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Den Empfehlungen der Kommission folgend sind zuerst auf europäischer bzw.
internationaler Ebene zwei Projekte ins Leben gerufen worden, die im Hinblick auf
eine effiziente, grenzübergreifende Abklärung und Lizenzierung von Nutzungsrechten im Multimedia-Bereich den Grundstein für eine engere Zusammenarbeit der
Verwertungsgesellschaften auf der Basis völlig neuartiger Strukturen und Systeme
gelegt haben. So ist am 1.11.1998 das Pilotprojekt VERDI auf Initiative der führenden Verwertungsgesellschaften Frankreichs, Italiens, Spaniens, Finnlands und Irlands sowie der deutschen Zentralanlaufstelle CMMV entstanden, dessen Datenbank
bei Anfrage Informationen zu einem europaweit wahrgenommenen, kategorieübergreifenden Werkrepertoire sowie zu den berechtigten Urhebern zur Verfügung stellt.
Die VERDI-Datenbank soll jedoch nicht auf das Repertoire der am Projekt beteiligten Verwertungsgesellschaften beschränkt bleiben, sondern sämtlichen Rechteinhabern ein Forum anbieten, welches den Kontakt zu den Rechtserwerbern und damit
auch die Verwertung ihrer Rechte fördert. Das VERDI-System wird den Multimediaproduzenten in seiner endgültigen, markttauglichen Fassung gegen Entrichtung
einer noch festzulegenden Benutzungsgebühr offen stehen.90
Die effizientere Rechtewahrnehmung in der Informationsgesellschaft strebte auch
die CISAC an, mit der die 203 angeschlossenen Verwertungsgesellschaften 1994 ein
ähnliches, jedoch internationales Informations- und Kommunikationsnetzwerk initiierten. Die vier Hauptziele des verabschiedeten CIS-Plans bestehen in der Standardisierung der Identifizierung von Berechtigten und deren Werkrepertoire; der Standardisierung des Datenaustausches unter den verschiedenen Verwertungsgesellschaften;
dem Aufbau der Infrastruktur, welche einen solchen Austausch ermöglicht; sowie
dem Aufbau eines virtuellen Informationspools, der sich aus den lokalen Datenbank-
Systemen der einzelnen Verwertungsgesellschaften zusammensetzt.91
C. Überblick über die Multimedia-Clearing-Stellen der europäischen Verwertungsgesellschaften
Bereits 1995 forderte die Kommission in ihrem Grünbuch „Urheberrecht und verwandte Schutzrechte“ neue und effiziente Mechanismen für die Einräumung von
Urheberrechten für Multimediaproduktionen, indem sie den Verwertungsgesellschaften auferlegte, "zentrale Anlaufstellen" bzw. "Clearing-Houses" zu gründen, welche den Nutzern eine Informationsstelle mit anschließender vereinfachten
90 Zur Struktur des VERDI-Projekts siehe Oeller/Bergemann, in: Dittrich (Hrsg.), Beiträge zum
Urheberrecht VI, ÖSGRUM Bd. 22 (2000), S. 15, 28 f. Ausführlich zu weiteren Projekten,
Studien und Initiativen im Rahmen des sog. MMRCS („Multimedia Rights Clearance Systems“)-Programms der EU-Kommission Schwarz/Peschel-Mehner – Schippan, Recht im Internet, 2006, Teil 4-A, Abschnitt 2, Rn. 16 ff., 23 ff.
91 Eingehend hierzu Kreile GEMA-Nachrichten 155 (Juli 1997), S. 9.
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Rechtevergabe ermöglichen.92 Mit einer solchen „Neuordnung von Informationen“
durch die sog. One-Stop-Shops kann den Multimedia-Produzenten in der Planung
und Kalkulation ihrer Produktionen beträchtlich geholfen werden und somit ihren
ökonomischen Erfolg sicherstellen. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass eine derartige Zentralisierung der Rechtevergabe zur Stärkung der Position der Verwertungsgesellschaften beitragen wird, was wiederum aus kartellrechtlicher Sicht gewisse
Bedenken wecken mag. Weitere Kritikpunkte beziehen sich auf die Höhe der Verwaltungskosten, die lange Bearbeitungszeiten sowie die Gefahr, dass derartige zentrale Clearingmodelle Aspekte individueller Wahrnehmungsmöglichkeiten nicht
ausreichend berücksichtigen.93
I. Deutschland: Clearingstelle Multimedia für Verwertungsgesellschaften von
Urhebern und Leistungsschutzberechtigten GmbH (CMMV)
Die Gründung der CMMV im Jahre 1996 drückt die Absicht der beteiligten Verwertungsgesellschaften GEMA, GVL, VG Wort, VG Bild-Kunst, VFF, GWFF, VGF,
GÜFA und AGIGOA aus, den spezifischen Bedürfnissen des Multimediamarktes
nachzukommen. Die Aufgabe der Clearingstelle besteht darin, die Verhandlungen
zwischen den Herstellern bzw. Verwertern von Multimediaprodukten und den
Rechtsinhabern zu fördern, indem sie Informationen über die Rechte an bestimmten
Werken und Leistungen sowie deren Inhaber beschaffen und weitergeben; Rechte
zur Herstellung bzw. Verwertung von Multimediaprodukten bzw. –leistungen zwischen Herstellern und Verwertern einerseits und den Rechtsinhabern und deren
Verwertungsgesellschaften andererseits vermitteln; Kontaktaufnahme, Zusammenarbeit und Interessenvertretung mit ausländischen Verwertungsgesellschaften oder
Organisationen mit ähnlicher Zielsetzung durchführen. Herzstück des Gesamtkonzepts ist die hinter der CMMV stehende Datenbankinhalte der beteiligten Verwertungsgesellschaften, die allerdings noch manuell eingegeben sind, bis das CMMV-
System zur einer vollautomatisierten Dokumentationsvernetzung heranreift.
92 Grünbuch zum Thema "Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft", KOM (95) 382 endg. v. 19.07.1995, S. 76. Die englische Definition der sog.
„Rechteklärung“ lautet: „Multimedia rights clearance is defined as the process whereby multimedia producers search for relevant components, assess the legal status of these components
and seek to obtain from the rightholders (or their representatives) the required rights for the
intended reuse of components in a multimedia product.“; siehe Schwarz/Peschel-Mehner –
Schippan, Recht im Internet, 2006, Teil 4-A, Abschnitt 2, Rn. 19.
93 Das Anliegen der Kommission bestehe nicht darin, die Kollektivierung der Rechtewahrnehmung zur Regel zu machen; anzustreben sei nur eine Zentralisierung der Verwaltung von Einzelrechten und somit die Entwicklung eines Lizenzierungssystems, das neben der herkömmlichen kollektiven Wahrnehmung mit Fixtarifen eine zentrale Verwaltung und Lizenzierung auf
der Grundlage individueller Vereinbarungen mit den Rechteinhabern gestattet; so Senger,
Wahrnehmung digitaler Urheberrechte, 2002, S. 165, 167.
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Durch eine formularmäßige Anmeldung erhält der Multimedia-Produzent als registrierter Nutzer ein Passwort, mit dem er sich in das Clearingsystem der CMMV
rund um die Uhr einloggen kann, um Informationen über die Rechteinhaber und die
jeweils nachgefragten Rechte gebührenpflichtig anzufordern. Die CMMV prüft,
welche Verwertungsgesellschaften zuständig sind, und leitet die Anfragen entsprechend weiter. Der Nutzer erhält die angeforderten Informationen binnen zwei Wochen, kann allerdings nicht direkt bei der CMMV die erforderlichen Rechte erwerben, sondern nur bei der jeweils zuständigen Verwertungsgesellschaft. Durch die
Nutzung des CMMV-Systems erhält er immerhin den Vorteil, dass er frühzeitig in
die Planung und Kostenkalkulation einsteigen kann.
Da die CMMV als Stufenmodell konzipiert ist, kann sie derzeit keine Lizenzen
vergeben. Die Entscheidung über eine mögliche Ausweitung des Tätigkeitsbereichs
der CMMV von reiner Informationsvermittlungs- zur Lizenzvermittlungsstelle steht
noch aus. Zwei Varianten bieten sich hierbei: Die zentrale Anlaufstelle könnte entweder im Namen und Auftrag der Rechteinhaber bzw. der angeschlossenen Verwertungsgesellschaften die jeweiligen Rechte vergeben oder im eigenen Namen als
selbstständige Verwertungsgesellschaft Lizenzen erteilen. Die künftige Geschäftsabwicklung und der Zahlungsverkehr werden im Rahmen des E-Commerce auf der
Grundlage elektronischer Handelsbeziehungen zwischen CMMV und Endkunden
erfolgen.
II. Frankreich: Société de gestion des droits d’auteur dans le multimedia (SESAM)
Um auf die Bedürfnisse von Multimediaproduzenten zu antworten, haben französische Verwertungsgesellschaften im Frühjahr 1995 auf die Herausforderung durch
die Kommission mit der Gründung der zentralen Anlaufstelle SESAM reagiert. Ihre
Aufgabe besteht darin, das Repertoire von ADAGP, SACEM, SACD, SCAM und
SDRM zur offline und online multimedialen Nutzung zu verwalten. Die SESAM
erfüllt die Funktionen einer Informationsstelle und ermöglicht ihren Mitgliedern ein
Bündel von Nutzungsrechten im Wege eines einheitlichen Vertrages zu erwerben.
Diese Gesellschaft tritt hierbei jedoch nicht als bloßer Vermittler auf, sondern vergibt im Namen der an ihr beteiligten Verwertungsgesellschaften selbst Lizenzen.
Somit ist das französische Modell weiter fortgeschritten als sein deutsches Pendant.
Die SESAM übernimmt damit alle wesentlichen Funktionen einer Verwertungsgesellschaft; für sie gelten ebenso wie für die anderen Verwertungsgesellschaften
die relevanten Vorschriften des CPI.94
94 Weichhaus, Das Recht der Verwertungsgesellschaften, 2001, S. 36 f.
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III. Sonstige Länder
Weitere zentrale Anlaufstellen für die multimediale Nutzung mit vergleichbaren
Aufgaben operieren noch in Finnland, Spanien und Irland.
In der finnischen Clearingstelle KOPIOSTO haben sich 44 Verwertungsgesellschaften und andere Urheberrechtsorganisationen zusammengeschlossen, um
Multimediaproduzenten den Zugang zur Zweitverwertung von geschützten Werken
zu erleichtern. Das KOPIOSTO-System ist als offenes Online-System ausgestaltet,
das anhand bestimmter Suchkriterien dem interessierten Nutzer eine Liste relevanter
Werke mit Hinweis auf die „Mini-Homepages“ der einzelnen Künstler ermittelt.95
Das Ergebnis der Zusammenarbeit der spanischen Verwertungsgesellschaften im
Multimediabereich ist die Oficina Multimedia, eine 1995 errichtete Abteilung innerhalb der SGAE. Seitdem zählt die Multimediaherstellung zu den Satzungszielen der
führenden Verwertungsgesellschaft, die ohnehin mit der Wahrnehmung von Teilbereichen des Repertoires anderer Verwertungsgesellschaften betraut wird.96
Etwa 19 Organisationen von Autoren, Künstlern, Komponisten, Presseverlagen
sowie Film- und Fernsehproduzenten bedienen sich heute der zentralen Infrastruktur
der Multimedia Copyright Clearance Ireland (MCCI).
IV. Ausblick
Mit dem Wegfall bisher national definierter Verwaltungsgebiete der kollektiven
Rechtewahrnehmung und angesichts der neuen Wettbewerbssituation, mit der die
europäischen Verwertungsgesellschaften bei der Lizenzierung von Online-Rechten
konfrontiert werden, haben sich die führenden musikalischen Verwertungsgesellschaften MCPS/PRS und GEMA mit dem „One-Stop-Shop“- Konzept erstmalig einen grenzüberschreitenden Charakter verliehen. Mit der Mitgestaltung von
CELAS (Centralized European Licensing and Administration Service) wurde nämlich ein modellhaftes Lizenzsystem für Europa geschaffen, bei dem die GEMA 2007
als zentrale Anlaufstelle für die Lizenzvergabe fungieren wird – zunächst für das
angloamerikanische Repertoire von EMI Music Publishing. Dieser neuen Kooperationsform liegt eine Strategie zugrunde, die auf die Optimierung des heutigen Bestandsgeschäftes, auf eine Internationalisierung der Rechtewahrnehmung sowie auf
95 Schwarz/Peschel-Mehner – Schippan, Recht im Internet, 2006, Teil 4-A, Abschnitt 2, Rn. 15.
96 Unklar sind die Umrisse des satzungsgemäßen SGAE-Wahrnehmungsbereichs hinsichtlich
der multimedialen Nutzung. Denn der Begriff „Multimedia“ betrifft mehrere Berufsgruppen
und tastet somit an Tätigkeitsbereiche anderer Verwertungsgesellschaften, die ebenso mit der
Wahrnehmung von Rechten an Multimediawerken betraut sind. Ein Streitpunkt zwischen
SGAE und CEDRO ist z.B. das elektronische Publizieren und seine Zuordnung zum Multimediabereich (eBook) oder zu den reprographischen Rechten; siehe Götz, Kollektive Wahrnehmung in Spanien, 2000, S. 202 f.
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Angebote neuer Dienstleistungen ausgerichtet ist.97 Und vielleicht ist das CELAS-
Lizenzierungsmodell bereits der Vorbote für eine künftige Gestaltung der Wahrnehmungspraxis und die stärkere Rolle, welche die Verwertungsgesellschaften in
diesem Prozess übernehmen sollen.
3. Abschnitt: Gegenläufige Tendenzen zur kollektiven Wahrnehmung
A. Grundlagen der individuellen Wahrnehmung von Urheberrechten
I. Technische Schutzmaßnahmen
Unter technischen Schutzmaßnahmen sind Vorrichtungen oder Bestandteile zu verstehen, die im normalen Betrieb dazu bestimmt sind, Werke oder sonstige Schutzgegenstände betreffende Handlungen zu verhindern oder einzuschränken, die nicht von
der Person genehmigt worden sind, die Inhaber von Urheber- oder Leistungsschutzrechten ist.98 Die technischen Schutzmaßnahmen können unterschiedliche Funktionen annehmen, indem sie als Zugangskontrolle („shareware“) oder Nutzungskontrolle (Kryptographie) bzw. dem Schutz der Werkintegrität (digitale Wasserzeichen)
oder der Nutzungsüberwachung (Rechnungsstellung bei Pay-per-View-Systemen)
dienen.99 Technische Schutzmaßnahmen werden vornehmlich von Herstellern digitaler Datenträger in steigendem Umfang eingesetzt, um den Zugang und die Art der
Nutzung von digitalen Werken zu kontrollieren. Seit geraumer Zeit sind Kopierschutzsysteme der Musikindustrie im Einsatz, die dafür sorgen, dass CDs auf vielen
herkömmlichen Geräten gar nicht mehr abspielbar sind.100 Auch die für den
Verbraucherbereich auf dem Markt erhältlichen digitalen Aufzeichnungsgeräte sind
mit einem Kopierschutz ausgestattet, der zwar das beliebig häufige digitale Kopieren eines kommerziell bespielten Tonträgers zulässt, nicht jedoch das digitale Weiterkopieren einer bereits gefertigten Kopie. Ähnlich sind DVDs mit einem Code
97 GEMA Geschäftsbericht 2006, S. 7.
98 Art. 6 (3) Info-Richtlinie.
99 Eingehend Häuptli, Vorübergehende Vervielfältigungen, 2004, S. 198 ff.
100 Über die technischen Möglichkeiten siehe Knies, ZUM 2002, 793, 794 ff. Aus historischer
Sicht war es der amerikanische Gesetzgeber, der erstmalig die Integration der Kopierschutztechnik in digitale Geräte zwingend vorschrieb. Der „Audio Home Recording Act“ (AHRA)
legte fest, dass das private Vervielfältigen keine Urheberrechtsverletzung darstellt und schrieb
den Einsatz des „Serial Copy Management Systems“ (SCMS) ausschließliche bei Heim- und
Freizeitgeräten zur Aufzeichnung von Musik vor. Computer, CD-Brenner und professionelle
DAT-Studiogeräte ließ AHRA hingegen unberührt.
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References
Zusammenfassung
Die Anpassung der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten durch die Verwertungsgesellschaften an das digitale Zeitalter gewinnt zunehmend an Brisanz. Diese rechtsvergleichende Studie nimmt den Urheberrechtswandel in vielen Ländern Europas unter die Lupe, um anschließend die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Wahrnehmungspraxis ausgewählter Verwertungsgesellschaften zu untersuchen. Nachgezeichnet werden dabei die Konturen einer gemeinschaftsweiten Rechtewahrnehmung, vor allem im Bereich der Online-Lizenzierung. Dazu wird der Frage nach Handlungsoptionen für eine gestärkte Rolle der Verwertungsgesellschaften in einer stets wandelnden Medienlandschaft nachgegangen.