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ber nicht direkt auf eine beim Bewerber vorhandene Funktionsbeeinträchtigung
bezöge, sondern isoliert die Nichterfüllung einer Anforderung geltend machte. Sofern die Nichterfüllung einer Anforderung gerade aus der behinderungsbedingten
Funktionsbeeinträchtigung folgte, stünden sich die Fälle aber wertungsmäßig gleich,
so dass auch hier eine Überprüfung der Wesentlichkeit der vom Arbeitgeber aufgestellten Anforderungen angezeigt wäre.
Aussagen zur Pflicht der Arbeitgeber zur Vornahme angemessener Vorkehrungen, mit deren Hilfe die konkrete Funktionsbeeinträchtigung ausgeglichen werden
soll, enthalten die Urteile des Bundesarbeitsgerichts bislang nicht.
II. Spezieller Diskriminierungsschutz für Menschen mit Behinderung im SGB IX?
Das im SGB IX geregelte Schwerbehindertenrecht enthält diverse Vorschriften zum
Schutze und zur Förderung von schwerbehinderten und gleichgestellten Menschen496 im Erwerbsleben, ist aber traditionelles soziales Leistungs- und Schutzrecht. Abgesehen von § 81 II SGB IX a.F. bzw. § 81 II SGB IX n.F. i.V.m. dem
AGG enthält es kein Antidiskriminierungsrecht moderner Prägung. Dennoch können
einige der traditionellen Schutz und Fördervorschriften des Schwerbehindertenrechts
in antidiskriminierungsrechtlichem Lichte gelesen werden, indem sie das „Recht auf
Berücksichtigung der Differenz“ fördern. Zu diesem Zwecke lassen sich drei Kategorien bilden: Erstens die besonderen Verfahrensvorschriften zum Schutze und zur
Förderung von Schwerbehinderten, zweitens die Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen und drittens die Ansprüche der Arbeitnehmer gegenüber dem
Arbeitgeber u.a. auf behinderungsgerechte Anpassung des Arbeitsplatzes.
1. Besondere Verfahrensregelungen
Bereits in der Besprechung der Urteile des Bundesarbeitsgerichts zur Diskriminierung von Bewerbern mit Behinderung war von diesen Regelungen mehrfach die
Rede. Zu unterscheiden sind erstens das Bewerbungsverfahren betreffende Vorschriften, zweitens Regelungen zur Berücksichtigung der Belange von Mitarbeitern
mit Behinderung oder drohender Behinderung und drittens der besondere Kündigungsschutz.
496 Wenn im Folgenden nur von schwerbehinderten Menschen die Rede ist, sind immer auch die
nach §§ 68 I, 2 III SGB IX gleichgestellten mitgemeint.
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a) Bewerbungsverfahren
Grundsatznorm für alle von den Regelungen des Schwerbehindertenrechts betroffenen Arbeitgeber497 ist § 81 I SGB IX. Nach S. 1 sind Arbeitgeber verpflichtet zu
prüfen, ob Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können.
Dazu nehmen sie Verbindung mit der Agentur für Arbeit auf (S. 2), unterrichten die
Schwerbehindertenvertretung und andere Vertretungen498 wie den Betriebsrat über
entsprechende Bewerbungen und Vermittlungsvorschläge der Agentur (S. 3), beteiligen diese Vertretungen an der weiteren Prüfung und erörtern die beabsichtigte
Entscheidung mit ihnen (S. 6). Auch Einwände der Vertretungen gegen eine negative Entscheidung des Arbeitgebers müssen erörtert werden, sofern er die Beschäftigungsquote nicht erfüllt (S. 7). Dabei hat der Bewerber ein Anhörungsrecht (S. 8)
und er selber sowie die beteiligten Vertretungen sind über die Gründe der getroffenen Entscheidung zu unterrichten (S. 9). Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung kann vom schwerbehinderten Bewerber abgelehnt werden (S. 10). Öffentliche Arbeitgeber treffen nach § 82 SGB IX noch weitergehende Pflichten. Sie melden frühzeitig frei werdende und neue Stellen der Agentur für Arbeit (S. 1) und sind
verpflichtet, die Bewerber und von der Agentur vorgeschlagenen schwerbehinderten
Menschen zum Vorstellungsgespräch einzuladen (S. 2), es sei denn, die fachliche
Eignung fehlt offensichtlich (S. 3).
Antidiskriminierungsrechtlich betrachtet könnte sich in einigen dieser Regelungen das „Recht auf Berücksichtigung der Differenz“ niederschlagen, indem schwerbehinderte Menschen angehört werden müssen499 bzw. sich persönlich vorstellen
dürfen500. So wird ihnen die Möglichkeit gegeben, ihre besondere Situation dem
Arbeitgeber gegenüber zu präsentieren und in diesem Rahmen einerseits auf ihre
Bedürfnisse aufmerksam zu machen, andererseits aber auch mögliche Vorurteile
abzubauen. Zu beachten ist aber, dass es sich um eine generelle Regelung zugunsten
von allen Menschen mit dem Status schwerbehindert handelt und nicht um ein am
konkreten Arbeitsplatz ansetzendes individuelles Recht auf Gleichbehandlung. Das
Bundesarbeitsgericht macht diese Regelungen dennoch in diesem Kontext fruchtbar,
indem sich mit einer Nichtbeachtung der Verfahrensvorschriften immerhin die Vermutung einer Benachteiligung wegen einer Behinderung begründen lässt. Solange es
um die Umkehr der Beweislast in Antidiskriminierungsfällen geht, ist dagegen sicherlich nichts einzuwenden, da die Nichtbeachtung genereller Verfahrensvorschriften zum Schutze schwerbehinderter Bewerber durchaus einen Verstoß gegen das
Benachteiligungsverbot im konkreten Fall nahe legen kann. Wird mit einer Nichtbeachtung dieser Verfahrensvorschriften jedoch die konkrete Diskriminierung begrün-
497 Nach § 71 SGB IX sind das Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20
Arbeitsplätzen.
498 Diese anderen Vertretungen sind in § 93 SGB IX aufgelistet: Betriebs-, Personal-, Richter-,
Staatsanwaltschafts- und Präsidialrat.
499 § 81 I S. 8 SGB IX.
500 § 82 S. 2 SGB IX.
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det wie bei BAG Urteil v. 12.9.2006 – 9 AZR 807/05501, so ist dies für sich betrachtet zu weitgehend. Sollte hingegen im Verstoß gegen die Beteiligung des schwerbehinderten Bewerbers am Einstellungsverfahren die Absicht des Arbeitgebers zu
Tage treten, diesen gerade wegen seiner Behinderung nicht einstellen zu wollen,
liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor. Insofern kann sich die anfängliche
Vermutung zu einer konkreten Benachteiligung verdichten, was aber gänzlich einzelfallabhängig ist und nur angesichts der Gründe beurteilt werden kann, die der
Arbeitgeber zur Rechtfertigung der Nichteinstellung des schwerbehinderten Bewerbers darlegt. So verstanden stellen die besonderen Verfahrensvorschriften zum
Schutz schwerbehinderter Bewerber eine Parallele zum interactive process des U.S.amerikanischen Antidiskriminierungsrechts dar502.
b) Berücksichtigung der Belange schwerbehinderter Arbeitnehmer
Das Schwerbehindertenrecht kennt mehrere Mechanismen, mit deren Hilfe auf die
Belange schwerbehinderter Arbeitnehmer aufmerksam gemacht werden soll. Nach
§ 83 SGB IX treffen Arbeitgeber mit der Schwerbehinderten- und anderen Vertretungen eine Integrationsvereinbarung (Abs. 1 S. 1)503. Die Schwerbehindertenvertretung bzw. die anderen Vertretungen haben das Recht, entsprechende Verhandlungen
beim Arbeitgeber zu beantragen (Abs. 1 S. 2, 3). Es handelt sich um eine mit Normcharakter ausgestattete, freiwillige Betriebsvereinbarung, die verbindlich ist und
deren Einhaltung auch gerichtlich durchgesetzt werden kann; Verstöße können hingegen nicht sanktioniert werden504. Die Integrationsvereinbarung enthält Regelungen im Zusammenhang mit der Eingliederung schwerbehinderter Menschen (Abs. 2)
und weitere allgemeine Regelungen zur Förderung dieser Gruppe (Abs. 2a); in der
Sache wird auf praktisch alle anderen im SGB IX genannten Förderungsinstrumente
zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen verwiesen.
Eine weitere zentrale Vorschrift, mit der die rechtzeitige Berücksichtigung der
Belange schwerbehinderter Arbeitnehmer sichergestellt wird, ist § 84 SGB IX mit
seinen Regelungen zur Prävention. In der Sache geht es um vorgelagerten Kündigungsschutz, wie sich aus dem Wortlaut „Gefährdung des (Arbeits-)Verhältnisses“
ergibt, wobei die Durchführung des Präventionsverfahrens keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters ist, sondern
nur eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes505. Im Präventions-
501 Näher oben S. 126 ff.
502 Dazu oben S. 106 ff.
503 Die Schwerbehindertenvertretung ist in §§ 94 ff. SGB IX näher geregelt; gemäß § 98 bestellt
der Arbeitgeber zudem einen Beauftragten, der ihn in Angelegenheiten schwerbehinderter
Menschen vertritt.
504 Neumann, in: ders./Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Aufl. 2005, § 83 Rn. 8 ff.
505 BAG Urt. v. 7.12.2006, 2 AZR 182/06, NJW 2007, 1995, 1997 (Rz. 27); BAG Urt. v.
28.6.2007, 6 AZR 750/06, NZA 2007, 1049, 1053 (Rz. 38); insoweit zustimmend Arnold/ Fischinger, BB 2007, 1894, 1896.
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verfahren werden alle möglichen Maßnahmen zur dauerhaften Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erörtert. Besonders interessant ist die Erweiterung des Adressatenkreises der Präventionsmaßnahmen mit der Einführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) nach § 84 II SGB IX im Jahr 2004506. Nach überwiegender Auffassung, die mittlerweile auch höchstrichterlich bestätigt ist, knüpft
§ 84 II SGB IX seinem klaren Wortlaut zufolge nicht an die Schwerbehinderung an,
sondern gilt für alle Beschäftigten, die länger als 6 Wochen arbeitsunfähig sind507.
Nach § 84 III SGB IX können Arbeitgeber für die Einführung des betrieblichen
Eingliederungsmanagements einen Bonus von den Rehabilitationsträgern oder Integrationsämtern erhalten.
Ebenso wie die Vorschriften zum Bewerbungsverfahren zielen § 83 und § 84
SGB IX nicht auf einen Schutz vor individueller Benachteiligung wegen einer Behinderung, aber sie sichern verfahrensmäßig ab, dass Arbeitgeber sich frühzeitig mit
den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung an ihr Arbeitsumfeld
auseinandersetzen sollen. Insofern geht es auch hier um Vorschriften, die dem
„Recht auf Berücksichtigung der Differenz“ zuzuordnen sind. Allerdings handelt es
sich wiederum um generelle Schutzregelungen, deren Verstoß an sich keine Verletzung des Rechtes auf individuell-konkrete Gleichbehandlung begründen würde.
Dennoch entwickelt sich vor allem das in § 84 II SGB IX geregelte betriebliche
Eingliederungsmanagement (BEM) in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zu
einer Vorschrift, die auch im Sinne eines besonderen Antidiskriminierungsrechts für
Menschen mit Behinderung relevant ist. Die Kündigung trotz Nichtdurchführung
eines betrieblichen Eingliederungsmanagements hat nämlich zur Folge, dass sich die
Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers drastisch verschärft508. So muss er im
einzelnen aufzeigen, dass eine leidensgerechte Umgestaltung des Arbeitsplatzes
bzw. eine Versetzung auf einen alternativen Arbeitsplatz nicht möglich ist509. Die
Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Krankheitskündigung hat damit entschieden an
Bedeutung gewonnen, weil nun regelmäßig Fragen der Anpassung des Arbeitsplatzes und der Änderung der Arbeitsorganisation von den Gerichten geprüft werden510.
Damit muss der Arbeitgeber aber faktisch darlegen, dass keine angemessenen Vorkehrungen zur Verfügung gestanden haben.
506 Durch das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen v. 23.4.2004, BGBl. I, S. 606.
507 Z.B. Gaul/Süßbrich/Kulejewski, ArbRB 2004, 308, 310; v. Steinau-Steinrück/Hagemeister,
NJW-Spezial 2005, 129; Welti, NZS 2006, 623, 624; bestätigt durch BAG Urt. v. 12.7.2007,
2 AZR 716/06, NZA 2008, 173, 175 (Rz. 35) – aus systematischen Gründen kritisch zur
Ausweitung des personellen Geltungsbereichs Balders/Lepping, NZA 2005, 854; Arnold/ Fischinger, BB 2007, 1894, 1894 f.
508 Kritisch zu dieser Entwicklung Tschöpe, NZA 2008, 398, 399 ff.
509 BAG NZA 2008, 173, 177 (Rz. 44); ArbG Berlin Urt. v. 10.9.2008, 56 Ca 10703/08 (juris).
510 Kohte, DB 2008, 582, 585.
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c) Kündigungsschutz
Das Schwerbehindertenrecht enthält in §§ 85 ff. SGB IX einen speziellen Kündigungsschutz. Neben einer gegenüber der normalen Kündigungsfrist günstigeren
Fristenregelung511, ist die Wirksamkeit der Kündigung vor allem an die vorherige
Zustimmung des Integrationsamts geknüpft512. Das Verfahren zur Beteiligung des
Integrationsamts und seine Entscheidung sind in §§ 87-89 SGB IX geregelt, § 90
statuiert Ausnahmen vom besonderen Kündigungsschutz, § 91 Modifikationen für
außerordentliche Kündigungen und § 92 regelt einen erweiterten Beendigungsschutz
analog zum Kündigungsschutz bei anderweitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen, z.B. durch Berufsunfähigkeit.
Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgericht soll das spezielle Kündigungsschutzrecht für schwerbehinderte Arbeitnehmer als besondere Vorkehrung im Sinne
des Antidiskriminierungsrechts Art. 5 Rahmenrichtlinie umsetzen513. Das mit dem
Geist der Rahmenrichtlinie nicht in Einklang zu bringende Vorgehen des Bundesarbeitsgericht, positive Maßnahmen im Sinne von Art. 7 II als Vorkehrungen im Sinne
von Art. 5 zu etikettieren, findet in dieser Rechtsprechung seine Fortsetzung514. Ein
„Recht auf Berücksichtigung der Differenz“ durch Vornahme von angemessenen
Vorkehrungen im antidiskriminierungsrechtlichen Sinne kann in diese Regelungen
kaum hineingelesen werden, weil nicht der Träger des Merkmals persönlich in seiner Situation wahrgenommen wird, sondern das Integrationsamt als zwischengeschaltete staatliche Stelle eine nach den allgemeinen Grundsätzen gestaltete Ermessensentscheidung zu treffen hat. Es geht also nicht um eine Geltendmachung des
Gleichbehandlungsanspruchs durch das Individuum selber.
2. Schwerbehindertenbeschäftigungsquote
Ein zentrales und traditionsreiches Instrument zur Erhöhung der Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen im ersten Arbeitsmarkt ist die in § 71 SGB IX geregelte Beschäftigungspflicht von Arbeitgebern mit einer gewissen Mindestzahl von
Beschäftigten515. Darüber hinaus verlangt § 72 SGB IX, besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen, sogenannte schwerstbehinderte Menschen, in „angemessenem Umfang“ zu beschäftigen, ohne jedoch eine konkrete Pflichtquote festzulegen.
511 § 86 SGB IX. Seit der Einführung von 4 Wochen als regelmäßiger Kündigungsfrist nach
§ 622 I BGB ist § 86 SGB IX nur noch geringfügig vorteilhafter und schließt vor allem die
Verkürzung der Frist nach § 622 III-V BGB aus, Neumann, in: ders./Pahlen/Majerski-Pahlen,
SGB IX, 11. Aufl. 2005, § 86 Rn. 1.
512 Neumann, in: ders./Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Aufl. 2005, § 85 Rn. 1 ff.
513 BAG NZA 2007, 1049, 1053 (Rz. 43 f.).
514 Dazu bereits oben S. 127 ff.
515 Die Beschäftigungsquote existiert seit 1920, Welti, Behinderung, 2005, S. 66. Derzeit beträgt
sie 5% bzw. für Arbeitgeber mit wenigen Beschäftigten bis zu zwei schwerbehinderte Menschen, § 71 I SGB IX.
138
§§ 73-76 SGB IX beschäftigen sich mit den technischen Details der Arbeitsplatzbestimmung und der Anrechnung auf die Beschäftigungspflicht. § 77 SGB IX bestimmt, dass Arbeitgeber, die ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkommen, eine
Ausgleichsabgabe an das Integrationsamt zu richten haben. Es handelt sich um eine
verfassungsrechtlich zulässige, zweckgebundene Sonderabgabe516, deren Entrichtung nicht von der primären Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 71 SGB IX
befreit. Die Ausgleichsabgabe stellt einerseits einen ökonomischen Anreiz zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht dar, andererseits dient sie als Lastenausgleich für die
betriebliche Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen517. Denn nach § 102
IV SGB X stellen die Integrationsämter eine Vielzahl von begleitenden Hilfen im
Arbeitsleben sowohl an schwerbehinderte Menschen als auch an deren Arbeitgeber
zur Verfügung, die aus der Ausgleichsabgabe finanziert werden518. Flankiert wird
die Beschäftigungspflicht von § 81 III SGB IX, wonach Arbeitgeber durch geeignete
Maßnahmen sicher stellen, dass die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen überhaupt Beschäftigung finden kann.
Der antidiskriminierungsrechtliche Gehalt dieser Regelung ist als eher gering einzustufen. Zwar dienen Quoten als Maßnahmen der affirmative action generell der
Durchsetzung des „Rechts auf Berücksichtigung der Differenz“519. Allerdings ist die
Schwerbehindertenbeschäftigungspflicht primär ein Instrument des sozialstaatlichen
Ausgleichs, was anhand der Koppelung von Beschäftigung und Ausgleichsabgabe
deutlich wird. Die Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen wird in erster
Linie als besondere Belastung gesehen, die im Rahmen der sozialen Solidarität von
allen Arbeitgebern gleichmäßig zu tragen ist, sei es durch Einstellung oder sei es
durch Zahlung einer Sonderabgabe. Dieser Konnex zeigt, dass die Schwerbehindertenquote nicht der antidiskriminierungstypischen Beseitigung von gesellschaftlichen
Stereotypen dient, sondern dass der soziale Lastenausgleich im Vordergrund steht520.
3. Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber
Das SGB IX enthält in § 81 IV 1 direkte Ansprüche von schwerbehinderten Arbeitnehmern gegenüber ihrem Arbeitgeber auf konkrete Maßnahmen:
„Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf
1. Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und
weiterentwickeln können,
516 BVerfGE 57, 139 ff. und BVerfG, NJW 2005, 737 ff.
517 Welti, Behinderung, 2005, S. 701.
518 Eingehend zu diesen Maßnahmen Seidel, SuP 2004, 314; vgl. auch ders., SuP 2007, 161,
164 ff.
519 Dazu oben S. 86 f.
520 Zur grundsätzlichen Unterscheidung von Schutz vor Ausgrenzung durch allgemein sozialstaatliche Intervention und gezieltem Antidiskriminierungsrecht Neuner, JZ 2003, 57, 61 f.
139
2. bevorzugte Berücksichtigung bei innerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung
zur Förderung des beruflichen Fortkommens,
3. Erleichterung im zumutbaren Umfang zur Teilnahme an außerbetrieblichen Maßnahmen
der beruflichen Bildung,
4. behinderungsgerechte Einrichtungen und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der
Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr,
5. Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen.“
Ein weiterer Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung findet sich in § 81 V 3 SGB IX.
§ 81 IV 3 bzw. § 81 V 3, 2. HS SGB IX lässt alle genannten Ansprüche entfallen,
„soweit (ihre) Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen
Aufwendungen verbunden wäre oder soweit die staatlichen oder berufsgenossenschaftlichen
Arbeitsschutzvorschriften oder beamtenrechtliche Vorschriften entgegenstehen“.
§ 81 IV 2 SGB IX ordnet an, dass die Bundesagentur für Arbeit und die Integrationsämter die Arbeitgeber bei der Durchführung der meisten Maßnahmen nach S. 1
unterstützen.
Abgesehen von Nr. 2 und Nr. 3, die expressis verbis eine vorteilhafte Sonderbehandlung („bevorzugte Berücksichtigung“ – „Erleichterung“) anordnen, könnte
sich in den übrigen Nummern 1, 4 und 5 des § 81 IV 1 SGB IX sowie in Abs. 5 das
zur Entwicklung eines speziellen Antidiskriminierungsrechts für Menschen mit
Behinderung notwendige „Recht auf angemessene Vorkehrungen“ finden. In
§ 81 IV 3 SGB IX finden sich zudem Anspruchsausschlüsse – prozessual gesprochen also Einwände des Anspruchsgegners –, wodurch vor allem einer übermäßigen
Belastung des Arbeitgebers vorgebeugt werden soll. Dies ist eine parallele Regelung
zum im ADA vorgesehenen Einwand der undue burden gegen die Bereitstellung
angemessener Vorkehrungen521.
Gegen eine Deutung des § 81 IV SGB IX als antidiskriminierungsrechtliche
Norm im Sinne der Rahmenrichtlinie spricht jedoch, dass diese Vorschrift nur einen
isolierten Anspruch gegen den Arbeitgeber formuliert, aber nirgendwo ausdrücklich
mit dem Recht auf diskriminierungsfreie Gleichbehandlung in Verbindung gebracht
wird522. Einzig eine systematische Auslegung des § 81 SGB IX könnte ein solches
Ergebnis befürworten, weil das Benachteiligungsverbot immerhin in Abs. 2 durch
den Verweis auf das AGG statuiert ist. Allerdings sprechen die übrigen Absätze, in
denen besondere Verfahrensregelungen bei Behandlung schwerbehinderter Bewerber (Abs. 1) sowie das Erreichen der Schwerbehindertenquote nach § 71 SGB IX
flankierende Pflichten (Abs. 3) festgelegt werden, eher dagegen. Vielmehr stellt sich
§ 81 SGB IX als buntes Nebeneinander zahlreicher Arbeitgeberpflichten gegenüber
schwerbehinderten Menschen dar und nicht als eine einheitliche Antidiskriminie-
521 Dazu oben S. 110 f.
522 Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2007, Rn. 408 spricht von einer „partiellen Entsprechung“ von § 81 IV SGB IX mit Art. 5 Rahmenrichtlinie.
140
rungsregelung. In der Literatur wird § 81 IV SGB IX pauschal als „Förderungsgebot“ bezeichnet523. Da es bei Antidiskriminierungsrecht aber nicht um Förderung im
klassisch-sozialstaatlichen Sinne, sondern um Gleichbehandlung geht, lässt bereits
diese Wortwahl erkennen, dass § 81 IV SGB IX bislang nicht als antidiskriminierungsrechtliches Benachteiligungsverbot begriffen wird.
Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestätigt den obigen Befund. § 81
IV SGB IX ist noch nicht unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung aktiviert
worden. Diese Norm spielt eine Rolle bei Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers aus § 823 II BGB wegen einer Schutzgesetzverletzung, weil der Arbeitgeber die dort vorgesehenen Maßnahmen zur behinderungsgerechten Arbeitsplatzeinrichtung nicht getroffen hat524, und bei Ansprüchen auf eine Änderung des Arbeitsvertrages entsprechend der behinderungsgerecht zu erbringenden Leistung525.
4. Zusammenfassung
Das SGB IX enthält neben § 81 II durchaus einige weitere Normen, in denen das
„Recht auf Berücksichtigung der Differenz“ im Sinne des modernen Antidiskriminierungsrechts zum Ausdruck kommen kann. Eine moderne antidiskriminierungsrechtliche Lesart wird aber dadurch erschwert, dass diese Vorschriften in erster
Linie generell am Status der Schwerbehinderung ansetzende Verfahrens- und Mitwirkungsrechte sind, die dafür sorgen sollen, dass die Belange von schwerbehinderten Arbeitnehmern und Bewerbern Beachtung finden. Nicht an eine Schwerbehinderung, sondern an eine länger als sechs Wochen anhaltende Arbeitsunfähigkeit knüpft
§ 84 II SGB IX an, der damit eine Norm des präventiven Kündigungsschutzes ist,
zugleich aber in zahlreichen Fällen der Berücksichtigung der Belange von Menschen
dient, die entweder bereits behindert sind oder doch von einer Behinderung bedroht
sind. Insbesondere durch die Verschärfung der Darlegungs- und Beweislast bei einer
Kündigung trotz Nichtdurchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements wirkt diese Vorschrift immerhin indirekt in Richtung eines besonderen Antidiskriminierungsrechts für Menschen mit Behinderung526.
§ 81 IV SGB IX enthält Ansprüche auf angemessene Vorkehrungen und könnte
somit als Ausprägung eines speziellen Antidiskriminierungsrechts für Menschen mit
Behinderung nach U.S.-amerikanischem Vorbild herhalten. Allerdings stehen die in
dieser Norm gewährten Ansprüche nicht in einem antidiskriminierungsrechtlichen
Kontext, sondern sind letztlich isoliertes Leistungsrecht für statusrechtliche aner-
523 Igl/Welti, Sozialrecht, 8. Aufl. 2007, § 73 Rn. 6; Neumann, in: ders./Pahlen/Majerski-Pahlen,
SGB IX, 11. Aufl. 2005, § 81 Rn. 26 ff.
524 BAG Urt. v. 4.10.2005, 9 AZR 632/04, NZA 2006, 442, 444 (Rz. 22).
525 BAG Urt. v. 14.3.2006, 9 AZR 411/05, NZA 2006, 1214, 1216 (Rz. 26); zur entsprechenden
Norm des SchwbG BAG Urt. v. 28.4.1998, 9 AZR 348/97, NZA 1999, 152, 153 m. Nw. zur
früheren Rechtsprechung des BAG.
526 Oben S. 136.
141
kannt schwerbehinderte Arbeitnehmer. Eine dogmatische Eingliederung dieser Vorschrift in das Benachteiligungsverbot wegen einer Behinderung ist bislang weder
von Lehre noch Rechtsprechung versucht worden. Für eine solche Eingliederung
bestehen im Übrigen kaum Anhaltspunkte, zumal das Antidiskriminierungsrecht für
Arbeitnehmer mit Behinderung nunmehr insgesamt im AGG geregelt ist. Daher
bleiben bei Berücksichtigung der Tradition des deutschen Schwerbehindertenrechts
als speziellem Schutz- und Förderrecht für anerkannt schwerbehinderte Menschen
die Möglichkeiten äußerst begrenzt, Normen des Schwerbehindertenrechts im
SGB IX im Sinne eines speziellen Diskriminierungsschutzes für Menschen mit Behinderung zu deuten.
III. Vorgaben aus der Richtlinie 2000/78 EG und ihre Umsetzung ins deutsche Recht
Bevor geklärt werden kann, ob der deutsche Gesetzgeber seinen Umsetzungspflichten aus der Rahmenrichtlinie genügt hat, muss der genaue Gehalt dieser Richtlinie
festgelegt werden. Bereits ihr vollständiger Titel „Richtlinie 2000/78/EG des Rates
vom 27. November 2000 zur Festlegung eines Rahmens für die Verwirklichung der
Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf“ zeigt an, dass primärer Regelungsgegenstand Antidiskriminierungsrecht und nicht soziales Leistungsrecht ist. Daher
liegt eine Interpretation der Richtlinie im Sinne eines speziellen Antidiskriminierungsrechts für Menschen mit Behinderung vergleichbar der in den USA entwickelten Konzeption nahe527. Insbesondere unterscheidet die Rahmenrichtlinie – wie
bereits oben erwähnt528 – zwischen positiven und spezifischen Maßnahmen (Art. 7
II), mit denen insbesondere die Eingliederung von Menschen mit Behinderung als
Gruppe in die Arbeitswelt gefördert werden sollen, und angemessenen Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung (Art. 5), durch die der Gleichbehandlungsgrundsatz individuell zu gewährleisten ist529. Die Richtlinie macht damit einen Unterschied zwischen Maßnahmen der affirmative action und angemessenen Vorkehrungen (reasonable accommodations).
Andererseits spricht Art. 5 in Satz 3 davon, dass die durch angemessene Vorkehrungen entstehenden Lasten im Rahmen der Behindertenpolitik der Mitgliedstaaten
kompensiert werden können. Dies legt einen engen Zusammenhang zwischen den
angemessenen Vorkehrungen und der bislang in einem Mitgliedstaat verfolgten, im
Falle Deutschlands eher leistungsrechtlich ausgerichteten Konzeption nahe. Die
Rahmenrichtlinie erkennt also an, dass die Verwirklichung der Gleichbehandlung
von Menschen mit Behinderung neben einer formal gleichheitsrechtlichen auch eine
527 Vgl. zur Vorbildfunktion des ADA auch Wells, 32 Indus. L.J. (2003), 253, 262, allerdings mit
einer sehr negativen Bewertung des Vorbilds.
528 S. 128.
529 Hosking, 31 E.L.Rev. (2006), 667, 683.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Untersuchung geht der Frage nach, wie sich gleichheitsrechtlich geprägtes, modernes Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung und das traditionell sozialrechtlich geprägte Recht der beruflichen Rehabilitation zueinander verhalten. Als Vorbild eines speziellen antidiskriminierungsrechtlichen Regulierungsmodells zur verbesserten beruflichen Integration von Behinderten werden immer wieder die USA genannt, wo man seit den 1970er Jahren Erfahrungen mit diesem Ansatz sammeln konnte.
Eine umfassende Analyse der historischen Entwicklung sowie der gesellschaftspolitischen und verfassungsrechtlichen Grundannahmen des U.S.-amerikanischen Sozialsystems macht jedoch deutlich, dass das Antidiskriminierungsrecht dort häufig nur als Lückenbüßer dient.
Dieser Befund kann nicht ohne Konsequenz für das sozialstaatlich beeinflusste deutsche Rechtssystem sein. Zwar liefert der Rechtsvergleich mit den USA wichtige Anhaltspunkte für ein vertieftes Verständnis der europäischen antidiskriminierungsrechtlichen Vorgaben insbesondere für das Merkmal Behinderung. Allerdings werden auch die Grenzen dieses Ansatzes gegenüber der klassischen beruflichen Rehabilitation deutlich.
Die Arbeit wurde mit dem Zarnekow-Förderpreis 2009 ausgezeichnet.