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B. Konturen einer gemeinschaftsweiten Rechtewahrnehmung
I. Ausgangslage und Harmonisierungsbedarf
Die Folge der punktuellen Angleichung des Urheberrechts, so wie sie im vorigen
Abschnitt zusammengefasst wurde, und zuletzt der Harmonisierung bestimmter
Aspekte des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft ist ein Flickwerk aus
Regelungen, die wichtige ökonomische Aspekte des Binnenmarktes außer Acht
lassen und somit im Großen und Ganzen das Vorhaben verfehlen, Divergenzen unter
den nationalen Rechtssystemen zu entschärfen. Berechtigt ist also die Frage, ob man
durch den Erlass der acht Richtlinien auf dem Weg zu einem einheitlichen Urheberrecht am eigentlichen Ziel vorbeiging und dass der europäische Gesetzgeber das
Augenmerk vielmehr auf die vertraglichen Beziehungen der Urheber hätte legen
sollen.33
Die Gemeinschaftsrichtlinien beziehen sich zwar häufig auf die Verwaltung durch
Verwertungsgesellschaften, ohne jedoch die Bedingungen der Rechtewahrnehmung
als solche zu regeln; gemeinschaftsrechtliche Regelungen, die sich unmittelbar auf
die Struktur und die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften richten, gibt es bisher
nicht. Wie bereits dargestellt, sieht der gemeinschaftsrechtliche Rahmen einen Verwertungsgesellschaftszwang beim Kabelweiterleitungsrecht bzw. die Möglichkeit
eines Verwertungsgesellschaftszwangs beim Vermiet- und Verleihrecht vor; im
selben Rahmen findet sich eine Definition der Verwertungsgesellschaft (Satellitenund Kabel-Richtlinie) sowie ein Wahlrecht der Mitgliedstaaten, die Vergütungsansprüche aus dem Folgerecht der individuellen oder der kollektiven Wahrnehmung zu
überlassen. Da mangels einer harmonisierten Rechtslage die jeweiligen nationalen
Gesetzgebungsinitiativen erhebliche Unterschiede im Rechtsschutz und dadurch
Beschränkungen des freien Verkehrs von Dienstleistungen und Produkten mit urheberrechtlichem Gehalt zur Folge haben könnten34, ist es Aufgabe der Europäischen
Gemeinschaft, durch eine umfassende Vereinheitlichung des Urheberrechts die
wirtschaftlichen Grundfreiheiten des EG-Vertrags sicherzustellen und die Verwirklichung der Ziele des reibungslos funktionierenden Binnenmarkts voranzutreiben.35
33 Vgl. Hilty, IIC 2004, 760, 761, 764 f.; eine künftig steigende Kontrolle über den Inhalt der
vertraglichen Beziehungen des Urhebers sagt Marinos, FS Koumantos, 2004, 690, 706 voraus.
34 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 6 der Info-Richtlinie.
35 Als Rechtsgrundlage für die Harmonisierung des Urheberrechts werden Art. 94 ff. EGV
herangezogen, insbesondere Art. 95 EGV, der für Maßnahmen zur Rechtsangleichung ein erleichtertes Mitentscheidungsverfahren einführt, wonach der Erlass aller Rechtsakte keine Einstimmigkeit, sondern bereits eine qualifizierte Mehrheit voraussetzt; Grabitz/Hilf, Das Recht
der Europäischen Union, Bd. II, Art. 95 EGV Rn. 101. Des Weiteren werden die urheberrechtlichen Richtlinien regelmäßig auf Art. 47 (2) und 55 EGV gestützt, welche binnenmarktbezogene Harmonisierungszuständigkeiten enthalten, um eine Erweiterung der Gemeinschaftskompetenz zu verhindern. Eingehend zu den gemeinschaftlichen Rechtsdurchsetzungs-
410
Während das Recht der Verwertungsgesellschaften in der analogen Welt keine
tragende Rolle gespielt hat - in einigen europäischen Urheberrechtsordnungen fehlte
es an entsprechenden Vorschriften bzw. die bestehende Regelung war rudimentär,
ist das Interesse an den rechtlichen Perspektiven der kollektiven Wahrnehmung im
europäischen Binnenmarkt im digitalen Zeitalter gewachsen.36
Im Fokus weiterer Harmonisierungsschritte steht nun die kollektive Rechtewahrnehmung, wobei nicht kulturelle, sondern vielmehr wettbewerbsrechtliche Aspekte
und wirtschaftliche Auswirkungen der Lizenzierungspraxis der Verwertungsgesellschaften auf den relevanten Markt ins Visier der Europäischen Kommission
genommen werden. In welcher Form und in welchem Umfang eine regulierende
Angleichung des Rechts der Verwertungsgesellschaften erfolgen soll, bleibt offen
zur Diskussion. Die Zusammenarbeit unter den europäischen Verwertungsgesellschaften und der Versuch, ihre Wahrnehmungspraxis auf der Basis von Gegenseitigkeitsverträgen nach einheitlichen Standards zu gestalten, sollen lediglich auf eine
„stille Harmonisierung“ hinwirken.37 Seit der Zeit der ersten, die Wahrnehmung von
Rechten betreffenden internationalen Regelungen, die sowohl in der Berner Übereinkunft (Art. 11bis (2) und 13 (1)) als auch im Rom-Abkommen (Art. 12) ihren
Niederschlag fanden, haben die EU-Mitgliedstaaten sich darum bemüht, die Voraussetzungen für die Ausübung bestimmter Rechte gesetzlich zu regeln. Aus der Sicht
der EU-Kommission stellt die den Interessen der Urheber und Nutzer gleichermaßen
dienende kollektive Wahrnehmung einen unerlässlichen Bestandteil der Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten dar und verdient somit eine konstruktive Betrachtungsweise im Sinne eines konzeptionellen, urheberrechtlichen
Ansatzes.38 Zugleich lässt sich jedoch auch eine kritische Haltung gegenüber den
Verwertungsgesellschaften erkennen; gefordert wird nämlich, dass die Verwertungsgesellschaften im Hinblick auf die Beachtung der Wettbewerbsregeln ihre
kompetenzen Bracker, in: Paschke/Iliopoulos (Hrsg.), Europäisches Privatrecht, 1998, S. 38
ff.
36 Der einschlägigen Thematik wurden eine Reihe internationaler Konferenzen gewidmet, etwa
1996 in Florenz, 1998 in Wien, 2000 in Straßburg, 2002 in Santiago de Compostela. Auch auf
nationaler Ebene wird die Rolle und Praxis der Verwertungsgesellschaften näher untersucht,
zuletzt in Deutschland durch die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Bundestages im Rahmen einer öffentlichen Anhörung vom 29.01.2007. Beteiligt daran waren eine
Reihe von Experten, einerseits für die Verwertungsgesellschaften, andererseits für die Gruppe
„Anwendungspraxis und Europäische Perspektiven“.
37 Vgl. Reinbothe, in: Becker (Hrsg.), Verwertungsgesellschaften im Europäischen Binnenmarkt,
1990, S. 19, 24.
38 Siehe hierzu Reinbothe, FS Dietz, 2001, S. 517, 526 ff. Der Vorteil des konzeptionellen Ansatzes bei der Behandlung der kollektiven Wahrnehmung von Rechten im europäischen Binnenmarkt ist, dass die Grundprinzipien des Urheberrechts der Ausgangspunkt für alle zukunftsorientierten Überlegungen sind. Statt das Verhältnis der kollektiven Wahrnehmung zu
den Geboten des Wettbewerbsrechts von Fall zu Fall zu definieren und das Verhalten der
Verwertungsgesellschaften ad hoc anzupassen, kann der konzeptionelle Ansatz das Verhältnis
zwischen Urheber-, Wettbewerbsrecht und den Regeln des Binnenmarktes konstruktiv regeln;
Reinbothe, ZUM 2003, 27, 30 f.
411
Tätigkeit stärker rationalisieren und für mehr Transparenz sorgen39 - insofern könnte
Handlungsbedarf bestehen.
Ferner scheint die territoriale Struktur der Verwertungsgesellschaften mit ihrem
Geflecht der Gegenseitigkeitsvereinbarungen ein Hindernis für den europäischen
Binnenmarkt darzustellen. Bestimmte Nutzerkreise halten es nicht für gerechtfertigt,
dass sich die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften auf die territoriale Rechtevergabe beschränkt, statt sich europaweit zu erstrecken. Die Kritik der Nutzer hat sich
gegen die Gebührensätze, die Aufsicht über die Verwertungsgesellschaften, den
Zugang zu Schiedsstellen, die Verwaltungsgebühren, die lange Dauer der Verhandlungen, angebliche Defizite ihrer internen Entscheidungsprozesse und einen Transparenzmangel bei der Preispolitik gerichtet. Auch die Rechteinhaber – sofern diese
auf die kollektive Wahrnehmung angewiesen sind – fordern mehr Einfluss auf die
Verteilung der Einnahmen sowie mehr Flexibilität hinsichtlich der Abtretung von
Rechten.
Die EU-Kommission geht in der Mitteilung vom 16.04.2004 über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt40 von
einer Gesamtdarstellung über den Rechtsrahmen für die individuelle und kollektive
Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten aus, um auf einen Handlungsbedarf hinsichtlich Gründung, Innen- und Außenbeziehungen, Status und externer Kontrolle der Verwertungsgesellschaften hinzuweisen. Als entscheidende
Rahmenbedingungen für die Handlungsoptionen, welche der Europäischen Union
im Bereich der Verwertungsgesellschaften zur Verfügung stehen, sind die Vorschriften des EG-Vertrages über den Binnenmarkt und den Wettbewerb anzusehen und
insbesondere die Grundfreiheit des Warenverkehrs (Art. 28) und ihre Auswirkungen
auf den Tonträgermarkt; die garantierte Freiheit des Dienstleistungsverkehrs (Art.
49) in Bezug auf die Gegenseitigkeitsverträge; die Wettbewerbsvorschriften (Art.
81, 82) im Hinblick auf die grenzüberschreitende Tätigkeit und Marktstellung der
Verwertungsgesellschaften; die sog. Kultur-Querschnittsklausel (Art. 151 (4)), welche den Geboten der kulturellen Rücksichtnahme den Vorrang im Konflikt mit der
möglichst konsequenten Durchsetzung der wirtschaftlichen Gebote des Binnenmarktes einräumt.41
Nachstehend soll das Anliegen der Gemeinschaft hinsichtlich der Ausrichtung des
europäischen Urheberrechts auf dem Gebiet der Rechtewahrnehmung klargestellt
und bewertet werden. In diesem Rahmen ist abzuwarten, ob die Gestaltung des Binnenmarktes als einzige Rechtfertigung der weiteren Harmonisierung des Urheberrechts ihre Grenze aufzeigen wird oder ob eine mögliche Verselbständigung des
39 Siehe Erwägungsgrund Nr. 17 der Info-Richtlinie; Erwägungsgrund Nr. 28 der Folgerecht-
Richtlinie.; vgl. Bericht v. 11.12.2003 über den Gemeinschaftsrahmen für Verwertungsgesellschaften im Bereich des Urheberrechts („Echerer Bericht“), A5-0478/2003, Punkt 62, abrufbar unter .
40 KOM (2004), 261 endg.
41 Eingehend hierzu Rabe, in Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland
und Europa, 2005, S. 174 ff.
412
Urheberrechts als klar zu trennende Politik dem künftigen Regelungsrahmen für die
Rechtewahrnehmung eine konstruktive Ausrichtung verleihen wird.42
II. Anforderungen an die Gründung der Verwertungsgesellschaften und deren
Beziehung zu den Mitgliedern
Eine Verwertungsgesellschaft kann in der Rechtsform ihrer Wahl oder der im innerstaatlichen Recht vorgeschriebenen Rechtsform ordnungsgemäß errichtet werden,
solange sie die einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften erfüllt und die betreffenden nationalen Gesetze keine diskriminierende Wirkung haben. Da es an einer
einheitlichen Regelung für die Bildung von Verwertungsgesellschaften fehlt, wird
im Hinblick auf ihre grenzübergreifende Tätigkeit versucht, ihre Zulässigkeit nach
EU-Wettbewerbsrecht durch tatbestandliche Einschränkungen zu begründen.43 Im
Interesse verantwortungsvoller Verwaltung erscheint eine gemeinschaftsweite Angleichung der Anforderungen geboten hinsichtlich der Personen, die eine Gesellschaft gründen können, des Status der Gesellschaft, des Nachweises der Leistungsfähigkeit, der Rechnungslegungspflichten nach den Regeln redlicher Verwaltung
und der Mindestzahl vertretener Rechteinhaber. Zwischen der belgischen Position,
die freizügig gegenüber der Niederlassung und Tätigkeitsausübung ausländischer
Verwertungsgesellschaften im eigenen Territorium ist, und dem italienischen Protektionismus ist ein Modell vorziehen, das nicht im Widerspruch zu den europarechtlichen Prinzipien der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit steht und
gleichzeitig Sicherheitsmechanismen und gleiche Standards an die wirtschaftliche
Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften vorsieht.44
Dies soll zu einer größeren Transparenz beitragen, welche durch die Grundsätze
der redlichen Verwaltung, der Nichtdiskriminierung und der Auskunfts- und Rechenschaftspflicht der Verwertungsgesellschaften gegenüber ihren Rechteinhabern
zu ergänzen sind. Das Verhältnis zwischen Rechteinhabern und Verwertungsgesellschaften soll unabhängig davon, ob der Wahrnehmungsauftrag auf vertraglichen Vereinbarungen oder statutarischen Mitgliedschaftsbestimmungen basiert,
einerseits für die Rechteinhaber einen Mindestschutz in Bezug auf alle Rechte beinhalten, die für die Bereitstellung legaler Online-Musikdienste erforderlich sind,
andererseits für die Verwertungsgesellschaften jene internen demokratischen Strukturen fördern, die für die Legitimierung ihrer nationalen und transnationalen Tätigkeit wie auch für ihr erfolgreiches Funktionieren fundamental sind. Diese Grundsätze sollten für den Inhalt der Wahrnehmungsverträge, die Bedingungen der Mitgliedschaft, für die Vertretung und die Position der Rechteinhaber innerhalb der
Gesellschaft gelten und somit demokratischere Strukturen einfordern. Ein echter
42 Vgl. in diesem Sinne Reinbothe, FS Schricker, 2005, S. 483, 500.
43 Leßmann, Verwertungsgesellschaften nach deutschem und europäischem Kartellrecht, 2001,
S. 147.
44 Dillenz, GRUR Int. 1997, 315, 328.
413
Einfluss der Rechteinhaber bzw. aller Mitgliedergruppen auf den Entscheidungsprozess wird sich auch unmittelbar auf die soziale und kulturelle Politik ihrer Verwertungsgesellschaft auswirken.45 Das Erfordernis der optimalen „Aggregation“ bedingt
die Notwendigkeit, mehrere Interessengruppen in ein und demselben Selbstverwaltungskörper zusammenzufassen.46 Bestehende abgestufte Mitgliedschaftssysteme sind zwar nicht per se als unzulässig anzusehen; die Binnenstruktur soll
aber einen unmittelbaren Einfluss sämtlicher (auch zahlenmäßig unterlegener) Rechteinhaber auf die Tätigkeit ihrer Verwertungsgesellschaft gewährleisten, indem sie
in einem fairen und ausgewogenen Umfang an den internen Entscheidungsprozessen
beteiligt sind. Die Führungs- und Lenkungsorgane müssen paritätisch besetzt sein.
„Mischbesetzungen“ (die gleiche Person in Führungs- und Lenkungsorganen verschiedener Verwertungsgesellschaften) müssten untersagt werden.47 Außerdem ist
bei der Besetzung der Führungs- und Lenkungsorgane auf die vertikale Integration
der Medienindustrie zu achten. Darüber hinaus sollten die Verwertungsgesellschaften gegenüber allen - entweder direkt oder über Gegenseitigkeitsvereinbarungen vertretenen Rechteinhabern regelmäßig Rechenschaft über erteilte Lizenzen, anwendbare Tarife und eingenommene und ausgeschüttete Nutzungsgebühren ablegen.
Wie sich das Bestreben nach demokratischeren Binnenstrukturen im Hinblick auf
die enormen Verwaltungsapparate der führenden Verwertungsgesellschaften verwirklichen lässt, steht allerdings noch zur Diskussion. Dabei muss das einschlägige
Vorhaben mit der Festlegung interner Vorschriften über die Arbeitsweise und Führung der Verwertungsgesellschaften vereinbar sein, in denen weitere vernünftige
Kriterien (Anzahl der Werke und Darbietungen, Höhe der Vergütungen usw.) zu
berücksichtigen sind. Ein weiteres Reformanliegen bezieht sich auf Transparenz und
leichten Zugang seitens der Bezugsberechtigten sowie der Zahlungspflichtigen zu
wesentlichen Daten, wobei dies neben der Tarifveröffentlichung gegebenenfalls
auch die Online-Möglichkeit des Abschlusses von Wahrnehmungsverträgen bzw.
Einzelverträgen mit erfassen könnte.48 Schließlich muss ein Prinzip eingeführt werden, nach dem gleich gelagerte Fälle gleich zu behandeln sind; es soll vermieden
werden, dass eine Verwertungsgesellschaft von marktbeherrschender Stellung dazu
45 Siehe Entschließung des Europäischen Parlaments zu einem Gemeinschaftsrahmen für Verwertungsgesellschaften im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte
(2002/2274(INI)), ABl. C92E (16.04.2004), 425 ff., Punkte 39-41; Mitteilung der Kommission v. 16.04.2004 über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten
im Binnenmarkt, KOM(2004) 261 endg., Punkte 3.5.1, 3.5.3; abrufbar auf der Webseite des
Europäischen Binnenmarkts .
Über die Abwägung divergierender Interessen in der wirtschaftlichen Selbstverwaltung siehe
Dittrich/Krejci, Zur Entgeltfestsetzung durch Schiedskommissionen, ÖSGRUM Bd. 27
(2002), S. 31 ff. m.w.H.
47 Vgl. Bericht v. 11.12.2003 über den Gemeinschaftsrahmen für Verwertungsgesellschaften im
Bereich des Urheberrechts („Echerer Bericht“), A5-0478/2003, Punkt 4 der Begründung, abrufbar unter .
48 Vgl. Walter, MR 2004 (Beilage zu Heft 2), 18, 22.
414
befugt ist, Rechteinhaber aus anderen Mitgliedstaaten von einer Mitgliedschaft auszunehmen.49
Vor diesem Hintergrund wird auch ein gewisses Maß an Flexibilität im Hinblick
auf Umfang und Laufzeit der Wahrnehmungsaufträge für erwünscht und angemessen gehalten. Angesichts der zunehmenden Verbreitung von Systemen der digitalen
Rechteverwaltung sollten die Rechtsinhaber prinzipiell die Möglichkeit haben, bestimmte Rechte individuell wahrzunehmen, wenn sie das wünschen. So vertrat die
Kommission die Auffassung, dass eine zwingende Vorschrift in der Satzung einer
Verwertungsgesellschaft, alle Rechte eines Urhebers einschließlich ihrer Online-
Nutzung auf Erstere zu übertragen werden, auf eine missbräuchliche Ausnutzung
einer beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 82 Buchstabe a EVG hinausläuft,
da eine derartige Praxis einer unangemessenen Handelsbedingung gleichkommt.50
Auch die Werknutzer dürfen nicht durch Gebietsbeschränkungen, Marktabschottung, Verweigerung von Direktlizenzen oder überhöhte Tarife unangemessen
behandelt werden.51
In Bezug auf die Rechtsform schlägt die Kommission das Mittel der Empfehlung
vor, mit dem sie sich flexibel an die Mitgliedstaaten wenden kann, um im Anwendungsbereich des EG-Vertrags das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes
sicherzustellen.52
III. Ausgestaltung und Grenzen gemeinschaftsweiter Lizenzierung –
Systemwettbewerb verschiedener Verwertungsmodelle im Online-Bereich
Während das Konventionsrecht und die europäischen Richtlinien die Verwertungsrechte und die Schranken der Nutzung weitergehend regeln, wurden nur wenige
Vorschriften der Ausgestaltung der Lizenzierung von Urheberrechten gewidmet. Es
wird viel mehr auf gesetzliche Lizenzen und freie Nutzung Wert gelegt als darauf,
dass die wirtschaftliche Auswertung geschützter Inhalte erleichtert wird. Die Festlegung der Vertragsbedingungen wird zwar den Verhandlungsparteien und – für den
Bereich der kollektiven Wahrnehmung - den Verwertungsgesellschaften überlassen;
der grenzübergreifende Charakter der Online-Werkverwertung wirft jedoch eine
Reihe neuer Aspekte auf, die bei der Vertragsgestaltung berücksichtigt werden müs-
49 Entscheidung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 2.06.1971, ABl. L 134,
S. 15 = GRUR Int. 1973, 86 = UFITA Bd. 65 (1972), 344 - GEMA I; Entscheidung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 29.10.1981, ABl. L 370, S. 49 - GVL.
50 Banghalter und Homem Christo ./. SACEM, COMP/C2/37.219, Entscheidung vom
12.08.2002, abrufbar unter (Letzter Abruf: 7.11.2005). Was die Beziehung der Verwertungsgesellschaften zu ihren Mitgliedern angeht, wären somit die bisherigen
Ausführungen der Kommission in der bekannten GEMA-Entscheidungsreihe an die technische Entwicklung anzupassen.
51 Hoeren/Sieber – Müller, Multimediarecht, 2006, Teil 7.12 Rn. 19 m.w.H.
52 Europäische Kommission, Impact Assessment v. 11.10.2005, SEC (2005) 1254, Punkt 7.2.
415
sen, insbesondere in Bezug auf geographische Anknüpfungspunkte, Korrelation mit
dem Einsatz technologischer Schutzmaßnahmen sowie Organisation der Datenverwaltung.53
Die Möglichkeit, die Rechte im Binnenmarkt von einer Verwertungsgesellschaft
unabhängig vom Sitz der Verwertungsgesellschaft und der Nationalität bzw. dem
Sitz des Rechteinhabers wahrnehmen zu lassen, stellt ein Problem von grenzüberschreitender Dimension im Binnenmarkt dar, ebenso wie die Möglichkeit der gewerblichen Nutzer, unabhängig von ihrer Nationalität bzw. ihrem Sitz die Verwertungsgesellschaft auszusuchen, von der sie Rechte erwerben möchten.54 Im digitalen
Umfeld ist der grenzüberschreitende Handel mit Waren und Dienstleistungen, die
dem Urheberrecht oder verwandten Rechten unterliegen, die Regel geworden, insbesondere was das Vervielfältigungsrecht, das Recht der öffentlichen Wiedergabe und
das Recht der Zugänglichmachung angeht. Da bei jeder digitalen Übermittlung diese
Rechte berührt sind, wurden sie durch die Info-Richtlinie für diesen Zweck harmonisiert. Eine Harmonisierung der Vergütungssätze für private Vervielfältigungen hat
die Kommission in der Vergangenheit nicht angestrebt, um eine unmittelbare Unterstützung der privaten Kopie zu verhindern.55 Für analoge Vervielfältigungen hielt sie
eine harmonisierende Einführung von Vergütungsregelungen nicht mehr für angebracht, weil analoge Produkte bald überholt sein würden. Im Übrigen seien Vergütungen weder zur Kontrolle unbeschränkten digitalen Vervielfältigens noch zur
angemessenen Entschädigung der Rechteinhaber geeignet. Allerdings akzeptierte die
Kommission die in den Mitgliedstaaten eingeführten Vergütungssysteme mit der
Maßgabe, dass es Sache der Rechteinhaber sei, für eine zufrieden stellende Erhebung und Verteilung der Vergütungen zu sorgen. Die Gefahr von Beeinträchtigungen des freien Warenverkehrs, insbesondere des innergemeinschaftlichen Handels
mit Aufnahmegeräten und Leermedien, wegen der uneinheitlichen Regelungen in
den Mitgliedstaaten sah die Kommission nicht als schwerwiegend an.56 Erst in ihrem
Grünbuch von 1995 erwog sie ausdrücklich für Fälle, in denen private Vervielfältigungen nicht mit technischen Mitteln zu verhindern sind, Kopiervergütungssysteme
für private Nutzungen auf der Grundlage einer Gebührenerhebung für Aufnahmemedien und Geräte einzuführen, um ein „Gegengewicht zur Legalisierung der privaten Vervielfältigung“ zu schaffen. Dieser Ansatz wurde wenig später im Grünbuch
53 Siehe Schønning, NIR 2001, 137, 143 ff.
54 Europäische Kommission, Impact Assessment v. 11.10.2005, SEC (2005) 1254, Punkt 1.5.1;
zitiert vom Majer, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und
Europa, 2005, S. 147, 160.
55 Grünbuch über Urheberrecht und die technologische Herausforderung – Urheberrechtsfragen,
die sofortiges Handeln erfordern v. 7.06.1988, KOM (88) 72 endg., Ziffer 3.10.
56 Grünbuch über Urheberrecht und die technologische Herausforderung – Urheberrechtsfragen,
die sofortiges Handeln erfordern v. 7.06.1988, KOM (88) 72 endg., Ziffer 3.10.; die einschlägige Vergütungspflicht gehört somit zu dem vom Gemeinschaftsrecht in Art. 36 Satz 2 EGV
garantierten Bestand des Urheberrechts; es verstößt nicht gegen das Verbot von Maßnahmen
gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen (Art. 30 EGV). Siehe hierzu Mestmäcker, GRUR Int. 1985, 13, 17 ff.
416
von 1996 aufgegriffen, wo auch erstmalig das Augenmerk auf die Gefahr von Beeinträchtigungen des Binnenmarktes durch die unterschiedlichen Regelungen des
Vervielfältigungsrechts in den EU-Mitgliedstaaten und die damit einhergehende
Rechtsunsicherheit gelegt wurde. Die Kommission zögerte jedoch im Hinblick auf
die noch nicht ganz absehbare wirtschaftliche Bedeutung der digitalen Kopie, die
Unterschiede in den nationalen Vergütungssystemen aufzuheben.
Die Entwicklung einheitlicher Abrechungssysteme und gerechter Lizenzierungen
unter Wahrung der Grundregeln des Urheberrechtsschutzes wurde somit bislang der
Initiative der interessierten Kreise überlassen. Eine direkte gemeinschaftsweite Lizenzierung ermöglichte früher die Rahmenvereinbarung zwischen der Gesamtorganisation der Verwertungsgesellschaften BIEM und der Gesamtorganisation der
Schallplattenindustrie IFPI, die sich auf die Rechte der mechanischen Vervielfältigung bezieht. Hinsichtlich der Online-Musiklizenzierung, einschließlich Webcasting
und On-Demand-Bereitstellung von Musik durch Streaming oder Download haben
die europäischen Verwertungsgesellschaften bereits eine Anzahl von Gegenseitigkeitsvereinbarungen getroffen, um die Erteilung einer multiterritorialen Multi-
Lizenz zu ermöglichen.57
Um der verbreiteten Forderung nach mehr Einheitlichkeit bei den Bedingungen,
unter denen die europäischen Wahrnehmungsorganisationen arbeiten, mehr Effizienz in der Rechteverwaltung und einem besseren Zugang zu Lizenzen nachzukommen, wurde mit Geltung vom 13. 11.1997 zwischen den fünf großen Musikverlagen Universal Music Publishing Group, Warner/Chappell Music Ltd, EMI Music
Publishing Europe, BMG Music Publishing International Ltd und Sony/ATV Music
Publishing Europe einerseits und den führenden musikalischen Verwertungsgesellschaften Europas58 andererseits das Cannes-Agreement getroffen. Durch diese Vereinbarung werde der Grundstein zu einer europaweiten Neuordnung der kollektiven
Rechteverwaltung gelegt.59
Ziel des Cannes-Agreements ist es, eine effizientere Verwaltung des Rechts auf
mechanische Tonträgervervielfältigung im Europäischen Wirtschaftsraum zu gewährleisten. Über die Möglichkeit einer zentralen Lizenzvergabe der mechanischen
Vervielfältigungsrechte kann eine Plattenfirma beliebig von jeder angeschlossenen
Verwertungsgesellschaft eine Urheberrechtslizenz für das Gesamtrepertoire sämtlicher an der Vereinbarung beteiligten Gesellschaften für das gesamte oder für einen
Teil des EWR-Gebietes erwerben. Zum wesentlichen Vereinbarungsinhalt gehören
Maßnahmen der Kontrolle, Transparenz, Effizienzsteigerung und Kostenreduzierung. Die Anwendung der Bestimmungen der Cannes-Vereinbarung wurde am
57 Eingehend zum Santiago- und Simulcasting-Abkommen supra im Zweiten Teil.
58 Es handelt sich um AEPI (Griechenland), Austro-Mechana (Österreich), GEMA (Deutschland), MCPS (Vereinigtes Königreich), MCPSI (Irland), NCB (Dänemark), SDRM (Frankreich), SABAM (Belgien), SGAE (Spanien), SIAE (Italien), SPA (Portugal), STEMRA (Niederlande) und SUISA (Schweiz).
59 Vgl. auch Kreile, in: GEMA-Nachrichten, Nr. 156 (November 1997).
417
18.11.2002 kraft einer weiteren Vereinbarung bis zum 31.12.2005 verlängert.60 Eine
automatische Verlängerung um jeweils ein Jahr soll weiterhin erfolgen, sofern die
Vereinbarung nicht von einer der Vertragsparteien gekündigt wird. In der Verlängerungsvereinbarung erkennen die Verwertungsgesellschaften als ihre vorrangige
Aufgabe an, die Interessen ihrer Mitglieder einschließlich der Verleger zu verwalten,
zu schützen und zu fördern. Eine Verwertungsgesellschaft darf in bedeutendem
Umfang weder als Lizenzgeber noch als Lizenznehmer auftreten. Der Schwerpunkt
der einschlägigen Vereinbarung liegt vor allem auf der Festlegung der Modalitäten
der Gebührenberechnung für die Verteilung der Nutzungsentgelte. Vorgesehen ist
insbesondere die Gewährung von Rabatten für Tantiemen, die von den Plattenfirmen
über die zentrale Lizenzvergabe zu entrichten sind. Das Cannes-Agreement enthält
nämlich eine Klausel, welche Ermäßigungen in der Form einer stufenweisen Absenkung der zu entrichtenden Gebühr auf 6% vorsieht, welche die Verwertungsgesellschaft mit der jeweiligen Plattenfirma aushandelt. Aufgrund wettbewerbsrechtlicher Bedenken seitens der Kommission wurde die einschlägige Vereinbarungsklausel dahingehend modifiziert, dass die Gewährung einer Ermäßigung durch eine
Verwertungsgesellschaft keiner schriftlichen Zustimmung aller Mitglieder bedarf,
soweit sie vom zuständigen Gesellschaftsorgan beschlossen wird.61 Des Weiteren
werden Höchstsätze vorgeschrieben, welche die Verwertungsgesellschaften bei der
Verteilung von Nutzungsentgelten im Rahmen der zentralen Lizenzvergabe oder
anderer Vereinbarungen in Abzug bringen können. Die Vertragsparteien sind in
einer gesonderten Vereinbarung übereingekommen, dass unabhängige Prüfer die
Einhaltung der Gebührensätze durch die Verwertungsgesellschaften nachprüfen.
Sofern eine Verwertungsgesellschaft zusätzliche Mittel für die Finanzierung besonderer Maßnahmen wie Investitionen in Systeme zur Verwaltung mechanischer Vervielfältigungsrechte und zur Verteilung der Einnahmen, das Vorgehen gegen Raubkopien oder für die Buchprüfung und Kontrolle benötigt, muss sie von Fall zu Fall
über eine Erhöhung der Gebühren verhandeln. Die Cannes-Verlängerungsvereinbarung sieht zudem vor, dass jede Verwertungsgesellschaft sich mit dem
betreffenden Urheber/Mitglied einschließlich Verleger einigen muss, bevor sie Zahlungen an Tonträgerhersteller weiterleitet oder diesen gestattet, Zahlungen in Form
von Nachlässen, ermäßigten Tarifen oder in jeglicher anderer Form zu erhalten.62
60 Anmeldung einer Vereinbarung über die Verwaltung mechanischer Vervielfältigungsrechte in
Europa (Sache COM/C2/38.772 - Cannes-Verlängerungsvereinbarung), ABl. EG C 282,
25.11.2003, S. 0014.
61 Dies geschah im Rahmen eines kartellrechtlichen Prüfungsverfahrens durch die Kommission,
das die Beschwerde der Plattenfirma Universal International Music BV gegen die genannte
Klausel einleitete. Im Sinne der abschließenden Entscheidung der Kommission v. 4.10.2006
soll die ungehinderte Gewährung von Rabatten als einzige Form des Preiswettbewerbs unter
Verwertungsgesellschaften sichergestellt werden, um den Einstieg neuer Verwertungsgesellschaften in die Märkte für gewerbliche Musikveröffentlichungen und Plattenproduktion zu
ermöglichen.
62 Hiervon ausgenommen sind Ermäßigungen für eine neue Verwertungsform während der
Einführungsphase, für fristgemäße Zahlungen oder besser geführte Abrechnungsunterlagen,
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Anlässlich der soeben erwähnten Initiativen seitens Verwertungsgesellschaften
und Verwertern und im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung der kollektiven
Wahrnehmung in der globalisierten Welt des Musikverbrauchs stellt sich berechtigterweise die Frage, ob es der Praxis überlassen werden sollte, die gemeinschaftsweite Lizenzierung weiterzuentwickeln, oder ob der Gemeinschaftsgesetzgeber
versuchen sollte, die gemeinschaftsweite Lizenzierung in der Form einer Richtlinie
zur Musikverwertung voranzubringen. Letztere Option würde die Entstehung eines
verbindlichen EU-Rechtsinstruments für ein branchenspezifisches Verwertungsmodell mit sich bringen, das sowohl die erforderliche Marktrationalität als auch zentrale Zielsetzungen des Urheberrechts gleichermaßen berücksichtigt, und dabei langfristig einen effizienten, gleichmäßigen Zugang von Musik zur Online-Verwertung
ermöglicht.
Eine wirksame, jedoch wenig tief greifende Lösung bestünde darin, die Regelung
der Modalitäten der kollektiven Rechtewahrnehmung den Verwertungsgesellschaften selbst zu überlassen, da diese in den meisten Fällen mit der Wahrnehmung der Rechte betraut sind, für die am nachdrücklichsten eine gemeinschaftsweite Lizenzierung gefordert wird. Verwertungsgesellschaften sind bereits in ihrem
Land One-Stop-Shops für die Lizenzierung der Rechte am weltweiten Repertoire der
von ihnen vertretenen Gruppe von Rechteinhabern. Solche zentralen Lizenzierungsvereinbarungen könnten durch die Beseitigung aller Unterschiede zwischen den
Mitgliedstaaten hinsichtlich der gesetzlichen Anforderungen an die kollektive Rechtewahrnehmung und die Einführung von Vorschriften über die redliche Verwaltung
für das Funktionieren von Verwertungsgesellschaften gefördert werden.63 Zur Erreichung dieser Ziele hat die EU-Kommission das sog. Impact Assessment64 erlassen,
in dem folgende Handlungsoptionen als zweckmäßig dargelegt werden: a) Die weiteren Entwicklungen sind dem Markt zu überlassen; b) Flexibilität und Spielraum
der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung europäischer Vorgaben sind zu beschränken
und somit Formen der (DRM-basierten) Kompensation vorzugeben; c) Die Mitgliedstaaten sind auf die Verfügbarkeit von DRM-Technologien hinzuweisen, um
gleichzeitig mehr Transparenz bei der Anwendung von Pauschalabgaben einzufordern.
Das Recht der Rechteinhaber, sich die zuständige Verwertungsgesellschaft auszusuchen, bildet das zentrale Element der Kommissionsempfehlung vom 18.10.2005
oder für solche Ermäßigungen, die auf Übereinkünften mit Nutzerverbänden zur Erleichterung
des Inkassos beruhen oder die Vereinbarungen zur Streitbeilegung zwischen einer Verwertungsgesellschaft und einem Tonträgerhersteller betreffen.
63 Siehe in dieser Hinsicht die Mitteilung der Kommission v. 16.04.2004 über die Wahrnehmung
von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt, KOM(2004) 261 endg.,
Punkt 1.2.4; abrufbar auf der Webseite des Europäischen Binnenmarkts .
64 Europäische Kommission, Impact Assessment v. 11.10.2005, SEC (2005) 1254, Punkt 3.
Siehe auch Majer, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und
Europa, 2005, S. 147, 162.
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über die Lizenzierung von Musik für das Internet.65 Darin werden die Mitgliedstaaten aufgefordert die notwendigen Schritte zu unternehmen, um das Wachstum von
legalen Online-Musikdiensten durch rechtliche Rahmenbedingungen zur optimalen
Rechtewahrnehmung auf Gemeinschaftsebene für die Erbringung legaler Online-
Musikdienste zu ermöglichen. Insbesondere sollten die Rechteinhaber festlegen
können, für welche Online-Rechte sowie für welches geographische Gebiet sie der
Verwertungsgesellschaft einen Wahrnehmungsauftrag erteilen. Sie sollten nach
Ankündigung ihres Vorhabens innerhalb einer angemessenen Frist das Recht haben,
alle Online-Rechte herauszunehmen und die Wahrnehmung dieser Rechte für ein
geografisches Gebiet ihrer Wahl einer Verwertungsgesellschaft ihrer Wahl zu übertragen; Sitz oder Staatsangehörigkeit der Verwertungsgesellschaft bzw. des Rechteinhabers dürfen hierfür keine Rolle spielen. Die Kommission favorisiert somit die
„right-holder option“ zugunsten eines Systemwettbewerbs verschiedener (kollektiver) Verwertungsmodelle;66 empfohlen wird die unmittelbare Wahrnehmung der
Online-Rechte und die Erteilung von Mehrstaatenlizenzen durch die beauftragte
Verwertungsgesellschaft, soweit ihr die Rechte für mehrere Staaten eingeräumt sind.
In Abkehr von dem auf Gegenseitigkeitsvereinbarungen basierenden Lizenzierungsmodell des IFPI/Simulcasting-Abkommens („commercial users option“) sollen nun
die Online-Rechte vom System der Gegenseitigkeitsvereinbarungen ausgenommen
werden, indem der Rechteinhaber über die Möglichkeit verfügt, seine Rechte einer
anderen Verwertungsgesellschaft einzuräumen und sich dabei für andere bzw. bessere Wahrnehmungsbedingungen zu entscheiden - die traditionelle territoriale Begrenzung der Wahrnehmung von Urheberrechten durch Verwertungsgesellschaften unter
den neuen Bedingungen der Digitaltechnik ist somit überholt. Ohne das System der
Gegenseitigkeitsvereinbarungen gänzlich aufzuheben, schlägt die Kommission den
Weg einer Migration der Rechteinhaber vom diesem alten System zu einem Lizenzierungsmodell der Wahlmöglichkeit vor.67 Das favorisierte Modell zielt darauf ab,
wettbewerbsorientierte Rahmenbedingungen für die länderübergreifende Wahrnehmung von Urheberrechten sicherzustellen und die Verdienstmöglichkeiten der Rechteinhaber deutlich zu verbessern68 – dabei wäre es allerdings logischer, den er-
65 Empfehlung der Kommission v. 18.10.2005 für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale Online-Musikdienste
benötigt werden (2005/737/EG), ABl. L. 276 v. 21.10.2005, S. 54; veröffentlicht in GRUR
Int. 2006, 220 ff.
66 Über den Systemwettbewerb zwischen kollektiver und individueller Verwertung wird dabei
geschwiegen.
67 Vgl. Drexl, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa,
2005, S. 193, 204 ff.
68 In einer kürzlich verfassten Studie über die Online-Musiklizenzierung nahm die EU-
Kommission die gegenwärtigen Strukturen zur grenzüberschreitenden Rechtewahrnehmung
durch Verwertungsgesellschaften auf dem Gebiet der Online-Musikdienste unter die Lupe.
Dort gelangte man zu der Schlussfolgerung, die kollektive Wahrnehmung benötige vollständig neue Strukturen und die effizienteste Lösung bestünde darin, den Rechteinhabern zu erlauben, eine Verwertungsgesellschaft ihrer Wahl mit der Wahrnehmung ihrer Rechte in der
gesamten Europäischen Union zu beauftragen. Zur Umsetzung dieses Ziels stellt die Kommis-
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wünschten Wettbewerb zwischen Verwertungsgesellschaften in erster Linie als
Wettbewerb um den niedrigsten Tarif zugunsten des Endverbrauchers anzusehen
und nicht als Wettbewerb um mehrere Vergütungsvorteile der Rechteinhaber, der
sich allein zugunsten der wenigen großen Verwertungsgesellschaften auswirken und
somit zu oligopolistischen Strukturen führen kann.
In einer gegenüberstellenden Betrachtung sind den beiden Ansätzen „commercial
users option“ und „right-holders option“ unterschiedliche Vorteile zuzusprechen.
Die Option, den Rechteinhabern die freie Wahl zu gewähren, würde ihn dazu bringen, die attraktiveren Einnahmen aus der individuellen Wahrnehmung einer Verwertungsgesellschaft mit Preisunterbietung vorzuziehen. Dies würde zum Wettbewerb
der Verwertungsgesellschaften zueinander „um die Rechteinhaber“ beitragen; auch
wenn durch Eliminierung der Marktaufteilung in den Gegenseitigkeitsvereinbarungen gleiche Lizenzgebühren erzielt werden, lässt sich ein Wettbewerb - diesmal „um
die Nutzer“ - nicht ausschließen, soweit eine Verwertungsgesellschaft das Unterbieten einer vereinbarten Lizenzgebühr verwenden kann, um mehr Nutzer anzulocken.
Bei der Abwägung hat sich die Kommission für die Option mit der höheren Wettbewerbsintensität aus dem Blinkwinkel der Rechteinhaber entschieden. Dabei steht
grundsätzlich nicht unbedingt fest, ob die favorisierte Lösung höhere Ausschüttungen für die Rechteinhaber sicherstellen kann oder ob der Preismechanismus nach der
verworfenen „commercial users option“ zwangsläufig in Verbindung mit niedrigen
Einnahmen für die Rechteinhaber zu bringen ist.69 Eine kombinierte Anwendung
sion eine Reihe von Grundprinzipien auf, an die sich die EU-Mitgliedstaaten halten sollten: (i)
Der Rechteinhaber sollte einen einheitlichen EU-Rechteverwalter unabhängig vom Sitz oder
von der Nationalität des Rechteverwalters oder des Rechteinhabers wählen können; (ii) das
Online-Repertoire und das territoriale Lizenzvergaberecht von Verwertungsgesellschaften
sollte sich nicht aus wechselseitigen Vereinbarungen ergeben, sondern von Rechteinhabern
gewährt werden, die mit einer Gesellschaft ihrer Wahl eine direkte vertragliche Vereinbarung
treffen; (iii) der individuelle Mitgliedsvertrag sollte es dem Rechteinhaber ermöglichen, die
Kategorien der zu verwaltenden Rechte und die territoriale Zuständigkeit der Gesellschaft genau festzulegen; (iv) die individuellen Mitgliedsverträge sollten eine Fürsorgepflicht zwischen
der Verwertungsgesellschaft und ihren Mitgliedern begründen, die erstere verpflichtet, Lizenzeinnahmen gerecht zu verteilen; (v) die Mitgliedschaft sollte einzelnen Kategorien von
Rechteinhabern, die ihre Interessen überwiegend nicht im Inland haben (z.B. Musikverleger),
nicht verwehrt werden können; (vi) die Nichtdiskriminierung im Bezug auf die bereitgestellten Dienste und die Fürsorgepflicht der Verwertungsgesellschaften gegenüber ihren Mitgliedern sollten zu einer Kultur der Transparenz und der guten Führung in Bezug darauf führen,
wie die Rechte über EU-Grenzen hinweg kollektiv wahrgenommen werden. Siehe “Commission Staff Working Document – Study on a Community Initiative on the Cross-Border Collective Management of Copyright”, Brussels 7 July, 2005; abrufbar unter
(Letzter Abruf: 5.11.2005).
69 Siehe hierzu Drexl, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und
Europa, 2005, S. 193, 211 ff.; vgl. auch Deloitte & Touche, Report on the Collective Management of Copyright in the European Union, 11.05.2000, S. 61-64, wonach eine Absenkung
der Vergütungen der Mitglieder bei einem Preiswettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften kaum wegzudenken ist, was wiederum in Widerspruch zu der Mission der Wahrnehmungsinstitutionen steht.
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beider Lizenzierungsmodelle könnte sich wiederum - genauso theoretisch - als der
erwünschte „kulturverträgliche“70 und zugleich marktwirtschaftlich geeignete Lösungsansatz im Kontext der Online-Werkverwertung erweisen: Er soll nämlich primär den Rechteinhabern, aber auch Nutzern sowie Verwertungsgesellschaften genug
Flexibilität und entsprechende Freiräume schaffen, damit diese selbst über die individuellen oder die kollektiven Strukturen der Rechtewahrnehmung bestimmen können.71 Dieser kombinierende Ansatz würde nicht allein den Wettbewerb zwischen
Verwertungsgesellschaften in Bezug auf Dienstleistungsqualität anspornen; vielmehr böte er ein von sämtlichen Beteiligten gesteuertes Lizenzierungsmodell an, das
weder zu einer Instrumentalisierung des Vergütungsmechanismus seitens wirtschaftlich stärkerer Verwertungsgesellschaften zur Anlockung neuer Mitglieder noch zu
einem unkontrollierten Preiswettbewerb zugunsten der Endverbraucher entarten
kann. Die Verwertungsgesellschaften sollen in ihrer Mission als Wahrnehmungsinstitutionen die Rechte aller Mitglieder vertreten – an diesem Grundpfeiler der
kollektiven Rechtewahrnehmung soll weiterhin festgehalten werden. Im Online-
Kontext werden sie aber nun zusätzlich gefordert, als adäquate Verhandlungspartner
gegenüber den Nutzer-Giganten zu fungieren und dabei ihre Existenzbegründung zu
untermauern.
Auf der Suche nach einem wirksamen und geeigneten Instrument zur Regulierung
des Binnenmarktes und des Verhaltens der Verwertungsgesellschaften dürfen kulturelle Aspekte bei der Auslegung der Wettbewerbsregeln freilich nicht außer Acht
bleiben. Dies darf aber nicht dazu führen, eine umfassende marktwirtschaftliche
Betrachtungsweise im Sinne einer ökonomischen Absicherung der Urheber und
Leistungsberechtigten unter Abstimmung mit anderen Interessen zu verwerfen. Die
beiden oben erwähnten Verwertungsansätze, die zur Debatte stehen, nehmen sowohl
kulturpolitische als auch marktwirtschaftliche Aspekte auf (wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung) und eignen sich somit gleichermaßen für die künftige
Gestaltung der Online-Rechtevergabe. Maßgeblich für die Entscheidung ist aber
lediglich die Antwort auf die Frage, wer den Wettbewerb zwischen den europäischen Verwertungsgesellschaften steuern soll bzw. darf.
Für die künftige juristische Ausarbeitung der einschlägigen Wahlfreiheit zugunsten der Kreativen könnte das kartellrechtliche Rechtsinstrumentarium den geeigneten Regelungsrahmen anbieten, indem es auf der Grundlage von Art. 82 EG sowohl
die Durchsetzung des Diskriminierungsverbots als auch den Spielraum der Verwertungsgesellschaften bei der Vertragsgestaltung sicherstellen kann72 - es sei denn, wie
bisher der Fall, die kartellrechtlichen Instrumentarien bezüglich der Tätigkeit der
70 Die sog. „Kulturverträglichkeitsklausel“, die auf die Berücksichtigung der kulturellen Belangen in anderen Politikbereichen zielt, stelle klar, dass die Gemeinschaft nicht auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise beschränkt sei, sondern sich vielmehr von kulturellen Überlegung leiten lassen solle; so Fechner, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlrermann (Hrsg.),
Handbuch des Europäischen Rechts I A 59, 1995, Rn. 26 ff.
71 Europäische Kommission, Impact Assessment v. 11.10.2005, SEC (2005) 1254, Punkt 6.
72 Diese Auffassung teilt Drexl, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, 2005, S. 193, 231 f.
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Verwertungsgesellschaften werden im Diskussionsrahmen über das systemimmanente Spannungsverhältnis zwischen Urheber- und Wettbewerbsrecht weitgehend
als untauglich angesehen.73
IV. Aufsicht über die Verwertungsgesellschaften
Ungeachtet der oben ausgeführten Überlegungen bleibt die Notwendigkeit, faktische
oder gesetzliche Monopolsituationen auch im Bereich der kollektiven Rechtewahrnehmung einer behördlichen Kontrolle zu unterziehen, weiterhin unbestritten.
Wie bereits an anderen Stellen der vorliegenden Arbeit dargestellt74, unterliegen
73 Hinsichtlich des Wettbewerbs unter den Verwertungsgesellschaften auf Gemeinschaftsebene
stellt sich die Frage, inwieweit die Regeln des gemeinsamen Marktes auf den Verkehr mit Urheberrechten Anwendung finden. Dieser Prüfung gingen bereits die europäische Kommission
sowie der europäischer Gerichtshof in ihrer Entscheidungspraxis nach und gaben dabei mehrere Denkanstöße zur Realisierung eines modernen, europäisch konzipierten und geduldeten
Systems der kollektiven Wahrnehmung; vgl. Dietz, FS 100 Jahre GRUR, Bd. II, S. 1445, 1464
ff. sowie Dillenz, in: Becker (Hrsg.), Verwertungsgesellschaften im europäischen Binnenmarkt, 1990, S. 135, 142 ff. und Popp, Verwertungsgesellschaften, 2001, S. 113 ff. mit Zusammenfassung der einschlägigen Entscheidungspraxis. Die EG-Kommission strebt zwar einen funktionierenden Wettbewerb unter den europäischen Verwertungsgesellschaften an, bei
dem die Verwerter die Tarife aushandeln können und den Berechtigten möglichst günstige
Wahrnehmungsbedingungen angeboten werden; es gibt jedoch Stimmen in der Literatur, die
die Anwendbarkeit der Wettbewerbsvorschriften auf Verwertungsgesellschaften u. a. vor dem
Hintergrund ablehnen, dass ihre Tätigkeit mit der eines Unternehmens der gewerblichen Wirtschaft nicht vergleichbar ist, sondern vielmehr mit der einer Gewerkschaft. Für die Unzulänglichkeit kartellrechtlicher Regelungen zu Zwecken einer sachgerechten Beurteilung der Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften plädiert Dillenz, GRUR Int. 1997, 315, 318. Auf die fundamentalen Gemeinsamkeiten zwischen Verwertungsgesellschaften und Gewerkschaften als
Vereinigungen von Mitgliedern berufen sich Hubmann, UFITA Bd. 48 (1966), 22, 39 und van
Isacker, UFITA Bd. 61 (1971), 49, 53 ff. Die Auffassung verkennt allerdings, dass das Spektrum der Tätigkeit einer Verwertungsgesellschaft verglichen mit einer Gewerkschaft viel breiter ist, indem es sich nicht auf den Abschluss von Kollektivverträgen beschränkt; siehe hierzu
Ridder, Verfassungsrechtliche Probleme der gesetzlichen Regelung von Verwertungsgesellschaften, 1962, S. 21, der Unterschiede zwischen einer Gewerkschaft und die Vertretung verschiedenartiger Interessen durch die Verwertungsgesellschaft feststellt. Seiner Auffassung
nach bestehe kein arbeitsähnliches Rechtsverhältnis unter den Mitgliedern, sondern es gehe
dabei fast ausschließlich um den möglichst günstigen „Verkauf“ von Verwertungsrechten an
eine Vielzahl von Abnehmern. Vgl. auch Melichar, Die Wahrnehmung von Urheberrechten,
1983, S. 31, der einen Vergleich mit Gewerkschaften ablehnt. Ebenso wenig kann eine Verwertungsgesellschaft als Solidargemeinschaft der Urheber angesehen werden, da es an einer
gemeinsamen Interessenverfolgung fehlt, so Hoeren/Sieber – Müller, Multimediarecht, 2006,
Teil 7.12 Rn. 6. Vgl. dazu ausführlich Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheberund Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, 2000, S. 61 f. m.w.H. Eine
mögliche Parallele zwischen Verwertungsgesellschaft und Gewerkschaft wird in Frankreich
trotz berufsständischer Vertretung durch die Verwertungsgesellschaften nicht ernsthaft diskutiert, Schwab, Urheberverwertungsgesellschaften in Frankreich, 1989, S. 12.
74 Siehe Zweiter Teil, 3. Abschnitt, unter C, und Dritter Teil, 3. Abschnitt, unter B.
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Verwertungsgesellschaften zwar der staatlichen Aufsicht bzw. einer externen Kontrolle hinsichtlich Funktionsweise, Gebührensätze, Lizenzierungsbedingungen sowie
Regelung von Streitigkeiten; dies geschieht jedoch nach Umfang und Wirksamkeit
sehr uneinheitlich. Eine radikale Wende in der wahrnehmungsrechtlichen Überwachung der Wahrnehmungsorganisationen durch die Aufsichtsbehörde hat die Informationsgesellschaft allerdings nicht bewirkt. Eine Reihe europäischer Verwertungsgesellschaften sehen dennoch ein, wie notwendig in einem Europa ohne Binnengrenzen eine Aufsicht über die Durchführung der kollektiven Wahrnehmung ist;
denn eine funktionierende Aufsicht liegt nicht nur im Interesse der vertretenen
Rechtsinhaber, sondern auch der Verwertungsgesellschaften selbst. Aus der Binnenmarktperspektive wäre es nützlich, eine gemeinsame Grundlage für bestimmte
Parameter der externen Kontrolle zu schaffen und bestimmte Behörden (z.B. besondere Gerichte, Verwaltungsbehörden oder Schiedsstellen) in allen Mitgliedstaaten
einzuführen sowie eine gemeinsame Grundlage für ihre Zuständigkeiten, ihre Zusammensetzung und den Status ihrer Entscheidungen (bindend oder nicht bindend)
zu schaffen.75 Für Rechteinhaber, Nutzer und Verwertungsgesellschaften sollte ferner der Zugang zu Schlichtungsstellen und Gerichten möglich sein, deren Mandat,
Zusammensetzung und Verfahren europaweite Kompatibilität beanspruchen.
Eine Rechtsangleichung auf dem Gebiet der Staatsaufsicht über die Verwertungsgesellschaften schließt nicht aus, dass vorhandene Aufsichtsbehörden trotz einheitlicher Richtlinien weiterhin zuständig für die Aufsicht im eigenen Land bleiben. Einige Prinzipien und Elemente der nationalen Aufsichtspraxis könnten sogar als Vorbild für eine europäische Regelung dienen.76 Darunter sollte eine abgestufte
Informationspflicht der Verwertungsgesellschaften nach innen wie nach außen fallen, welche die Veröffentlichung der Tarife, der Verteilungsschlüssel und des Jahresabschlusses sowie von Informationen über Gegenseitigkeitsverträge - auch im
Internet – implizieren soll.77 Doch hier empfiehlt sich, ein spezielles Wahrneh-
75 So die Mitteilung der Kommission v. 16.04.2004 über die Wahrnehmung von Urheberrechten
und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt, KOM(2004) 261 endgültig, Punkt 3.5.4; abrufbar auf der Webseite des Europäischen Binnenmarkts . Der Errichtung einer gemeinschaftsweiten Aufsichtsbehörde könnte zugute kommen, dass ein Netzwerk
zur Kooperation der für wettbewerbsrechtliche Angelegenheiten zuständigen nationalen Ämter bereits vorhanden ist („Network of Competition Authorities“). Dies stützt sich auf ein System paralleler Kompetenzen, innerhalb dessen sämtliche Behörden zur Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsvorschriften befugt sind; siehe Gotzen, FS Schricker, 2005, S.
299, 304 m.w.H.
76 Dördelmann, GRUR 1999, 890, 892; Kreile/Becker, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, 2003, S. 593, 631.
77 Vgl. Bericht v. 11.12.2003 über den Gemeinschaftsrahmen für Verwertungsgesellschaften im
Bereich des Urheberrechts („Echerer Bericht“), A5-0478/2003, Punkt 4 der Begründung, abrufbar unter , wo folgende Maßnahmen zur Unterstützung des
Transparenzerfordernisses angeführt werden:
- Veröffentlichung von Tarifen, Verteilungsschlüsseln, Jahresabschlüssen und Informationen
zu den Gegenseitigkeitsverträgen - auch im Internet;
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mungsrecht im Wege der Harmonisierung oder der Einrichtung einer europäischen
Spezialaufsicht zu etablieren und nicht auf kartellrechtliche Vorschriften zurückzugreifen. Aufgrund der Kulturbezogenheit jeder Urheberrechtsregelung und der besonderen Geschäftstätigkeit der Verwertungsgesellschaften sollten auch andere
Regelungskriterien als nur Marktkriterien zur Beurteilung dieser Tätigkeit herangezogen werden.78 In einigen Mitgliedstaaten, wie Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und Portugal, sind neue Gesetze verabschiedet oder eingebracht
worden, welche die Rechtewahrnehmung durch Verwertungsgesellschaften transparenter machen und Letztere einer strengeren Rechenschaftspflicht unterwerfen sollen.
2. Abschnitt: Das Konzept der zentralen Rechtewahrnehmung für die multimediale
Nutzung („One-Stop-Shop“)
A. Urheberrechtliche Problematik der Multimediaproduktion
Aufgrund der ständig fortschreitenden Technik lässt sich schwer eine eindeutig
abgrenzende Definition für den Begriff Multimedia festlegen. Eine umfassende
- Auskunft über Administrationskosten: Die Kosten sind abhängig von der Einnahmequelle
und vom Arbeitsaufwand entsprechend dem jeweiligen Recht (z.B. Kontrolle der Diskotheken). Sämtliche Kosten müssen für die Bezugsberechtigten nachvollziehbar sein. Die Verwaltungskosten einer effizient arbeitenden Verwertungsgesellschaften beträgt im Durchschnitt
10-15%;
- Einführung von einheitlichen Werkkodierungsstandards und Interoperabilität: Eine einheitliche Kodierung von Werken verschafft eine bessere Kontrolle, Rückverfolgbarkeit und automatisierte Abrechnung, verringert den Verwaltungsaufwand und die Kosten. Auch das Problem der sog. "black box" (not attributable, not allocated, not distributable income) kann mit
Hilfe von ISO-Standards minimiert werden. Verwertungsgesellschaften müssten über die Codes wachen und gegen Missbrauch aktiv handeln - bis hin zur gerichtlichen Rechtsdurchsetzung;
- Informationsaustausch zwischen Verwertungsgesellschaften (u.a. um einseitige Dumpingkonditionen verhindern zu können).
Siehe in diesem Zusammenhang Mestmäcker, in: GEMA-Jahrbuch 2005/2006, S. 84, 90, der
kritisch gegenüber der von der EG-Kommission favorisierten Verpflichtung von Verwertungsgesellschaften, einen neuen Markt für ihre Dienstleistungen zu schaffen und zu diesem
Zweck die Kosten der Wahrnehmung gegenüber potenziellen Vertragspartnern offen zu legen,
steht; damit überschreite die EG-Kommission nicht nur die Grenzen der Wettbewerbsregeln,
sondern auch die der Regulierung.
78 Dem „Gebot der kulturellen Rücksichtnahme“ hat der EuGH in seinem Urteil Metronomemusik (Slg. 1998, S. I-1953) unter Berufung auf Art. 128 EGV (a. F.) den Vorrang gegenüber einer Durchsetzung der wirtschaftlichen Gebote des Binnenmarktes eingeräumt. Siehe hierzu
Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, 2000, S. 61 f.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Anpassung der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten durch die Verwertungsgesellschaften an das digitale Zeitalter gewinnt zunehmend an Brisanz. Diese rechtsvergleichende Studie nimmt den Urheberrechtswandel in vielen Ländern Europas unter die Lupe, um anschließend die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Wahrnehmungspraxis ausgewählter Verwertungsgesellschaften zu untersuchen. Nachgezeichnet werden dabei die Konturen einer gemeinschaftsweiten Rechtewahrnehmung, vor allem im Bereich der Online-Lizenzierung. Dazu wird der Frage nach Handlungsoptionen für eine gestärkte Rolle der Verwertungsgesellschaften in einer stets wandelnden Medienlandschaft nachgegangen.