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triebsbedingte Kündigungen (»licenciements pour motif économique«) vor, so
kann allein das Insolvenzgericht diesen verabschieden.
Neben den insolvenzrechtlichen Regeln hat der Verwalter auch die arbeitsrechtlichen Vorschriften zu beachten. Bevor er die Zustimmung des Insolvenzrichters beantragt, hat er daher den Betriebsrat (»comité d’entreprise«) oder,
wenn dieser nicht vorhanden ist, die Personalvertreter (»délégués du personnel«)
oder die Arbeitnehmervertreter (»délégués des salariés«) gemäß Art. L. 321-9
des französischen Arbeitsgesetzbuchs (»Code du travail«) anzuhören. Zudem hat
er die Beamten der zuständigen Arbeitsaufsicht (»direction départementale du
travail«) in Kenntnis zu setzen (Art. L. 321-8 Code du travail).810
b. Ausarbeitung eines Sanierungsplans (»plan de redressement«)
Zwar finden auf die Ausarbeitung des Sanierungsplans (»plan de redressement«)
ein Großteil der Vorschriften zum Erhaltungsplan (»plan de sauvegarde«) gemäß
Art. L. 631-19 Code de commerce entsprechend Anwendung.811 Gleichwohl entfällt das Privileg der Bürgen und Mitschuldner des Schuldners im Sanierungsverfahren (Art. L. 631-20 Code de commerce) im Gegensatz zum Erhaltungsverfahren (vgl. Art. L. 626-11 Code de commerce). Damit gelten die im Sanierungsplan
zugunsten der SARL erteilten Zahlungsaufschübe bzw. Forderungserlasse nicht
zugunsten des Bürgen bzw. des Mitschuldners.812
III. Gerichtliche Abwicklung: Der gerichtliche Abwickler
Im Rahmen der gerichtlichen Abwicklung bestellt das Insolvenzgericht den gerichtlichen Abwickler. In der Regel spricht sich das Insolvenzgericht für die Bestellung des Gläubigervertreters (»mandataire de justice«) zum gerichtlichen Abwickler aus (Art.s. 641-1 (II) Code de commerce).813 Gleichwohl kann das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag des Verwalters, eines Gläubigers der
SARL oder des Staatsanwalts (»procureur de la République«) auch eine andere
810 Jeantin/Le Cannu, Entreprises en difficulté, S. 511; Saint-Alary-Houin, Droit des entreprises en difficulté, S. 580; Lucas/Lécuyer/Marly, La réforme des procédures collectives,
S. 264.
811 Legros, Jurisclasseur, Droit des sociétés, 2005, Dezember, S. 14, 17.
812 Saint-Alary-Houin, Droit des entreprises en difficulté, S. 620; Vallansan, Difficultés des
Entreprises, S. 254; Legros, Jurisclasseur, Droit des sociétés, 2005, Dezember, S. 14, 17;
Lucas/Lécuyer/Marly, La réforme des procédures collectives, S. 264.
813 Saint-Alary-Houin, Droit des entreprises en difficulté, S. 632; Jacquemont, Droit des entreprises en difficulté, S. 361; Legros, Jurisclasseur, Droit des sociétés, 2005, Dezember,
S. 14, 18.
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Person zum gerichtlichen Abwickler bestellen (Art. L. 641-1 (III) Abs. 1 Satz 2
Code de commerce).814
Der gerichtliche Abwickler nimmt, im Gegensatz zum Verwalter, nicht nur die
Aufgaben des Schuldners sondern auch die Aufgaben des Gläubigervertreters
wahr.815 Auch im Hinblick auf die Pflicht der Unternehmensfortführung unterscheiden sich deren Aufgaben. Der Verwalter beschäftigt sich überwiegend mit
der Fortführung des schuldnerischen Unternehmens.816 In der gerichtlichen
Abwicklung wird die Unternehmenstätigkeit des Schuldners jedoch in der Regel
beendet.817 Dem gerichtlichen Abwickler obliegt es sodann, die Rechte der Gläubiger festzulegen, das Vermögen der SARL abzuwickeln und die Schulden der
SARL zu begleichen.818
Da in der gerichtlichen Abwicklung von nun an andere Interessen wahrzunehmen sind, soll sich auch ein vom Verwalter personenverschiedenes Organ und
damit der gerichtliche Abwickler mit diesen Aufgaben befassen. Folglich führt
eine Neuausrichtung der Interessengewichtung regelmäßig zu einer personellen
Neubesetzung. Die Gläubigerinteressen stehen in der gerichtlichen Abwicklung
im Vordergrund, so dass der Gläubigervertreter die Rolle des Entscheidungsträgers (»décideur«)819 übernimmt.820
Die Wahrung der Rechte der SARL obliegt hingegen dem Geschäftsführer. Das
Gericht kann jedoch im Falle der Fortführung der Unternehmenstätigkeit einen
Verwalter bestellt, wenn die SARL mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt, einen
Jahresumsatz von über EUR 3 Mio. erzielt oder die Notwendigkeit einer solchen
Bestellung besteht (Art. L. 641-10 Abs. 5 Code de commerce i.V.m. Art. 232 der
Verordnung Nr. 2005-1677 vom 29. Dezember 2005). In diesem Fall wirkt der
Verwalter an der Ausführung des Plans der übertragenden Sanierung mit (Art. L.
642-2 (I) ff. Code de commerce).821
1. Aufgabenbereiche
Die weit reichenden Aufgaben des gerichtlichen Abwicklers lassen sich in drei
Bereiche unterteilen. Der gerichtliche Abwickler vertritt die Gläubiger, verwaltet
das Schuldnervermögen und ist maßgeblich an der Durchführung des Verfahrens
beteiligt. Der Insolvenzrichter hat ihm hierbei diejenigen Auskünfte und Infor-
814 Saint-Alary-Houin, Droit des entreprises en difficulté, S. 632.
815 Soinne, Traité des procédures collectives, Rn. 2355, S. 1919.
816 Vgl. Jacquemont, Droit des entreprises en difficulté, S. 131; Guyon, Entreprises en difficultés, S. 180, Rn. 1162.
817 Le Corre, Droit et pratique des procédures collectives, S. 1017 f.
818 Vgl. Jacquemont, Droit des entreprises en difficulté, S. 361; Guyon, Entreprises en difficultés, S. 183, Rn. 1163.
819 Vgl. Gaillard, S. 360, Rn. 258.
820 Vgl. 1. Kapitel § 2 IV 4.
821 Jeantin/Le Cannu, Entreprises en difficulté, S. 709.
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mationen zu erteilen, die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlich sind
(Art. L. 641-11 Abs. 3 Code de commerce).822
a. Gläubigervertretung
Der gerichtliche Abwickler vertritt die Gläubiger. Er führt die Handlungen fort,
die vor dem endgültigen Urteil begonnen worden sind (Art. L. 641-5 Code de
commerce). Ihm obliegt überdies die Forderungsprüfung (Art. L. 641-4 Abs. 1
und L. 641-5 Code de commerce) und die Erstellung (Art. L. 641-5 Code de commerce) oder Fertigstellung des Gläubigerverzeichnisses (»ordre de créanciers«).823
b. Verwaltung des Schuldnervermögens
Der gerichtliche Abwickler verwaltet zudem das Schuldnervermögen. Hierfür
vertritt er die SARL, auch wenn das Gesetz dies nicht ausdrücklich bestimmt.
Denn die SARL verliert mit Eröffnung der Abwicklung ihre Verfügungsbefugnis
an den gerichtlichen Abwickler (Art. L. 641-9 (I) Satz 1 Code de commerce).
Führt die SARL die Unternehmenstätigkeit vorübergehend fort, so übernimmt der
gerichtliche Abwickler die Geschäftsführung, soweit kein Verwalter bestellt
wurde (Art. L. 641-10 Abs. 2 Code de commerce).824
Der gerichtliche Abwickler hat die vom Insolvenzrichter genehmigten Kündigungen der Arbeitnehmer durchzuführen (Art. L. 641-4 Abs. 6, Code de commerce). Dabei unterliegt er jedoch denselben Beschränkungen wie bei der Durchführung von Kündigungen im Sanierungsverfahren (Art. L. 641-10 Abs. 3 i.V.m.
L. 631-17 Code de commerce).825 Weiterhin kann er eine Sache zurückfordern,
die mit einem Zurückbehaltungsrecht versehen war, indem er die Gegenleistung
erbringt (Art. L. 642-25 Abs. 1 Code de commerce). Auf diese Weise kann der
gerichtliche Abwickler insbesondere diejenigen Gegenstände wieder erlangen,
deren Wert den Wert der abgesicherten Verbindlichkeit der SARL deutlich übersteigt.826 Schließlich kann er die Fortsetzung derjenigen Verträge verlangen, die
noch nicht kraft Gesetzes beendet worden sind (Art. L 641-10 Abs. 2 Code de
commerce).
822 Jeantin/Le Cannu, Entreprises en difficulté, S. 708.
823 Jacquemont, Droit des entreprises en difficulté, S. 361; Jeantin/Le Cannu, Entreprises en
difficulté, S. 708; Saint-Alary-Houin, Droit des entreprises en difficulté, S. 633 f.
824 Le Corre, Droit et pratique des procédures collectives, S. 1019; Saint-Alary-Houin, Droit
des entreprises en difficulté, S. 634; Prat, S. 295, Rn. 342.
825 Jacquemont, Droit des entreprises en difficulté, S. 366; Jeantin/Le Cannu, Entreprises en
difficulté, S. 707.
826 Vallansan, Difficulté des entreprises, S. 327.
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c. Verfahrensorgan
Der gerichtliche Abwickler nimmt auch als Verfahrensorgan maßgeblich an der
Durchführung des Verfahrens teil (vgl. Art. L. 641-10 Abs. 7 i.V.m. L. 622-4,
L. 641-4, L. 641-5, L. 642-18 Code de commerce).827 Er wickelt das Vermögen
der SARL ab, indem er Vermögenswerte verkauft und Verbindlichkeiten begleicht. Überdies führt er Sicherungsmaßnahmen durch.828
2. Ausführung des Plans der übertragenden Sanierung (»plan de cession«)
Seit der Insolvenzrechtsreform 2005 steht die Ausführung eines Plans einer übertragenden Sanierung nicht mehr dem Verwalter als Beauftragtem zur Ausführung
des Plans der übertragenden Sanierung (»commissaire à l’exécution du plan de
cession«) im Rahmen der Beobachtungsphase des Sanierungsverfahrens zu. Von
nun an ist es vielmehr Aufgabe des gerichtlichen Abwicklers, im Rahmen der gerichtlichen Abwicklung den Plan der übertragenden Sanierung auszuführen
(Art. L. 641-10 Abs. 4 Code de commerce).829 Dieser nimmt die schriftlichen Angebote830 potentieller Käufer entgegen und informiert die SARL, die Arbeitnehmervertreter und die prüfenden Gläubiger über die vorliegenden Angebote.831 Zur
Auswertung der Angebote steht dem gerichtlichen Abwickler eine Frist von mindestens zwei Wochen zu. Anschließend hat er dem Gericht die Angebote zur Entscheidung vorzulegen. Hat das Gericht ein Angebot ausgewählt und einen Übertragungsplan verabschiedet, so hat der gerichtliche Abwickler bzw. der gegebenenfalls bestellte Verwalter die Handlungen vorzunehmen, die für die Übertragung des Unternehmens erforderlich sind, wie etwa die Vorbereitung eines Abtretungsvertrags.832
827 Saint-Alary-Houin, Droit des entreprises en difficulté, S. 636; Ripert/Roblot/Delebecque/
Germain, Traité de droit commercial, Band 2, S. 1204, Rn. 3225.
828 Ripert/Roblot/Delebecque/Germain, Traité de droit commercial, Band 2, S. 1204,
Rn. 3225.
829 Legros, Jurisclasseur, Droit des sociétés, 2005, Dezember, S. 14, 17; zur Abgrenzung der
Aufgabenbereiche des gerichtlichen Abwicklers vom Gläubigervertreter im Rahmen der
Ausführung des Plans der übertragenden Sanierung, vgl. Géniteau, Rev. proc. coll., 2006,
S. 1, 4.
830 Zu den Mindestanforderungen hinsichtlich der Kaufangebote, vgl. Art. L. 642-2 (II) Code
de commerce; Saint-Alary-Houin, Droit des entreprises en difficulté, S. 656.
831 Roussel-Galle, Réforme du droit des entreprises en difficulté, S. 275 f.
832 Roussel-Galle, Réforme du droit des entreprises en difficulté, S. 282; Legros, Jurisclasseur,
Droit des sociétés, 2005, Dezember, S. 14, 19.
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3. Einforderung der restlichen Bareinlagen
Dem gerichtlichen Abwickler steht es zu, die Ansprüche der SARL auf Zahlung
der restlichen Bareinlagen833 gegen die Gesellschafter geltend zu machen.834
Diese Lösung fußt darauf, dass die SARL entmachtet ist (Art. L. 641-9 Code de
commerce) und deren Organe keinerlei Funktionen mehr wahrnehmen können.
Daher verbleibt allein der gerichtliche Abwickler, um die restlichen Bareinlagen
einzufordern.
Fraglich ist aber, ob der gerichtliche Abwickler auch die Zahlung noch nicht
fälliger Ansprüche der SARL auf Erbringung der restlichen Bareinlagen verlangen kann.
Eine Ansicht835 bejaht dies, da die Eröffnung des gerichtlichen Abwicklungsverfahren auch zur Fälligstellung von Forderungen der SARL führe (Art. L. 643-
1 Abs. 1 Code de commerce). Dies müsse folglich auch für die Ansprüche der
SARL auf Einforderung der Bareinlagen gelten.
Die Gegenansicht836 verneint hingegen die Befugnis des Verwalters, da
Art. L. 643-1 Abs. 1 Code de commerce lediglich die Fälligstellung von Forderungen Dritter gegen die SARL bewirke. Vorliegend handle es sich indes um eine
Forderung der SARL gegen einen Gesellschafter, so dass die Vorschrift nicht
anwendbar sei.837 Allein die Gesellschafterversammlung könne die Fälligkeit der
Einlageforderungen der SARL herbeiführen.838 Dieser Ansicht nach kann der
Verwalter die noch nicht fälligen Einlagenansprüche der SARL nicht geltend
machen.
§ 3 Maßgebliche Aufgaben des Geschäftsführers
Die Aufgaben des Verwalters und des gerichtlichen Abwicklers stehen im Spannungsverhältnis zu den entsprechenden Aufgaben des Geschäftsführers.
833 Zur Herabsetzung des Mindestnennkapitals einer SARL im französischen Recht, Meyer/
Ludwig, GmbHR 2005, 346.
834 Saint-Alary-Houin, Droit des entreprises en difficulté, S. 634, Fußnote 48;vgl. die parallele
Befugnis des Verwalters in der Beobachtungsphase: 3. Kapitel § 2 I 2 i; Cass. Com.,
9.5.1995, Rev. sociétés 1995. 753, Urteilsbesprechung Jeantin; Bull. Joly, 1995. 775,
Urteilsbesprechung Calendini; 26.5.1999; D. 2000, S.C. 1997, Urteilsbesprechung Honorat.
835 Paris, 16.1.1992; RJDA 1992, Nr. 869; Rennes, 17.1.2001, Bull. Joly 2001, 163, Urteilsbesprechung Legrand.
836 Art. L. 643-1 Abs. 1 Satz 1 Code de commerce besagt, dass das Urteil, durch welches die
gerichtliche Abwicklung eröffnet wird, die Fälligkeit der noch nicht fälligen Forderungen
zur Folge hat (»Le jugement qui ouvre ou pronoce la liquidation judiciaire rend exigible
les créances non échues.«).
837 Vgl. Calendini, Urteilsbesprechung, Bull. Joly, 1995. 775.
838 Versailles, 3.4.1997, D. Affaires 1997, 1084; Bull. Joly 1997, 861, Urteilsbesprechung
Dom.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Deutschland und Frankreich stehen exemplarisch für eine bis heute sehr unterschiedliche Verfahrenspraxis im Insolvenzrecht. Ungleich gehandhabt wird insbesondere die Aufgabenverteilung zwischen Geschäftsführer und Insolvenzverwalter.
Die Aufgaben des Geschäftsführers einer GmbH bzw. einer Société à responsabilité limitée (SARL) richten sich grundsätzlich allein nach dem Gesellschaftsrecht. Dies ändert sich jedoch spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dann findet das deutsche bzw. das im Jahre 2005 novellierte französische Insolvenzrecht auf den Geschäftsführer Anwendung und der Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter tritt in das Leben der GmbH bzw. SARL ein. Auf dieser Schnittstelle von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht kommt es damit sowohl im Regelinsolvenzverfahren bzw. in der Eigenverwaltung im deutschen Recht als auch im Erhaltungs- bzw. Sanierungsverfahren im französischen Recht zu einem Nebeneinander des gesellschaftsrechtlichen und des insolvenzrechtlichen Organs.
Dieses Nebeneinander macht eine Aufgabenverteilung notwendig, die jedoch in keinem der beiden Länder explizit geregelt ist. Auf Grundlage der dogmatischen Lösungsansätze werden die wesentlichen Aufgaben des Insolvenzverwalters und des Geschäftsführers einer GmbH bzw. SARL definiert und rechtsvergleichend untersucht.