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kannt schwerbehinderte Arbeitnehmer. Eine dogmatische Eingliederung dieser Vorschrift in das Benachteiligungsverbot wegen einer Behinderung ist bislang weder
von Lehre noch Rechtsprechung versucht worden. Für eine solche Eingliederung
bestehen im Übrigen kaum Anhaltspunkte, zumal das Antidiskriminierungsrecht für
Arbeitnehmer mit Behinderung nunmehr insgesamt im AGG geregelt ist. Daher
bleiben bei Berücksichtigung der Tradition des deutschen Schwerbehindertenrechts
als speziellem Schutz- und Förderrecht für anerkannt schwerbehinderte Menschen
die Möglichkeiten äußerst begrenzt, Normen des Schwerbehindertenrechts im
SGB IX im Sinne eines speziellen Diskriminierungsschutzes für Menschen mit Behinderung zu deuten.
III. Vorgaben aus der Richtlinie 2000/78 EG und ihre Umsetzung ins deutsche Recht
Bevor geklärt werden kann, ob der deutsche Gesetzgeber seinen Umsetzungspflichten aus der Rahmenrichtlinie genügt hat, muss der genaue Gehalt dieser Richtlinie
festgelegt werden. Bereits ihr vollständiger Titel „Richtlinie 2000/78/EG des Rates
vom 27. November 2000 zur Festlegung eines Rahmens für die Verwirklichung der
Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf“ zeigt an, dass primärer Regelungsgegenstand Antidiskriminierungsrecht und nicht soziales Leistungsrecht ist. Daher
liegt eine Interpretation der Richtlinie im Sinne eines speziellen Antidiskriminierungsrechts für Menschen mit Behinderung vergleichbar der in den USA entwickelten Konzeption nahe527. Insbesondere unterscheidet die Rahmenrichtlinie – wie
bereits oben erwähnt528 – zwischen positiven und spezifischen Maßnahmen (Art. 7
II), mit denen insbesondere die Eingliederung von Menschen mit Behinderung als
Gruppe in die Arbeitswelt gefördert werden sollen, und angemessenen Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung (Art. 5), durch die der Gleichbehandlungsgrundsatz individuell zu gewährleisten ist529. Die Richtlinie macht damit einen Unterschied zwischen Maßnahmen der affirmative action und angemessenen Vorkehrungen (reasonable accommodations).
Andererseits spricht Art. 5 in Satz 3 davon, dass die durch angemessene Vorkehrungen entstehenden Lasten im Rahmen der Behindertenpolitik der Mitgliedstaaten
kompensiert werden können. Dies legt einen engen Zusammenhang zwischen den
angemessenen Vorkehrungen und der bislang in einem Mitgliedstaat verfolgten, im
Falle Deutschlands eher leistungsrechtlich ausgerichteten Konzeption nahe. Die
Rahmenrichtlinie erkennt also an, dass die Verwirklichung der Gleichbehandlung
von Menschen mit Behinderung neben einer formal gleichheitsrechtlichen auch eine
527 Vgl. zur Vorbildfunktion des ADA auch Wells, 32 Indus. L.J. (2003), 253, 262, allerdings mit
einer sehr negativen Bewertung des Vorbilds.
528 S. 128.
529 Hosking, 31 E.L.Rev. (2006), 667, 683.
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sozialrechtliche Komponente hat530. Ferner wird deutlich, dass die Rahmenrichtlinie
bei allem Bestreben, spezifisches Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung zu schaffen, auf die unterschiedlich ausgerichteten Ansätze der Behindertenpolitik der Mitgliedstaaten Rücksicht nimmt531.
Zunächst soll untersucht werden, wie das in Art. 5 statuierte Recht auf angemessene Vorkehrungen in das antidiskriminierungsrechtliche Konzept der Rahmenrichtlinie eingefügt werden kann. Dann wird dazu Stellung genommen, ob der deutsche
Gesetzgeber dieses Recht – zumindest bei einer gemeinschaftsrechtskonformen
Interpretation – ausreichend umgesetzt hat.
1. Stellung des Rechts auf angemessene Vorkehrungen im Antidiskriminierungskonzept der Richtlinie 2000/78/EG
Die Rahmenrichtlinie konzentriert sich vor allem auf die beiden traditionell anerkannten Diskriminierungsformen: die unmittelbare und die mittelbare Benachteiligung. Diese beiden Arten der Benachteiligung werden in Art. 2 (2) definiert, Art. 4
regelt die Rechtfertigung unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligungen wegen
wesentlicher und entscheidender beruflicher Anforderungen. Erst im folgenden
Art. 5 statuiert die Richtlinie 2000/78/EG das Recht auf angemessene Vorkehrungen
für Menschen mit Behinderung. Fraglich ist, ob dieses Recht in das herkömmliche
duale Antidiskriminierungskonzept einzufügen ist oder ob es als eigenständiges
Benachteiligungsverbot neben dem Verbot der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung steht.
a) Recht auf angemessene Vorkehrungen und unmittelbare Diskriminierung
Art. 2 (2)(a) Rahmenrichtlinie definiert die unmittelbare Diskriminierung folgendermaßen:
„Eine unmittelbare Diskriminierung (liegt) vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1
genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“.
Das Recht auf angemessene Vorkehrung ließe sich bei folgender Betrachtungsweise
mit diesem Konzept in Verbindung bringen: Ein Mensch mit Behinderung erfährt
530 Dies wird auch in den Eingangserwägungen Nr. 6 und Nr. 8 deutlich, wo auf die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer verwiesen wird, welche die Bereitstellung geeigneter Maßnahmen als Mittel der sozialen und wirtschaftlichen Eingliederung
von Menschen mit Behinderung nennt (Nr. 6), und wo auch die Bekämpfung der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung als Förderung der sozialen Eingliederung gemäß der
vom Europäischen Rat am 10. und 11. 12. 1999 vereinbarten beschäftigungspolitischen Leitlinien für 2000 betont wird (Nr. 8).
531 Vgl. Hosking, 31 E.L.Rev. (2006), 667, 671.
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eine Funktionseinschränkung, die seine Teilnahme nur mit Hilfe von angemessenen
Vorkehrungen möglich macht. Wenn ihm diese Vorkehrungen verweigert werden,
so wird er weniger günstig behandelt, als eine andere Person ohne die Funktionseinschränkung. Die Funktionseinschränkung muss als derart eng mit dem Merkmal
Behinderung verknüpft aufgefasst werden, dass es zulässig scheint, eine Benachteiligung gerade wegen der Behinderung anzunehmen532.
Eine derartige Lesart ist jedoch nicht angezeigt. Die Rahmenrichtlinie folgt mit
ihrem Konzept der unmittelbaren Diskriminierung grundsätzlich einer am formalen
Gleichheitsrecht orientierten Betrachtung533. Systematisch lässt sich das an den
strengen Rechtfertigungsvoraussetzungen in Art. 4 (1) festmachen. Eine unmittelbare Diskriminierung kann nur gerechtfertigt werden, wenn ein Merkmal, welches mit
einem der verbotenen Differenzierungskriterien im Zusammenhang steht, eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt534. Daraus lässt sich
entnehmen, dass ein Arbeitgeber von seinen Arbeitnehmern die Erfüllung solcher
Anforderungen verlangen kann. Erfüllt ein Arbeitnehmer – etwa wegen seiner behinderungsbedingten Funktionsbeeinträchtigung – eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung nicht, dann verstößt der Arbeitgeber nicht gegen das
Verbot der unmittelbaren Diskriminierung, wenn er ihn gerade deswegen nicht einstellt. Von einer Pflicht zur Bereitstellung von angemessenen Vorkehrungen ist im
Zusammenhang mit Art. 4 keine Rede, sondern erst im darauf folgenden Art. 5.
Diese Stellung der angemessenen Vorkehrung im Gefüge der Richtlinie deutet darauf hin, dass hier etwas konzeptionell Neues beginnt. Im Übrigen lässt sich das
Recht auf angemessene Vorkehrungen auch nicht mehr in ein formales Gleichheitskonzept einfügen, sondern liefert gerade die aktivierende Komponente, die zur Beseitigung der materiellen Ungleichheiten notwendig ist, welche das Konzept der
formalen Gleichheit produziert535.
532 Diese Sichtweise entfalten Waddington/Hendriks, 18 Int. J. CLLIR (2002), 403, 423 f., in
Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH zur Schwangerschaft als unmittelbarer Diskriminierung wegen des Geschlechts in der Sache Dekker (EuGH, Urt. v. 8.11.1990, Rs. 177/88,
Slg. 1990, I-3941, Rz. 12).
533 Leder, Diskriminierungsverbot, 2006, S. 241 f.; Hosking, 31 E.L.Rev. (2006), 667, 672 ff.
534 Zu der mit Blick auf das Merkmal Behinderung ein wenig verqueren Formulierung des Art.
4 (1) Rahmenrichtlinie Leder, Diskriminierungsverbot, 2006, S. 277 f.: Bei unbefangenem
Verständnis setzt Art. 4 (1) gerade das Vorliegen eines verbotenen Differenzierungskriteriums als wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung voraus und nicht dessen Fehlen.
535 Ausführlich oben S. 88 f.
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b) Recht auf angemessene Vorkehrung und mittelbare Diskriminierung
Art. 2 (2)(b) definiert die mittelbare Diskriminierung wie folgt:
„Eine mittelbare Diskriminierung (liegt) vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften,
Kriterien oder Verfahren Personen mit einer (...) bestimmten Behinderung (...) gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können“.
Schon die explizite Erwähnung der „bestimmten Behinderung“ zeigt, dass die
Richtlinie die besondere Problematik der Benachteiligung von Menschen mit Behinderung im Zusammenhang mit der mittelbaren Diskriminierung erkennt. Denn
diese liegt ja gerade in der Nichterfüllung von Anforderungen im Zusammenhang
mit der Funktionsbeeinträchtigung, die nur anhand der jeweiligen Behinderung genau zu bestimmen ist. Demnach kann eine mittelbare Benachteiligung wegen einer
Behinderung bereits dann angenommen werden, wenn ein Bewerber aufgrund seiner
behinderungsbedingten Funktionsbeeinträchtigung berufliche Anforderungen nicht
erfüllen kann536. Bei diesen Anforderungen würde es sich nur um dem Anschein
nach neutrale Kriterien handeln, da Bewerber mit einer bestimmten Behinderung im
Vergleich zu solchen ohne diese Behinderung benachteiligt würden. Die Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung ist nach Art. 2 (2)(b)(i) Rahmenrichtlinie
gegeben, wenn Vorschriften, Kriterien und Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel
gerechtfertigt werden können, sofern die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Sofern es sich bei diesen Anforderungen um für die
Ausübung des Berufes wesentliche und entscheidende handelt, so würden sie ein
rechtmäßiges Ziel im Sinne von Art. 2 (2)(b)(i) Rahmenrichtlinie darstellen. Die
Mittel zur Zielerreichung müssten aber auch noch angemessen und erforderlich sein.
Bei einem weiten Verständnis von „Mittel“ auch im Sinne von Unterlassungen
könnte hier das Recht auf angemessene Vorkehrungen nach Art. 5 hineingelesen
werden: Die Zielerreichung ist nur dann verhältnismäßig, wenn auch zumutbare
Vorkehrungen zur Berücksichtigung der behinderungsbedingten Einschränkung
unternommen werden.
Die Aussagen zur mittelbaren Diskriminierung der Richtlinie 2000/78/EG sind
mit Blick auf das Merkmal Behinderung damit offen für eine Eingliederung des
Rechts auf angemessene Vorkehrungen537. Allerdings spiegelt diese weite Lesart
sicherlich nicht das ursprünglich dem formalen Gleichheitsverständnis nahestehende
536 Vgl. Wells, Indus. L.J. (2003), 253, 269 f.; in diese Richtung auch Kaffenberger, SuP 2006,
47, 51, wo der Fall des weltberühmten Bariton Thomas Quasthoff geschildert wird, der wegen seiner verkürzten Arme nicht Klavier spielen kann und folglich die Aufnahmeprüfung an
einer deutschen Musikhochschule nicht bestehen konnte, da Klavier als Pflichtfach vorgesehen ist.
537 Dazu Wells, Indus. L.J. (2003), 253, 270 f: Die Mitgliedstaaten haben die Wahl, ob sie sich
für einen eigenständigen Diskriminierungsschutz für Arbeitnehmer mit Behinderung (dazu
sogleich S. 146) oder eine Einbettung des Rechts auf angemessene Vorkehrungen in die bestehenden Kategorien entscheiden.
145
Konzept der mittelbaren Diskriminierung im klassischen Sinne wider538. Diesem
Benachteiligungsverbot geht es vor allem darum, die generelle Beseitigung diskriminierender Kriterien zu erreichen. Es werden faktische Benachteiligungen aufgrund
einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit individuell abgewehrt. Das Recht auf angemessene Vorkehrungen berücksichtigt aber individuelle Nachteile von Menschen
mit Behinderung, die nur einzelfallabhängig und nicht aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit bestimmt werden können. Eine generelle Beseitigung von mittelbar diskriminierenden Kriterien kann nicht erreicht werden, sondern nur eine angemessene
Reaktion auf den Einzelfall539.
Festzuhalten bleibt, dass sich das Recht auf angemessene Vorkehrungen aus
Art. 5 Rahmenrichtlinie bei einem weiten Verständnis in das Konzept der mittelbaren Diskriminierung einfügen lässt. Allerdings müsste man dann die mittelbare Diskriminierung gleichsam zu einem Sammelbecken für alle Formen der Benachteiligung machen, die keine unmittelbaren sind.
c) Recht auf angemessene Vorkehrungen als Diskriminierungsverbot sui generis
Es liegt damit nahe, das Recht auf angemessene Vorkehrungen in Art. 5 Rahmenrichtlinie als Diskriminierungsverbot eigener Art zu interpretieren540. Einen schwer
verständlichen Anhaltspunkt hierfür bietet Art. 2 (2)(b)(ii), der eine Ausnahme von
der mittelbaren Diskriminierung statuiert:
„Eine mittelbare Diskriminierung (liegt) vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften,
Kriterien oder Verfahren Personen mit einer (...) bestimmten Behinderung (...) gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn der Arbeitgeber (...)
ist im Falle von Personen mit einer bestimmten Behinderung aufgrund des einzelstaatlichen
Rechts verpflichtet, geeignete Maßnahmen entsprechend den in Artikel 5 enthaltenen
Grundsätzen vorzusehen, um die sich durch diese Vorschrift, dieses Kriterium oder dieses Verfahren ergebenden Nachteile zu beseitigen“.
Diese Vorschrift könnte zunächst so verstanden werden, dass nichtbehinderte Arbeitnehmer eine mittelbare Diskriminierung nicht damit begründen können, dass sie
im Gegensatz zu Arbeitnehmern mit einer Behinderung keine Maßnahmen nach Art.
5 Rahmenrichtlinie beanspruchen dürfen541. Allerdings macht ein solches Verständnis wenig Sinn, da nichtbehinderte Arbeitnehmer gerade keiner geeigneten Maßnahmen i.S.d. Art. 5 Rahmenrichtlinie bedürfen, um alle wesentlichen Anforderungen einer Stelle zu erfüllen. Umgekehrt gewendet sind nichtbehinderte Arbeitnehmer durch die Bereitstellung geeigneter Maßnahmen an behinderte Arbeitnehmer
538 Leder, Diskriminierungsverbot, 2006, S. 243 f.; skeptisch auch Thüsing, Arbeitsrechtlicher
Diskriminierungsschutz, 2007, Rn. 273 f.
539 Wells, Indus. L.J. (2003), 253, 271.
540 Leder, Diskriminierungsverbot, 2006, S. 244; Tobler, Indirect Discrimination, 2005, S. 60;
Waddington/Hendriks, 18 Int. J. CLLIR (2002), 403, 425 ff.
541 So Mohr, EzA § 81 SGB IX Nr. 6, S. 13, 27.
146
nicht benachteiligt. Die geeigneten Maßnahmen dienen gerade nicht der Kompensation einer Minderqualifikation, sondern ausschließlich dem Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile. Daher ist ein Verständnis in dem Sinne naheliegender,
dass ein Arbeitgeber auch bei Vorliegen einer Behinderung auf die Erfüllung bestimmter sachlicher Anforderung bestehen darf, sofern das mitgliedstaatliche Recht
einen Anspruch auf angemessene Vorkehrungen nach Art. 5 bereithält. Sollten die
Anforderungen trotz eines Anspruchs auf angemessene Vorkehrungen nicht erfüllt
werden können, liegt in der Ablehnung des behinderten Bewerbers dennoch keine
mittelbare Diskriminierung.
Vor allem die ausdrückliche Erwähnung von „geeigneten Maßnahmen entsprechend den in Artikel 5 enthaltenen Grundsätzen“ legt nahe, die Pflicht zu angemessenen Vorkehrungen in einem besonderen Antidiskriminierungsrecht für Menschen
mit Behinderung zu inkorporieren. Zuzugeben ist jedoch, dass Art. 2 (2)(b)(ii) Rahmenrichtlinie durch seine systematische Stellung diese Pflicht in die Nachbarschaft
der mittelbaren Diskriminierung rückt. Neben der Existenz des Rechts auf angemessen Vorkehrungen in Art. 5 sowie den antidiskriminierungsrechtlichen Vorbildern
aus den USA und auch aus England ist die einigermaßen konfuse Regelung des Art.
2 (2)(b)(ii) allerdings der einzige methodische Anhaltspunkt für die Entwicklung
eines eigenständigen Diskriminierungsschutzes542. Im Übrigen bleibt die Richtlinie
2000/78/EG auf die Konzepte der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung
fixiert, ermöglicht dabei jedoch ein sehr weites Verständnis der mittelbaren Benachteiligung.
Damit bleibt die Pflicht zu angemessenen Vorkehrungen nach Art. 5 Rahmenrichtlinie dogmatisch ein wenig in der Luft hängen. Art. 5 S. 2 lässt sich jedenfalls
folgendes Minimalprogramm entnehmen: Der Arbeitgeber muss die geeigneten und
im konkreten Fall erforderlichen Vorkehrungen ergreifen. Ob er mittels Antidiskriminierungsrecht direkt dazu verpflichtet wird, oder ob es einen isolierten sozialrechtlichen Anspruch gegen ihn gibt oder ob sich der Anspruch gar gegen den Staat
auf entsprechende Einwirkung auf den Arbeitnehmer richtet, bleibt letztlich offen543.
Die eingangs bereits herausgestellte Betonung der möglichen Kompensation angemessener Vorkehrungen durch die Behindertenpolitik in Art. 5 S. 3 trägt ein Übriges
dazu bei, dass die Richtlinie 2000/78/EG kein zwingender Motor für die Entwicklung eines speziellen Antidiskriminierungsrechts für Menschen mit Behinderung ist.
2. Ausreichende Umsetzung ins deutsche Recht?
Es stellt sich abschließend die Frage, ob die Vorgaben aus Art. 5 der Richtlinie
2000/78/EG ohne Umsetzungsdefizit verwirklicht werden konnten. Angesichts der
unklaren methodischen Aussagen der Rahmenrichtlinie zu einem eigenständigen
542 Ausführlich zur Pflicht angemessener Vorkehrungen nach dem britischen Disability Discrimination Act (DDA) Wells, Indus. L.J. (2003), 253, 263 ff.
543 Raasch, in: Rust/Falke, AGG, 2007, § 5 Rn. 96.
147
Antidiskriminierungskonzept, welches das Recht auf angemessene Vorkehrungen
durchsetzt, spricht auf den ersten Blick nichts gegen den vom deutschen Gesetzgeber gewählten Weg. Menschen mit Behinderung werden vor unmittelbaren und
mittelbaren Diskriminierungen umfassend im AGG geschützt, im Übrigen bleibt
man aber bei den bisherigen besonderen Schutz- und Förderpflichten der Arbeitgeber im Schwerbehindertenrecht. Allerdings sind diese Instrumente bislang noch zu
sehr auf statusrechtlich schwerbehinderte Menschen zugeschnitten, was angesichts
der Geltung der Rahmenrichtlinie für sämtliche Menschen mit Behinderung zu Problemen führt. Daher muss untersucht werden, ob und ggf. welche Möglichkeiten es
gibt, die Umsetzungslücken entweder mit Hilfe einer erweiterten Interpretation der
Vorschriften des SGB IX oder mit Hilfe eines richtlinienkonformen Verständnisses
des AGG zu schließen.
a) Defizite bei der Umsetzung von Art. 5 Rahmenrichtlinie
Bereits in der Einführung sind die Umsetzungsdefizite bezüglich Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG angesprochen worden544. Art. 5 sieht vor, dass Arbeitgeber gegen-
über allen Menschen mit Behinderung unter den dort festgelegten Voraussetzungen
die erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Seitdem sich der EuGH im Urteil Chacón
Navas auf einen einheitlichen Behinderungsbegriff für die Rahmenrichtlinie festgelegt hat, reicht es zur Umsetzung ihrer Anforderungen nicht aus, die Pflicht zu angemessenen Vorkehrungen nur für eine bestimmte Gruppe von Behinderten, in
Deutschland Schwerbehinderte und Gleichgestellte, umzusetzen. Vor allem § 81 IV
1 Nr. 1, 4, 5 und § 81 V 3 SGB IX sehen angemessene Vorkehrungen als auf einen
konkreten Einzelfall bezogene Maßnahmen des Arbeitgebers im Sinne der Richtlinie
vor. Die dort gewährten Ansprüche haben aber nur schwerbehinderte und ihnen
gleichgestellte Menschen. Hierin liegt ganz offensichtlich ein Umsetzungsdefizit.
Weiterhin sieht Art. 5 S. 2 Vorkehrungen für den Zugang zur Beschäftigung, die
Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und
Weiterbildungsmöglichkeiten vor. Das bedeutet, dass die Pflicht zu angemessenen
Vorkehrungen nicht erst ab Beginn des Arbeitsverhältnisses einsetzt, sondern bereits
beim Bewerbungsverfahren. Die in § 81 IV 1 Nr. 1, 4, 5 und § 81 V 3 SGB IX angesprochenen Maßnahmen betreffen aber nicht den Zugang zur Beschäftigung an sich,
sondern setzen erst an, wenn ein Arbeitsverhältnis bereits besteht545. Der besondere
Verfahrensschutz aus § 81 I und § 82 SGB IX, der bereits beim Bewerbungsverfahren ansetzt, ist nicht als auf den konkreten Fall bezogene Maßnahmen gestaltet,
sondern wirkt generell für alle schwerbehinderten Bewerber546. Damit handelt es
sich nicht um Vorkehrungen nach Art. 5 Rahmenrichtlinie, sondern um besondere
Fördermaßnahmen im Sinne von Art. 7 II. Somit besteht ein weiteres Umsetzungs-
544 Oben S. 40.
545 Oben S. 41 f.
546 Oben S. 134 f.
148
defizit, da die Pflichten aus Art. 5 nicht für den Zugang zur Beschäftigung umgesetzt worden sind. Auch § 81 III SGB IX hilft hier nicht weiter, da diese Norm nur
generell darauf hinwirken soll, dass die Schwerbehindertenbeschäftigungspflicht aus
§ 71 SGB IX erfüllt werden kann, es also wiederum nicht um konkrete Einzelfallmaßnahmen geht, wie sie Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG fordert.
b) Korrekturmöglichkeit 1: erweitertes Verständnis des Schwerbehindertenrechts
Zu dieser Korrekturmöglichkeit hat bereits das Bundesarbeitsgericht gegriffen547.
Das BAG wendete § 81 II SGB IX a.F. ausdrücklich auf mögliche Diskriminierungen von Menschen mit einfacher Behinderung an, um die Vorgaben aus der Richtlinie 2000/78/EG umzusetzen. Bei dieser klassisch antidiskriminierungsrechtlich
ausgerichteten Norm war es methodisch ein naheliegender Weg, ihren Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie entsprechend zu erweitern. Zudem war das die
Regelung des § 82 II a.F. SGB IX ablösende AGG zum Zeitpunkt der Entscheidung
bereits in Kraft getreten, so dass das Bundesarbeitsgericht mit der Anwendung des
Benachteiligungsverbots aus dem Schwerbehindertenrecht auf alle Menschen mit
Behinderung wusste, dass dies auch dem Willen und der neuen Konzeption des
Gesetzgebers entsprechen würde.
Fraglich ist jedoch, ob dieser Weg auch für § 81 IV 1 Nr. 1, 4, 5 und V 3 SGB IX
gangbar ist, wonach Arbeitnehmer mit Behinderung angemessene Vorkehrungen
beanspruchen können. In § 81 IV 2 und V 2 SGB IX ist angeordnet, dass die Integrationsämter (nach § 81 IV 2 auch die Bundesagentur für Arbeit) die Arbeitgeber
unterstützen. Die Integrationsämter haben die Aufgabe, die Integration schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben zu sichern548. Dazu erheben und verwenden sie
u.a. die Ausgleichsabgabe. Diese Abgabe wird zum einen als Zuschuss für Arbeitgeber bei der Einrichtung behinderungsgerechter Arbeitsplätze verwendet549, zum
anderen werden damit schwerbehinderte Arbeitnehmer beim Erwerb technischer
Arbeitshilfen gefördert550. Damit kann die Verwendung der Ausgleichsabgabe mit
den Pflichten aus § 81 IV 1 Nr. 4 und 5 SGB IX korrespondieren. Dadurch wird
deutlich, dass die Ansprüche gegen den Arbeitgeber auf die genannten Maßnahmen
in ein fein austariertes Förderungs- und Schutzrecht speziell für schwerbehinderte
Menschen eingefügt sind, was im Übrigen schon seit vielen Jahrzehnten besteht551.
Es ist also weder systematisch noch historisch angezeigt, einfach Teile der Regelung
547 Oben S. 131.
548 So schon der volle Name „Amt für die Sicherung der Integration schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben“, § 101 I Nr. 1 SGB IX. Zu den Aufgaben im Einzelnen und zur Abgrenzung der Zuständigkeiten von Integrationsamt und Bundesagentur für Arbeit §§ 102-104
SGB IX.
549 § 102 III 1 Nr. 2 lit. a SGB IX.
550 § 102 III 1 Nr. 1 lit. a SGB IX.
551 Zur Geschichte dieser Vorschrift Welti, AuR 2003, 445, 447 f.
149
der § 81 IV 1 Nr. 1, 4, 5 und V 3 SGB IX aus diesem Zusammenhang zu reißen und
zukünftig auf alle Menschen mit Behinderung anzuwenden.
Eine unmittelbare Anwendung von Art. 5 Rahmenrichtlinie kommt wegen des erheblichen Umsetzungsspielraums nicht in Betracht, den die Richtlinie den Mitgliedstaaten einräumt552. Wie die Arbeitgeber im einzelnen dazu verpflichtet werden
sollen, die in Art. 5 geforderten angemessenen Vorkehrungen zu ergreifen, bleibt
gänzlich offen. Etwa wäre denkbar, dass sich ein entsprechender Anspruch gar nicht
gegen den Arbeitgeber direkt, sondern gegen den Staat auf entsprechende Einwirkung richtet553. Damit ist der Adressat des Anspruchs auf angemessene Vorkehrungen unklar, womit eine unmittelbare Anwendung an sich schon ausscheidet.
Auch die besonderen Verfahrensvorschriften aus § 81 I und § 82 SGB IX, die mit
Blick auf schwerbehinderte Menschen im Bewerbungsverfahren zu beachten sind,
können nicht einfach auf alle Menschen mit Behinderungen angewendet werden.
Selbst wenn man mit dem Bundesarbeitsgericht annehmen wollte, dass es sich hierbei um Vorkehrungen im Sinne von Art. 5 Rahmenrichtlinie handelte554, sind diese
Regelungen doch so sehr Teil des Schwerbehindertenschutzrechts, dass sie nicht
einfach aus diesem Kontext entfernt werden können.
Als Anknüpfungspunkt zumindest für eine teilweise Umsetzung von Art. 5 Rahmenrichtlinie kommt allein das betriebliche Eingliederungsmanagement nach § 84 II
SGB IX in Betracht, der sich schon dem Wortlaut nach nicht nur auf schwerbehinderte Arbeitnehmer bezieht. Problematisch ist jedoch, dass diese Norm überhaupt
nicht an das Merkmal Behinderung anknüpft, sondern an eine Arbeitsunfähigkeit
von mehr als sechs Wochen. In der Sache geht es um präventiven Kündigungsschutz. Die durch die Rechtsprechung vorgenommene Verschärfung der Darlegungs- und Beweislast von Arbeitgebern, die ein betriebliches Eingliederungsmanagement vor Ausspruch der Kündigung versäumt haben, führt jedoch faktisch dazu,
dass Arbeitgeber in diesen Fällen detailiert darlegen müssen, dass die Vornahme
angemessener Vorkehrungen unmöglich war555. Indirekt wirkt diese Vorschrift also
darauf hin, Arbeitgeber zu verpflichten, durch angemessene Vorkehrungen auf die
Verwirklichung der Gleichbehandlung von Arbeitnehmern mit Behinderung hinzuwirken. Insofern ergibt sich ein Überschneidungsbereich von Art. 5 Rahmenrichtlinie und § 84 II SGB IX, zumal das betrieblichen Eingliederungsmanagement unter
anderem mit Hilfe der in § 81 IV und V genannten Maßnahmen erfolgt. § 84 II
SGB IX setzt eben an, bevor die Behinderung manifest geworden ist und soll helfen,
den Verbleib im Beruf zu sichern. Damit kann im Falle einer sich zur Behinderung
verdichtenden Krankheit auch die Ausübung des Berufes für Menschen mit Behinderung im konkreten Einzelfall im Sinne des Art. 5 S. 2 Rahmenrichtlinie ermög-
552 Zu den vom EuGH entwickelten Voraussetzungen der inhaltlichen Unbedingtheit und hinreichenden Genauigkeit für die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien s. Ruffert, in: Calliess/ders., EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 249 Rn. 79 ff.
553 Dazu oben S. 146.
554 Dazu oben S. 127 f.
555 Oben S. 136.
150
licht werden. Angesichts des recht weiten Umsetzungsspielraums kann damit zumindest von einer teilweise erfolgreichen Verwirklichung der Anforderungen aus
Art. 5 im deutschen Recht durch § 84 II SGB IX ausgegangen werden556, wenn auch
die Regelungsstrukturen erheblich voneinander abweichen.
c) Korrekturmöglichkeit 2: richtlinienkonforme Auslegung des AGG
Selbst bei wohlwollender Interpretation des Schwerbehindertenrechts sind die Vorgaben aus Art. 5 Rahmenrichtlinie nur für Maßnahmen umgesetzt worden, die zur
weiteren Ausübung eines Berufs erforderlich sind. Das AGG enthält keine explizite
Umsetzung des Rechts auf angemessene Vorkehrungen im Sinne eines eigenständigen Diskriminierungsverbots für Menschen mit Behinderung. Fraglich ist, ob die
nach Art. 5 auch bei Einstellung erforderlichen angemessenen Vorkehrungen auf
irgendeine Weise ins AGG hineingelesen werden können.
Oben wurde die Möglichkeit geschildert, das Recht auf angemessene Vorkehrungen mit einem weiten Verständnis der mittelbaren Diskriminierung zu vereinbaren557. Das AGG hat das Konzept der Rahmenrichtlinie in diesem Punkt praktisch
eins zu eins übernommen, so dass eine analoge Interpretation möglich ist: Die Verwendung dem Anschein nach neutraler Kriterien, die aber eine faktische Ausschlusswirkung auf Menschen mit bestimmten Behinderungen haben, wäre dann
nicht nach § 3 II AGG zu rechtfertigen, wenn der Arbeitgeber nicht im Gegenzug
zur Vornahme angemessener Vorkehrungen bereit wäre. Denn in dem Fall wären die
zur Erreichung des Ziels gewählten Mittel nicht mehr angemessen, also unverhältnismäßig im engeren Sinne. Durch richtlinienkonforme Auslegung kann die Pflicht
zu angemessenen Vorkehrungen nach Art. 5 Rahmenrichtlinie also in § 3 II AGG
inkorporiert werden. Ein schlagkräftiger Diskriminierungsschutz für Menschen mit
Behinderung müsste zudem beinhalten, dass die vom Arbeitgeber festgesetzten
Anforderungen im Lichte der vom behinderten Bewerber verlangten Vorkehrungen
auf ihre Wesentlichkeit für die Berufsausübung überprüft werden558.
Einen gewissen Anhaltspunkt für die Inkorporierung der Pflicht zur Vornahme
angemessener Vorkehrungen in das Konzept der mittelbaren Diskriminierung enthält eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg559: Die Klägerin, eine Altenpflegerin, konnte aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht in
Nachtschicht arbeiten. Der beklagte Arbeitgeber, ein Altenpflegeheim, hatte aufgrund zwingender Vorgaben der Pflegekasse ein rollierendes Nachtschichtsystem
556 Ähnlich Welti, ZESAR 2007, 47, 48; ders., NZS 2006, 623, 626; Raasch, in: Rust/Falke,
AGG, 2007, § 5 Rn. 107 f.
557 S. 144 f.
558 Die Bedeutung dieser Prüfung für den wirksamen Diskriminierungsschutz von Menschen mit
Behinderung betont auch Wells, 32 Indus. L.J. (2003), 253, 265. Zu dieser Prüfung im U.S.amerikanischen Recht oben S. 102 ff.
559 LAG Berlin-Brandenburg Urt. v. 4.12.2008, 26 Sa 343/08 (juris), bereits oben S. 130.
151
eingeführt, das alle Pflegekräfte turnusgemäß zu Nachtschichten heranzog. Der
Klägerin wurde gekündigt, da sie nunmehr den geänderten Dienstplan nicht mehr
erfüllen konnte. Sie focht diese Kündigung mit der Begründung an, dass ihr Einsatz
in Nachtschichten nicht zwingend notwendig sei, da ausreichend andere Pflegekräfte
zur Verfügung stünden, die statt ihrer die Nachtschichten wahrnehmen könnten.
Dieser Einwand erwies sich als tatsächlich stichhaltig. Das Gericht nahm eine Behinderung nach § 2 II SGB IX an, da die Klägerin aufgrund einer schon jahrelang
bestehenden körperlichen Beeinträchtigung in ihrer Teilhabe am Berufsleben eingeschränkt sei560. Die mittelbare Diskriminierung nach § 3 II AGG folgte daraus, dass
die Einführung des rollierenden Nachtschichtsystems zwar dem Anschein nach
neutral war, die Klägerin aber aufgrund ihrer Behinderung besonders betraf. Eine
Rechtfertigung scheiterte an der Erforderlichkeit der Maßnahme, da die Umstellung
auf das rollierende System auch ohne Mitwirkung gerade der Klägerin möglich
war561.
Die Gestaltung des Sachverhalts machte es dem Gericht leicht, die Rechtfertigung
einer mittelbaren Diskriminierung zu verneinen. Schließlich konnte sie an die Aus-
übung des Direktionsrechts des Arbeitgebers in einem bestehenden Arbeitsverhältnis
anknüpfen, die sich im konkreten Einzelfall gegenüber der behinderten Klägerin als
unverhältnismäßig erwies. Letztlich ging es aber auch um eine angemessene Vorkehrung in Form einer auf die speziellen Bedürfnisse der Klägerin zugeschnittenen
Umstruktierung des eigentlich für alle gleichermaßen gültigen Dienstplanes. Wenn
man die Entscheidung unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, dann ergibt sich eine
wertungsmäßige Gleichheit auch für Fälle, in denen ein Bewerber bereits bei der
Einstellung fordert, dass im Lichte der Vornahme angemessener Vorkehrungen/Modifikationen das Anforderungsprofil einer Stelle auf seine Erforderlichkeit
überprüft wird. Sind angemessene, also zumutbare, Vorkehrungen möglich, läge in
ihrer Ablehnung eine ungerechtfertigte mittelbare Diskriminierung des Bewerbers
wegen seiner Behinderung.
3. Zusammenfassung
Wegen der unklaren Stellung der angemessenen Vorkehrungen nach Art. 5 im Antidiskriminierungskonzept der Richtlinie 2000/78/EG und wegen des weiten Umsetzungsspielraums kann im Ergebnis nicht von einem Umsetzungsdefizit im deutschen
Recht ausgegangen werden. Der deutsche Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, das
Recht auf angemessene Vorkehrungen in einem eigenständigen Antidiskriminierungsschutz speziell für Menschen mit Behinderung zu verankern, auch wenn dies
dem Geist der Rahmenrichtlinie sicher am ehesten entspräche. Allerdings muss das
Recht auf angemessene Vorkehrungen bei der Prüfung der objektiven Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung einfließen, damit keine defizitäre Umset-
560 A.a.O., Rz. 39 f.
561 A.a.O., Rz. 41.
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zung vorliegt. Das Bundesarbeitsgericht lässt eine solche richtlinienkonforme Interpretation in seinen bisherigen Entscheidungen zur Behinderungsdiskriminierung
bislang nicht erkennen.
Ferner lässt sich § 84 II SGB IX heranziehen, wo Arbeitgeber im Rahmen des
präventiven Kündigungsschutzes bei andauernder Krankheit im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu angemessenen Vorkehrungen verpflichtet
sind. Zwar bezieht sich diese Norm nicht ausdrücklich auf Menschen mit Behinderung, aber doch immerhin auf solche, die von Behinderung bedroht sind. Bedenkt
man, dass auch § 84 II SGB IX dem Erhalt von Arbeitsplätzen dient, so gibt es in
der Zielsetzung eine ausreichende Überschneidung mit Art. 5 des Rahmenrichtlinie.
Im Übrigen besitzen die Mitgliedstaaten im Rahmen ihres sozialpolitischen Ansatzes einen weiten Umsetzungsspielraum für das nach Art. 5 geforderte Recht auf
Vorkehrungen.
IV. Schlussbetrachtung: Kein kohärentes Recht auf angemessene Vorkehrungen als
Teil des speziellen Diskriminierungsschutzes für Menschen mit Behinderung im
deutschen Recht
Eine Umsetzung des Rechts auf angemessene Vorkehrungen aus einem konzeptionellen Guss ist weder gelungen noch war sie je vom Gesetzgeber angestrebt. Vielmehr ist das Bestreben erkennbar, die Zielsetzung und Regelungstechnik des
Schwerbehindertenrechts mit seinen Schutzrechten, seiner Quotenregelung und
seiner Ausgleichsabgabe möglichst intakt zu lassen. Das AGG enthält keinen ausdrücklichen textlichen Anhaltspunkt für angemessene Vorkehrungen im Zusammenhang mit dem Merkmal Behinderung. Das Recht auf Vorkehrungen müsste
richtlinienkonform in das Verbot der mittelbaren Diskriminierung hineingelesen
werden. Insgesamt fristet der für den Paradigmenwechsel zentrale spezielle Diskriminierungsschutz für Menschen mit Behinderung weiterhin ein konzeptionelles
Schattendasein im deutschen Recht.
D. Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung als Substitut?
Trotz einiger Anlaufschwierigkeiten des Supreme Court konnte in den USA bereits
Mitte der 1980er Jahre eine im Großen und Ganzen stimmige Dogmatik des besonderen Antidiskriminierungsrechts für Menschen mit Behinderung gefunden werden,
deren zentraler Bestandteil ein Recht auf angemessene Vorkehrung ist. Obwohl
Art. 5 der Antidiskriminierungs-Richtlinie 2000/78/EG in Anlehnung an diese Entwicklung ein solches Recht auf angemessene Vorkehrungen enthält, hat der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Rahmenrichtlinie angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung nicht ausdrücklich in das neugeschaffene
Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eingebaut. Vielmehr sind Gesetzge-
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References
Zusammenfassung
Die Untersuchung geht der Frage nach, wie sich gleichheitsrechtlich geprägtes, modernes Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung und das traditionell sozialrechtlich geprägte Recht der beruflichen Rehabilitation zueinander verhalten. Als Vorbild eines speziellen antidiskriminierungsrechtlichen Regulierungsmodells zur verbesserten beruflichen Integration von Behinderten werden immer wieder die USA genannt, wo man seit den 1970er Jahren Erfahrungen mit diesem Ansatz sammeln konnte.
Eine umfassende Analyse der historischen Entwicklung sowie der gesellschaftspolitischen und verfassungsrechtlichen Grundannahmen des U.S.-amerikanischen Sozialsystems macht jedoch deutlich, dass das Antidiskriminierungsrecht dort häufig nur als Lückenbüßer dient.
Dieser Befund kann nicht ohne Konsequenz für das sozialstaatlich beeinflusste deutsche Rechtssystem sein. Zwar liefert der Rechtsvergleich mit den USA wichtige Anhaltspunkte für ein vertieftes Verständnis der europäischen antidiskriminierungsrechtlichen Vorgaben insbesondere für das Merkmal Behinderung. Allerdings werden auch die Grenzen dieses Ansatzes gegenüber der klassischen beruflichen Rehabilitation deutlich.
Die Arbeit wurde mit dem Zarnekow-Förderpreis 2009 ausgezeichnet.