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Methodische Vorbemerkung
Die folgende Untersuchung bearbeitet ihr Thema aus einer rechtsvergleichenden
Perspektive zwischen Deutschland und den USA. Dieser Blickwinkel erweist sich
als in hohem Maße fruchtbar, weil das Konzept des speziellen Antidiskriminierungsrechts für Menschen mit Behinderung in den USA entwickelt wurde und nun aufgrund politischer Forderungen und gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben in das deutsche Recht Eingang finden soll. Für eine sinnvolle Umsetzung dieses Konzepts ist es
zunächst hilfreich, es als solches gründlich zu verstehen. Ferner sollte aber auch der
reichhaltige Erfahrungsschatz der U.S.-amerikanischen Rechtsanwendung beim
Umgang mit dem besonderen Diskriminierungsschutz nicht außer Acht bleiben, um
sich für die konzeptionellen Probleme dieser Rechtsmaterie gleichsam präventiv zu
sensibilisieren1. Dies ist aber nur die eine Seite dieser Untersuchung. Die andere
Seite strebt nach dem nicht nur für die Rechtsvergleichung so entscheidenden
„weiten Blick“2, indem die antidiskriminierungsrechtliche Materie für beide Vergleichsrechtsordnungen in einen größeren sozialrechtlichen und sozialpolitischen
Kontext eingeordnet wird. Dadurch wird der in der folgenden Untersuchung genauer
zu erörternden leistungsrechtlichen Komponente des speziellen Diskriminierungsschutzes für Menschen mit Behinderung Rechnung getragen, die ein antidiskriminierungsrechtliches novum ist und eine funktionale Ähnlichkeit zu bestimmten sozialrechtlichen Leistungs- und Schutzvorschriften aufweist. Nur durch die Berücksichtigung beider Seiten lässt sich ein umfassendes Verständnis für die komplexen
Probleme der Behindertenpolitik in unterschiedlichen nationalen Systemen gewinnen3.
Für diese vielschichtige Thematik wurde eine problemorientierte Darstellungsweise gewählt, in welcher die unterschiedlichen Blickwinkel auf die Fragestellung
sowie die Ausführungen zu den beiden Vergleichsrechtsordnungen immer wieder
analytisch miteinander verzahnt werden4. Die zahlreichen Zusammenfassungen und
die Schlussbemerkungen nach jedem größeren Vergleichsabschnitt sollen für den
nötigen Überblick sorgen. Um der jeder Rechtsvergleichung innewohnenden Gefahr
einer fehlerhaften Begriffsübersetzung vorzubeugen, sind zahlreiche U.S.-
1 Ebenso Thüsing, ZfA 2006, 241, 243.
2 Kischel, ZVglRWiss 104 (2005), 10, 17 ff.
3 Allgemein zur horizontalen Blickrichtung von Rechtsordnung zu Rechtsordnung und zur
vertikalen Blickrichtung von Sachproblem des Sozialrechts zu vergleichbarem Rechtsproblem einer anderen Materie v. Maydell, in: Ruland/v. Maydell/Papier, FS Zacher, 1998, S. 591,
593 ff. u. 607 f.
4 Vgl. Tschentscher, JZ 2007, 807, bes. 812 ff.
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amerikanische Fachtermini im Original belassen worden oder werden doch zumindest parallel zur deutschen Begriffsentsprechung mitgeführt. Der Übersichtlichkeit
halber sind alle englischen Begriffe und Passagen kursiv gesetzt. Es wurde versucht,
die im U.S.-amerikanischen Sozialrecht leider unvermeidlichen Akronyme auf ein
erträgliches Maß zu reduzieren. Etwaige Unbequemlichkeiten mögen die geneigten
Leser der Verfasserin verzeihen.
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References
Zusammenfassung
Die Untersuchung geht der Frage nach, wie sich gleichheitsrechtlich geprägtes, modernes Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung und das traditionell sozialrechtlich geprägte Recht der beruflichen Rehabilitation zueinander verhalten. Als Vorbild eines speziellen antidiskriminierungsrechtlichen Regulierungsmodells zur verbesserten beruflichen Integration von Behinderten werden immer wieder die USA genannt, wo man seit den 1970er Jahren Erfahrungen mit diesem Ansatz sammeln konnte.
Eine umfassende Analyse der historischen Entwicklung sowie der gesellschaftspolitischen und verfassungsrechtlichen Grundannahmen des U.S.-amerikanischen Sozialsystems macht jedoch deutlich, dass das Antidiskriminierungsrecht dort häufig nur als Lückenbüßer dient.
Dieser Befund kann nicht ohne Konsequenz für das sozialstaatlich beeinflusste deutsche Rechtssystem sein. Zwar liefert der Rechtsvergleich mit den USA wichtige Anhaltspunkte für ein vertieftes Verständnis der europäischen antidiskriminierungsrechtlichen Vorgaben insbesondere für das Merkmal Behinderung. Allerdings werden auch die Grenzen dieses Ansatzes gegenüber der klassischen beruflichen Rehabilitation deutlich.
Die Arbeit wurde mit dem Zarnekow-Förderpreis 2009 ausgezeichnet.