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zum Ausdruck kommende Schutz vor einer nachteiligen Behandlung aufgrund einer
bestimmten Gruppenzugehörigkeit auch auf den privatrechtlichen Rechtsverkehr
ausgedehnt wird, hat der Gesetzgeber im Grundsatz von seinem Gestaltungsspielraum in verfassungskonformer Weise Gebrauch gemacht. Der Schutz der Privatautonomie setzt erst dann Grenzen, wenn keine Verträge im öffentlichen Wirtschaftsraum betroffen sind, sondern der Vertragsschluss durch das Erfordernis eines besonderen Näheverhältnisses gekennzeichnet ist oder wenn er Ausdruck einer
grundrechtlich besonders intensiv geschützten Haltung bzw. Lebensweise ist244.
Demnach stellt das AGG keinen ungerechtfertigten Eingriff in die Privatautonomie
dar, weil es sich für den allgemeinen Zivilrechtsverkehr auf Massengeschäfte oder
ihnen gleichstehende Verträge bezieht. Für das besonders intensiven antidiskriminierungsrechtlichen Beschränkungen unterliegende Arbeitsrecht ist ohnehin seit
langem anerkannt, dass wegen der existenziellen Bedeutung von Lohnarbeit für den
Einzelnen die Privatautonomie des Arbeitgebers zahlreichen Begrenzungen unterliegt245.
In den USA gibt es keine Entsprechung zur deutschen verfassungsrechtlichen
Debatte zu den Auswirkungen von Grundrechten auf das Antidiskriminierungsrecht
und die Determinierung desselben durch die Verfassung246. Allerdings ist es in den
Vereinigten Staaten unbestritten und seit Ende des zweiten Weltkrieges politisch
anerkannt, dass der Staat dafür zu sorgen hat, dass Bürger auch im Zivilrechtsverkehr nicht aufgrund von Diskriminierung in ihren Freiheiten beschnitten werden247.
Inhaltliche Begrenzungen des Antidiskriminierungsrechts werden weniger durch
materielles Verfassungsrecht als vielmehr durch eine Restriktion der Reichweite der
Bundeskompetenzen vorgenommen248.
II. Recht auf Nichtberücksichtigung der Differenz
Eine rein formal-rechtlich orientierte Gleichheitsbetrachtung stößt rasch an die
Grenzen der Realität. Denn eine formal gleiche Regelung verschafft einigen Begünstigten Vorteile, andere hingegen belastet sie oder wirkt sich neutral aus. Die Vorteile
244 Jestaedt, VVDStRL 64 (2004), 298, 348; Neuner, JZ 2003, 57, 63.
245 Allgemein Neuner, JZ 2003, 57, 62; Überblick über die Entwicklung des arbeitsrechtlichen
Diskriminierungsschutzes bei Boemke/Danko, AGG im Arbeitsrecht, 2007, S. 2 f. Rn. 5.
246 Der deutschen Schutzpflichtdebatte entspricht am ehesten noch die sogenannte state action
doctrin. Diese besagt zwar, dass die Grundrechte der Bundesverfassung nur das zentralstaatliche Handeln binden. Bei einer weiteren Lesart kann mit ihr jedoch auch eine Wirkung der
Grundrechte in den privatrechtlichen Bereich begründet werden, sofern es funktional dem
Handeln des Staates gleichsteht, vgl. Chemerinsky, 80 Nw. U. L. Rev. (1985), 503, 557;
Suerbaum, Der Staat 28 (1984), 419, 423 f.
247 Maßgeblich war die Einberufung des Committee on Civil Rights durch Präsident Roosevelt
im Jahr 1946, dazu Giegerich, Privatwirkung,1992, S. 237 ff. – allgemein zum verfassungsrechtlichen Hintergrund der Diskriminierungsverbote Rubin, 97 Mich. L. Rev. (1998), 564,
568.
248 Ausführlich unten S. 113 ff.
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summieren sich in der Regel zugunsten derer, die der dominierenden Mehrheitskultur angehören und ihre Lebenssituation als allgemeinen Maßstab zu Grunde legen
können249. Die Angehörigen der Minderheitskultur finden sich im von Minow so
treffend beschriebenen „Dilemma der Differenz“ (dilemma of difference) wieder250,
welches ihnen nur zwei relativ unattraktive Wahlmöglichkeiten lässt: Entweder
passen sich die Angehörigen der Minderheitskultur dem dominierenden Maßstab an,
was einer Assimilierung und damit einer Aufgabe ihrer Identität gleichkommt. Oder
sie beharren auf ihrer Identität, was sich bei Fortgeltung des Mehrheitsmaßstabes als
unvorteilhaft erweist.
Ein an der faktischen Wirksamkeit gleichheitsrechtlicher Regelungen orientiertes
Antidiskriminierungsrecht muss dieser Asymmetrie251 zwischen Mehrheits- und
Minderheitskultur entgegensteuern und nach Mitteln suchen, den geltenden Maßstab
zu ändern. Das bedeutet, dass das weiterhin formal gleiche Recht einen anderen
inhaltlichen Zuschnitt erhalten muss, der von den identitätsbildenden Faktoren der
Mehrheitskultur absieht und nicht zu nachteiligen Auswirkungen einer differenten
Identität führt252. In diesem Sinne zielt modernes Antidiskriminierungsrecht also auf
eine plurale Gesellschaftsordnung ab, in der sich zahlreiche unterschiedliche Identitäten unter möglichst gleichen Bedingungen entwickeln können253. Das „Recht auf
Nichtberücksichtigung der Differenz“ spiegelt sich vor allem im Verbot der mittelbaren Benachteiligung wider, welches zu einem zentralen Instrument des Antidiskriminierungsrechts geworden ist und in seiner grundsätzlichen Wirkungsweise in
der hier gebotenen Kürze vorgestellt werden soll. Ferner wird auf das Verbot der
Belästigung eingegangen, welches sich in den USA schon seit längerem, in Deutschland erst neuerdings als Bestandteil des Antidiskriminierungsrechts etablieren
konnte.
249 Mehrheitskultur meint denjenigen Teil der Gesellschaft, der im Sinne einer allgemeingültigen
Maßstabsbildung dominiert. Es ist nicht erforderlich und keinesfalls üblich, dass dieser Teil
auch die rechnerische Mehrheit der Gesellschaft stellt, dazu pointiert Nickel, Gleichheit und
Differenz, 1999, S. 64 f.
250 Minow, Making All the Difference, 1990, S. 19 ff. – Das „Dilemma der Differenz” kann alle
strukturell Benachteiligten Merkmalsträger im Sinne des modernen Diskriminierungsrechts
betreffen. Bei Menschen mit Behinderung kann es sich etwa darin äußern, dass bestimmte
äußere Merkmale einer Behinderung wie die typischen Gesichtszüge der Trisomie 21 entweder operativ korrigiert werden (Assimilation) oder die damit einhergehenden gesellschaftlichen Stereotypisierungen hingenommen werden.
251 Schiek, in: dies., AGG, 2007, Einl. Rn. 54.
252 Vgl. Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, 2000, S. 41: „Diskriminierungsschutz als Assimilierungsschutz“.
253 In diese Richtung Nickel, Gleichheit und Differenz, 1999, S. 21 ff.
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1. Verbot der mittelbaren Benachteiligung
Mit Hilfe dieses Verbots korrigiert das Antidiskriminierungsrecht individuelle Ungleichbehandlungen, die auf gruppenbezogenen Nachteilen beruhen254. Das Konzept
der indirekten oder mittelbaren Benachteiligung (indirect discrimination) veranlasst
eine Nichtberücksichtigung der Differenz, indem es erlaubt, neutrale Kriterien auf
ihre tatsächlichen Auswirkungen auf bestimmte Gruppen von Merkmalsträgern zu
untersuchen. Führen die Kriterien dazu, dass bestimmte Merkmalsträger von günstigen Rechtsfolgen in überproportionaler Zahl ausgeschlossen werden, dann wird eine
Benachteiligung an die Differenz geknüpft, wovor das Antidiskriminierungsrecht
gerade schützen will. Mit dem Verbot der mittelbaren Benachteiligung können also
faktisch diskriminierende Kriterien durch Angehörige der benachteiligten Gruppe
individuell abgewehrt werden. Es handelt sich – mit den Worten Schieks – um ein
„Hybrid“ aus formalem Gleichheitsrecht und materiellem Gleichbehandlungsgebot,
wobei der abwehrrechtliche Charakter dieses Verbots unzweifelhaft ist255.
Vor allem in zwei Fallkonstellationen bereitet die Abgrenzung der mittelbaren zur
unmittelbaren Diskriminierung Schwierigkeiten. Die erste Konstellation spielt auf
tatsächlicher Ebene und betrifft unmittelbare Diskriminierungen, die als mittelbare
Diskriminierungen getarnt werden. Etwa wird ein Bewerber aus vorgeschobenen
formalen Gründen abgelehnt, in Wirklichkeit aber wegen seiner Zugehörigkeit zu
einer bestimmten Rasse oder wegen seiner Behinderung nicht eingestellt. Aufgrund
der Absicht, gerade wegen eines verbotenen Unterscheidungskriteriums nicht einzustellen, liegt hier eine unmittelbare Diskriminierung vor, die aber nur schwer zu
beweisen ist. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung hilft, solche beweisrechtlich schwierigen Fälle dennoch zu erfassen256. Die zweite Konstellation spielt nicht
auf tatsächlicher, sondern auf konzeptioneller Ebene und betrifft Fälle, in denen das
verwendete Merkmal zwar scheinbar neutral ist, aber doch so ausschließlich mit
einem verbotenen Unterscheidungskriterium verknüpft ist, dass es bei wertender
Betrachtung diesem gleichstehen muss. In diese Kategorie gehören Benachteiligungen wegen einer Schwangerschaft, die aus biologischen Gründen nur bei Frauen
vorkommt. Mittlerweile hat sich durchsetzen können, dass Regelungen, die direkt an
das Merkmal Schwangerschaft anknüpfen, unmittelbar wegen des Geschlechts
benachteiligen257.
254 Bieback, Mittelbare Diskriminierung, 1997, S. 42 f.; Schiek, in: dies., AGG, 2007, § 3 AGG
Rn. 22; Tobler, Indirect Discrimination, 2005, S. 3.
255 Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, 2000, S. 74; dies., in: dies., AGG, 2007, § 3 AGG Rn.
22; vgl. auch Bieback, Mittelbare Diskriminierung, 1997, S. 36 ff.; inhaltlich vergleichbar
sind die Ausführungen bei Sacksofsky, Grundrecht auf Gleichberechtigung, 2. Aufl. 1996, S.
312 ff. zum Dominierungsverbot.
256 Vgl. Jolls, 115 Harv. L. Rev. (2001), 642, 652. – Vereinzelt wird dafür plädiert, die mittelbare Diskriminierung ausschließlich in diesem Sinne zu verstehen, etwa Mohr, EzA § 81 SGB
IX Nr. 6, S. 13, 28 f.; Thüsing, in: MüKo, 5. Aufl. 2007, § 3 AGG Rn. 24.
257 Im deutschen Recht ist dies in § 3 I 2 AGG klargestellt. In den USA führte die Entscheidung
des Supreme Court in der Sache General Electric Co. v. Gilbert, 429 U.S. 125 (1976), wo ei-
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§ 3 II AGG definiert die mittelbare Benachteiligung in Übereinstimmung mit
Art. 2 II b der Richtlinie 2000/78/EG folgendermaßen:
„Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften,
Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen
Personen in besonderer Weise benachteiligen können.“
Das entsprechende Konzept des U.S.-amerikanischen Rechts nennt sich disparate
impact und wurde vom Supreme Court in der Entscheidung Griggs v. Duke Power
Co. begründet258.
Die Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung ist unter einfacheren Bedingungen als bei der unmittelbaren möglich. Sowohl die U.S.-amerikanische als
auch die deutsche Definition im AGG schränken die unmittelbare Benachteiligung
bereits tatbestandlich ein. In beiden Rechtsordnungen stellt die Verwendung indirekt
benachteiligender Kriterien dann keine Diskriminierung dar, wenn sie sachlich notwendig sind; das U.S.-amerikanische Arbeitsrecht fordert hierfür eine betriebliche
Notwendigkeit259, das AGG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung260. In der Sache geht
es um die Frage, ob die diskriminierende Wirkung bestimmter Kriterien dem Verwender zuzurechnen ist261. Es ist also danach zu fragen, ob der Verwender für die
realen Folgen der von ihm vorgenommenen Differenzierungen rechtlich einstehen
ne Benachteiligung wegen einer Schwangerschaft nicht als Geschlechtsdiskriminierung angesehen wurde, zum Erlass des Pregnancy Dicrimination Act of 1978, der eine Anknüpfung an
eine Schwangerschaft einer Anknüpfung an das Merkmal Geschlecht gleichstellt, ausführlich
Siegel, 94 Yale L.J. (1985), 929 ff. – Das Konzept der unmittelbaren Diskriminierung stößt
hier natürlich an seine Grenzen. Idealtypisch will das Verbot der unmittelbaren Benachteiligung die Anknüpfung an sachlich irrelevante Merkmale verhindern. Die Gleichstellung von
Schwangerschaft mit dem Merkmal Geschlecht führt natürlich dazu, dass ein sachlich relevantes Merkmal nicht mehr entscheidungserheblich sein darf. Denn die schwangerschafts-,
geburts- und säuglingstypischen Mehrbelastungen von Frauen lassen sich auch bei modernster Gesellschaftsorganisation nicht wegreden. Daher geht es auch um eine wertende Gleichstellung. Wo die Grenze bei solchen Wertungen verläuft, ist – wie immer – schwierig zu entscheiden. Für das Merkmal Behinderung könnte man in paralleler Wertung festlegen, dass die
Anknüpfung an das Vorhandensein bestimmter körperlicher, seelischer oder geistiger Funktionen, deren Fehlen unweigerlich zu einer Behinderung führt, eine unmittelbare Benachteiligung wegen einer Behinderung darstellt. Allerdings lassen sich diese Funktionen häufig gar
nicht kompensieren, während die schwangerschaftsbedingten Mehrbelastungen typischerweise wenigstens zum Teil kompensiert werden können und vor allem nur für einen gewissen
Zeitraum bestehen. Hier endet also die Parallelität der Wertung.
258 401 U.S. 424 (1974), 430: „Practices, procedures, or tests neutral on their face, and even
neutral in terms of intent, cannot be maintained if they operate to ‘freeze’ the status quo of
prior discriminatory employment practices“; dazu Sacksofsky, Grundrecht auf
Gleichberechtigung, 2. Aufl. 1996, S. 226 ff.; Wisskirchen, Mittelbare Diskriminierung, 1994,
S. 29 ff.
259 Sogenannte „business necessity“, 42 U.S.C. § 2000e-2(k)(1)(A)(i) (Title VII des Civil Rights
Act of 1964); 42 U.S.C. § 12112 (b)(6) (Title I ADA).
260 § 3 II AGG „...es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind
durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses
Ziels angemessen und erforderlich.“
261 Rust, in: dies./Falke, AGG, 2007, § 3 Rn. 35 f.; Schiek, in: dies., AGG, 2007,§ 3 AGG Rn. 47.
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muss oder nicht. Eine Diskriminierungsabsicht spielt bei der Bestimmung der Zurechnung keine Rolle262, vielmehr wird darüber rein folgenorientiert entschieden,
wobei Statistiken eine wesentliche beweisrechtlich Funktion haben263.
Verfassungsrechtlich ist das Verbot der mittelbaren Diskriminierung in den Vergleichsrechtsordnungen nicht gleichermaßen fest verankert. Der Gleichheitssatz der
U.S.-amerikanischen Verfassung verbietet nach der Rechtsprechung des Supreme
Court nur absichtliche Benachteiligungen (discriminatory intent)264. Regelmäßig
lässt sich bei mittelbaren Diskriminierungen jedoch keine solche Absicht nachweisen, so dass diese nur nach den jeweiligen Antidiskriminierungsgesetzen, nicht jedoch verfassungsrechtlich verboten sind265. Im deutschen Verfassungsrecht ist das
Verbot der mittelbaren Benachteiligung jedoch anerkannt. Umstritten war lediglich,
ob dieses Verbot aus Art. 3 III GG hergeleitet werden könne oder ob mittelbare
Benachteiligungen nur am allgemeinen Gleichheitssatzes zu messen seien266. Letztlich ging es bei diesem Streit um die Frage, ob der strenge Rechtfertigungsstandard,
der bei einer Lesart des Art. 3 III GG als einem Verbot unmittelbarer Anknüpfung
an die dort genannten Merkmale entwickelt wurde, bei einer auf mittelbare Diskriminierungen erweiterten Lesart nicht unnötig aufgeweicht würde267. Unabhängig
von dieser dogmatischen Streifrage ist es aber unzweifelhaft, dass mittelbare Diskriminierungen unter einfacheren Voraussetzungen gerechtfertigt werden können als
unmittelbare268. Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht in Einklang mit der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts zumindest für das Merkmal Geschlecht anerkannt, dass Art. 3 III 1 GG auch die mittelbare Benachteiligung verbietet269. Anerkannt ist ebenfalls, dass mittelbare Dis-
262 Besonders eindringlich zur „entmoralisierenden Folgenorientierung“ modernen Antidiskriminierungsrechts Baer, ZRP 2001, 500, 502.
263 Dazu etwa Reichold, ZfA 2006, 257, 262. Zur teilweisen Entbehrlichkeit von aufwändigen
Beweisen mittels Statistiken nach den aktuellen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben Schiek,
in: dies., AGG, 2007, § 3 Rn. 24, 43 ff.
264 Washington v. Davis, 426 U.S. 229 (1976), 245; Personnel Administrator of Massachusetts v.
Feeney, 442 U.S. 256 (1979), 276 ff.
265 Pillai, 14 Geo. Mason U. Civ. Rts. L.J. (2004), 1, 6 f.; Sacksofsky, Grundrecht auf Gleichberechtigung, 2. Aufl. 1996, 231 ff.
266 Ausführliche Diskussion bei Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, 1987, 479 ff.;
Wisskirchen, Mittelbare Diskriminierung, 1994, S. 58 ff.
267 Bieback, Mittelbare Diskriminierung, 1997, S. 44 f., der zu Recht darauf hinweist, dass diesem Problem mit einer dogmatisch klaren Herausarbeitung des Instituts der mittelbaren Diskriminierung am effektivsten zu begegnen sei.
268 Bieback, Mittelbare Diskriminierung, 1997, S. 45; Osterloh, in: Sachs, GG, 4. Aufl. 2007,
Art. 3 Rn. 256.
269 BVerfGE 97, 35, 43 – Hamburger Ruhegeldgesetz: „Eine Anknüpfung an das Geschlecht
kann nach der Rechtsprechung auch vorliegen, wenn eine geschlechtsneutral formulierte Regelung überwiegend Frauen trifft und dies auf natürliche oder gesellschaftliche Unterschiede
zwischen den Geschlechtern zurückzuführen ist“. Ebenso BVerfGE 104, 373, 393 – Doppelnamen. Dazu Osterloh, in: Sachs, GG, 4. Aufl. 2007, Art. 3 Rn. 255 ff.
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kriminierungen von Menschen mit Behinderung sich an Art. 3 III 2 GG messen
lassen müssen270.
2. Verbot der Belästigung
Traditionell werden Belästigungen als Verletzung des Persönlichkeitsrechts gesehen,
was sie konzeptionell zu einem Freiheitsproblem anstelle eines Gleichheitsproblems
macht271. Die Einordnung von Belästigungen als Diskriminierung und damit als
Gleichheitsverstoß wird nur bei einem auf der Anerkennung differenter Identitäten
fußenden asymmetrischen Diskriminierungskonzept sichtbar272: Belästigungen oder
– weniger verharmlosend ausgedrückt – Schikanen im Zusammenhang mit einem
verbotenen Unterscheidungsmerkmal schaffen eine Atmosphäre, in denen der durch
dieses Merkmal zum Ausdruck kommenden Identität feindlich begegnet wird. Aus
dem Recht auf Nichtberücksichtigung der Differenz folgt, dass derartige Belästigungen anhand der antidiskriminierungsrechtlich anerkannten Merkmale zu unterbleiben haben, damit sich auch eine von der Mehrheitskultur abweichende Identität
ungehindert entfalten kann.
Belästigungen wurden in der U.S.-amerikanischen Rechtsprechung schon in den
1970er Jahren als mögliche Verstöße gegen Title VII des Civil Rights Act of 1964
erkannt273. Obwohl der ADA keine ausdrückliche Regelung dazu enthält, ist ganz
überwiegend anerkannt, dass auch für Menschen mit Behinderung antidiskriminierungsrechtlicher Belästigungsschutz besteht274. Im deutschen Recht wird die gleichheitsrechtliche Dimension von Belästigungen erstmals in § 3 III AGG zum Ausdruck gebracht, der zusätzlich zur Würdeverletzung durch eine unerwünschte Verhaltensweise die Schaffung eines feindlichen Umfeldes fordert275. In dieser
270 Oben S. 33 ff.
271 Für systemwidrig im Rahmen des Diskriminierungsschutzes halten Belästigungen etwa
Jestaedt, VVDStRL 64 (2004), 298, 313; Neuner, JZ 2003, 57, 66; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2007, Rn. 277 ff.; Wiedemann/Thüsing, DB 2002, 463, 468 f.
272 Vgl. Baer, Würde oder Gleichheit?, 1995, S. 282; Schiek, in: dies., AGG, 2007, § 3 AGG
Rn. 59 a.E.
273 Maßgeblich Rogers v. EEOC, 454 F.2d 234 (5th Cir. 1971) und Meritor Savings Bank v.
Vinson, 477 U.S. 57 (1986).
274 Thompson, 73 UMKC L. Rev. (2005), 715 ff.; Leder, Diskriminierungsverbot, S. 207 ff.
m.Nw.
275 Einen gewissen konzeptuellen Bruch stellt es dar, wenn § 3 IV AGG für die sexuelle Belästigung nicht notwendig die Schaffung eines feindlichen Umfelds zusätzlich zur persönlichen
Herabsetzung fordert. Dies mag einerseits daran liegen, dass sexuelle Belästigung besonders
schwer wiegt, vgl. Eggert-Weyand, in: Rust/Falke, AGG, Berlin 2007, § 3 Rn. 85. Andererseits sind es typischerweise noch immer heterosexuelle Männer, die Frauen oder homosexuelle Männer sexuell belästigen, so dass diese Form der Belästigung zumeist automatisch zu einem feindlichen Umfeld für strukturell benachteiligte Merkmalsträger im Sinne der asymmetrischen Konzeption des Antidiskriminierungsrechts führt, vgl. Schiek, in: dies., AGG, 2007,
§ 3 AGG Rn. 64.
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letztgenannten Voraussetzung kommt zum Ausdruck, dass gerade der von der
Mehrheitskultur differenten Identität in herabsetzender Weise begegnet werden
muss – es geht darum, der mit der Belästigung einhergehenden sozialen Ausgrenzung zu begegnen276. Plausibel wird dieser Zusammenhang am folgenden Beispiel:
Ein gehbehinderter Mitarbeiter ist täglich Anfeindungen ausgesetzt – etwa bezeichnen ihn die Kollegen als „Krüppel“ oder „Humpelbein“. Auch wenn ein neu eingestellter weiterer behinderter Mitarbeiter nicht direkt angegriffen würde, so fände er
doch eine feindliche Umgebung vor, die sich gerade gegen seine Behinderung richtet. Damit ist die Belästigung des ersten Mitarbeiters ein Verstoß gegen das „Recht
auf Nichtberücksichtigung der Differenz“ des zweiten Mitarbeiters und damit auch
im Sinne des Antidiskriminierungsrechts relevant.
Die Einordnung der Belästigung in einen antidiskriminierungsrechtlichen Kontext
bedeutet für das deutsche Verständnis Neuland, so dass Einzelheiten wohl auch auf
längere Sicht Rechtswissenschaft und -praxis beschäftigen dürften277.
III. Recht auf Berücksichtigung der Differenz
Zielt modernes Antidiskriminierungsrecht darauf ab, möglichst vielen Identitäten
und Lebensformen Entfaltungsraum zu verschaffen, dann genügt ein bloßes „Recht
auf Nichtberücksichtigung der Differenz“ nicht zur Erreichung dieses Zweckes.
Vielmehr muss das Antidiskriminierungsrecht auch eine aktivierende Komponente
enthalten, eben ein „Recht auf Berücksichtigung der Differenz“278. Wie es bereits in
der Formulierung zum Ausdruck kommt, löst sich dieses Recht von einer primär
abwehrrechtlichen Sichtweise. Insofern kann es auch nicht mehr in den Dunstkreis
des formalen Gleichheitsverständnisses fallen.
Das „Recht auf Berücksichtigung der Differenz“ will strukturell benachteiligten
Gruppen durch positive Maßnahmen zu einer verbesserten Teilnahme an der Mehrheitskultur verhelfen und dadurch gleichzeitig die Integrationskraft der Mehrheitskultur erhöhen279. Vor allem zwei Mechanismen werden in der antidiskriminierungsrechtlichen Debatte diskutiert und sollen kurz vorgestellt werden: zum einen die
276 Baer, ZRP 2001, 500, 502 – Diesen Zusammenhang verkennt Däubler, ZfA 37 (2006), 479,
489.
277 Zu dieser Einschätzung gibt auch die Situation in den USA Anlass, wo harassment-Klagen
unter Title VII des Civil Rights Act of 1964 Rechtsprechung und Rechtswissenschaft seit
mehr als 20 Jahren ungebrochen beschäftigen, dazu nur Ehrenreich, 88 GEOLJ (1999), 1 ff.
278 Nickel, Gleichheit und Differenz, 1999, S. 56 ff.
279 Die Ergänzung der Antidiskriminierungsdebatte um die Perspektive des „Rechts auf Berücksichtigung der Differenz“ hat nicht nur theoretischen Wert, sondern begegnet auch den praktischen Schwierigkeiten, welche die Beschränkung auf das im Kern abwehrrechtliche „Recht
auf Nichtberücksichtigung der Differenz“ mit sich bringt. Deutlich wird dies an der Konsequenz, dass mit Hilfe des Verbots mittelbarer Diskriminierung in der Regel nur Teile von
komplexen Regelungssystemen abgewehrt bzw. „herausgeschossen“ werden können, so dass
„Patchwork“-Systeme entstehen, die niemand so gewollt hat, Kocher, RdA 2002, 167, 170;
Winter, Gleiches Entgelt, 1998, S. 286.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Untersuchung geht der Frage nach, wie sich gleichheitsrechtlich geprägtes, modernes Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung und das traditionell sozialrechtlich geprägte Recht der beruflichen Rehabilitation zueinander verhalten. Als Vorbild eines speziellen antidiskriminierungsrechtlichen Regulierungsmodells zur verbesserten beruflichen Integration von Behinderten werden immer wieder die USA genannt, wo man seit den 1970er Jahren Erfahrungen mit diesem Ansatz sammeln konnte.
Eine umfassende Analyse der historischen Entwicklung sowie der gesellschaftspolitischen und verfassungsrechtlichen Grundannahmen des U.S.-amerikanischen Sozialsystems macht jedoch deutlich, dass das Antidiskriminierungsrecht dort häufig nur als Lückenbüßer dient.
Dieser Befund kann nicht ohne Konsequenz für das sozialstaatlich beeinflusste deutsche Rechtssystem sein. Zwar liefert der Rechtsvergleich mit den USA wichtige Anhaltspunkte für ein vertieftes Verständnis der europäischen antidiskriminierungsrechtlichen Vorgaben insbesondere für das Merkmal Behinderung. Allerdings werden auch die Grenzen dieses Ansatzes gegenüber der klassischen beruflichen Rehabilitation deutlich.
Die Arbeit wurde mit dem Zarnekow-Förderpreis 2009 ausgezeichnet.