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„Es muss das Bestreben und das Ziel jedes wahren Künstlers sein, sich eine Lage zu
erwerben, in der er sich ganz mit der Ausarbeitung größerer Werke beschäftigen
kann und nicht durch Verrichtungen oder ökonomische Rücksichten davon abgehalten wird.“
Ludwig van Beethoven (1809)
Einleitung
A. Urheberrecht im Wandel
Die Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien, Geräte und Speichermedien
schreitet immer rasanter voran und hat Art und Umfang der Werknutzung nachhaltig
geprägt. Das Internet erweist sich als Umgebung, die nicht nur den Vermehrungsprozess von Informationen, sondern auch einen schnellen, orts- und zeitunabhängigen Zugriff darauf besonders gut unterstützt. Es wird gesagt, die elektronische
Kommunikation trete inzwischen als „dritte Säule“ neben Printmedien und Rundfunk1: Werke aller Gattungen unterliegen einer elektronischen Mehrfachnutzung,
nämlich online über verschiedene Datenfernübertragungswege oder/und offline über
CD-ROM oder digitale Satellitendienste; eine Koexistenz herkömmlicher Printmedien und ihrer CD-ROM-Publikationen im Volltext dominiert seit 15 Jahren den
Markt politischer Zeitungen und Fachzeitschriften; publikumsorientierte Satellitenhörfunkprogramme werden digital übertragen, während das Fernsehen durch die
neuen Datenkompressionstechniken interaktive Dienste anbietet; Musikstücke im
MP3-Format werden innerhalb einer Internet-Fangemeinde („Internet-
Communities“) ausgetauscht und bringen somit traditionelle Vertriebsmodelle des
Musikgeschäfts ins Wanken; Museums- und Galerienbestände werden weltweit
einem kommerziellen bzw. wirtschaftlich interessierten Publikum zugänglich gemacht; die herkömmliche Bestellprozedur in den öffentlichen Bibliotheken wird von
einer zeitsparenden elektronischen Fernleihe zurückgedrängt; große Zeitungs- und
Zeitschriftenverlage vernetzen ihre hauseigenen Archive und stellen journalistische
Text- und Bildbeiträge zur Bestellung bereit; Online-Publikationen nutzen die Vorteile der elektronischen Publikation in Verbindung mit Netzwerken und rücken neben klassische Verlagserzeugnisse; Filmsequenzen werden im Internet abgespielt unerschöpflich sind die Kommunikationskanäle, die auf die Auswertung von urheberrechtlich geschützten Werken und Werkteilen beruhen.
1 Hoeren/Sieber – Raue/Hegemann, Multimediarecht, 2001, Teil 7.5 Rdn. 70 ff.
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Das digitale Zeitalter ist von einer mehrfachen Konvergenz der Technologie, der
Medien und der Dienstleistungen gekennzeichnet.2 Die technologischen Entwicklungen spielen sich auf verschiedenen Ebenen ab und eröffnen ein weites Feld für
neue a) datentechnische Anwendungen durch Digitalisierung, Datenkompression
und Art/Kapazität der Speichersysteme, indem umfangreiche Werke nun elektronisch erstellt, gespeichert und in virtuellen Datenbanken katalogisiert werden, b)
Erscheinungsformen und Ausdrucksmittel durch Offline- und Online-Auslieferung,
multimediale und interaktive Anwendungen und c) Nutzungs-, Kommunikationsund (physische und nichtphysische) Vertriebsmöglichkeiten durch Netzwerke, Online- und On-demand-Dienste und interaktive Zugriffe.3 Eine einzigartige Kombination dieser neuen Elemente stellt das Phänomen „Multimedia“ dar, welches durch
drei charakteristische Merkmale gekennzeichnet ist4: Die Verknüpfung, Integration
und gar die „Verschmelzung“ von Video-, Audio-, Text- und Bilddateien in einer
Kommunikationseinheit mit inhaltlicher Kohärenz; die Digitalisierung, die gewaltige Datenmengen durch dasselbe technische Format auf einer gemeinsamen Medienplattform aufbereitet und ihre netzbezogene Übermittlung in kürzester Zeit verwirklicht; die Möglichkeit der Interaktivität, durch die der Nutzer den Ablauf und den
Umfang des Datentransfers durch auf dem Abrufprinzip beruhende Systeme selbst
bestimmen kann.
Während die Digitaltechnologie dem schöpferischen Menschen unbegrenzte kreative Gestaltungsräume mit Zeit- sowie Qualitätsvorteilen eröffnet, setzt sie mit Hilfe
rasch arbeitender Suchfunktionen eine unkontrollierbare Verbreitung seiner Werke
in Gang. Im Rahmen des Verwertungsprozesses entstehen alledings ernstzunehmende Gefahren, wie die grenzüberschreitende Erhältlichkeit urheberrechtlich geschützter Inhalte, ihre durch leichtes und kostengünstiges Kopieren erhöhte Verletzlichkeit
und nicht zuletzt die Manipulationsmöglichkeiten, denen die Werkintegrität ausgesetzt wird.5 Vor allem im Musikbereich hat die Produktpiraterie eine neue Dimension erreicht, die im Internet auch durch immer neuere Schutztechniken kaum zu
unterbinden ist. Die Dezentralisierung der Werknutzung durch weitgehende Verlagerung in den Privatbereich sowie die Anfälligkeit geschützter Werke in digitaler
Form stehen somit im unmittelbaren Zusammenhang mit einer Schwächung der
Rechtslage der Urhebers, der angesichts der Anzahl der unkontrollierbaren Nutzungen zunehmend ein Interesse an der Sicherung seiner Vergütungsansprüche entwickelt.
Die massenhafte Produktion von immateriellen Produkten hat wiederum dem urheberrechtlichen Werk einen zusätzlichen Stellenwert als wichtiges Wirtschaftsgut
verliehen. Denn durch die Einführung neuartiger Geräte mit erweiterten Funktionen
wächst die wirtschaftliche Bedeutung der Werknutzung für alle Beteiligten. Die
2 Dreier, FS Koumantos, 2004, S. 223, 227 ff.
3 Vgl. Rudorf, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, 2003, S. 167,
204.
4 Loewenheim, FS Piper, 1996, S. 709, 711 ff.
5 Lehmann, in: Lehmann (Hrsg.), Cyberlaw, 1997, S. 25, 28 ff.
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neuen Nutzungsmöglichkeiten über die verschiedenen Kommunikationskanäle setzen grundlegende Strukturveränderungen in Gang. Es entstehen neue elektronische
Vertriebsebenen von Produkten und Dienstleistungen, die in den Markt eindringen
und zahlreiche Warengruppen erfassen. Dies verstärkt die wirtschaftliche Dimension
des geistigen Eigentums und bringt eine Erweiterung der interessierten Kreisen nach
sich, die von den Rechteinhabern über die Verwerter bis hin zu den Endverbrauchern reicht – eine Abgrenzung ist dabei nicht immer klar. Deutlich wird eine faktisch bedingte Verlagerung der Rechte von den einzelnen Kreativen in die Hände der
Kulturindustrie und der Verlage; verschiedenen Unternehmensformen werden dabei
vertraglich mehrere Rechte zugewiesen. Hinzu kommt die weltweite Vernetzung
über das Internet – es wird geschätzt, die Hälfte der Menschenheit wird bis 2015
vernetzt sein! - und die Globalisierung der Märkte. Auch die Verbraucher werden in
der digitalen Welt zunehmend mit gesetzlichen Pflichten und Vertragsbestimmungen konfrontiert. Die zunehmende Komplexität zeigt sich besonders deutlich beim
Umgang mit Informations- und Kulturgütern, die in der heutigen Informationsgesellschaft konsumiert werden. Gleich ob Musik von einem Downloaddienst heruntergeladen und auf einen MP3-Spieler kopiert, Software erworben, genutzt und wieder
verkauft wird oder Kopien von Computerspielen zu privaten Zwecken hergestellt
werden: Die Nutzer müssen auf gesetzliche Bestimmungen achten, wobei die
Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der Zulässigkeit der Nutzung sowohl die Abnehmer als auch die Anbieter treffen.6
All die neuen technologiespezifischen Formen der Werkverwertung stellen eine
große Herausforderung für das herkömmliche Urheberrecht dar, das somit vor neue,
stets wachsende Aufgaben gestellt wird – die Geschichte des Urheberrechts besteht
lediglich in einem Prozeß rechtlicher Reaktionen auf die technischen Entwicklungen. Das materielle Schutzziel des Urheberrechts, der Schutz vor unbefugter wirtschaftlicher Verwertung, beihaltet die normative Verpflichtung, dem tatsächlichen
Wachstumsfaktor der Werkverwertung gerecht zu werden7, wobei der Schutz der
Interessen der Rechtsinhaber nach wie vor vorrangige Zielsetzung der Urheberrechtsreformen im kontinentaleuropäischen Raum bleibt.
Die Anpassung des Urheberrechts im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit
geschützer Werke ist Ausgangspunkt dieser Dissertation.
B. Gang der Darstellung
Die vorliegende Arbeit befasst sich in gleicher Weise mit urheberrechtlichen Aspekten der digitalen Werknutzung wie auch mit Recht und Praxis der kollektiven Wahrnehmung digitaler Nutzungsrechte aus der Sicht bedeutender Verwertungsgesell-
6 Interessant hierzu die Untersuchungsergebnisse von Kreutzer, Verbraucherschutz bei digitalen Medien, 2006, S. 7 ff.
7 Vgl. Brinkmann, Urheberschutz und wirtschaftliche Verwertung, 1989, S. 55.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Anpassung der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten durch die Verwertungsgesellschaften an das digitale Zeitalter gewinnt zunehmend an Brisanz. Diese rechtsvergleichende Studie nimmt den Urheberrechtswandel in vielen Ländern Europas unter die Lupe, um anschließend die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Wahrnehmungspraxis ausgewählter Verwertungsgesellschaften zu untersuchen. Nachgezeichnet werden dabei die Konturen einer gemeinschaftsweiten Rechtewahrnehmung, vor allem im Bereich der Online-Lizenzierung. Dazu wird der Frage nach Handlungsoptionen für eine gestärkte Rolle der Verwertungsgesellschaften in einer stets wandelnden Medienlandschaft nachgegangen.