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sowie der Gastwirt, der in öffentlich zugänglichen Räumen ein Radio oder ein Fernsehgerät aufstellt.
B. Abschlusspflicht bei Gesamtverträgen
Die unübersichtliche Nutzerzahl macht den Abschluss eines Lizenzvertrags mit
jedem einzelnen Veranstalter für die Verwertungsgesellschaften schwer zumutbar.
Um den entsprechenden Verwaltungsaufwand zu erleichtern und nebenbei die
gleichmäßige Teilhabe sämtlicher Beteiligten am Güterverkehr sicherzustellen, wird
den Verwertungsgesellschaften die Pflicht auferlegt, auf Verlangen der Nutzerorganisation Verhandlungen nach „Tunlichkeit“ zu führen und die entsprechenden Gesamtverträge auf bestimmte Zeit zu angemessenen Bedingungen abzuschließen.108
Der Begriff der Tunlichkeit bildet die äußere Grenze, innerhalb derer der Abschluss
eines Gesamtvertrags der Verwertungsgesellschaft zugemutet werden kann; Handeln
nach freiem und unbegrenztem Ermessen bliebt dabei ausgeschlossen.109 Demnach
ist die Verwertungsgesellschaft nicht an den Abschlusszwang gebunden, wenn die
Zahl der Vereinigungsmitglieder gering ist oder wenn der Vertragsabschluss keinen
messbaren wirtschaftlichen Vorteil mit sich bringt, wobei rein wirtschaftliche Gründe ohne rechtlichen Zusammenhang nicht in Betracht kommen.110 Anders als die
Verwertungsgesellschaften kann sich eine Nutzerorganisation jederzeit ohne besondere Begründung einem Gesamtvertragsabschluss entziehen; die Privatautonomie
der Beteiligten bei der Führung von Verhandlungen und dem Abschluss von Gesamtverträgen darf in keiner Weise beschränkt werden.
Bei der Aushandlung der Gesamtverträge zwischen Verwertervereinigungen und
Verwertungsgesellschaft wird der allgemeine Vertragsinhalt und insbesondere die
Höhe, die Berechnung und die Entrichtung der Vergütungen und nicht zuletzt das
Verfahren der gütlichen Streitbeilegung festgelegt. Für den Vertrag müssen daher
neue Tarife entwickelt oder es müssen ihm bereits bestehende Normaltarife zugrunde gelegt werden.111 Gesamtvertragstarife und Normaltarife unterscheiden sich nur
in der Höhe der Vergütungssätze. Den verminderten Verwaltungs- und Kontrollaufwand, der durch die gesamtvertragliche Vereinbarung von Vergütungssätzen
108 Siehe § 12 DE-WahrnG, § 20 AT-VerwGesG.
109 Bogendorfer, in: Dittrich, Robert/ Hüttner, Andreas (Hrsg.), Das Recht der Verwertungsgesellschaften, Wien 2006, S. 212, 216.
110 Die Gefahr, dass unter Umständen einige wenige Mitglieder einer Verwertervereinigung
keinen Einzelvertrag auf Grundlage des Gesamtvertrags abschließen und der Gesamtvertragsabschluss dadurch unzumutbar wird, kann dadurch umgangen werden, dass alle Mitglieder eine Erklärung mit der Verpflichtung abgeben, entsprechende Einzelverträge abzuschließen;
eingehend hierzu Strittmatter, Tarife vor der urheberrechtlichen Schiedsstelle, 1994, S. 178 ff.
111 Während der Verwerter den Tarif mit der Verwertungsgesellschaft frei aushandeln kann, ist
die Verwertungsgesellschaft an die von ihr aufgestellten Tarife gebunden. Das Gleichbehandlungsangebot verpflichtete die Verwertungsgesellschaften, gleiche Nutzungen gleich zu behandeln.
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entsteht, honorieren die Verwertungsgesellschaften mit Abschlägen von bis zu 20%.
Als Gegenleistung ist die Nutzervereinigung beim Einzelnutzer in Fragen der Information und Lizenzvergabe behilflich. Damit die reduzierten Vergütungssätze zur
Geltung kommen können, muss der Nutzer sowohl Mitglied der Gesamtvertragspartei sein als auch mit der Verwertungsgesellschaft einen Einzelvertrag mit dem jeweiligen Nutzer abschließen. Denn der Gesamtvertrag bindet zwar während seiner
Laufzeit und innerhalb seines Geltungsbereichs nur die Verwertervereinigung und
die Verwertungsgesellschaft, nicht aber die einzelnen Verwerter, die erst die Bedingungen des Gesamtvertrags durch Abschluss des Einzelvertrags konkludent anerkennen; bis dahin kann der Gesamtvertrag keine unmittelbare Bindungswirkung
gegenüber einzelnen Nutzern entfalten, wobei ihm der Charakter eines „korporativ“
abgeschlossenen Rahmenvertrags zugesprochen wird.112 Seiner Rechtsnatur nach
legt der Gesamtvertrag die wesentlichen Vertragsinhalte fest und ebnet somit den
Weg zum Abschluss des Einzelvertrags mit dem einzelnen Nutzer, während der
Einzelvertrag lediglich zu bestimmen hat, dass der Lizenznehmer die Verwertungsgesellschaft über Inhalt und Umfang der konkreten Nutzungsumstände in Kenntnis
setzt.113 Gesamtverträge über die Abgeltung gesetzlicher Vergütungsansprüche binden allerdings die Mitglieder der Nutzerorganisation auch ohne Schließung eines
Einzelvertrags.114
Im musikalischen Bereich unterhält die GEMA derzeit etwa 400 Gesamtverträge
mit den Mitgliedern von Nutzervereinigungen, Berufsvertretungen und großen Verbänden.115 Ungeachtet der Vorteile, die der Abschluss eines Gesamtvertrags mit sich
bringt, hat der Nutzer gewisse Pflichten gegenüber der GEMA zu erfüllen. Demnach
ist der Gesamtvertragspartner zur vollständigen Offenlegung wesentlicher Informationen, u.a. zur vollständigen Auflistung seiner Mitglieder, zur ordnungsgemäßen
Anmeldung von Veranstaltungen, zur Einhaltung von Fristen sowie zur fortlaufenden Einreichung aller wesentlichen Informationen über die Aufgaben und Arbeitsweisen seiner Einrichtung verpflichtet.116
Gesamtverträge gehören auch zur Praxis der österreichischen Verwertungsgesellschaften, wobei qualifizierte Teile der Lehre auch sog. Sammelverträge (Rah-
112 Siehe hierzu Kröber, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, 2003,
S. 746, 749; Reinbothe, Schlichtung im Urheberrecht, 1978, S. 32. Da der Wert der Gesamtverträge durch die fehlende normative Verbindlichkeit in erheblichem Maße vermindert wird,
fordert Strittmatter (Tarife vor der urheberrechtlichen Schiedsstelle, 1994, S. 117 f.) zur Sicherung des Rechtsfriedens und der Prozessökonomie de lege ferenda eine Regelung, die einen gesamtvertraglich vereinbarten Tarif für bindend erklärt.
113 In dieser Hinsicht erhält die deutsche GEMA das Recht, mindestens einmal jährlich durch
einen Wirtschaftsprüfer ihrer Wahl und/oder einen ihrer Kontrollmitarbeiter die für die Prüfungen notwendigen Unterlagen beim Nutzer einzusehen.
114 Die unmittelbare Drittwirkung von Gesamtverträgen über die Abgeltung gesetzlicher Vergütungsansprüche findet ihren Niederschlag in § 22 AT-VerwGesG.
115 Diese Vereinigungen sind u.a. die Bundesvereinigung der Musikveranstalter, der Deutsche
Bühnenverein, die Schaustellerverbände, der Deutsche Sängerbund, Kreile/Becker, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, 2003, S. 593, 621.
116 Siehe hierzu Spieckermann, Urheberrecht und GEMA, 2001, S. 30 f.
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menverträge) als die bessere Alternative erörtern. Mit dem Sammelvertrag werden
einige Vorteile in Zusammenhang gebracht, die gegenüber dem Gesamtvertrag einen
größeren Spielraum bei der Inhaltsgestaltung zulassen, schon deshalb, weil sie ausschließlich auf dem Instrumentarium des allgemeinen Zivilrechts beruhen und nicht
aufgrund der Vorschriften des Verwertungsgesellschaftengesetzes abgeschlossen
werden. Beim Sammelvertrag besteht insoweit die Freiheit, dass er nicht nur mit
gesamtvertragsfähigen Nutzerorganisationen, sondern mit jedem beliebigen Nutzerverband geschlossen werden muss. Für Streitigkeiten zwischen Parteien aus dem
Sammelvertrag ist der Urheberrechtssenat nicht zuständig. Indessen kann ein allgemeines Schiedsgericht oder eine Gerichtsstandsklausel vereinbart werden. Im Übrigen steht das Verwertungsgesellschaftengesetz dem Abschluss eines Sammelvertrags nicht entgegen. Von einer unzulässigen Umgehung der Regeln über die Gesamtverträge durch Abschluss eines Sammelvertrags kann nicht die Rede sein, weil
die Rechtsfolgen eines Sammelvertrags, u.a. seine fehlende normative Wirkung,
ganz unterschiedlich sind.117
Auch in den anderen Mitgliedstaaten gehören Gesamtverträge zwischen Verwertungsgesellschaften und Nutzerverbänden mit entsprechender Tarifreduzierung oft
zur Praxis der Verwertungsgesellschaften, wobei eine allgemeine Abschlusspflicht
für solche Verträge nur ausnahmsweise im Gesetz Niederschlag findet. Dies ist der
Fall in Spanien118 und, seit kurzem, in Frankreich als Pflicht der einzelnen Nutzer
zur Anwendung der tariflichen Vereinbarungen, die unter dem Namen „protocoles
d’accord“ abgeschlossen werden.119 Darüber hinaus obliegt es den französischen
Verwertungsgesellschaften beim Abschluss von Gesamtverträgen mit gemeinnützigen Einrichtungen („contrats généreaux d’intérêt commun“), in ihren Satzungen die
Bedingungen vorzusehen, unter denen die einschlägigen Einrichtungen in den Genuss einer Herabsetzung der Höhe der an Urheber und Leistungsschutzberechtigte
zu entrichtenden Vergütungen kommen.120
117 Eingehend zum Typus des Sammelvertrags Dittrich/Krejci, in: Dittrich, Beiträge zum Urheberrecht VII, ÖSGRUM Bd. 29 (2003), S. 1 ff. Siehe auch Kucsko, in: Dittrich/Hüttner
(Hrsg.), Das Recht der Verwertungsgesellschaften, 2006, S. 221 ff., der die Unterschiede eines Sammelvertrags gegenüber dem Gesamtvertrag übersichtlich in Form einer Tabelle darstellt.
118 Siehe Art. 157 (1) lit. c) ES-UrhG.
119 So die ratio legis von Art. L. 132-25 CPI nach Desurmont, RIDA 210 (octobre 2006), 111,
139.
120 Art. 38 (3) Loi n° 85-660 du 3 juillet 1985 relative aux droits d'auteur et aux droits des artistes-interprètes, des producteurs de phonogrammes et de vidéogrammes et des entreprises de
communication audiovisuelle ; siehe auch Desurmont, in : Gavalda/Boizard (Hrsg.), Droit de
l’audiovisuel, 1989, S. 149, 155 ; eingehend zum Inhalt des Titels IV des einschlägigen Gesetzes, der sich Joubert, in : Colloque de l’IRPI „Droits d’auteur et droits voisins – La loi du 3
juillet 1985“ (Paris, 21 et 22 novembre 1985), 1986, S. 181 ff.
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C. Geographischer Anknüpfungspunkt für die Lizenzvergabe
Die kollektive Rechtewahrnehmung knüpft traditionellerweise an das Recht des
Staates an, in dem die relevante Verwertungshandlung lokalisiert wird, und bedient
sich somit des allgemein anerkannten Rechtsgrundsatzes des internationalen Urheberrechts, nämlich des Territorialitäts- oder Schutzlandprinzips. Dieser Grundsatz
besagt materiell-rechtlich, dass der Schutz des Urhebers eines Werkes auf das jeweilige nationale Territorium begrenzt ist. Für die Europäische Union bedeutet dies,
dass Inhalt und Umfang des Urheberrechts mangels eines gemeinschaftlichen Urheberrechts durch denjenigen Mitgliedstaat bestimmt wird, auf dessen Territorium der
Schutz beansprucht wird. Bei der Harmonisierung des materiellen Urheberrechts
wurde nicht versucht, dessen territoriale Verankerung und die Möglichkeiten der
Rechteinhaber zur territorialen Ausübung ihrer Rechte einzuschränken.121
Im Rahmen der Online-Übertragung stößt allerdings das Sende- bzw. Ursprungslandprinzip an seine Grenzen, weil dessen Anwendung zu einer Verlagerung der
angebotenen Dienste in das Land mit dem niedrigsten Schutzniveau für Urheberrecht führen kann, wenn mehrere nach unterschiedlichen Rechtsordnungen verwirklichte Handlungen in Frage stehen.122 Die Bestimmung des geographischen Anknüpfungspunkts für die Lizenzvergabe weist einen kollisionsrechtlichen Gehalt auf und
hängt mit der räumlichen Kompetenzbeschränkung der Verwertungsgesellschaft
zusammen. Der Tätigkeitsbereich einer Verwertungsgesellschaft ist auf das Inland
beschränkt, wobei die mit ausländischen Schwestergesellschaften geschlossenen
Gegenseitigkeitsvereinbarungen die Rechtewahrnehmung ihres Repertoires im Ausland gewährleisten. Fraglich ist, welche der zahlreichen berührten Rechtsordnungen
und somit welche Wahrnehmungsinstitutionen für die Durchführung der entsprechenden Lizenzvergabe relevant sind. Angesichts der Tatsache, dass die urheberrechtliche Schrankenregelungen weltweit ganz erheblich voneinander abweichen, ist
die Antwort auf diese Frage sowohl für Rechtsinhaber als auch für Nutzer von
grundlegender Bedeutung, da sie mit unterschiedlichen Folgen verbunden ist. Beim
Ursprungslandprinzip als Lizenzerteilungsmodell bestünde die Gefahr einer Nichtanerkennung oder Schwächung der angemessenen Vergütung der Rechteinhaber,
121 Das Territorialitätsprinzip ist vom Gemeinschaftsgesetzgeber anerkannt und auch vom Europäischen Gerichtshof bestätigt worden, obwohl er die Auswirkungen des Territorialitätsprinzips in gewissem Grad abgeschwächt hat. Vgl. Coditel ./. Ciné-Vog Films, Rs. 62/79, Slg.
1980, S. 881; Coditel ./. Ciné-Vog Films, Rs. 262/81, Slg. 1982, S. 3381. Eine Abschwächung
des Schutzlandprinzips ergibt sich bereits aus der von Art. 6 RBÜ eingeräumten Möglichkeit,
den Schutz von Werken ausländischer Staatsangehöriger von der Gewährung von Gegenrecht
bzw. von der Veröffentlichung im Schutzland innerhalb einer bestimmten Frist seit Erstveröffentlichung abhängig zu machen, wovon einige Staaten Gebrauch gemacht haben.
122 Vgl. Intveen, Internationales Urheberrecht und Internet, 1999, S. 28 ff. Auch die europäische
Kommission hat sich im Richtlinienvorschlag zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft v. 10.12.1997, KOM (97) 628 endg., S. 11, gegen eine Anwendung der Sendelandtheorie wegen der Gefahr der Flucht in Urheberrechtsoasen ausgesprochen.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Anpassung der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten durch die Verwertungsgesellschaften an das digitale Zeitalter gewinnt zunehmend an Brisanz. Diese rechtsvergleichende Studie nimmt den Urheberrechtswandel in vielen Ländern Europas unter die Lupe, um anschließend die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Wahrnehmungspraxis ausgewählter Verwertungsgesellschaften zu untersuchen. Nachgezeichnet werden dabei die Konturen einer gemeinschaftsweiten Rechtewahrnehmung, vor allem im Bereich der Online-Lizenzierung. Dazu wird der Frage nach Handlungsoptionen für eine gestärkte Rolle der Verwertungsgesellschaften in einer stets wandelnden Medienlandschaft nachgegangen.