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IV. Schlussbetrachtung: U.S.-amerikanisches Antidiskriminierungsrecht für
Menschen mit Behinderung zwischen der Verwirklichung des Gleichbehandlungsgebots und Verpflichtung zu sozialen Sonderleistungen
Die Darstellung der Dogmatik des speziellen Diskriminierungsschutzes von Menschen mit Behinderung und der seit neuerem geäußerten verfassungsrechtlichen
Zweifel an der Regelungskompetenz des Bundes illustrieren die Zwitterstellung
dieses Rechtsbereiches. Das Recht auf angemessene Vorkehrungen (reasonable
accommodations) kann durch eine gleichheitsrechtliche Brille, aber genauso gut
auch durch eine leistungsrechtliche Brille betrachtet werden. Der U.S.amerikanische Gesetz- und Verordnungsgeber hat sich für eine gleichheitsrechtliche
Brille entschieden. Der Supreme Court hatte zu Beginn seiner Rechtsprechung
Schwierigkeiten, diesem Ansatz zu folgen, entwickelte dann aber eine Judikatur,
welche die gleichheitsrechtliche Sichtweise nicht in Frage stellte. Neuerdings wird
aber wieder Kritik an dieser Sicht laut, die vor allem mit einer konservativen Sicht
auf die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Gliedstaaten im föderalen
System der USA zusammenhängt. Jedenfalls ist deutlich geworden, dass das gleichheitsrechtlich orientierte Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung
selbst in seinem Mutterland konzeptionell keinesfalls unanfechtbar ist.
C. Deutschland: Recht auf angemessene Vorkehrungen für Menschen mit
Behinderung?
Das deutsche Antidiskriminierungsrecht gliedert Menschen mit Behinderung zwar in
das allgemeine zivilrechtliche Benachteiligungsverbot des § 19 AGG ein, konzen
triert sich aber – auch in Umsetzung der europäischen Vorgaben aus der Richtlinie
2000/78/EG – vor allem auf den arbeitsrechtlichen Bereich. Die Entwicklung einer
speziellen Antidiskriminierungsdogmatik steckt noch in den Kinderschuhen, was
anhand der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Einstellung von Bewerbern mit Behinderung belegt werden soll. Ferner enthält das im SGB IX geregelte
Schwerbehindertenrecht einige Vorschriften, die zwar nicht ausschließlich, aber
doch auch antidiskriminierungsrechtlichen Gehalt aufweisen. Ob das deutsche Recht
die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zum Diskriminierungsschutz von Menschen
mit Behinderung insgesamt erfolgreich verwirklicht hat, ist abschließend zu klären.
I. Diskriminierungsschutz von Menschen mit Behinderung in der neueren
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
Untersucht wird, ob und wie das Bundesarbeitsgericht in seiner Rechtsprechung zur
Benachteiligung von Menschen mit Behinderung die Besonderheiten dieses verbotenen Unterscheidungskriteriums dogmatisch verarbeitet.
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References
Zusammenfassung
Die Untersuchung geht der Frage nach, wie sich gleichheitsrechtlich geprägtes, modernes Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung und das traditionell sozialrechtlich geprägte Recht der beruflichen Rehabilitation zueinander verhalten. Als Vorbild eines speziellen antidiskriminierungsrechtlichen Regulierungsmodells zur verbesserten beruflichen Integration von Behinderten werden immer wieder die USA genannt, wo man seit den 1970er Jahren Erfahrungen mit diesem Ansatz sammeln konnte.
Eine umfassende Analyse der historischen Entwicklung sowie der gesellschaftspolitischen und verfassungsrechtlichen Grundannahmen des U.S.-amerikanischen Sozialsystems macht jedoch deutlich, dass das Antidiskriminierungsrecht dort häufig nur als Lückenbüßer dient.
Dieser Befund kann nicht ohne Konsequenz für das sozialstaatlich beeinflusste deutsche Rechtssystem sein. Zwar liefert der Rechtsvergleich mit den USA wichtige Anhaltspunkte für ein vertieftes Verständnis der europäischen antidiskriminierungsrechtlichen Vorgaben insbesondere für das Merkmal Behinderung. Allerdings werden auch die Grenzen dieses Ansatzes gegenüber der klassischen beruflichen Rehabilitation deutlich.
Die Arbeit wurde mit dem Zarnekow-Förderpreis 2009 ausgezeichnet.