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tet sich auch in einem Sondervotum zum Finanzverfassungsurteil von 1986 an.
Dort wird ausgeführt, dass das Prinzip des »dot ut des« im Finanzausgleich eine
tragende Bedeutung habe. Für die gefundenen Ergebnisse sei die Einigung wichtiger als die genaue Einfügung in normative Vorgaben.1174
Die das Urteil tragende Mehrheit und die herrschende Meinung in der Literatur
stehen einem solchen Finanzausgleichsvertrag jedoch skeptisch gegenüber. So
wird in dem Mehrheitsvotum hervorgehoben, dass der Bund verpflichtet ist,
durch Gesetz sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder
angemessen ausgeglichen wird. Mit Art. 107 II 2 GG werde die Umverteilungsentscheidung bewusst dem freien Aushandeln der Länder entzogen und in die
Verantwortung des Bundesgesetzgebers gegeben.1175 Auch in der Literatur wird
betont, dass vertragliche Absprachen grundsätzlich nur dort getroffen werden
dürfen, wo sie ausdrücklich vorgesehen sind.1176
Dem könnte entgegen gehalten werden, dass die Zulässigkeit von Verträgen
zwischen den Ländern und zwischen dem Bund und den Ländern grundsätzlich
anerkannt ist.1177 Wie bereits dargestellt, handelt es sich jedoch bei dem Länderfinanzausgleich um eine Materie, die ein besonders hohes Konfliktpotential aufweist. Der Länderfinanzausgleich garantiert als Ausprägung des Bundesstaatsprinzips die Handlungsfähigkeit der Bundesländer. In einem so sensiblen Bereich
müsste ein Vertrag als mögliche Handlungsform in der Finanzverfassung ausdrücklich normiert sein. Der Wortlaut von Art. 107 II S. 1 GG lässt keinen Raum
für eine Wahlmöglichkeit im Hinblick auf die Handlungsform.
Festzuhalten bleibt somit, dass die Vorgaben zum Länderfinanzausgleich allein
durch Bundesgesetz konkretisiert werden können. Dennoch zeigen die Überlegungen noch einmal, dass Art. 107 II GG als Finanzverfassungsnorm eine besondere Struktur aufweist. Zum einen ist die Norm final strukturiert (Ziel: angemessener Ausgleich). Zum anderen wird dem Gesetzgeber ein Mittel zur Zielerreichung vorgegeben (durch Gesetz).
3. Besonderer Charakter des Finanzausgleichsgesetzes
Doch handelt es sich bei dem Gesetz, das den in Art. 107 II S. 1 GG normierten
Auftrag verwirklichen soll, um ein »normales« Gesetz? Möglicherweise wird das
geforderte Staatshandeln zum Gesetz erklärt und entspricht nur bedingt dieser
Handlungsform. In der finanzverfassungsrechtlichen Literatur wurde der beson-
1174 Vgl. BVerfGE 72, 330 (425).
1175 Vgl. BVerfGE 72, 330 (396).
1176 Vgl. Hidien; Handbuch Länderfinanzausgleich, 1999, 339; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/
Starck, Grundgesetz Kommentar, Band 3, 2001, Art. 107 Rn. 33; Siekmann, in: Sachs, GG
– Kommentar, 3. Auflage, 2003, vor Art. 104a Rn. 16. Aus österreichischer Sicht, Haller,
Grundsätze der Finanzverfassung in Österreich, VVDStRL 52 (1993), 111, 119.
1177 Vgl. Kirchhof, in: HStR Band III, 2. Auflage, 1996, § 59 Rn. 154 ff. ; Maurer, Staatsrecht
I, 2003, § 10 Rn. 62 jeweils mit weiteren Nachweisen.
280
dere Charakter des Finanzausgleichsgesetzes bis zum Erlass des Maßstäbe -Urteils nicht intensiv diskutiert.
Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass einzelne Bestandteile des
Finanzausgleichs erst mit dem Grundgesetz in die Verfassung aufgenommen worden sind. Zuvor normierte einmal die Verfassung, das andere Mal allein die einfach-gesetzliche Ordnung die Eckpfeiler des Finanzausgleichs. Folglich haben
die Gesetzgebungsaufträge in Art. 106, 107 GG keine lange Tradition.1178
Es könnten im Hinblick auf den besonderen Charakter des Finanzausgleichsgesetzes Parallelen zwischen Finanzverfassungs- und Haushaltsrecht bestehen.
Der Haushaltsplan wurde schon in früheren Verfassungen zum Gesetz erklärt
(Art. 69 der Verfassung des Deutschen Reiches von 18711179, Art. 85 Weimarer
Reichsverfassung von 19191180). Es stellte sich somit schon wesentlich früher die
Frage, wie sich die »Vorgabe« der Handlungsform in das System der allgemeinen
Rechtsordnung einfügt. Diese Problematik beschäftigt die Staatsrechtslehre
bereits seit mehr als hundert Jahren.1181
Schon von Paul Laband und Gerhard Anschütz wurde hervorgehoben, dass das
Haushaltsgesetz allein die Einnahmen und Ausgaben des Staates für einen
begrenzten Zeitraum ausweise. Solche Schätzungen seien weder an sich Rechtsnormen noch würden sie es dadurch, dass sie von der gesetzgebenden Gewalt, der
Legislative, vorgenommen werden. Es handele sich hier um eine vollziehende
verwaltende Tätigkeit der Staatsgewalt. Der Haushaltsplan bleibe auch im
Gewande des Gesetzes das, was er von Natur aus sei, ein Verwaltungsakt.1182
Unter der Herrschaft des Grundgesetzes scheint die öffentlich – rechtliche
Dogmatik an diese Überlegungen anzuknüpfen. So spricht das Bundesverfas-
1178 Vgl. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, 61.
1179 Art. 69: Alle Einnahmen und Ausgaben des Reiches müssen für jedes Jahr veranschlagt
und auf den Reichshaushalts – Etat gebracht werden. Letzterer wird vor Beginn des Etatjahres nach folgenden Grundsätzen durch ein Gesetz festgestellt.
1180 Art. 85: Alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs müssen für jedes Rechnungsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingestellt werden.
Der Haushaltsplan wird vor Beginn des Rechnungsjahres durch ein Gesetz festgestellt.
Die Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt; sie können in besonderen Fällen
auch für eine längere Dauer bewilligt werden. Im übrigen sind Vorschriften im Reichshaushaltsgesetz unzulässig, die über das Rechnungsjahr hinausreichen oder sich nicht auf
die Einnahmen und Ausgaben des Reichs oder ihre Verwaltung beziehen.
1181 Vgl. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 1976, 7.
1182 Vgl. Laband, Staatsrecht, 537; Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Auflage von 1933 (unveränderter Nachdruck 1968), Art. 85 Anmerkung 5.
281
sungsgericht von einem »staatsleitenden Hoheitsakt in Gesetzesform«.1183 Auch
in Kommentierungen und Handbüchern findet sich diese Bezeichnung.1184
Zu überlegen ist, ob diese »klassischen« Aussagen zum Haushaltsgesetz auf
das Finanzausgleichsgesetz übertragbar sind. Handelt es sich auch bei dem
Finanzausgleichgesetz (im folgenden FAG) um einen Verwaltungsakt in Gesetzesform?
a) Funktion des Finanzausgleichsgesetzes
Gegen eine Vergleichbarkeit von FAG und Haushaltsgesetz könnte die unterschiedliche Funktion dieser Gesetze sprechen. Historisch sollte ein Haushaltsplan
in Gesetzesform es dem Parlament ermöglichen, die Regierung zu kontrollieren.
Innerhalb der konstitutionellen Monarchie bestand ein Dualismus zwischen dem
Parlament und dem Monarchen als Spitze der Exekutive. Nur mit Hilfe des Budgetrechts konnte das Parlament sich gegen die verfassungsrechtliche und politische Übermacht einer nur vom Finanziellen her beeinflussbaren Regierung wehren.1185
Ein solcher Gegensatz zwischen Legislative und Exekutive ist im Rahmen der
parlamentarischen Demokratie nicht mehr vorhanden.1186 Es besteht vielmehr
eine Bindung zwischen der Parlamentsmehrheit und der von ihr getragenen
Regierung. Der Bundeskanzler als Spitze der Regierung wird unmittelbar vom
Parlament gewählt (Art. 63 GG). Das Haushaltsgesetz besitzt demnach nur noch
eine abgeschwächte Kontrollfunktion.1187
In der Literatur werden dem Haushaltsplan nunmehr weitere Funktionen zugeschrieben: Ordnungsfunktion, politische Programmfunktion, wirtschaftliche
Gestaltungsfunktion.1188 Vom Ursprung her jedoch garantiert die Gesetzesform
die (horizontale) Gewaltenteilung in Form der Gewaltenkontrolle. Die Gesetzesqualität wirkt sich auch unter dem Grundgesetz weiterhin auf das Organverhältnis
1183 Vgl. BVerfGE 45, 1 (32).
1184 Vgl. Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, Band 3, 2001,
Art. 110, Rn. 83; l. Stern, Staatsrecht Band II, 1980, 1200 ff.
1185 Vgl. Friauf, Der Staatshaushaltsplan im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung, 1968, Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 1989, 38 ff.; 37 ff.; Mußgnug, Der
Haushaltsplan als Gesetz, 1976, 264.
1186 So spricht Werner Heun von einer Kooperation zwischen Parlament und Regierung im
Budgetprozess. Vgl. Heun, in: Dreier, GG – Kommentar, Band III, 2000, Vorb. Zu Art.
104a – 115 Rn. 23.
1187 Vgl. vertiefend Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 1976, 263 ff.
1188 Vgl. Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, Band 3, 4. Auflage, 2001, Art. 110, Rn. 21; Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HStR Band IV, 1990,§ 89, Rn.
12 ff.; Siekmann, in: Sachs, GG – Kommentar, 2003, Art. 110 Rn. 6; Stern, Staatsrecht,
Band II, 1980, 1196.
282
zwischen Parlament und Regierung aus.1189 Das demokratisch legitimierte Parlament erhält mit der Handlungsform Gesetz die Möglichkeit, die Haushaltsplanung zu kontrollieren. Der verabschiedete Haushaltsplan stellt sich als ein Kompromiss zwischen Regierung und Parlament, zwischen Parlamentsmehrheit und
Opposition dar.1190 Das Gebot eines Haushaltsgesetzes kann insofern auf das
Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip zurückgeführt werden.
Der Finanzausgleich hingegen ist elementarer Bestandteil des sozialen Bundesstaatsprinzips. Er bildet den Föderalismusgedanken ab und versucht die
Gegensätze, Finanzautonomie der Länder einerseits und solidarisches Einstehen
der Länder andererseits, in Einklang zu bringen. In Art. 107 II GG wird der Bundesgesetzgeber verpflichtet, ein Gesetz zu erlassen, das einen finanziellen Ausgleich zwischen den Bundesländern herstellt. Das Finanzausgleichsgesetz als
Bundesgesetz soll die Verteilungskonflikte zwischen den Ländern lösen. Der
Bundesgesetzgeber als unbeteiligter Dritter soll einen Kompromiss bezüglich der
Länderinteressen festschreiben.
Dem Haushaltsrecht und dem Finanzausgleich liegen demnach andersartige
Konflikte zugrunde. Dementsprechend hat die vorgeschriebene Gesetzesform
eine unterschiedliche Funktion. Innerhalb des Finanzausgleichs soll über die Verteilung der Einnahmequellen auf die unterschiedlichen Ebenen im Staatsaufbau
und eine begrenzte Umverteilung entschieden werden.1191 Die einfach-gesetzliche
Konkretisierung wirkt sich folglich auf das Verhältnis einer Mehrzahl von Haushalten zueinander aus.1192 Hierdurch besitzt dieser Gesetzgebungsauftrag ein
hohes Konfliktpotential. Er ist insofern dem Haushaltsrecht des Bundes und der
Länder vorgeschaltet, was sich auch in der grundgesetzlichen Systematik widerspiegelt.
b) Regelungsgehalt des Finanzausgleichsgesetzes
Dennoch könnte eine Vergleichbarkeit im Hinblick auf die Regelungstechnik bestehen. Auch das FAG enthält auf den ersten Blick »viele Zahlen«. Handelt es
sich somit dem Inhalt nach doch um eine verwaltende Tätigkeit des Staates, die
mit dem Haushaltsgesetz vergleichbar ist?
Hiergegen spricht, dass das FAG anders als das Haushaltsgesetz nicht jährlich
beschlossen wird und konkrete Umverteilungen vornimmt. Stattdessen legt das
FAG die Berechnungsformen fest. Es regelt, wie Finanzkraftmesszahl und Aus-
1189 Vgl. Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG – Kommentar, Band 3. Auflage, 1996,
Art. 110 Rn. 4; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, Band
3, 2001, Art. 110, Rn. 83.
1190 Vgl. Stern, Staatsrecht, Band II, 1980, 1198.
1191 Vgl. Huber, in v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, Band 3, 2001, Art.
107, Rn. 10, Siekmann, in: Sachs GG – Kommentar, 2003, vor Art.104a, Rn. 28; Stern,
Staatsrecht, Band II, 1980, 1129.
1192 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, 21.
283
gleichsmesszahl abstrakt berechnet werden (§ 6 FAG). Die endgültige Höhe der
Ausgleichszahlungen für ein Jahr stellt das Bundesministerium der Finanzen
durch Rechtsverordnung fest (§ 12 FAG). Die Ausgleichsleistungen der Länder
werden vorläufig durch das Bundesministerium als Clearingstelle1193 vollzogen
und nach Ablauf des Ausgleichsjahres endgültig abgerechnet § 13 FAG).
Dies bedeutet jedoch, dass das FAG »mehr Gesetz« als das Haushaltsgesetz ist.
Seine Aufgabe besteht nicht darin, eine tatsächliche Verteilung für ein Jahr vorzunehmen, sondern diese vorzubereiten. Der Bundesgesetzgeber besitzt hier eine
Regelungsmacht. So entscheidet er über die Faktoren, aus denen sich Finanzkraftmesszahl (Stichwort Hafenlasten § 7 III FAG) und Ausgleichsmesszahl
(Stichwort Einwohnerveredelung § 9 II FAG) zusammensetzen. Das FAG weist
somit eine größere sachliche Allgemeinheit als das Haushaltsgesetz auf.
Zuzugeben ist jedoch, dass es im Hinblick auf seine Regelungsmaterie keine
umfassende temporale Allgemeinheit beziehungsweise Dauerhaftigkeit besitzt.
Die Umverteilung von Geldern zwischen den Ländern unterliegt wirtschaftlichen
Entwicklungen. Dies stellt neben dem hohen Konfliktpotential der Umverteilungen einen Grund dafür dar, dass das FAG bis zum Maßstäbe – Urteil nahezu jährlich geändert wurde.1194 Zudem besitzt das FAG mit den Bundesländern einen
begrenzten Kreis von Normadressaten und damit eine eingeschränkte persönliche
Allgemeinheit.1195
c) Bloß historischer Wert der »klassischen« Kontroverse
Fraglich ist zudem, ob der »klassische« Schulenstreit über die Rechtsnatur des
Haushaltsgesetzes unter dem Grundgesetz noch eine entscheidende Bedeutung
besitzt. Es wurde versucht, die Besonderheit des Staatshandelns durch die Unterscheidung formelles – materielles Gesetz zu erfassen. Das Verdienst von Laband
bestand darin zu erkennen, dass eine Reihe von Gesetzen ihrem Inhalt nach weit
von dem abweicht, was gemeinhin durch Gesetze geregelt wird. Gerade dieser
Befund, also der besondere Charakter des Haushaltsgesetzes, veranlasste ihn, einen dualistischen Gesetzesbegriff zu entwickeln.1196
Wie jedoch bereits erörtert, ist der »doppelte« Gesetzesbegriff eng mit der konstitutionellen Monarchie verknüpft. Unter dem Grundgesetz kann ein solches
historisches Gesetzesverständnis nur noch mit Vorsicht herangezogen werden.
Der dualistische Gesetzesbegriff ist eng mit der Frage des Gesetzesvorbehalts
1193 Vgl. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, 1999, 545.
1194 Vgl. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, 25 ff.; differenzierend Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, 1999, 533, der davon spricht, dass trotz permanenter Ausgleichsreformen der Kern des Länderfinanzausgleichs seit 1970 unverändert erhalten
geblieben sei.
1195 Vgl. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, 82.
1196 Die Entwicklung zusammenfassend Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 1976, 168.
284
und damit der Schrankenziehungen zwischen den Gewalten verknüpft.1197 Das
parlamentarische Regierungssystem hat jedoch das Problem der Abgrenzung
zwischen Exekutive und Legislative grundlegend entschärft. Die Spannungslinien verlaufen heute nicht mehr zwischen Regierung und Parlament, sondern zwischen Mehrheitsfraktion und Opposition.1198 Wie im vierten Teil der Untersuchung erörtert wurde, liegt dem Grundgesetz ein formalisierter Gesetzesbegriff
zugrunde.1199
Aus diesem Grund hat auch in der Dogmatik zum Haushaltsrecht eine Akzentverschiebung stattgefunden. So zeigt Mussgnug in seiner Monographie zum
Haushaltplan ein verändertes Untersuchungsprogramm auf: Im Mittelpunkt der
Betrachtung steht bei ihm nicht mehr der Streit, ob das Haushaltsgesetz als nur
formelles Gesetz einzuordnen sei oder auch als ein Gesetz im materiellen Sinn
aufgefasst werden müsse.1200 Stattdessen sei entscheidend, ob es sich bei dem
Haushaltsgesetz um ein Gesetz wie jedes andere handele oder ob es Besonderheiten aufweise, die es notwendig machen, bei seinem Erlass oder seinem Vollzug
von ansonsten gültigen Prinzipien abzuweichen.1201 Ist das Haushaltsgesetz ein
Gesetz eigener Art, das nach einem eigenständigen Gesetzgebungsverfahren und
nach eigenständigen Auslegungsregeln verlangt?1202
4. Konsequenz für das weitere Untersuchungsprogramm
Der Vergleich mit dem Haushaltsgesetz hat gezeigt, dass das FAG zwar seinem
Wesen nach keinen Verwaltungsakt darstellt, jedoch nur in begrenztem Maß die
Voraussetzungen formeller Allgemeinheit erfüllt. Wie dargestellt, verlangt das
Grundgesetz die formelle Allgemeinheit von Gesetzen nach Art. 19 I S. 1 GG. Jedoch handelt es sich bei dem FAG nicht um ein grundrechtsbeschränkendes Gesetz. Im Finanzausgleich findet deshalb Art. 19 I S. 1 GG keine unmittelbare Anwendung.1203 Im Hinblick auf seine äußere Gestalt steht das FAG daher zwischen
1197 Vgl. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 1981, 375.
1198 Vgl. Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 1989, 161.
1199 Vgl. hierzu im Hinblick auf die Haushaltsgewalt vertieft Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 1989, 151 ff.
1200 Vgl. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 1976, 8, 31. Ebenso Heun, Staatshaushalt
und Staatsleitung, 1989, 161, Heun, in: Dreier, GG – Kommentar, Band III, 2000, Art. 110
Rn. 9; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, Band 3, 4. Auflage, 2001, Art. 110 Rn. 94; Siekmann, in: Sachs, GG – Kommentar, 2003, Art. 110 Rn. 23.
1201 Vgl. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 1976, 24. Ebenso Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HStR Band IV, 1990, § 89 Rn. 94, Siekmann, in: Sachs, GG – Kommentar, 2003, Art.
110, Rn. 23.
1202 Vgl. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 1976, 31.
1203 Zu überlegen wäre, ob Art. 19 I S.1 GG analog Anwendung findet. Hierfür spricht, dass
das Bundesverfassungsgericht aus Art. 3 I GG ein föderales Gleichbehandlungsgebot entwickelt. Wie jedoch an anderer Stelle deutlich wurde, wird Art. 19 I S. 1 GG sehr restriktiv
verstanden und entfaltet deshalb nur eine geringe Wirkung.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
In seiner Entscheidung zum Länderfinanzausgleich hat das Bundesverfassungsgericht 1999 auf eine rechtsphilosophische Figur, John Rawls’ berühmten „Schleier des Nichtwissens“, zurückgegriffen. Dieser „Schleier“ ist in Rawls’ Werken Teil eines fiktiven Urzustands und bewirkt, dass die Entscheidungsträger ihre eigenen Interessen nicht kennen. Wenig beachtet wurde jedoch der Umstand, dass Rawls auch im Bereich der idealen Gesetzgebung auf diese Gedankenfigur verweist.
Die Arbeit setzt sich zunächst intensiv mit diesen Textpassagen auseinander, um in einem nächsten Schritt zu untersuchen, inwieweit Gesetzgebung unter dem Grundgesetz mit dem Gedanken eines unparteilichen Abgeordneten vereinbar ist.
Das Werk richtet sich an Verfassungsjuristen und Rechtsphilosophen.