgl. ähnlich Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des GG,
1979, 181; v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 202.
236
Gestaltungsfreiheit.974 Alle Vorschläge, die dem Gesetzgeber einen Kanon von
verfassungsrechtlichen Verfahrens- und Rationalitätspflichten auferlegen wollen,
seien unpolitisch und deshalb zur angemessenen Erfassung des zumindest auch
politischen Gegenstandes der Gesetzgebung ungeeignet.975 Eine strikte Verrechtlichung des Gesetzgebungsverfahrens trage den Eigengesetzlichkeiten des
Gesetzgebungsprozesses als eines politischen Prozesses nicht ausreichend Rechnung.976 Es gebe keinen Abschnitt der Gesetzgebung, der vom Politischen frei sei.
Das Politische sei gleichsam der Faktor, der vor der Klammer all dessen stehe,
was im Detail der Gesetzgebung geschehe.977
Die Frage, ob das innere Gesetzgebungsverfahren wirklich jegliche Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers aufhebt, kann jedoch nur schwer auf einer derart
abstrakten Ebene beantwortet werden. Die Auseinandersetzung um die Reichweite gesetzgeberischer Spielräume gewinnt an Kontur, wenn man verschiedene
Aspekte eines inneren Gesetzgebungsverfahrens getrennt erörtert. Die vorliegende Untersuchung versucht deshalb, die Auseinandersetzung innerhalb der
öffentlich-rechtlichen Dogmatik zu strukturieren. Hierdurch soll der Gegensatz
zwischen einer Theorie der Spielräume einerseits und der Forderung nach einer
Methodik der Entscheidungsfindung andererseits verdeutlicht werden.
1. Vorbild für das innere Gesetzgebungsverfahren: Widerspricht es der besonderen Stellung des Gesetzgebers, wenn Parallelen zu Planungsermessen und
Verwaltungsermessen gezogen werden?
2. Ziel des inneren Gesetzgebungsverfahrens: Widerspricht die Idee einer optimalen Gesetzgebung der Vorstellung von Spielräumen?
3. Konsequenzen des inneren Gesetzgebungsverfahrens: Führen zusätzliche
Verfahrensanforderungen dazu, dass das Bundesverfassungsgericht eine
Vormachtstellung erlangt?
b) Vorbild: Bauplanungsrecht
Wie dargestellt, fordert Schwerdtfeger einen mehrstufigen transparenten Abwägungsprozess ein. Der parlamentarische Gesetzgeber soll bei seiner Entscheidungsfindung Heranziehungs-, Aufbereitungs- und Gewichtungspflichten unterliegen. Das Abwägungsgebot im Bauplanungsrecht ist Vorbild für die Figur des
974 An dieser Stelle kann dahingestellt bleiben, ob zwischen der Verfassungsbindung des
Gesetzgebers und der Gesetzesbindung von Rechtsprechung und Verwaltung nur ein quantitativer oder ein qualitativer Unterschied besteht, vgl. hierzu Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 76.
975 Vgl. Schuppert, Gute Gesetzgebung, ZG – Sonderheft 2003, 13.
976 Vgl. Schuppert, Gute Gesetzgebung, ZG – Sonderheft 2003, 17,
977 Vgl. Zeh, Impulse und Initiativen zur Gesetzgebung, in: Schreckensberger (Hrsg.),Grundfragen der Gesetzgebungslehre, 2000, 32, 36.
237
inneren Gesetzgebungsverfahrens. Kontrovers diskutiert wird, ob diese dem Bauplanungsrecht entnommene Struktur auf die Gesetzgebung übertragbar ist.
aa) Verwaltung und Gesetzgebung als Kategorien
Die Gegner eines inneren Gesetzgebungsverfahrens betonen, dass es sich bei Planungsermessen und Gesetzgebungsermessen978 um unterschiedliche Kategorien
handele. Bauplanungsrechtliche Strukturen können für den Bereich der Gesetzgebung keine Vorbildwirkung entfalten.979 Das Abwägungsgebot im Bauplanungsrecht besitzt eine Verpflichtungsfunktion, da es die Ausübung von Gestaltungsfreiheit an die gerechte Abwägung aller Belange binde.980 Würde eine solche Figur in den Bereich der Gesetzgebung übertragen, untergrabe dies die Vorrangstellung der Legislative. Die Tätigkeit eines Gesetzgebers darf nicht mit der
Tätigkeit eines kommunalen Satzungsgebers verglichen werden.
Das Abwägungsgebot im Bauplanungsrecht richtet sich an die Verwaltung und
will einen besonders flexiblen und dem Einzelfall gerecht werdenden Interessenausgleich garantieren.981 Die Gemeinde entscheidet über einen Bebauungsplan,
der nur auf einem überschaubaren Gebiet Geltung besitzt und letztlich den Sonderinteressen des Satzungsgebers »Gemeinde« dient. Der Gesetzgeber hingegen
trifft eine Entscheidung über ein Gesetz, welches einen wesentlich größeren Geltungsbereich besitzen kann. Da der Bebauungsplan eine räumlich begrenzte Wirkung besitzt, kann es dem Satzungsgeber »Gemeinde« zugemutet werden, alle
betroffenen Interessen gegeneinander abzuwägen. Dagegen besitzen Gesetze
meist einen weiten Anwendungsbereich. Gesetzgeber und Satzungsgeber agieren
auf verschiedenen Rechtsebenen; die Tätigkeit des Parlaments besitzt hierbei
eine wesentlich höhere Komplexität.
978 Vgl. hierzu grundlegend, Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 260 ff.
979 Vgl. Badura, Das normative Ermessen beim Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen, GS W. Martens, 1987, 25, 30; Ossenbühl, Richterliches Prüfungsrecht und Rechtsverordnungen, FS H. Huber, 1981, 283, 286 ff.
980 Vgl. Johannes Dreier, Die normative Steuerung der planerischen Abwägung, 1995, 42.
981 Vgl. Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, 3. Auflage, 2004, § 5 Rn. 9.
238
bb) Gemeinsamer Oberbegriff Planung982
Andere Stimmen in der Literatur hingegen sprechen sich für einen Wechselbezug
zwischen Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht aus.983 Die Entscheidung der
Verwaltung über einen Bebauungsplan sei mit einer Entscheidung über ein Gesetzesvorhaben vergleichbar. Der Blick auf das Planungsrecht wird dementsprechend als hilfreich, als Ertrag versprechend angesehen: »Der vergleichende Blick
auf das Verwaltungsermessen vermag (…) eine erste Orientierungshilfe zu geben,
eine verfassungsrechtliche Begründung jedoch nicht zu ersetzen.«984 »Es gilt,
völlig eigenständige Maßstäbe für das Gesetzgebungsverfahren aus der Verfassung heraus zu entwickeln, die aber durchaus dort, wo es sinnvoll ist, sich an Prinzipien, die in der Verwaltung gelten, orientieren können«.985
Dem Argument, dass die Legislative aufgrund ihrer besonderen Stellung keinem Abwägungsgebot unterliegen dürfte, könnte entgegen gehalten werden, dass
der Gedanke der Abwägung an anderer Stelle bereits Eingang in das Verfassungsrecht gefunden hat. Gesetze, die in Grundrechte eingreifen, müssen verhältnismäßig sein. Dies sind sie nur dann, wenn sie angemessen sind, d.h. der Eingriff
in das Grundrecht nicht außer Verhältnis zum angestrebten Ziel steht. Vom parlamentarischen Gesetzgeber wird insoweit eine Abwägung verlangt. Will er in
geschützte Freiheitssphären des Bürgers eingreifen, so stehen seine Gesetzespläne unter einem »Abwägungsvorbehalt«.
Wie jedoch an anderer Stelle erörtert, hilft der Gedanke des Grundrechtsschutzes nicht weiter. Die Figur des inneren Gesetzgebungsverfahrens knüpft nicht an
den Inhalt von Gesetzen an, sondern zeigt eine Struktur der Entscheidungsfindung auf. Unabhängig von der jeweiligen Materie soll der parlamentarische
Gesetzgeber nachweisen, dass er die einzelnen Stufen der Entscheidungsfindung
durchlaufen hat. Anders als im Bereich der Grundrechte knüpft die Abwägung
nicht am Gehalt des Gesetzes an.
Zudem wird die Abwägung der Grundrechte in der Literatur vor allem aus dem
Blickwinkel der Judikative betrachtet. Abwägung wird, wenn sie sachgerecht und
rational erfolgt, als »hohe Schule« der Jurisprudenz bezeichnet.986 Auch die
rechtstheoretischen Arbeiten von Ronald Dworkin und Robert Alexy betrachten
982 Vgl. hierzu vertiefend Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 288 ff. und Schäffer,
Rationalisierung der Rechtsetzung, in: Schäffer, Theorie der Rechtsetzung, 1988, 199, 206
ff.
983 Vgl. Kloepfer, Abwägungsregeln bei Satzungsgebung und Gesetzgebung, DVBl. 1995,
441, 442 ff; Kloepfer, Wie kann die Gesetzgebung vom Planungs- und Verwaltungsrecht
lernen? ZG 1988, 289 ff.; Mengel, Empfiehlt es sich, die Regeln guter Gesetzgebung
gesetzlich festzulegen? in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, 2001, 115, 119.
984 Vgl. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 319.
985 Vgl. Mengel, Empfiehlt es sich, die Regeln guter Gesetzgebung gesetzlich festzulegen?,
in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, 2001, 115, 120.
986 Vgl. Ossenbühl, Abwägung im Verfassungsrecht, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/
Schulte, in: Abwägung im Recht, 1995, 25, 35.
239
das Entscheidungsverfahren »Abwägung« aus der Richterperspektive.987 Eine
erweiterte Sichtweise deutet sich allein bei Schlink an. Er führt aus, dass die Aufgabe der Abwägung vom Bundesverfassungsgericht wenig differenziert hier dem
Gesetzgeber, dort dem Richter zugewiesen werde.988 Insgesamt darf die inhaltliche Abwägung im Bereich der Grundrechte nicht mit der Diskussion um das
Gesetzgebungsverfahren als Teil des Organisationsrechts vermischt werden.
Für eine Vergleichbarkeit kann vielmehr angeführt werden, dass es sich sowohl
bei der Bauleitplanung als auch bei Gesetzgebung um Planung handelt. Wie
bereits angesprochen, wird auch die Gemeinde rechtsschöpfend tätig und verfügt
folglich ebenfalls über einen Gestaltungsspielraum. Dem Abwägungsgebot im
Bauplanungsrecht wird eine Doppelfunktion zugesprochen. Einerseits besitzt es
eine Ermächtigungsfunktion, indem es die Gestaltungsfreiheit der planenden Verwaltung bestätigt. Andererseits hat es die bereits angesprochene Verpflichtungsfunktion, da es die Ausübung dieser Gestaltungsfreiheit an die gerechte Abwägung aller Belange binde. 989
Der Begriff der Planung stellt die Verbindung zwischen Verwaltungsrecht und
Verfassungsrecht her. Er steht abstrakt für eine eigenschöpferische, maßstabsetzende und anwendende Zweckverwirklichung.990 Planungsnormen geben dem
jeweiligen Entscheidungsträger einen Abwägungsauftrag, er soll einen gerechten
Ausgleich widerstreitender Interessen herbeiführen.991 Diese Form des Interessenausgleichs wird in der Literatur nicht allein dem Bauplanungsrecht zugeordnet.
So stellt beispielsweise Koch fest, dass es bei der Abwägung um eine Methode
der Rechtsfindung handele, die in allen Rechtsgebieten zum notwendigen Handwerkszeug gehöre.992 Die Abwägung wird auch von Stern als ein fester Bestandteil der juristischen Methodenlehre eingeordnet.993 Ähnlich führt Johannes Dreier
in einer Monographie zum bauplanungsrechtlichen Abwägungsgebot aus, dass
987 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, 26. »Die Rechtswissenschaft, so wie sie heute
betrieben wird, ist in erster Linie eine praktische Disziplin, weil die sie leitende Frage
lautet, was in wirklichen oder erdachten Fällen gesollt ist. Diese Frage wird in ihr aus
einer Perspektive gestellt, die der Richterperspektive entspricht. Das heißt weder, daß die
Rechtswissenschaft daneben nicht auch andere Perspektiven einnehmen kann, noch, daß
es in ihr stets unmittelbar um die Lösung konkreter Fälle geht, es heißt aber, daß die Richterperspektive die die Rechtswissenschaft primär charakterisierende Perspektive ist ….«.
988 Vgl. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976, 14.
989 Vgl. Johannes Dreier, Die normative Steuerung der planerischen Abwägung, 1995, 42;
Pfeifer, Regeln und Prinzipien im Bauplanungsrecht, DVBl. 1989, 337, 341.
990 Vgl. Di Fabio, Die Struktur von Planungsnormen, FS Hoppe 2000, 75, 75; Erbguth,
Anmerkungen zum administrativen Entscheidungsspielraum, DVBl. 1992, 398, 403; Erbguth, Anmerkungen zum administrativen Entscheidungsspielraum, DVBl. 1992, 398, 403.
991 Vgl. Di Fabio, Die Struktur von Planungsnormen, FS Hoppe 2000, 75, 78.
992 Vgl. Koch, Normtheoretische Basis der Abwägung, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/
Schulte, Abwägung im Recht, 1995, 9, 9. Vgl. speziell zur Frage des inneren Gesetzgebungsverfahrens Kloepfer, Abwägungsregeln bei Satzungsgebung und Gesetzgebung,
DVBl. 1995, 441, 445.
993 Vgl. Stern, Staatsrecht, Band III/2, 1994, 815.
240
diese Form der Entscheidungsfindung ein allgegenwärtiges Phänomen unserer
Rechtsordnung darstelle. Entscheidungsträger seien vielfach darauf verwiesen,
durch eigenständige, wenngleich rechtlich mehr oder weniger eingebundene
Abwägungsentscheidungen einen Interessenausgleich herbeizuführen.994
cc) Unterscheidung nach Gesetzgebungsmaterien
Zu überlegen ist aber, ob jede gesetzgeberische Entscheidung mit dem Bauplanungsrecht vergleichbar ist. Die Befürworter eines inneren Gesetzgebungsverfahrens fordern zusätzliche Verfahrensregelungen unabhängig von der Gesetzesmaterie. Sie verlangen eine allgemeine Gesetzgebungsordnung. Im Bauplanungsrecht führt die wohl herrschende Meinung in der Literatur den Vorgang der Abwägung methodisch darauf zurück, dass bei Rechtssätzen Konditional- und Finalprogramme unterschieden werden. Die planungsrechtlichen Normen werden
als Finalprogramme eingestuft.995 Diese Normstruktur führt dazu, dass die planende Verwaltung einen Gestaltungsspielraum besitzt, der durch das Abwägungsgebot strukturiert und damit kontrollfähig wird.996 Die Methode der Abwägung
scheint demnach eng mit der finalen Struktur von Normen verknüpft.
Zu überlegen ist, ob der Gesetzgeber, wenn er Gesetze beschließt, immer Zielvorgaben unterliegt. Nur wenn dies zutrifft, erscheint es überzeugend, ihn an ein
allgemeines Abwägungsgebot zu binden. Anderenfalls könnte das Gesetzgebungsverfahren nicht allgemein, sondern nur für bestimmte Gesetzgebungsbereiche anspruchsvoller ausgestaltet werden.
Wie in der Urteilsanalyse zu sehen war, handelt es sich bei den Normen der
Finanzverfassung um final strukturierte Normen. In diesem Bereich wird dem
Gesetzgeber ein zu erreichendes Ziel vorgegeben. Insoweit erscheint die Materie
des Finanzausgleichs tatsächlich mit dem Bauplanungsrecht vergleichbar. Möglicherweise handelt es sich bei der Gesetzgebung im Länderfinanzausgleich deshalb um einen Entscheidungsbereich, bei dem die Forderung nach Abwägungsregeln besonders nahe liegt. Dieser Gedanke wird an späterer Stelle noch einmal
aufgegriffen. Er ist relevant für die Frage, inwieweit es sich bei der Entscheidungsfindung im Finanzausgleich um einen Spezialfall der Gesetzgebung handelt.997
994 Vgl. Johannes, Dreier, Die normative Steuerung der planerischen Abwägung, 1995, 42.
995 Vgl. Di Fabio, Die Struktur von Planungsnormen, FS Hoppe 2000, 75, 82, andere Stimmen
in der Literatur wie beispielsweise Koch, Normtheoretische Basis der Abwägung, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/Schulte, Abwägung im Recht, 1995, 9 ff. sprechen sich hingegen für eine andere normstrukturelle Basis aus. Sie sehen die von Ronald Dworkin und
Robert Alexy entwickelte Unterscheidung in Regeln und Prinzipien als eine vorzugswürdige rechtstheoretische Grundlage an. Vgl. hiezu auch Pfeifer, Regeln und Prinzipien im
Bauplanungsrecht, DVBl. 1989, 337 ff.
996 Vgl. Di Fabio, Die Struktur von Planungsnormen, FS Hoppe 2000, 75, 77.
997 Vgl. 5. Teil der vorliegenden Untersuchung.
241
c) Ziel: Optimale Gesetzgebung
Schwerdtfegers grundlegender Aufsatz zum inneren Gesetzgebungsverfahren
trägt den Titel »Optimale Methodik der Gesetzgebung«. Andere Stimmen in der
Literatur haben diese Forderungen ebenfalls aufgegriffen. Zu überlegen ist jedoch, welche Zielvorstellung der Gedanke einer Optimalität transportiert. Welches Ideal verbirgt sich hinter einer solchen Anforderung an die Gesetzgebung?
Ist dies mit der Theorie der Spielräume vereinbar?
aa) Optimierungsvorstellungen im öffentlichen Recht
Die Vorstellung von Optimierung steht in engem Zusammenhang mit dem Vorgang der Abwägung.998 Findet sie Eingang in den Bereich des Rechts, so prägt sie
den Abwägungsprozess möglicherweise entscheidend. Verlangt man eine optimale Methode, so scheint man die Entscheidungsfindung an einem übergeordneten Maßstab zu messen. Innerhalb der Gesetzgebungslehre besteht eine Tendenz,
den Begriff der »optimalen Gesetzgebung« schlagwortartig zu verwenden. Es
wird oftmals nicht näher erläutert, welche Implikationen mit dieser Forderung
verbunden sind. Um den Begriff der Optimalität/Optimierung im Bereich des
Rechts besser fassen zu können, erfolgt deshalb an dieser Stelle zuerst ein Blick
in andere Rechtsgebiete.
Optimierungsvorstellungen haben im öffentlichen Recht Deutschlands insgesamt Konjunktur.999 Es besteht eine Fülle von sehr unterschiedlichen Ausprägungen des Optimierungsgedankens.1000 Nicht alle Bereiche können hier vorgestellt
werden. Denn Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Forderung nach
optimaler Gesetzgebung kritisch zu betrachten. Es bieten sich zwei Bereiche des
öffentlichen Rechts für einen Blick »über den Tellerrand des Gesetzgebungsverfahrens an«:
998 Vgl. Bartlsperger, Planungsrechtliche Optimierungsgebote, DVBl. 1996, 1, 3, der den
Begriff der Optimierung weiter gehend sogar als ein Synonym für »Abwägung« auffasst.
999 Vgl. Lerche, Die Verfassung als Quelle von Optimierungsgeboten?, FS Klaus Stern, 1997,
197, 197, so auch Würtenberger, der den Optimierungsgedanken als eine besondere Facette
deutscher Rechtskultur ansieht. Die deutsche Tradition sei einer rechtsstaatlichen Optimierung der Freiheit verpflichtet und sehe hierin die Vollendung des Rechtsstaates, Vgl.
Würtenberger, Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln, VVDStRL 58 (1999), 139, 142.
1000 Vgl. Lerche, Die Verfassung als Quelle von Optimierungsgeboten?, FS Klaus Stern, 1997,
197, 203. Würtenberger führt aus, dass die meisten rechtlichen Optimierungsgebote aus
dem Bereich des Umweltschutzes stammen. Sie stellen für ihn deshalb ein Mittel zur Verwirklichung des Umweltschutzes dar. Vgl. Würtenberger, Rechtliche Optimierungsgebote
oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln, VVDStRL 58 (1999), 139, 153.
242
1. Die Figur der praktischen Konkordanz im Verfassungsrecht. Der Gedanke
des Grundrechtsschutzes kann das innere Gesetzgebungsverfahren nicht
legitimieren. Aussagen aus dem Bereich der Grundrechtsdogmatik können
nur vorsichtig auf den Bereich des Staatsorganisationsrechts übertragen
werden. Dennoch erscheint es lohnenswert, den Zusammenhang von Grundrechten und Optimierungsvorstellungen zu betrachten. Denn in diesem
Bereich finden sich Ansätze in der Literatur, die sich differenziert und kritisch mit dem Optimierungsgedanken auseinander setzen.
2. Die Figur des Optimierungsgebots im Bauplanungsrecht. Der Gedanke der
Optimierung hat hier ebenfalls Eingang gefunden. Soeben wurde bereits
erörtert, dass das Bauplanungsrecht Vorbildfunktion für das innere Gesetzgebungsverfahren besitzt. Möglicherweise ergeben sich deshalb bei
Betrachtung dieser Materie Hinweise, wie der Gedanke einer optimalen
Gesetzgebung zu verstehen ist.
aaa) Praktische Konkordanz und Prinzipientheorie
Konrad Hesse hat den Begriff der praktischen Konkordanz geprägt: Verfassungsrechtliche Güter müssten in der Problemlösung einander so zugeordnet werden,
dass jedes von ihnen Wirklichkeit gewinne. Aus dem Prinzip der Einheit der Verfassung ergebe sich die Aufgabe einer Optimierung. Beiden in Konflikt stehenden
Gütern müssten Grenzen gezogen werden, damit sie zu optimaler Wirksamkeit
gelangten.1001 Kritisch wird in der Literatur angemerkt, dass die Hessesche Formel zwar in formal klarer Weise beschreibe, was als optimaler Kompromiss anzusehen sei. Sie gebe aber keine Anleitung, wie, d.h. nach welchen methodischen
Regeln und in welchen einzelnen Schritten, die Optimierung zu erfolgen habe.1002
Peter Lerche zeigt in einem Beitrag auf, dass mit dem Gedanken der Optimierung verschiedene Verständnisse verbunden sein können. Er setzt sich mit der
Prinzipien – Theorie von Robert Alexy auseinander und zeigt dabei verschiedene
»Lesarten« des Optimierungsgedankens auf. Auch von anderen Stimmen in der
Literatur wird eine Verbindungslinie zwischen dem Prinzip der praktischen Konkordanz und Robert Alexys Grundrechtstheorie gezogen.1003 Alexy ordnet Grundrechte als Prinzipien ein. Prinzipien wiederum stellen Optimierungsgebote dar,
1001 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1999, Rn. 72.
1002 Vgl. Epping, Grundrechte, 2. Auflage, 2004, Rn. 83; Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichen Gewande, 2000, 357; v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen,
1977, 58.
1003 Vgl. Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, 1998, 164; Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, 1999, 115; kritisch im Hinblick auf eine pauschale Übertragung des rechtstheoretischen Prinzipiensbegriffs in die Verfassung Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, 330
mit weiteren Nachweisen.
243
die gebieten, dass etwas in einem, relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen
Möglichkeiten bezogenen, möglichst hohen Maß realisiert werde.1004
Betont man den Teil der Definition, der das Ziel »in möglichst hohem Maß«
enthält, so gelangt man zu einem anspruchsvollen Optimierungsverständnis. Der
Gedanke der Optimierung bedeutet dann möglicherweise, dass der Gesetzgeber
die einzig richtige Entscheidung finden muss. Er scheint mit dieser Vorstellung
auf einen Punkt des »Höchsterreichbaren« festgelegt zu werden.1005 Optimierung
beinhalte so verstanden einen idealistischen Überschwang. 1006
Stellt man hingegen darauf ab, dass »etwas im Hinblick auf die rechtlichen und
tatsächlichen Möglichkeiten« realisiert wird, so ergibt sich ein anderes Bild.
Optimierung verlangt, so verstanden, von dem Gesetzgeber nicht, dass er einen
ideellen Punkt, ein vorgeschriebenes Ziel erreichen müsse. Stattdessen ist er
allein verpflichtet, sich in vorgegebener Richtung »nach besten Kräften« zu
bemühen.1007 Der Begriff der Optimierung könnte dann derart aufgefasst werden,
dass er den Gedanken einer bloßen Annäherung betont. Er verdeutlichte nach diesem Verständnis, dass bestimmte Ideale definitiv nicht erreichbar sind. Von dem
Gesetzgeber würde dann »nur« eine Optimierung verlangt.1008
Auch im Hinblick auf funktionell-rechtliche Konsequenzen der Optimierungsthese im Grundrechtsbereich begegnet die Literatur einem weitreichenden Verständnis kritisch.1009 Lerche selbst spricht sich für das restriktive Verständnis von
Optimierung aus. Er setzt sich zudem mit der Frage auseinander, ob der Gesetzgeber im Bereich der Grundrechte bei jeder Entscheidung zu einem optimalen
1004 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1996, 75 ff. Robert Alexy entwickelt in seinem Werk
»Eine Theorie der Grundrechte« eine Grundrechtssystematik, innerhalb derer der Optimierungsgedanke eine wichtige Funktion einnimmt. Er setzt sich intensiv mit der Struktur
von Grundrechtsnormen auseinander und unterscheidet Regeln und Prinzipien. Prinzipien
sind Normen, die gebieten, dass etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird. Es handelt sich bei ihnen um
Optimierungsgebote, die dadurch charakterisiert sind, dass sie in unterschiedlichen Graden erfüllt werden können. Der Bereich der rechtlichen Möglichkeiten wird durch gegenläufige Prinzipien und Regeln bestimmt. Prinzipien sind aufgrund dieser Eigenschaft
prima facie Gebote. Daraus, dass ein Prinzip in einem Fall einschlägig ist, folgt nicht, dass
das, was das Prinzip in diesem Fall verlangt, im Ergebnis gilt. Prinzipien stellen vielmehr
Gründe dar, die durch gegenläufige Gründe ausgeräumt werden können. Sie können sich
sowohl auf individuelle Rechte als auf kollektive Güter beziehen.
1005 Vgl. Lerche, Die Verfassung als Quelle von Optimierungsgeboten?, FS Klaus Stern, 1997,
197, 206.
1006 Vgl. Lerche, Die Verfassung als Quelle von Optimierungsgeboten?, FS Klaus Stern, 1997,
197, 206.
1007 Vgl. Lerche, Die Verfassung als Quelle von Optimierungsgeboten?, FS Klaus Stern, 1997,
197, 206.
1008 Vgl. Lerche, Die Verfassung als Quelle von Optimierungsgeboten?, FS Klaus Stern, 1997,
197, 207.
1009 Die Einwände gegen die Optimierungsthese in der rechtstheoretischen und philosophischen Literatur fasst Hain prägnant zusammen, Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes,
1999, 118 ff. Kritisch auch Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichen Gewande,
2000, 360.
244
Ausgleich verpflichtet sei.1010 Eine solche allgemeine Optimierungspflicht lehnt
er ab. Nach seiner Ansicht enthalten nicht alle Verfassungsaussagen ein Gebot zur
Optimierung. Es handele sich um bereichsspezifische besondere Anforderungen
an den Gesetzgeber.1011Er spricht sich somit ebenfalls im Hinblick auf den
Anwendungsbereich der Optimierungsthese für einen vorsichtigen »Einsatz« dieses Gedankens aus.
bbb) Optimierungsgebote im Bauplanungsrecht
Auch in das Bauplanungsrecht hat die Figur des Optimierungsgebots Eingang gefunden.1012 Sie wird vom Bundesverwaltungsgericht als ein Gebot definiert, das
eine möglichst weitgehende Beachtung bestimmter Belange fordert.1013 Bestimmte gesetzliche Normen wie beispielsweise § 50 BImSchG werden als Optimierungsgebote eingeordnet.1014
Optimierungsgebote beeinflussen vor allem die Ausgleichsphase der Abwägung, sie entwickeln dort ihre steuernde Kraft.1015 Sie geben vor, dass der zu optimierende Belang möglichst vollständig realisiert werden soll, auch gegenüber
gewichtigen anderen konkurrierenden Belangen. Es findet deshalb kein proportionales Ausgleichsverfahren, sondern ein einen bestimmten Belang bevorzugendes Optimierungsverfahren statt.1016 Obwohl in vorherigen Phasen der Abwägung1017 möglicherweise festgestellt wird, dass andere Belange gleichgewichtig
1010 Lerche kritisiert hier Alexys Prinzipienmodell, nach dem alle Grundrechte als Prinzipien
zugleich Optimierungsgebote sind Lerche, Die Verfassung als Quelle von Optimierungsgeboten?, FS Klaus Stern, 1997, 197, 206.
1011 Vgl. Lerche, Die Verfassung als Quelle von Optimierungsgeboten?, FS Klaus Stern, 1997,
197, 206; so auch Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, 330.
1012 Vgl. hierzu vertiefend Johannes Dreier, Die normative Steuerung der planerischen Abwägung, 1995, 215 ff.; Hoppe, Die Bedeutung von Optimierungsgeboten im Planungsrecht,
DVBl. 1992, 853 ff.. Als Quelle wird von Teilen der Literatur (z.B. Pfeifer, Regeln und
Prinzipien im Bauplanungsrecht, DVBl. 1989, 337, 341) auf Robert Alexy und dessen
Theorie der Grundrechte verwiesen.
1013 Vgl. BVerwGE 71, 163 (165).
1014 Vgl. BVerwGE 71, 163 (165).
1015 Vgl. Hoppe, Die Bedeutung von Optimierungsgeboten im Planungsrecht, DVBl. 1992,
853, 858.
1016 Vgl. Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, 3. Auflage, 2004, § 5 Rn. 34; Würtenberger, Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln, VVDStRL 58 (1999), 139, 146; Riedel, Rechtliche Optimierungsgebote oder
Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln, VVDStRL 58 (1999), 180,185, 186.
1017 Der vorliegenden Untersuchung liegt die Vorstellung von vier Abwägungsphasen
zugrunde: 1. Ermittlung von Belangen, 2. Einstellung der Belange in die Abwägung, 3.
Gewichtung der eingestellten Belange, 4. Ausgleich von konfligierenden und konkurrierenden Belangen. Vgl. statt vieler Hoppe, Die Bedeutung von Optimierungsgeboten im
Planungsrecht, DVBl. 1992, 853, 856 mit weiteren Nachweisen.
245
und gleichwertig sind, müssen diese in der Ausgleichsphase hinter zu optimierenden Belangen zurücktreten.1018
Optimierungsgebote bewirken demnach, dass sich die Argumentationslast
zugunsten eines bestimmten Belangs verschiebt.1019 Will die Verwaltung einen
solchen Belang zurückstellen, so trifft sie eine besondere Rechtfertigungspflicht.1020 Diese drückt sich dadurch aus, dass eine solche Entscheidung umfangreich begründet werden muss. 1021
Optimierungsgebote stellen folglich Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit dar.1022 Das Bundesverwaltungsgericht greift auf eine Figur aus dem
Bereich der Verfassungsauslegung zurück und konstruiert hierdurch Prinzipienrelationen mit Vorrangbedingungen.1023 Im Hinblick auf die Menge / Anzahl der
Optimierungsgebote unterscheidet sich das Verwaltungsrecht vom Verfassungsrecht. Wie angesprochen, wird innerhalb der Verfassungsdogmatik kritisch hinterfragt, ob alle Verfassungsaussagen eine Optimierungspflicht enthalten. Im
Bereich des (Bau)Planungsrechts werden vom Bundesverwaltungsgericht bislang
nur einzelne planerische Zielvorgaben als Optimierungsgebote bezeichnet.1024
Dies hat zur Folge, dass bei einigen Vorschriften ihre Einordnung unklar erscheint
und in der Literatur kontrovers diskutiert wird.1025
Ähnlich wie im Verfassungsrecht gibt es auch im Verwaltungsrecht kritische
Anmerkungen im Hinblick auf die funktionell – rechtlichen Konsequenzen planungsrechtlicher Optimierungsgebote. Auch hier wird deshalb ein vorsichtiger,
ein restriktiver Umfang mit dem Optimierungsbegriff gefordert.1026
1018 Vgl. Hoppe, Die Bedeutung von Optimierungsgeboten im Planungsrecht, DVBl. 1992,
853, 860.
1019 Vgl. Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, 3. Auflage, 2004, § 5 Rn. 86; Wahl/
Dreier, Entwicklung des Fachplanungsrechts, NVwZ 1999, 606, 617.
1020 Vgl. Johannes Dreier, Die normative Steuerung der planerischen Abwägung, 1995, 227;
Hoppe, Die Bedeutung von Optimierungsgeboten im Planungsrecht, DVBl. 1992, 853,
861.
1021 Vgl. Johannes Dreier, Die normative Steuerung der planerischen Abwägung, 1995, 259;
Pfeifer, Regeln und Prinzipien im Bauplanungsrecht, DVBl. 1989, 337, 343.
1022 Vgl. Hoppe, Die Bedeutung von Optimierungsgeboten im Planungsrecht, DVBl. 1992,
853, 853; Würtenberger, Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das
Verwaltungshandeln, VVDStRL 58 (1999), 139, 142.
1023 Vgl. Hoppe, Die Bedeutung von Optimierungsgeboten im Planungsrecht, DVBl. 1992,
853, 854.
1024 Vgl. Pfeifer, Regeln und Prinzipien im Bauplanungsrecht, DVBl. 1989, 337, 343.
1025 Vgl. Hoppe, Die Bedeutung von Optimierungsgeboten im Planungsrecht, DVBl. 1992,
853, 855.
1026 Vgl. Bartlsperger, Planungsrechtliche Optimierungsgebote, DVBl. 1996, 1, 3; v. Danwitz,
Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln,
DVBl. 1998, 928 ff; Würtenberger, Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln, VVDStRL 58 (1999), 139, 157, 158.
246
bb) Inneres Gesetzgebungsverfahren und Optimierung
Auf den ersten Blick erscheint es nahe liegend, Verbindungslinien zwischen der
Figur des inneren Gesetzgebungsverfahrens und der Bauleitplanung zu suchen.
Schließlich wurde an anderer Stelle bereits aufgezeigt, dass die Befürworter zusätzlicher Verfahrensanforderungen Parallelen zwischen Planungsermessen und
Gesetzgebungsermessen ziehen. Das bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot
besitzt in der Diskussion eine Vorbildfunktion.
Der Optimierungsgedanke hat jedoch, vermittelt über das Verfassungsrecht,
Eingang in die Bauleitplanung gefunden. 1027 Soweit aus der Literatur ersichtlich,
war Robert Alexys Grundrechtstheorie der Auslöser dafür, dass die Figur des
Optimierungsgebotes intensiv diskutiert wurde. Aus diesem Grund besteht auch
eine Verbindungslinie zwischen dem Gedanken einer optimalen Gesetzgebung
und der Einordnung von Grundrechten als Optimierungsgeboten. Verschiedene
Bereiche des Rechts scheinen damit eine Vorbildfunktion für die Überlegungen
in der Gesetzgebungswissenschaft zu besitzen. Zu überlegen ist, wie dezidiert der
Optimierungsgedanke in diesem neuen Seitenzweig des öffentlichen Rechts bislang rezipiert wird. Gibt es auch hier Stimmen, die dem Gedanken einer optimalen Gesetzgebung kritisch gegenüberstehen?
aaa) Optimale versus gute Gesetzgebung
Mit der Gesetzgebungslehre fand das Bild der »guten Gesetzgebung« verstärkt
Eingang in die Rechtswissenschaft. Der Gedanke einer optimalen Gesetzgebung
gehört zu der umfassenden Diskussion um ein inneres Gesetzgebungsverfahren.
Die Befürworter eines inneren Gesetzgebungsverfahrens sprechen sich oftmals
auch für eine Optimalität aus. Die Pflicht zu einer bestmöglichen Gesetzgebung
wird dann vor allem aus Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip abgeleitet. Der
Rechtsstaat verlange vom Gesetzgeber ein verfassungsrechtliches Übersoll und
nicht bloßen »Dienst nach Vorschrift«. Als »Dienstleister« gegenüber dem Bürger treffe die Legislative eine andauernde Optimierungspflicht über das verfassungsrechtliche Minimum hinaus.1028 Das Parlament besitze keinen Eigenwert,
der Staat habe eine rein dienende und damit instrumentale Funktion.1029
Auch das Demokratieprinzip beinhalte grundsätzlich den Gedanken der Optimierung. Ein demokratisches System könne mehr oder weniger demokratisch
1027 Vgl. Würtenberger, Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln, VVDStRL 58 (1999), 139, 144. Er führt aus, dass mit den Optimierungsgeboten im Verwaltungsrecht möglicherweise die Tendenz verstärkt werde, Verwaltungsrecht als »Verwirklichung« der Grundrechte anzusehen.
1028 Vgl. Pestalozza, Gesetzgebung im Rechtsstaat, NJW 1981, 2081, 2086.
1029 Vgl. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, 13, 239.
247
sein1030; folglich sei dieser Leitlinie ein Streben nach »Mehr« inhärent. Dieses
Staatsprinzip verdeutliche eine Grundeinstellung, nämlich nach möglichst umfassender Verwirklichung von Verfassungswerten zu streben.1031 Dieser Charakter
des Demokratiegebots wird von den Befürwortern eines inneren Gesetzgebungsverfahrens betont und auf den speziellen Bereich der Gesetzgebung übertragen.1032
Andere Stimmen hingegen verlangen keine solche »ideale« Gesetzgebung. Es
dürften keine übertriebenen Rationalitätsanforderungen an die Gesetzgebung
gestellt werden. Nicht das absolut richtige Gesetz, sondern eine »relativ gute«
Gesetzgebung sei anzustreben.1033 Nur »wesentliche« Fehler im Rahmen der
Gesetzgebung müssten vermieden werden.1034 Die Forderung nach dem Bestmöglichen erwecke Zweifel.1035 Die Optimierungsforderung gerate in unfreiwillige
Nachbarschaft mit einer geistigen Haltung, die die Möglichkeiten diskursiver
Rationalität notorisch überschätze.1036
Die Darstellung zeigt, dass innerhalb der Gesetzgebungslehre kontrovers diskutiert wird, welche Zielsetzung mit dem inneren Gesetzgebungsverfahren verfolgt wird. Ähnlich wie es im Bereich der Grundrechtsdogmatik und des Planungsrechts Vorbehalte gegen die Vorstellung eines optimalen Interessenausgleichs gibt, lehnen Teile der Literatur die Vorstellung einer optimalen Entscheidungsfindung ab.
Die öffentlich-rechtliche Dogmatik hat insgesamt Schwierigkeiten mit dem
Begriff der Optimalität. Es wird gestritten, ob die Vorstellung eines optimalen
Staatshandelns eine überzogene Erwartung ausdrückt, beziehungsweise ob die
Kunstfigur eines optimalen Ausgleichs nicht einschränkend interpretiert werden
muss. Hinter dieser Auseinandersetzung steht die Frage, inwieweit der Optimierungsgedanke mit der Theorie der Spielräume vereinbar ist.1037
1030 v. Bogdandy spricht von der komparativen Dimension des Demokratiebegriffs und verweist auf die Juristische Begründungslehre von Koch/Rüßmann, München 1982, 76. Nach
dieser gestatten komparative Begriffe die Ordnung von Gegenständen danach, ob sie eine
ihnen gemeinsame Eigenschaft in höherem, geringerem oder gleichem Maß aufweisen als
andere Gegenstände. Bezogen auf das Demokratieprinzip führt v. Bodgandy dann aus, dass
ein demokratisches System mehr oder weniger demokratisch sein könne. Vgl. v. Bogdandy,
Gubernative Rechtsetzung, 2000, 30.
1031 Vgl. abstrakt zum Demokratieprinzip, v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 30.
1032 Vgl. Mengel, Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung, ZRP 1984, 153. 155.
1033 Vgl. Karpen, Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungslehre, 1989, 17; Karpen, Zum gegenwärtigen Stand der Gesetzgebungslehre, in: Karpen, Zum gegenwärtigen
Stand der Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, 374. Schäffer, Rationalisierung der Rechtsetzung, in: Schäffer, Theorien der Rechtsetzung, 1988, 199, 213.
1034 Vgl. Horn, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, 1989, 278; Hotz,
Methodische Rechtsetzung, 1983, 109; Schultze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1997, 556.
1035 Vgl. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 877.
1036 Vgl. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 879.
1037 Für den Bereich der Grundrechtsdogmatik ebenfalls Lerche, Die Verfassung als Quelle von
Optimierungsgeboten?, FS Klaus Stern, 1997, 199.
248
Innerhalb der Gesetzgebungslehre werden die Probleme der Optimierungstechnik bislang nur ansatzweise diskutiert. Vor allem innerhalb der Grundrechtsdogmatik findet jedoch bereits eine differenzierte Auseinandersetzung statt. Um
die Frage im Hinblick auf das innere Gesetzgebungsverfahren möglichst umfassend zu erörtern, werden deshalb Argumente aus den »verwandten« Bereichen
Verfassungsauslegung und Planungsrecht mit herangezogen.
bbb) Ideal der einzig richtigen Entscheidung
Stimmen in der verfassungsrechtlichen Literatur kritisieren Alexys Prinzipientheorie und damit auch seine Optimierungsthese. Es wird darauf hingewiesen,
dass die funktionell-rechtlichen Konsequenzen eines Optimierungsgedankens im
Verfassungsrecht nicht unterschätzt werden dürften. Eine Konzeption von Grundrechten als Optimierungsgeboten gefährde den Charakter der Verfassung als Rahmenordnung.1038 Denn der Gedanke des optimalen Grundrechtsausgleichs stelle
einen Rückschritt zu der Idee der einzig richtigen Lösung dar.1039 Er führe dazu,
dass jeglicher politische Gestaltungsspielraum entfalle. Optimierung, als Rechtsproblem begriffen, führe in letzter Konsequenz zur Verrechtlichung und damit zur
Justiziabilität aller politischen Fragen.1040
Auch im Hinblick auf das Bauplanungsrecht wird betont, dass Optimierungsgebote eine andere und intensivere Kontrolle als normale Ausgleichsgebote nach
sich ziehen.1041 In Anlehnung an die Kritik der verfassungsrechtlichen Literatur
wird auf die entscheidungstheoretische Problematik von Optimierungsgeboten
hingewiesen. Die Vorstellung einer optimalen Auflösung von Interessenkonflikten nähre die Illusion der einzig gerechten Lösung.1042
Der Begriff der Optimierung birgt folglich eine Gefahr: Er transportiert mit der
Idee der einzig richtigen Entscheidung ein problematisches Ideal. Aus diesem
Grund ruft er in seinen verschiedenen Anwendungsbereichen Kritik hervor. Fragen der Gesetzgebung erscheinen hierbei in besonderem Maß nicht mit einem
unkritischen Optimierungsverständnis vereinbar. Auch wenn innerhalb der
öffentlich-rechtlichen Dogmatik und ihres neuen Seitenzweigs der Gesetzgebungslehre vieles umstritten ist, so besteht doch Einigkeit darin, dass Gesetze
immer auch politische Entscheidungen darstellen. Aufgabe der Rechtsetzungs-
1038 Vgl. Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, 1998, 168; Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, 1999, 132; Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, 333.
1039 Vgl. Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichen Gewande, 2000, 359, 360; Wahl,
Vorrang der Verfassung, Der Staat 20 (1981), 485, 504.
1040 Vgl. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, 2. Auflage, 1992, 196; Gellermann,
Grundrechte im einfachgesetzlichen Gewande, 2000, 359.
1041 Vgl. Hoppe, Die Bedeutung von Optimierungsgeboten im Planungsrecht, DVBl. 1992,
853, 862; Starck, Besprechung zu Robert Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, Der Staat
32 (1993), 473, 475.
1042 Vgl. Würtenberger, Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln, VVDStRL 58 (1999), 139, 154 ff.
249
lehre kann deshalb nicht die Suche nach dem für alle Zeiten oder zumindest für
diese Zeit »richtigen« Recht sein.1043
Deshalb muss das Ziel einer optimalen Gesetzgebung restriktiv verstanden
werden. Das Streben nach »richtigem Recht« beziehungsweise »der einzig richtigen Entscheidung« kann nur den Charakter einer Leitvorstellung besitzen.1044
Ein solches Verständnis von Optimierung scheint im Übrigen auch Alexys Intention widerzuspiegeln, für den der Begriff der Richtigkeit ebenfalls nur als regulative Idee denkbar ist.1045 Alexy entwickelt eine prozedurale Theorie, die vor
allem eine Struktur für die Entscheidungsfindung vorgeben soll und nicht als
Suche nach einer vorgegebenen Gewichtung von Prinzipien und damit dem Auffinden der ohne Zweifel richtigen Lösung zu verstehen ist.
Auch wenn ein Vergleich von Rawls’ Konzeption und der Idee des inneren
Gesetzgebungsverfahrens erst später erfolgen soll, so drängt sich hier ein Blick
auf seine Kategorien der Verfahrensgerechtigkeit auf. Versteht man das Ziel des
inneren Gesetzgebungsverfahrens darin, die einzig richtige Entscheidung zu
garantieren, so versucht man das Ideal vollkommener Verfahrensgerechtigkeit zu
verwirklichen. Rawls betont jedoch, dass es unmöglich ist, gesetzliche Verfahrensregelungen zu finden, die immer zu einem richtigen Ergebnis führen.1046 Ein
solcher Anspruch an das Gesetzgebungsverfahren ist folglich auch nach der
Rawlsschen Gerechtigkeitstheorie zum Scheitern verurteilt.
ccc) Ideal der relativ richtigen Entscheidung
Denkbar ist also allein das Bemühen um relativ richtige Gesetze.1047 Selbst wenn
man jedoch den Gedanken einer optimalen Gesetzgebung derart restriktiv fasst,
entstehen neue Bewertungsmaßstäbe: Gesetze sind dann gut, weniger gut oder
besser. Eine solche Vorstellung könnte jedoch immer noch der Systematik des
1043 Vgl. Öhlinger, in: Öhlinger, Methodik der Gesetzgebung, 1982, 5; Schäffer, Über Möglichkeit, Notwendigkeit und Aufgaben einer Theorie der Rechtsetzung, in: Schäffer, Theorie der Rechtsetzung, 1988, 11, 30.
1044 Vgl. Koller, Theorie des Rechts, 1997, 181. Koller unterscheidet die regulative Idee, dass
es in jedem Rechtsfall eine beste Lösung gibt, und die Existenzbehauptung, dass so eine
Lösung wirklich immer existiert. Die regulative Idee einer besten Lösung habe im Rahmen
des juristischen Diskurses die Funktion einer wichtigen Leitvorstellung. Sie nötige uns,
alle nur denkbaren Argumente zu erörtern, um zu einem möglichst gut begründeten Ergebnis zu gelangen. Die Behauptung der Existenz einer einzig richtigen Lösung sei hingegen
nicht nur unbegründbar, sondern auch ohne jeden Nutzen.
1045 Vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1996, 414.
1046 Vgl. Rawls, TG, Abschnitt 14, 107.
1047 Vgl. v. Arnim, der betont, dass der Verlust des Naturrechts im Sinne eines Glaubens an
unwandelbare Maximen und Inhalte nicht auch bedeute, auf jedes Bemühen um materielle
Richtigkeit zu verzichten, vgl. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, 5 mit
weiteren Nachweisen.
250
Grundgesetzes widersprechen.1048 Das Grundgesetz selbst stellt als Maßstab in
Art. 93 I Nr. 2 GG (abstrakte Normenkontrolle) und Art. 100 I GG (konkrete Normenkontrolle) allein die »Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz« auf. Unterschieden werden somit lediglich verfassungswidrige und verfassungsgemäße Gesetze.
Der Gedanke einer guten Gesetzgebung setzt einen übergeordneten Maßstab
voraus, an dem beschlossene Gesetze gemessen werden können. Ein solcher
könnte mit dem Gemeinwohl vorliegen. Wie bereits im Zusammenhang mit der
Forderung nach materiell allgemeinen Gesetzen angesprochen, enthält das
Grundgesetz mehr oder weniger explizite Gemeinwohlformen1049; das Gemeinwohl stellt unbestritten einen zentralen Begriff des Verfassungsrechts dar.1050 Ein
gutes Gesetz könnte sich dadurch auszeichnen, dass es in der Summe eine Optimierung des Gemeinwohlstandards bewirkt.1051
Ein solcher Anspruch an die Gesetzgebung ist mit Rawls’ Vorstellung von
unvollkommener Verfahrensgerechtigkeit vergleichbar. Innerhalb seines Vier-
Stufen-Ganges unterliegt die ideale Gesetzgebung einer solchen Anforderung.
Der Gesetzgeber soll danach entscheiden, welche Gesetze und Programme den
Gerechtigkeitsgrundsätzen am besten entsprechen.1052
Doch kann das Gemeinwohl tatsächlich als Bewertungsmaßstab für eine gute
Gesetzgebung fungieren? Die herrschende Meinung in der Literatur lehnt einen
inhaltlichen Gemeinwohlbegriff ab. Unter dem Grundgesetz stelle das Gemeinwohl keine vorgegebene Größe (mehr) dar.1053 Wie kann dann ein derart unbestimmtes Ziel Vorbild für eine Reform / Änderung des Gesetzgebungsverfahrens
sein?
Auch hier lohnt sich ein Blick auf die Rawlssche Konzeption. Rawls führt aus,
dass die Gerechtigkeitsgrundsätze in vielen Fragen der Sozial- und Wirtschaftspolitik kein genau umrissenes Ergebnis vorgeben. Dann unterliegt die Gesetzgebung dem Ideal einer fast reinen Verfahrensgerechtigkeit. 1054 Dies führt dazu,
dass das Verfahren eine entscheidende Bedeutung erhält. Ein faires Gesetzgebungsverfahren führt zu einem fairen Ergebnis, welcher Art es auch sei.1055
Innerhalb der öffentlich-rechtlichen Dogmatik vertritt insbesondere v. Arnim
eine vergleichbare Sichtweise. Gemeinwohlrichtige Entscheidungen können
nicht a priori fixiert werden. Die Aufstellung und Beachtung angemessener Verfahrensregelungen werde deshalb umso wichtiger, je weniger »dicht« die inhaltliche Determiniertheit der Entscheidungen sei. Die angemessene Ausgestaltung
des Verfahrens sei der zentrale Ansatzpunkt dafür, gemeinwohlkonforme Ent-
1048 Vgl. in diese Richtung, Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 130.
1049 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HStR Band III, 1988, § 57 Rn. 109, 112.
1050 Vgl. Anderheiden, in: Recht und Ökonomik, 2004, 113, 114.
1051 Vgl. Ennuschat, Wege zu besserer Gesetzgebung, DVBl. 2004, 986, 987.
1052 Vgl. Rawls, TG, Abschnitt 54, 395.
1053 Vgl. Magiera, in: Sachs, GG- Kommentar, 3. Auflage, 2003, Art. 38 Rn. 54.
1054 Vgl. Rawls, TG, Abschnitt 31, 229.
1055 Vgl. Rawls, TG, Abschnitt, 14, 107.
251
scheidungen zu erzielen.1056 Gute Gesetzgebung zeichnet sich dann dadurch aus,
dass das Verfahren der Entscheidungsfindung optimiert wird.
Doch steht nicht auch eine solche Vorstellung im Gegensatz zu der Idee politischer Gestaltungsfreiheit?1057 Auch wenn der Gedanke einer Optimierung
restriktiv verstanden wird, führt er zu einer Verrechtlichung von Entscheidungsvorgängen. Im Bereich der Grundrechtsdogmatik werden Alexys Überlegungen
vor allem deshalb kritisiert, weil sie mit einer Vorstellung der Verfassung als Rahmenordnung zu kollidieren scheinen. Im Bereich der Gesetzgebungslehre stellt
sich die gleiche Grundfrage: Bei den Art. 76 ff. GG handelt es sich um eine Rahmenordnung. Wie bereits aufgezeigt, werden lediglich die äußeren Abläufe der
Gesetzgebung festgeschrieben. Der Gedanke einer guten Gesetzgebung führt
dazu, dass dieser Rahmen ausgefüllt wird. Zusätzliche Verfahrensanforderungen
sollen die Gesetzgebung optimieren, das heißt eine möglichst gemeinwohlorientierte Entscheidung garantieren. Hierbei besteht jedoch die Gefahr, jegliche
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers aufzulösen.
d) Konsequenz: Vormachtstellung des Verfassungsgerichts
Entscheidender »Prüfstein« für die Frage, ob dem Gesetzgeber wirklich eine Gestaltungsfreiheit zukommt, ist letztlich die Kontrollbefugnis des Bundesverfassungsgerichts. Die Theorie der Spielräume setzt sich deshalb intensiv mit dem
problematischen Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Verfassungsgericht auseinander.
Schon der dualistische Gesetzesbegriff hat gezeigt, dass im Bereich der
Gesetzgebung grundsätzlich verschiedene Machtsphären aufeinander treffen. Im
19. Jahrhundert waren Monarch und bürgerliche Vertretung die »Kontrahenten«;
ihre Kompetenzbereiche mussten voneinander abgegrenzt werden. Unter dem
Grundgesetz ist diese Problematik »gelöst«: Wir haben allein ein demokratisch
legitimiertes Parlament. Dieses besitzt jedoch keine absolute Stellung; die Legislative ist nicht als eine »Übergewalt« ausgestaltet, die sich stets im Sinne eines
Gewaltenmonismus durchsetzen könnte. Vielmehr sind auch die anderen Gewalten demokratisch legitimiert und handeln gleichberechtigt mit eigenen Wirkungsmöglichkeiten und Zuständigkeiten neben ihr.1058 Es stehen sich vor allem zwei
neue »Gegenspieler« gegenüber: Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht.1059
Gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit und richterliche Kontrolle stehen in einem
schwierigen Verhältnis zueinander.
1056 Vgl. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, 48.
1057 Vgl. vertiefend Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 802, 892 ff.
1058 Vgl. Badura,in: HStR Band II, 3. Auflage, 2004, § 25, Rn. 15; Böckenförde, in: HStR Band
II, 3. Auflage, 2004, § 24 Rn. 11.
1059 Vgl. Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, 101, Herzog, Offene Fragen zwischen Verfassungsgericht und Gesetzgeber, ZG 1987, 290 ff.
252
Wie soeben dargestellt, weisen kritische Stimmen in der Literatur darauf hin,
dass der Gedanke eines optimalen Grundrechtsausgleichs die politische Gestaltungsfreiheit zurückdränge. Der Gedanke einer weitest möglichen Realisierung
von Grundrechten ermächtigt und verpflichtet das Bundesverfassungsgericht zu
einer intensiveren Prüfung.1060 Auch im Bauplanungsrecht ziehen Optimierungsgebote eine andere und intensivere gerichtliche Kontrolle als normale Ausgleichsgebote nach sich.1061
Mit der Suche nach Wegen besserer Gesetzgebung hat der Optimierungsgedanke Eingang in die Gesetzgebungslehre gefunden. So könnte auch die Figur
eines inneren Gesetzgebungsverfahrens den gesetzgeberischen Spielraum aufsaugen und eine Vormachtstellung des Bundesverfassungsgerichts hervorrufen.1062
Die Vertreter eines inneren Gesetzgebungsverfahrens als Verfassungspflicht
betonen, dass ihre Forderung den Spielraum des Gesetzgebers nicht aushöhle.
Vielmehr sei es ihr Ziel, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber
eine inhaltliche Gestaltungsfreiheit zugestehe und als Ausgleich dafür intensiv
die verfahrensrechtlichen Schritte überprüfe. Sie sprechen sich für ein Kontroll –
Plus auf der prozeduralen Seite aus, welches durch ein Kontroll – Minus auf der
materiell-rechtlichen Seite ausgeglichen werde. Die intensive Kontrolle des
Gesetzgebungsverfahrens sei eine Kompensation dafür, dass das beschlossene
Gesetz inhaltlich nicht umfassend überprüft werde.1063 Die Idee eines inneren
1060 Vgl. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, 2. Auflage, 1992, 196, Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, 1999, 133; Starck, Besprechung zu Robert Alexy, Begriff und
Geltung des Rechts, Der Staat 32 (1993), 473, 475.
1061 Vgl. Hoppe, Die Bedeutung von Optimierungsgeboten im Planungsrecht, DVBl. 1992,
853, 862.
1062 Im Rahmen der Auseinandersetzung um das innere Gesetzgebungsverfahren wird auch am
Rand diskutiert, ob das Bundesverfassungsgericht überhaupt eine geeignete Kontrollinstanz darstellt. Es wird befürchtet, dass diese Institution mit einer Kontrolle des inneren
Gesetzgebungsverfahrens möglicherweise überfordert sei. Bislang habe das Bundesverfassungsgericht seine Prüfungskompetenzen im Bereich des Gesetzgebungsverfahrens
entweder vernachlässigt oder überschritten (vgl. Mengel, Die verfahrensmäßigen Pflichten
des Gesetzgebers und ihre verfassungsgerichtliche Kontrolle, ZG 1990, 193, 196).
1063 Vgl. Hill, Rechtsdogmatische Probleme der Gesetzgebung, Jura 1986, 286, 292; kritisch
Meßerschmidt Gesetzgebungsermessen, 2000, 860.
Auch diese Argumentation weist Parallelen zu der Diskussion der gerichtlichen Kontrolle
im Verwaltungsrecht auf. Der Verfahrensgedanke wird im Bereich des Verwaltungsrechts
als ein kompensatorisches Mittel, als Aushilfe aus einer defizitären Lage angesehen (Vgl.
Schmidt-Aßmann, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in:
Lerche/Schmitt–Glaeser/Schmidt–Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, 1, 7). Der Verfahrensgedanke kann grundsätzlich als ein Ordnungsmodell verstanden werden. Er sichert einen angemessenen Interessenausgleich und kann
kollisionslösend eingesetzt werden (Vgl. Schmidt-Aßmann, Der Verfahrensgedanke in der
Dogmatik des öffentlichen Rechts, Lerche/Schmitt–Glaeser/Schmidt–Aßmann, Verfahren
als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, 1, 11 ff.)
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Gesetzgebungsverfahrens erweitere folglich den inhaltlichen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.1064
Kritisch wird hiergegen eingewandt, dass das Verfassungsgericht eine Stellung
als Superparlament, legistisches Oberseminar oder Akademie für Gesetzgebungswissenschaften erhalte.1065 Wie könne sichergestellt werden, dass das Bundesverfassungsgericht sich wirklich nur auf eine prozedurale Kontrolle beschränke und nicht eine Verfahrens- und Ergebniskontrolle vornehme?1066 Prüfungsmaßstab für das Bundesverfassungsgericht seien allein die Art. 76 ff. GG. Dies
bedeute jedoch, dass ihm nur eine formelle Verfahrenskontrolle zustehe.1067 Die
Forderung nach einem inneren Gesetzgebungsverfahren als Verfassungspflicht
gefährde die Vorrangstellung des Gesetzgebers. Sein gesetzgeberischer Spielraum werde systemwidrig als justiziabel angesehen.1068
Diejenigen Stimmen in der Literatur, die ein inneres Gesetzgebungsverfahren
unmittelbar aus der Verfassung ableiten, differenzieren zwischen einem inhaltlichen und einem prozeduralen Spielraum des Gesetzgebers. Sie wollen die Art. 76
ff. GG mit Hilfe von Verfassungsprinzipien lediglich so ergänzen, dass der verfahrensrechtliche Spielraum des Gesetzgebers eingeschränkt wird.
Fraglich erscheint jedoch, ob verfahrensrechtliche und inhaltliche Gestaltungsfreiheit im Rahmen der Gesetzgebung trennscharf unterschieden werden
können. Handelt es sich wirklich um zwei Spielräume, einmal im Bereich des
Verfahrens, einmal im Bereich des Gesetzes als beschlossener Inhalt?
Eine solche Betrachtungsweise kann nicht überzeugen. In der öffentlich-rechtlichen Dogmatik setzt sich mit der Gesetzgebungslehre und der Idee des inneren
Gesetzgebungsverfahrens mehr und mehr eine Sichtweise durch, nach der
Gesetzgebungsverfahren und Gesetz eine Einheit bilden. Das Gesetz als Produkt
wird durch den Verfahrensablauf, durch den Entscheidungsprozess geprägt. Der
Gedanke eines solchen Zusammenspiels von Verfahren und Ergebnis muss sich
dann jedoch auch auf die Theorie der Spielräume auswirken. Auch in diesem
Bereich können verfahrensrechtliche und inhaltliche Gestaltungsspielräume
nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr ist dort ebenfalls eine Wechselwirkung
anzunehmen.
Dass eine isolierte Betrachtung des verfahrensrechtlichen Spielraums nicht
möglich ist, zeigt die Figur des inneren Gesetzgebungsverfahrens selbst. Die Idee
einer Methode der Entscheidungsfindung in der Mitte zwischen verfahrensrechtlicher und inhaltlicher Forderung. Die Befürworter einer rationalen Gesetzgebung verlangen mehr als einen verbesserten äußeren Ablauf des Verfahrens, sie
fordern eine substantielle Abwägung. Mit der Idee des inneren Gesetzgebungs-
1064 Vgl. Mengel, Die verfahrensmäßigen Pflichten des Gesetzgebers und ihre verfassungsgerichtliche Kontrolle ZG 1990, 193, 195; Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, 1997, 335.
1065 Vgl. Merten, Optimale Methodik der Gesetzgebung als Sorgfalts- oder Verfassungspflicht?, in: Hill, Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, 81, 95.
1066 Vgl. in diese Richtung Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 862.
1067 Vgl. Merten, Optimale Methodik der Gesetzgebungs als Sorgfalts- oder Verfassungspflicht?, in: Hill, Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, 81, 88.
1068 Vgl. Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, 1997, 336.
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verfahrens verschiebt sich nur der Ansatzpunkt für eine inhaltliche Kontrolle:
Nicht mehr das fertige Gesetz wird auf seinen Inhalt überprüft, sondern es werden
inhaltliche (= das Entscheidungsverhalten des Gesetzgebers betreffende) Verfahrensbedingungen aufgestellt.
III. Stellungnahme
Die vorangegangene Untersuchung hat zahlreiche Fragen aufgeworfen und auch
offen gelassen. Das Bild der Gesetzgebung mit den Schlüsselbegriffen Gesetz
und Gesetzgebungsverfahren lässt sich nur schwer fassen. Es handelt sich im
übertragenen Sinn um ein Gemälde, das immer wieder übermalt wurde. Jede einzelne Farbschicht spiegelt eine historische »Station« der Gesetzgebung wider.
Zum anderen ist bei diesem Kunstwerk nicht deutlich, wo der Schwerpunkt der
Betrachtung liegen soll. Verschiedene Bildausschnitte stehen im Wettstreit um
die Gunst des Rezipienten. Ist der Ausschnitt »Verfahren« das Herzstück der Darstellung oder ist doch die Abbildung des Gesetzes als »Ergebnis« vorrangig zu
betrachten?
Das Grundgesetz zeichnet ein »abstraktes« Gemälde der Gesetzgebung; Mittelpunkt der Darstellung ist nicht eine Person. Gesetzgebung unter dem Grundgesetz ist nicht Aufgabe eines einzelnen Herrschers oder einer Elite. Stattdessen
bezeichnet der Begriff »Gesetzgeber« alle diejenigen Instanzen, ohne deren ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung ein rechtlicher Erlass keine formelle Geltung erlangt.1069 Gesetzgebung ist ein Zusammenspiel vieler, nicht die
Entscheidung eines Individuums. Die Allgemeinheit, ein heterogenes Gebilde, ist
Gesetzgeber.1070
Das Demokratieprinzip garantiert, dass der parlamentarische Gesetzgeber
unter dem Grundgesetz kein unveränderliches Gesicht besitzt. Vielmehr wird ihm
durch den Wahlakt des Staatsvolks allein ein Gestaltungsauftrag auf Zeit vermittelt (formelle Legitimation)1071. Die einzelnen Abgeordneten werden durch Wahlen legitimiert und auch durch Wahlen abgestraft. Es besteht unter dem Grundgesetz eine Bindung zwischen dem Staatsvolk und dem Gesetzgeber, die nicht wie
in Hobbes´ Leviathan eine völlige Entäußerung der Macht an den Herrscher darstellt.
Der Gesetzgeber besitzt unter dem Grundgesetz keine originäre Souveränität,
er verfügt über eine abgeleitete Legitimation. Diese Legitimation ist widerruflich
und damit zeitlich begrenzt. Sie gründet sich zudem nicht auf eine besondere
Befähigung. In den Konzeptionen von Platon und Rousseau besitzt der ideale
Gesetzgeber »übermenschliche Talente«. Eine derartige »Genialität« wird unter
dem Grundgesetz nicht gefordert. Die Abgeordneten müssen nicht über ein
1069 Vgl. hierzu auch Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, 44.
1070 Vgl. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, 294.
1071 Vgl. zu diesem Begriff unter anderem v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen,
1977, 45.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
In seiner Entscheidung zum Länderfinanzausgleich hat das Bundesverfassungsgericht 1999 auf eine rechtsphilosophische Figur, John Rawls’ berühmten „Schleier des Nichtwissens“, zurückgegriffen. Dieser „Schleier“ ist in Rawls’ Werken Teil eines fiktiven Urzustands und bewirkt, dass die Entscheidungsträger ihre eigenen Interessen nicht kennen. Wenig beachtet wurde jedoch der Umstand, dass Rawls auch im Bereich der idealen Gesetzgebung auf diese Gedankenfigur verweist.
Die Arbeit setzt sich zunächst intensiv mit diesen Textpassagen auseinander, um in einem nächsten Schritt zu untersuchen, inwieweit Gesetzgebung unter dem Grundgesetz mit dem Gedanken eines unparteilichen Abgeordneten vereinbar ist.
Das Werk richtet sich an Verfassungsjuristen und Rechtsphilosophen.