29
öffentlichen Leben umfassend verbietet13. Darüber hinaus bestimmt der ADA, dass
eine Benachteiligung wegen einer Behinderung bereits dann vorliegt, wenn die Bereitstellung angemessener Ausgleichsmaßnahmen ungerechtfertigt verweigert wird.
Im Umkehrschluss ergibt sich daraus ein Anspruch von Menschen mit Behinderung
auf ebensolche Ausgleichsmaßnahmen14. Schon bei seinem Erlass wurde die globale
Vorbildwirkung des ADA betont, insbesondere auch für die Staaten der Europäischen Gemeinschaft15. Gemessen an diesem Vorbild ist die deutsche Entwicklung
noch immer verzögert, was sogleich bei der Darstellung der Entwicklungslinien des
hiesigen Antidiskriminierungsrechts deutlich werden wird.
B. Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung in Deutschland
Ein wichtiger Impuls für den geforderten Paradigmenwechsel ist von einer zunehmend gut organisierten Behindertenbewegung hierzulande ausgegangen16. Mittlerweile hat sich auch das rechtliche Umfeld sowohl auf internationaler wie auch auf
europäischer und nationaler Ebene in Richtung Paradigmenwechsel gewandelt.
Nachdem die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1981 zum International Year of Disabled Persons erklärt hatte17, wurde bereits 1982 das World Program
of Action concerning Disabled Persons beschlossen18. Einen weiteren Anstoß
lieferten die Standard Rules on the Equalization of Opportunities for Persons with
Disabilities im Jahr 199319. Zudem wurde das World Program of Action aufgrund
diverser Resolutionen in das 21. Jahrhundert fortgeschrieben20. Letzter Meilenstein
ist die Convention on the Rights of Persons with Disabilities aus dem Jahr 200621.
13 Die ersten drei Titel des ADA verbieten die Diskriminierung wegen einer Behinderung durch
private Arbeitgeber (42 U.S.C. §§ 12101 ff.); durch Einrichtungen der Gliedstaaten und Gemeinden (42 U.S.C. §§ 12131 ff.) und durch private Dienste und Einrichtungen wie Restaurants, Hotels, Einzelhandel etc. (42 U.S.C. §§ 12181 ff.). Der vierte Titel betrifft Telekommunikation und Untertitel für Hör- und Sprechgeschädigte (47 U.S.C. § 225), der fünfte Titel
enthält noch weitere Einzelregelungen (42 U.S.C. §§ 12201 ff.). Dem Bund war bereits durch
andere Gesetze, vor allem durch Section 504 des Rehabilitation Act of 1973 (Public Law 93-
112 v. 26.9.1973, 29 U.S.C. § 794), die Diskriminierung wegen einer Behinderung verboten
worden.
14 Ausführlich unten S. 90 ff.
15 Burgdorf, 26 Harv. C.R.-C.L. L. Rev. (1991), 413, 414.
16 Vgl. Buch, Grundrecht der Behinderten, 2001, S. 14; Überblick über die Entwicklung der
Behindertenbewegung seit ca. 1970 Köbsell, in: 26 DSQ (2006), Vol.2 (Internetressource).
17 Resolution 31/123 v. 16.12.1976.
18 Resolution 37/52 v. 3.12.1982.
19 Rahmenbedingungen für die Herstellung der Chancengleichheit für Behinderte, Resolution
48/96 v. 20.12.1993; dazu auch Resolution 49/153 v. 23.12.1994.
20 Z.B. Resolutionen 52/82 v. 12.12.1997; 54/121 v. 17.12.1999; 56/115 v. 19.12.2001; 58/132
v. 22.12.2003; 60/131 v. 16.12.2005.
21 Konvention zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, Resolution 61/106 v.
13.12.2006, die am 3.5.2008 in Kraft getreten ist; zu ihrer Entwicklung Degener, SuP 2003,
30
Die Europäische Sozialcharta des Europarats enthält in Art. 15 Regelungen für
die Teilhabe von Menschen mit Behinderung22. Zuletzt ist der Council of Europe
Disability Action Plan to promote the rights and full participation of people with
disabilities in society: improving the quality of life of people with disabilities in
Europe 2006-2015 hinzugekommen23.
Naheliegendere Impulse für eine Entwicklung des nationalen Rechts in Richtung
Paradigmenwechsel der Behindertenpolitik kommen aus der Ergänzung des Grundgesetzes durch Art. 3 III 2 sowie von der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung
eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, der sogenannten Rahmenrichtlinie24. Die beiden genannten
Regelwerke und der Niederschlag, den sie bislang im einfachen deutschen Gesetzesrecht gefunden haben, sollen im Folgenden vorgestellt werden. Dabei wird insbesondere danach gefragt, inwieweit das deutsche Recht den durch das transatlantische
Vorbild inspirierten Paradigmenwechsel hin zu einem gleichheitsbasierten Antidiskriminierungsrecht speziell für Menschen mit Behinderung vollzogen hat.
I. Art. 3 III 2 GG
Art. 3 III 2 GG geht auf die Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission von
1992 zurück, die sich im Zuge des deutschen Vereinigungsprozesses mit beitrittsbedingten Grundgesetzänderungen, insbesondere mit der Aufnahme von Staatszielbestimmungen, befassen sollte25. Die Aufnahme einer besonderen Vorschrift in den
Verfassungstext des Grundgesetzes war, auch mit Blick auf entsprechende Klauseln
in einigen Landesverfassungen und ausländischen Verfassungen, bereits seit längerem gefordert worden; dabei standen verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten zur
Debatte26. Nach einigem politischen Tauziehen entschied man sich 1994 schließlich
für die Ergänzung des Art. 3 III GG um den zweiten Satz „Niemand darf wegen
seiner Behinderung benachteiligt werden“27.
275 ff. und dies., SuP 2003, 343 ff.; ausführlich zum Inhalt v. Bernstorff, ZaöRV 67 (2007),
1041, 1047 ff.
22 Europäische Sozialcharta v. 18.10.1961, BGBl. 1964 II, 1262.
23 Aktionsplan des Europarats zur Förderung der Rechte und vollen Teilhabe behinderter Menschen an der Gesellschaft: Verbesserung der Lebensqualität behinderter Menschen in Europa
2006-2015; angenommen vom Ministerkomitee am 5.4.2006.
24 Richtlinie 2000/78/EG des Rates v. 27.11.2000, ABl. Nr. L 303 v. 2.12.2000, S. 16 ff.
25 Sannwald, NJW 1994, 3313, 3313; Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, 2002, S. 111 f.
26 Überblick sowohl über die Vorbilder in anderen Verfassungen als auch über die möglichen
Ansätze, Menschen mit einer Behinderung ins Grundgesetz zu integrieren bei Herdegen,
VSSR 1992, 245, bes. 251 ff. u. 256 ff.
27 Die Verfassungsänderung hatte zunächst nicht die erforderliche 2/3-Mehrheit in der Gemeinsamen Verfassungskommission erhalten, konnte im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren nach Aufgabe des Widerstandes der damaligen Regierungskoalition aus CDU/CSU und
FDP jedoch durchgesetzt werden. Dazu Jürgens, ZfSH/SGB 1995, 353, 355 f.; Sachs,
RdJB 1996, 154, 156 ff.
31
1. Objektiv-rechtlicher Gehalt
Einigkeit besteht darüber, dass Art. 3 III 2 GG seinem objektiv-rechtlichen Gehalt
nach darauf hinwirken soll, eine faktische Chancengleichheit der Menschen mit
Behinderung herzustellen und so ihre Teilhabe an staatlichen und gesellschaftlichen
Einrichtungen zu verbessern28. Art. 3 III 2 GG ist also ein Gesetzgebungsauftrag im
Sinne eines besonderen sozialstaatlichen Staatsziels zu entnehmen29. Weiterhin ist
Art. 3 III 2 GG bei der Anwendung des einfachen Rechts als objektive Wertentscheidung der Verfassung zu berücksichtigen30. Etwa ist Art. 3 III 2 GG im Rahmen
des § 242 BGB bei der Entscheidung zu beachten, ob ein Vermieter den Einbau
eines Treppenlifts durch einen Mieter für seine gehbehinderte Lebensgefährtin zu
dulden hat31.
2. Subjektiv-rechtlicher Gehalt
Uneinigkeit besteht hingegen über die subjektiv-rechtliche Reichweite des
Art. 3 III 2 GG. Je größer die Reichweite ist, umso mehr Zugkraft könnte der Paradigmenwechsel aus diesem Grundrecht schöpfen.
a) Modifiziertes Differenzierungsverbot
Einhellig anerkannt ist, dass Art. 3 III 2 GG im Sinne eines „strikten Benachteiligungsverbotes“ subjektiv-rechtlich wirkt32. Die damit gemeinte Wirkungsweise ist
an die Sichtweise auf Art. 3 III 1 GG als Differenzierungs- oder Unterscheidungsverbot angelehnt. Das bedeutet nach engster Lesart, dass rechtliche Regelungen
nicht an die dort genannten Unterscheidungsmerkmale anknüpfen dürfen, um eine
28 Caspar, EuGRZ 2000, 135, 136; Heun, in: Dreier, GG-Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2004,
Art. 3 Rn. 134; Sachs, RdJB 1996, 154, 170 f.
29 Buch, Grundrecht der Behinderten, 2001, S. 193 f.; Caspar, EuGRZ 2000, 135, 142; Jestaedt,
VVDStRL 64 (2004), 298, 346; Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, 2002, S. 252 ff. –
Inwieweit den Gesetzgeber aus dem Gesichtspunkt der grundrechtlichen Schutzpflicht aus
Art. 3 III 2 GG eine Pflicht zum Erlass eines Antidiskriminierungsgesetzes für Menschen mit
Behinderung trifft, wird im unten S. 76 f. diskutiert.
30 Überwiegend wird dies als mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Zivilrecht konstruiert,
für Art. 3 III 2 GG etwa Heun, in: Dreier, GG-Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 3
Rn. 138; Osterloh, in: Sachs, GG, 4. Aufl. 2007, Art. 3 Rn. 307; Sachs, RdJB 1996, 154, 171;
Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, 2002, S. 262 ff.; allgemein näher unten S. 77 f.
31 Daneben ist natürlich auch das vom Bundesverfassungsgericht anerkannte „eigentumskräftige
Besitzrecht des Wohnungsmieters“ aus Art. 14 I GG zu beachten, BVerfG NJW 2000, 2658,
2659; dazu Neuner, NJW 2000, 1822, 1832.
32 Buch, Grundrecht der Behinderten, 2001, S. 120; Heun, in: Dreier, GG-Kommentar, Bd. I, 2.
Aufl. 2004, Art. 3 Rn. 134; Jürgens, NVwZ 1995, 452, 453; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/
ders., GG I, 5. Aufl. 2005, Art. 3 Abs. 3 Rn. 417.
32
bevorzugende oder benachteiligende Differenzierung zu treffen33. Alternativ lassen
sich die besonderen Gleichheitssätze bei etwas weiterer Lesart als Begründungsverbote in dem Sinne verstehen, dass eine Begründung der Ungleichbehandlung ohne
Bezugnahme auf das verpönte Merkmal möglich sein muss34. Eine Unterscheidung
anhand eines der verpönten Merkmale lässt sich nur mit zwingenden Gründen rechtfertigen35. Moderner gesprochen wirken die besonderen Gleichheitssätze also als
Abwehrrechte gegen unmittelbare Diskriminierungen, die strengen Rechtfertigungsanforderungen unterliegen36.
Bei Art. 3 III 2 GG ist dieses Verständnis insofern modifiziert, als dass nur Benachteiligungen, nicht aber Bevorzugungen wegen einer Behinderung verboten sind.
Damit kommt zum Ausdruck, dass eine sozialstaatlich motivierte Kompensation
dieser besonderen Lebenssituation weiterhin ohne verfassungsrechtliche Rechtfertigungszwänge vor dem besonderen Gleichheitssatz möglich bleiben soll37. Behinderung nimmt damit gegenüber den übrigen Unterscheidungskriterien des besonderen
Gleichheitssatzes in Art. 3 III 1 GG eine Sonderstellung ein.
Trotz des nur einseitigen Benachteiligungsverbots läuft die Norm bei dem geschilderten formalen Verständnis als Anknüpfungsverbot in ihrer subjektivrechtlichen Wirkung weitgehend leer. Dies hängt mit dem Merkmal selber zusammen. Behinderung ist ein sehr allgemeiner Sammelbegriff mit zahlreichen unterschiedlichen Ausprägungen. Wenn überhaupt an dieses Merkmal angeknüpft wird,
dann eher in einer bestimmten Ausprägung als allgemein38. Dies wird man zwar bei
einer teleologischen Interpretation des Art. 3 III 2 GG bereits für eine Anknüpfung
an das verpönte Merkmal halten müssen39. Weitaus häufiger aber sind Fälle, in denen nicht wegen einer allgemeinen oder bestimmten Behinderung benachteiligt
wird, sondern wegen der Nichterfüllung bestimmter geistiger oder körperlicher
33 Grundlegend Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, 1987, S. 428 ff.
34 Z.B. Heun, in: Dreier, GG-Kommentar, Bd. I, 2 Aufl. 2004, Art. 3 Rn. 124; wohl auch Starck,
in: v. Mangoldt/Klein/ders., GG I, 5. Aufl. 2005, Art. 3 Abs. 3 Rn. 379. – Der Streit um das
richtige Verständnis als Anknüpfungs- oder Begründungsverbot kann hier offen bleiben. Im
Ergebnis gleichen sich die Ansichten weitgehend, da bei einer tragfähigen Begründung auch
die Verwendung eines verpönten Merkmals durch eine entsprechende Umschreibung ersetzt
werden könnte. Ansichten wie die von Podlech, Gehalt und Funktionen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, 1971, S. 94, der anhand des Begründungsverbots eine
Geschlechtsneutralität des nur für Mädchen verpflichtenden Handarbeitsunterricht ausgemacht hat, sind von den heutigen Vertretern dieser Auffassung nicht mehr zu erwarten.
35 Osterloh, in: Sachs, GG, 4. Aufl. 2007, Art. 3 Rn. 254.
36 Osterloh, in: Sachs, GG, 4. Aufl. 2007, Art. 3 Rn. 259 für das Merkmal Geschlecht.
37 Heun, in: Dreier, GG-Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 3 Rn. 134; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., GG I, 5. Aufl. 2005, Art. 3 Abs. 3 Rn. 417.
38 Z.B. § 2229 IV BGB: „Wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm
abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, kann ein
Testament nicht errichten.“
39 Beaucamp, JA 2001, 36, 38; Buch, Grundrecht der Behinderten, 2001, S. 93 ff., Osterloh, in:
Sachs, GG, 4. Aufl. 2007, Art. 3 Rn. 311; Reichenbach, Anspruch behinderter Schülerinnen
und Schüler, 2001, S. 155 ff.
33
Funktionen, die an sich nichts mit dem Merkmal Behinderung zu tun haben, die aber
dennoch für Menschen mit bestimmten Behinderungen gerade wegen dieser Behinderung unerfüllbar sind40. Solche Fälle werden von einem streng formalen Verständnis als Anknüpfungsverbot nicht erfasst.
b) Verbot der mittelbaren Benachteiligung
Allerdings verbietet Art. 3 III 2 GG auch mittelbare Benachteiligungen zumindest
dann, wenn scheinbar neutrale Differenzierungskriterien praktisch ausschließlich
von Menschen mit einer bestimmten Behinderung erfüllt werden41. In seiner Entscheidung zur Testierfähigkeit stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass der
Ausschluss schreib- und sprechunfähiger Personen von der Testamentserrichtung
einen Verstoß gegen Art. 3 III 2 GG darstelle42. Die Schreib- und Sprechunfähigkeit
sei häufig Folge einer Behinderung. Der Ausschluss von der Testamentserrichtung
müsse durch zwingende Gründe gerechtfertigt werden können, die bei bloßer
Schreib- und Sprechunfähigkeit ohne zusätzliche Kommunikations- und Selbstbestimmungsunfähigkeit nicht ersichtlich seien43.
Wesentlich komplexer gestaltet sich die Frage nach einem Verstoß gegen Art. 3
III 2 GG bei der Überweisung eines Schülers mit einer Behinderung wegen seines
sonderpädagogischen Förderbedarfs in eine Sonderschule, obwohl er bzw. seine
Eltern eine integrative Beschulung in der Regelschule anstreben44. Eine mittelbare
Benachteiligung wegen einer Behinderung ist bei einer unerwünschten Überweisung
in eine Sonderschule jedenfalls denkbar, wenn der dafür ursächliche sonderpädago-
40 Etwa können blinde oder stark fehlsichtige Menschen nicht die zum Führen eines Kraftfahrzeuges erforderlichen Anforderungen an das Sehvermögen erfüllen, § 12 FeV i.V.m. Anlage
6 FeV.
41 Buch, Grundrecht der Behinderten, 2001, S. 136; Heun, in: Dreier, GG-Kommentar, Bd. I,
2. Aufl. 2004, Art. 3 Rn. 137; Osterloh, in: Sachs, GG, 4. Aufl. 2007, Art. 3 Rn. 311; anders
wohl Davy, in: Deutscher Sozialrechtsverband, Die Behinderten in der sozialen Sicherung,
2002, S. 7, 28 f., die eine unmittelbare Benachteiligung wegen einer Behinderung bei jedem
funktional begründeten Ausschluss annimmt.
42 Weiterhin verstieß der faktische Ausschluss schreibunfähiger Stummer aufgrund der Formerfordernisse bei der Testamentserrichtung gegen Art. 14 und 3 I GG, BVerfGE 99, 341, 351 ff.
43 BVerfGE 99, 341, 356 ff., dazu Buch, Grundrecht der Behinderten, 2001, S. 245 ff.; Neuner,
NJW 2000, 1822, 1827. – Im Ergebnis anders hingegen BVerfG NJW 2004, 2150, 2151: Der
Ausschluss eines blinden Schöffen von einer Tätigkeit in Strafverhandlungen wurde damit
gerechtfertigt, dass die Sehfähigkeit unerlässliche Voraussetzung zur Wahrnehmung aller
Einzelheiten des Verfahrens im Rahmen des strafrechtlichen Unmittelbarkeitsgrundsatzes ist.
44 Die pädagogische Diskussion um die gemeinsame Unterrichtung nichtbehinderter und behinderter Schüler in Integrationsklassen wird in Deutschland seit den 1970er Jahren geführt. In
den 1990er Jahren konnte sich die integrative Beschulung auch als neues bildungspolitisches
Leitbild etablieren, ausführlich Reichenbach, Anspruch behinderter Schülerinnen und Schüler, 2001, S. 22 ff.
34
gische Förderbedarf tatsächlich durch die Folgen einer Behinderung ausgelöst ist45.
Dann stellt sich die Frage nach dem Rechtfertigungsmaßstab dieser mittelbaren
Benachteiligung. In der Testierentscheidung verlangte das Bundesverfassungsgericht einen zwingenden Grund für die vorgenommene Differenzierung. Legt man
diesen Maßstab auch für die Sonderschul-Fälle zu Grunde, so wirkt es sich erschwerend auf die Rechtfertigung aus, wenn eine sonderpädagogische Förderung auch
integrativ auf der Regelschule möglich ist46. Allerdings ist zu beachten, dass die
Schaffung zusätzlicher integrativer Beschulungsmöglichkeiten für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. Aufgrund
des zuletzt genannten Gesichtspunkts wird die Rechtfertigung der in der Sonderschulüberweisung liegenden Benachteiligung häufig gelingen47. Denn die (kostenintensive) Bereitstellung sonderpädagogischer Förderung fällt in den Bereich der sozialstaatlich motivierten Leistungsverwaltung48. Der Staat ist zwar gehalten, dem
derzeitigen pädagogischen Kenntnisstand dadurch Rechnung zu tragen, dass er eine
integrative Beschulung nicht generell ausschließen darf49. Allerdings darf er die
sonderpädagogische Förderung auch separierend gestalten, zumal bestimmte Arten
der sonderpädagogischen Förderung nur schwerlich integrativ erbracht werden können50. Die dadurch gebundenen Mittel stehen für eine integrative Beschulung nicht
45 Vgl. BVerfGE 96, 288, 301 ff. – Die Annahme einer Benachteiligung wegen einer Behinderung bei Überweisung in die Sonderschule nach der Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs ist verschiedentlich angezweifelt worden, etwa OVG Lüneburg, NJW 1997, 1087,
1088; Dirnaichner, BayVBl. 1997, 545, 549 f. Begründet wird diese Ansicht damit, dass sonderpädagogischer Förderbedarf nicht mit dem Begriff Behinderung gleichzusetzen sei. Aus
Sicht der Betroffenen dürfte es sich bei dieser Argumentation jedoch um begriffliche Haarspalterei handeln. Zumindest wird man anerkennen müssen, dass Schüler mit Behinderung
überproportional häufig einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben werden. Daher liegt
jedenfalls eine mittelbare Benachteiligung vor.
46 Erwogen wurde, die Rechtfertigungsanforderungen an einen Verstoß gegen den besonderen
Gleichheitssatz des Art. 3 III 2 GG mit Blick auf den weiten Gestaltungsspielraums bei der
Ausgestaltung des Schulwesens aus Art. 7 I GG abzusenken, OVG Lüneburg, NJW 1997,
1087, 1089; VGH München, BayVBl. 1997, 561, 563; Dirnaichner, BayVBl. 1997, 545,
551 f. Diesem Vorgehen erteilte das Bundesverfassungsgericht jedoch eine klare Absage: Der
Gestaltungsfreiheit des Staates bei der Schulaufsicht werden durch übergeordnete Normen
des Grundgesetzes, wozu auch Art. 3 III 2 GG gehört, Grenzen gesetzt, BVerfGE 98, 288,
304 f.; ebenso Buch, Grundrecht der Behinderten, 2001, S. 286 f.; Jürgens/Römer, NVwZ
1999, 847, 848.
47 Dass dies keinesfalls immer der Fall ist, illustriert etwa der Beschluss des OVG Magdeburg,
NVwZ 1999, 898 f.: Im einstweiligen Rechtsschutz stoppte das Gericht die sofortige Vollziehung einer Sonderschulüberweisung. Die verlangte integrative Beschulung verursachte keine
besonders intensiven Mehrkosten, weil eine zielgleiche Unterrichtung der lediglich motorisch
eingeschränkten Antragsstellerin möglich war. – Bei einer zieldifferenten integrativen Beschulung sind die Kosten hingegen deutlich höher, so dass in diesen Fällen eine Rechtfertigung aufgrund des Ressourcenvorbehalts der Regelfall sein dürfte.
48 Ausführlich Buch, Grundrecht der Behinderten, 2001, S. 290 f.; kritisch zur Berücksichtigung
von Kostengesichtspunkten Jürgens/Römer, NVwZ 1999, 847, 849.
49 BVerfGE 96, 288, 304 f.
50 Vgl. Buch, Grundrecht der Behinderten, 2001, S. 288 f.
35
zur Verfügung. Diese kann demnach nur verlangt werden, sofern sie durch einen
vertretbaren Einsatz von Mitteln zu verwirklichen ist, was nur aufgrund der Umstände des Einzelfall zu entschieden werden kann.
Die möglicherweise in einer Sonderschulüberweisung liegende mittelbare Benachteiligung wegen einer Behinderung ist also durchaus janusköpfig. Dieser Eingriff lässt sich nämlich nur dadurch abstellen, dass – unter Berücksichtigung des
Förderbedarfs – eine integrative Regelbeschulung ermöglicht wird51. Ist diese mit
Mehrkosten verbunden, was häufig der Fall sein wird, handelt es sich um eine staatliche Leistung. Diese kann nur schwerlich aus dem Gedanken der gleichen Teilhabe
begründet werden, solange der Staat grundsätzlich eine begabungsgerechte Förderung in der Sonderschule bereit hält. Vielmehr müsste Art. 3 III 2 GG als originäres
Leistungsrecht verstanden werden, was jedoch in Einklang mit der herrschenden
Grundrechtsdogmatik überwiegend abgelehnt wird52. Das Bundesverfassungsgericht
laviert sich in seinem Sonderschulbeschluss geschickt um die Frage einer Rechtfertigung der Sonderschulüberweisung herum, indem es die Benachteiligung gleichsam
per saldo bestimmt: Der in der Sonderschulüberweisung liegende Ausschluss vom
Regelschulbesuch kann durch die im Sonderschulbesuch liegende Förderung soweit
kompensiert werden, dass er nicht benachteiligend wirkt53. Dies kann aber nicht
generell-abstrakt, sondern nur anhand von Wertungen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und prognostischen Einschätzungen für jeden Einzelfall festgelegt werden54.
Besonders betont das Bundesverfassungsgericht die verfahrensmäßigen Anforderungen im Rahmen dieser Einzelfallentscheidung, wonach sicherzustellen ist, dass
alle berührten Interessen umfassend gewürdigt werden und die Entscheidung der
letztverantwortlichen Schulbehörde substantiiert begründet wird, wobei einer angesichts Art. 3 III 2 GG problematischen Ausschlusswirkung besondere Rechnung zu
tragen ist55.
Mit der Erweiterung des Art. 3 III 2 GG auf das Verbot der mittelbaren Benachteiligung im beschriebenen Sinne können rechtliche Ausschlusswirkungen erfasst
werden. Ein Grenzfall ist erreicht, wenn der Ausschluss durch besondere Fördermaßnahmen ausgeglichen wird, diese in der angebotenen Form aber unerwünscht
sind. Aus dem abwehrrechtlichen Verbot der mittelbaren Benachteiligung lässt sich
51 Näher zur Abgrenzung des abwehrrechtlichen Konzepts der mittelbaren Benachteiligung im
klassischen Sinne und der erforderlichen neuen Perspektive des Antidiskriminierungsrechts
als „Recht auf Berücksichtigung der Differenz“ unten S. 88 f.
52 Dazu sogleich S. 36.
53 Kritisch zu dieser „Saldierung“ bei der Bestimmung des Eingriffs etwa Degener, KJ 2000,
425, 428 ff.; Beaucamp, JA 2001, 36, 39; Buch, Grundrecht der Behinderten, 2001, S. 284 f.;
Osterloh, in: Sachs, GG, 4. Aufl 2007, Art. 3 Rn. 313; Reichenbach, Anspruch behinderter
Schülerinnen und Schüler, 2001, S. 170 ff. Zustimmend hingegen Sachs, JuS 1998, 554; Berkemann, JR 1998, 397, 399.
54 BVerfGE 96, 288, 303.
55 BVerfGE 96, 288, 306 ff. – Die verfahrensmäßige Absicherung der in Fällen der Behindertendiskriminierung typischerweise erforderlichen Einzelfallentscheidung wird später bei der
Besprechung des einfachgesetzlichen Antidiskriminierungsschutzes näher thematisiert, unten
S. 106 f. u. 133 ff.
36
nämlich kein Anspruch auf eine anders gestaltete besondere Förderung herleiten.
Einem rein faktischen Ausschluss hingegen kann das Verbot der mittelbaren Benachteiligung nicht entgegenwirken. Das Problem liegt darin, dass Behinderung kein
vor- oder nachteilsneutrales Differenzierungsmerkmal ist, sondern praktisch immer
eine tatsächliche Belastung der Betroffenen im Vergleich zu Nichtbehinderten darstellt56. Um gleichgestellt mit Menschen ohne Behinderung teilnehmen zu können,
benötigen Menschen mit Behinderung häufig einen Ausgleich, der regelmäßig mit
einer Leistung oder doch einer Modifikation des „Normalprogramms“ verbunden
sein wird.
c) Leistungsrechte aus Art. 3 III 2 GG?
Um also zu einer größeren subjektiv-rechtlichen Reichweite zu gelangen, müsste aus
Art. 3 III 2 GG ein Leistungsrecht gerichtet auf faktische Gleichstellung gefolgert
werden können. Anerkannt ist, dass aus Art. 3 I GG ein Recht auf gleiche Teilhabe
folgt, wenn der Staat Einrichtungen und Systeme der Förderung und Leistung
schafft57. Allerdings beinhaltet dies zunächst nur eine formale Gleichbehandlung
aller, die teilnehmen wollen, anhand sachgerechter Kriterien58. Menschen mit Behinderung hilft die formale Gleichbehandlung aber dann nicht weiter, wenn sie gerade aufgrund der Natur ihres Merkmals auch sachgerechte Kriterien nicht erfüllen
können. Für sie müsste das Recht auf Teilhabe materiell aufgeladen werden. Dabei
geht es weniger darum, vorhandene Kapazitäten zu erweitern59, sondern vielmehr
müssen vorhandene Einrichtungen behinderungsgerecht umgebaut werden, so dass
die sachgerechten Kriterien auch von Menschen mit Behinderung in einem ihren
Möglichkeiten entsprechenden Modus erfüllt werden können. Beispielsweise ist es
in vielen Kontexten sachgerecht, eine selbständige Wahrnehmung von Informationen zu fordern. Eine behinderungsgerechte Einrichtung darf sich nicht auf die
schriftliche Auslegung dieser Informationen beschränken, sondern muss diese auch
für blinde Menschen wahrnehmbar gestalten. Ebenso ist es sachgerecht, die Freihaltung von Fluchtwegen etwa in einem städtischen Theater zu fordern. Ein behinderungsgerechter Umbau würde beinhalten, dass ausreichend Nischen für Rollstühle
bereitgehalten werden, so dass auch Rollstuhlfahrer einer Vorstellung beiwohnen
können, ohne Fluchtwege blockieren zu müssen.
Möglicherweise könnte ein Anspruch auf Schaffung behinderungsgerechter Einrichtungen – in Anlehnung an die Erwägungen des Bundesverfassungsgericht im
56 Besonders klar Herdegen, VSSR 1992, 245, 258; vgl. auch Reichenbach, Anspruch behinderter Schülerinnen und Schüler, 2001, S. 192 f.
57 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 24. Aufl. 2008, Rn. 88.
58 In seiner Numerus-Clausus-Entscheidung geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass
ein Recht auf Zulassung dann besteht, wenn die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind, BVerfGE 33, 303, 331.
59 Dies war die Kernfrage in BVerfGE 33, 303, 332 f.
37
Numerus-clausus-Urteil – aus der grundrechtlichen Wertentscheidung des Verbots
der Benachteiligung wegen einer Behinderung aus Art. 3 III 2 GG in Verbindung
mit dem Sozialstaatsprinzip hergeleitet werden60. Ein derartiger Anspruch wäre auf
eine Teilhabe durch ein Angebot zusätzlicher Leistung gerichtet, wobei es nicht um
Leistungen an einzelne im klassisch-sozialstaatlichen Sinne geht, sondern um die
Umgestaltung einer Einrichtung. Auch wenn man diesen Anspruch als lediglich
derivativ charakterisiert, weil es nur um die Teilhabe an bestehenden Einrichtungen
geht61, so kann dies doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass zum Teil erhebliche
Modifikationen an der Einrichtung vorgenommen werden müssen, um einer großen
Anzahl von Menschen mit höchst unterschiedlichen Behinderungen die Teilhabe zu
ermöglichen62. Daher ist die Grenze zu einem originären Leistungsrecht, also einem
Anspruch auf Schaffung neuartiger Einrichtungen und Systeme, letztlich fließend.
Der Herleitung originärer Leistungsrechte aus den Grundrechten steht die rechtliche Diskussion praktisch einhellig ablehnenden gegenüber63. Wollte man aus der
besonderen Natur des Art. 3 III 2 GG etwas anderes folgern64, so würde ein Recht
auf faktisch gleiche Teilhabe von Menschen mit Behinderung jedenfalls unter dem
Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen stehen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann65. Damit geht ein subjektives Leistungsrecht direkt aus Art. 3 III 2 GG aber letztlich nicht entscheidend weiter als sein
objektiver Gehalt: Zumindest solange der Staat nachweisen kann, seinem Auftrag
aus Art. 3 III 2 GG auf Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderung insgesamt adäquat nachzukommen, könnte im Einzelfall auf den Vorbehalt des
Möglichen verwiesen werden.
3. Bedeutung für den Paradigmenwechsel
Trotz der nur eingeschränkten Möglichkeiten, subjektive Rechte speziell für Menschen mit Behinderung aus Art. 3 III 2 GG herzuleiten, hat diese Norm doch zu
einer eingehenderen Beschäftigung mit dem Phänomen Behinderung durch Rechtswissenschaft und Rechtspraxis geführt. Insofern hat sich die erhoffte Appellfunktion
60 Vgl. BVerfGE 33, 303, 331 ff.
61 Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, 2002, S. 238; ähnlich Beaucamp, DVBl. 2002,
997, 1003 f.
62 So auch Buch, Grundrecht der Behinderten, 2001, S. 199.
63 Gegen originäre Leistungsrechte aus Art. 3 III 2 GG etwa Buch, Grundrecht der Behinderten,
2001, S. 195 ff.; Davy, in: Deutscher Sozialrechtsverband, Die Behinderten in der sozialen
Sicherung, 2002, S. 7, 36; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG-Kommentar, Bd. 1, 5. Aufl. 2000,
Art. 3 Rn. 104b; Osterloh, in: Sachs, GG, 4. Aufl. 2007, Art. 3 Rn. 305 f.; Scholz, in: Maunz/
Dürig, GG, Art. 3 Abs 3 Rn. 175, Stand Oktober 1996.
64 Die Vorsicht der Formulierung im Sonderschulbeschluss des Bundesverfassungsgerichts
deutet darauf hin, dass zumindest eine gewisse leistungsrechtliche Komponente bei Art. 3 III
2 GG für möglich gehalten wird. In BVerfGE 96, 288, 304 heißt es: „Unabhängig davon, ob
sich aus diesem Grundrecht originäre Leistungsansprüche herleiten lassen...“.
65 So BVerfGE 33, 303, 333.
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voll erfüllt66. Für den Paradigmenwechsel ist Art. 3 III 2 GG insofern von Bedeutung, als dass die Erwähnung von Menschen mit einer Behinderung im Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz den Anstoß zu einer eher gleichheitsrechtlich als rein
sozialstaatlich ausgerichteten Teilhabestrategie gegeben hat.
II. Richtlinie 2000/78/EG
Mehr als nur allgemeine Impulse für die Weiterentwicklung einer gleichheitsbasiertbürgerrechtlichen Behindertenpolitik gehen von der Richtlinie 2000/78/EG, der
sogenannten Rahmenrichtlinie, aus, die von den Mitgliedstaaten bis Dezember 2003
die Umsetzung der dort niedergelegten Anforderungen verlangt67.
1. Verzahnung des Gleichbehandlungsgrundsatzes mit kompensatorischen
Elementen
Die Rahmenrichtlinie, welche der Rat aufgrund der im Amsterdamer Vertrag von
1999 eingeführten Kompetenzbestimmung des Art. 13 EG erlassen hat68, schützt
allgemein und umfassend vor Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf wegen
der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung69. Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG setzt für den Antidiskriminierungsschutz zugunsten behinderter Menschen folgenden Maßstab:
„Um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu
gewährleisten, sind angemessene Vorkehrungen zu treffen. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber
die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Menschen
mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen
Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei
denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten. Diese Belastung
ist nicht unverhältnismäßig, wenn sie durch geltende Maßnahmen im Rahmen der Behindertenpolitik des Mitgliedstaates ausreichend kompensiert wird.“
Die Richtlinie erkennt also, dass das Merkmal Behinderung im Vergleich zu den
anderen dort genannten Merkmalen einen konzeptionell erweiterten Diskriminie-
66 Dazu bereits Herdegen, VSSR 1992, 245, 245 ff.
67 Art. 18 – Die Bundesrepublik Deutschland ist ihrer Umsetzungspflicht nicht im vorgegebenen
Zeitraum nachgekommen, EuGH Urt. v. 23.2.2006. RS C-43/05, EuZW 2006, 216; zu den
Gründen Däubler, in: ders./Bertzbach, AGG, 2007, Einl. Rn. 6 f.
68 Dazu Korthaus, Antidiskriminierungsrecht, 2006, S. 28 ff.; Leder, Diskriminierungsverbot,
2006, S. 34 ff.
69 Art. 1. – Das Verbot der Diskriminierung wegen Rasse und ethnischer Herkunft war bereits
Gegenstand der Richtlinie 2000/43/EG v. 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. L 180 v.
19.7.2000, S. 22-26.
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References
Zusammenfassung
Die Untersuchung geht der Frage nach, wie sich gleichheitsrechtlich geprägtes, modernes Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung und das traditionell sozialrechtlich geprägte Recht der beruflichen Rehabilitation zueinander verhalten. Als Vorbild eines speziellen antidiskriminierungsrechtlichen Regulierungsmodells zur verbesserten beruflichen Integration von Behinderten werden immer wieder die USA genannt, wo man seit den 1970er Jahren Erfahrungen mit diesem Ansatz sammeln konnte.
Eine umfassende Analyse der historischen Entwicklung sowie der gesellschaftspolitischen und verfassungsrechtlichen Grundannahmen des U.S.-amerikanischen Sozialsystems macht jedoch deutlich, dass das Antidiskriminierungsrecht dort häufig nur als Lückenbüßer dient.
Dieser Befund kann nicht ohne Konsequenz für das sozialstaatlich beeinflusste deutsche Rechtssystem sein. Zwar liefert der Rechtsvergleich mit den USA wichtige Anhaltspunkte für ein vertieftes Verständnis der europäischen antidiskriminierungsrechtlichen Vorgaben insbesondere für das Merkmal Behinderung. Allerdings werden auch die Grenzen dieses Ansatzes gegenüber der klassischen beruflichen Rehabilitation deutlich.
Die Arbeit wurde mit dem Zarnekow-Förderpreis 2009 ausgezeichnet.