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kann das Insolvenzgericht einschneidendere Maßnahmen zu Lasten des
Geschäftsführers, wie etwa die zwangsweise Veräußerung von Anteilen des
Geschäftsführers an der SARL anordnen.1005 Diese Befugnisse könnten manche
Geschäftsführer davon abhalten, die Eröffnung des Erhaltungsverfahrens zu
beantragen.
Im deutschen Insolvenzrecht wird der Geschäftsführer mit der Verfahrenser-
öffnung demgegenüber regelmäßig vom Insolvenzverwalter ersetzt. Dies gilt
auch, wenn sich der Geschäftsführer außerhalb der Zahlungsunfähigkeit freiwillig für die Beantragung der Verfahrenseröffnung entschieden hatte. Dem
Geschäftsführer bleibt allein die Möglichkeit, die Eröffnung der Eigenverwaltung
zu beantragen. Im Fall einer Eröffnung der Eigenverwaltung bliebe er zwar verwaltungs- und verfügungsbefugt und stünde lediglich unter der Aufsicht des
Sachwalters. Gleichwohl läuft der Geschäftsführer Gefahr, dass sich das Gericht
nicht für die Anordnung der Eigenverwaltung sondern des Regelinsolvenzverfahrens entscheidet. Dies hätte dann die weitgehende Entmachtung des
Geschäftsführers zur Folge.
Stellt demgegenüber im französischen Verfahren der Geschäftsführer außerhalb der Zahlungsunfähigkeit einen Antrag auf Eröffnung des Erhaltungsverfahren, so kann sich das Insolvenzgericht weder für die Eröffnung des Sanierungsverfahrens noch der gerichtlichen Abwicklung entscheiden, was unter Umständen
zur Entmachtung des Geschäftsführers führen könnte. Im französischen Recht ist
damit sichergestellt, dass der Geschäftsführer die Leitung der SARL beibehält,
wenn er die Eröffnung des Erhaltungsverfahrens beantragt. Das französische
Recht bietet dem Geschäftsführer damit erhebliche Anreize zur freiwilligen Verfahrenseröffnung vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der SARL. Letztlich bleibt
jedoch noch abzuwarten, ob sich die Geschäftsführer infolge der französischen
Insolvenzrechtsreform 2005 und der dabei neu eingeführten Anreize vermehrt für
eine frühzeitige Krisenbewältigung im Wege des Erhaltungsverfahrens entscheiden werden.
§ 3 Bewertung des Vergleichs
Betrachtet man den bisher gezogenen Vergleich, so fällt auf, dass trotz erheblicher Unterschiede im deutschen und französischen Insolvenzrecht die Kompetenzverteilung zwischen Geschäftsführer und Insolvenzverwalter im deutschen
und im französischen Verfahren Ähnlichkeiten aufweist.
Die Ziele des deutschen und des französischen Insolvenzverfahrens unterscheiden sich sehr stark voneinander. Das deutsche Verfahren zielt auf eine optimale Gläubigerbefriedigung ab, wohingegen im französischen Verfahren die Rettung des Unternehmens Vorrang genießt. Entsprechend der unterschiedlichen
1005 3. Kapitel § 3 I 4.
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Zielsetzungen wird das Insolvenzrecht im deutschen Recht dem Vollstreckungsrecht und im französischen Recht dem Handelsrecht zugeordnet.
Diese Unterschiede in den Verfahrenszielen wirken sich wiederum erheblich
auf die Kompetenzverteilung zwischen Geschäftsführer und Verwalter aus. Da in
Deutschland die Gläubigerbefriedigung im Vordergrund steht, verdrängt der
Insolvenzverwalter regelmäßig den Geschäftsführer und erhält somit die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der GmbH.
Im französischen Insolvenzverfahren bleibt hingegen der Geschäftsführer
grundsätzlich an der Spitze des Unternehmens, das er weiterhin verwaltet und
vertritt. Der Verwalter nimmt hingegen lediglich überwachende oder unterstützende Aufgaben wahr.
Für die Verdrängung des Geschäftsführers im deutschen Recht spricht die
Überlegung, dass grundsätzlich der Verwalter und nicht der Geschäftsführer eine
optimale Gläubigerbefriedigung erreichen könne. In Frankreich hält man den
Geschäftsführer hingegen für die geeignete Person, die Sanierung oder Abwicklung der von diesem geleiteten SARL.
Trotz dieser unterschiedlichen Konzeptionen des deutschen und des französischen Insolvenzrechts enden in beiden Ländern bislang statistisch über 90 % der
Insolvenzen in der Liquidation des Schuldners. Daher sprechen die bisher erzielten Ergebnisse weder für die deutsche noch für die französische Konzeption. Es
lässt sich folglich nicht anhand von Ergebnissen der Praxis nachweisen, ob der
Verwalter oder der Geschäftsführer geeigneter ist, die Gesellschaft zu sanieren
oder abzuwickeln bzw. die Gläubiger zu befriedigen.
Seit der Insolvenzrechtsreform 2005 steht im französischen Insolvenzrecht die
frühzeitige Insolvenzeröffnung im Vordergrund. Auf die zeitliche Vorverlagerung
der Insolvenzveröffnung zielt insbesondere das neu eingeführte Erhaltungsverfahren ab. Dies ermöglicht es dem Geschäftsführer bereits vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der SARL die Verfahrenseröffnung zu beantragen. Mit der Verfahrenseröffnung findet die SARL sodann Schutz vor der Vollstreckung der Gläubiger. Gleichzeitig kann es im Erhaltungsverfahren nicht zur Ersetzung des
Geschäftsführers durch den Verwalter kommen. Der Geschäftsführer leitet die
SARL weiterhin1006 und wird dabei lediglich vom Verwalter überwacht oder unterstützt. Diese schuldnerfreundliche Kompetenzverteilung soll dem Geschäftsführer
einen Anreiz dafür bieten, die Verfahrenseröffnung möglichst frühzeitig zu beantragen. Dadurch sollen die Schwierigkeiten der SARL erkannt und behandelt werden, bevor sich deren Situation so sehr verschlechtert hat, dass es für eine Sanierung zu spät ist. Es bleibt abzuwarten, ob sich infolge dieser vielversprechenden
Neuerungen im französischen Insolvenzverfahren die Zahl der erfolgreichen
Sanierungen in der Praxis erhöhen wird.
In jedem Fall sollte auch im deutschen Insolvenzrecht eine frühzeitige Verfahrenseröffnung weiter angestrebt werden. Die InsO räumt dem Schuldner bereits
die Möglichkeit ein, die Verfahrenseröffnung vor Eintritt der Zahlungsunfähig-
1006 Art. L. 622-1 (I) Code de commerce.
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keit zu beantragen.1007 Dies kann Hand in Hand gehen mit der professionellen
Sanierung oder Abwicklung durch den Geschäftsführer. Die Möglichkeit der
Sanierung oder Abwicklung durch den Geschäftsführer bietet das deutsche
Insolvenzrecht im Rahmen der Eigenverwaltung. Daher sollte auch im deutschen
Recht der Geschäftsführer angehalten werden, frühzeitig einen Antrag auf Eröffnung der Eigenverwaltung zu stellen, im Idealfall bereits in Verbindung mit einem
Sanierungsplan (sog. prepackaged plan)1008. Dadurch kann der Geschäftsführer
die Kompetenzverteilung deutlich zu seinen Gunsten beeinflussen, mit dem Ziel,
das Unternehmen weitgehend eigenverantwortlich sanieren oder abwickeln.
Die Kompetenzverteilung zwischen Geschäftsführer und Insolvenzverwalter im
Rahmen der Insolvenz der GmbH bzw. der SARL befindet sich in beiden Rechtsordnungen auf der Schnittstelle zwischen dem Insolvenz- und dem Gesellschaftsrecht.
Gleichwohl zeigt die durchgeführte Untersuchung, dass jenes Zusammentreffen von Gesellschafts- und Insolvenzrecht nur selten zu Anwendungskonflikten
führt. Dementsprechend entstehen nur vereinzelt Zuständigkeitskonflikte zwischen dem Geschäftsführer und dem Insolvenzverwalter. Überwiegend kommt es
zum harmonischen Ineinandergreifen des Gesellschafts- und des Insolvenzrechts.
Daran ändern auch die gegenläufigen Ziele beider Rechtsgebiete nichts. Im deutschen Recht stehen der Gesellschafts- und der Insolvenzzweck nebeneinander
und im französischen Recht ähnelt der insolvenzrechtliche Zweck der Unternehmensfortführung ohnehin bereits dem Gesellschaftszweck der insolventen SARL.
Trotz der unterschiedlichen Insolvenzziele ist der Geschäftsführer in beiden
Rechtsordnungen dafür zuständig, die innergesellschaftliche Organisation aufrecht zu erhalten. Beide Rechtsordnungen gehen somit davon aus, dass sich die
interne Organisation der GmbH bzw. der SARL grundsätzlich nach dem Gesellschaftsrecht richtet.
Die Verzahnung beider Rechtsgebiete zeigt sich wiederum daran, dass sich das
Insolvenzrecht gesellschaftsrechtlicher Instrumentarien bedient. Ordnet das
Insolvenzrecht gewisse Maßnahmen an, so werden diese in der Regel mithilfe des
Gesellschaftsrechts umgesetzt. Beispielsweise erfolgt die Ersetzung des Geschäftsführers auf Veranlassung des Insolvenzgerichts im französischen Recht
nach den gesellschaftsrechtlichen Regeln und damit im Wege eines Gesellschafterbeschlusses.1009 Auf diese Weise schließt das Gesellschaftsrecht die Lücken
des Insolvenzrechts, um die insolvenzrechtlichen Ziele zu erreichen.
Diese Verzahnung des Insolvenzrechts mit dem Gesellschaftsrecht spiegelt
sich im Nebeneinander des Insolvenz- und des Gesellschaftsorgans wieder. Der
Insolvenzverwalter ist dabei zur Erreichung der insolvenzrechtlichen Ziele regel-
1007 § 18 Abs. 1 InsO.
1008 2. Kapitel § 3 III 6.
1009 Vgl. 3. Kapitel § 2 I 2 b.
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mäßig auf den Geschäftsführer angewiesen.1010 Daher kommt es nicht zu einem
konfliktreichen Aufeinandertreffen zwischen dem Insolvenz- und dem Gesellschaftsorgan. Die Aufgabenverteilung zwischen dem Insolvenzverwalter und
dem Geschäftsführer erfolgt vielmehr in einer abgestimmten Art und Weise.
1010 Der Geschäftsführer hat beispielsweise Strukturänderungen in der GmbH in die Wege zu
leiten.
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References
Zusammenfassung
Deutschland und Frankreich stehen exemplarisch für eine bis heute sehr unterschiedliche Verfahrenspraxis im Insolvenzrecht. Ungleich gehandhabt wird insbesondere die Aufgabenverteilung zwischen Geschäftsführer und Insolvenzverwalter.
Die Aufgaben des Geschäftsführers einer GmbH bzw. einer Société à responsabilité limitée (SARL) richten sich grundsätzlich allein nach dem Gesellschaftsrecht. Dies ändert sich jedoch spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dann findet das deutsche bzw. das im Jahre 2005 novellierte französische Insolvenzrecht auf den Geschäftsführer Anwendung und der Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter tritt in das Leben der GmbH bzw. SARL ein. Auf dieser Schnittstelle von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht kommt es damit sowohl im Regelinsolvenzverfahren bzw. in der Eigenverwaltung im deutschen Recht als auch im Erhaltungs- bzw. Sanierungsverfahren im französischen Recht zu einem Nebeneinander des gesellschaftsrechtlichen und des insolvenzrechtlichen Organs.
Dieses Nebeneinander macht eine Aufgabenverteilung notwendig, die jedoch in keinem der beiden Länder explizit geregelt ist. Auf Grundlage der dogmatischen Lösungsansätze werden die wesentlichen Aufgaben des Insolvenzverwalters und des Geschäftsführers einer GmbH bzw. SARL definiert und rechtsvergleichend untersucht.