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In der Rechtsprechung wurde vor der Insolvenzrechtsreform 2005 vereinzelt
entschieden, dass der Schuldner einen Sanierungsplan vorschlagen dürfe, wenn
der Verwalter einen Veräußerungsplan (»plan de cession«) ausgearbeitet habe.946
Infolge der Insolvenzrechtsreform 2005 kann der Verwalter indes im Rahmen des
Erhaltungs- und des Sanierungsverfahren keinen Veräußerungsplan mehr vorschlagen,947 so dass zweifelhaft ist, ob diese Rechtsprechung auch nach der
Insolvenzrechtsreform 2005 noch von Bedeutung ist.
IV. Stellung und Aufgaben des Geschäftsführers im Rahmen der gerichtlichen
Abwicklung
Die gerichtliche Abwicklung führt zur weitgehenden Ersetzung des Schuldners
durch den gerichtlichen Abwickler (Art. L. 641-9 (I) Abs. 1 Satz 1 Code de commerce).948
Nach bisher weitgehend vertretener Auffassung endete mit der Auflösung der
SARL auch die Organstellung des Geschäftsführers.949
Infolge der Insolvenzrechtsreform 2005 verfügt der Geschäftsführer jedoch im
Rahmen der gerichtlichen Abwicklung weiterhin über seine Organstellung
(Art. L. 641-9 (II) Code de commerce), obwohl die SARL mit dem Urteil, das die
gerichtliche Abwicklung eröffnet, aufgelöst wird (Art. L. 1844-7 Nr. 7 Code
civil).950 Ein Gesellschafterbeschluss oder die Satzung können jedoch vorsehen,
dass die Organstellung des Geschäftsführers mit Eröffnung der gerichtlichen
Abwicklung endet und ein Abwickler von nun an die Aufgaben des Geschäftsführers wahrnimmt (Art. L. 641-9 (II) Abs. 3 Code de commerce). Liegt ein solcher Beschluss bzw. eine solche Satzungsbestimmung nicht vor, hat der
Geschäftsführer insbesondere diejenigen Verfahrensrechte wahrzunehmen, die
nicht dem gerichtlichen Abwickler bzw. einem bestellten Verwalter951 zustehen
946 Cass. Com. 25.03.1997, D. Affaires, 1997, S. 613.
947 Roussel-Galle, Réforme du droit des entreprises en difficulté, S. 220 f.; Legros, Jurisclasseur, Droit des sociétés, 2005, November, S. 7, 11.
948 Saint-Alary-Houin, Droit des entreprises en difficulté, S. 642; Jeantin/Le Cannu, Entreprises en difficulté, S. 711; Lucas/Lécuyer/Froehlich/Sénéchal, La réforme des procédures
collectives, S. 301.
949 Vor Inkrafttreten der Insolvenzrechtsreform 2005 wurde überwiegend die Notwendigkeit
eines gesellschaftsrechtlichen Abwicklers (»liquidataire sociétaire«) angenommen; zur
Rechtslage vor der Insolvenzrechtsreform 2005 vgl. Saint-Alary-Houin, Droit des entreprises en difficulté, S. 643; Ripert/Roblot/Delebecque/Germain, Traité de droit commercial, Band 2, S. 1199, Rn. 3220; Amlon, Juris-Classeur, Commercial, 1998, Fasc. 2315,
S. 1, 8; Cantin, Rev. proc. coll., 2008, S. 21 ff.
950 Legros, Jurisclasseur, Droit des sociétés, 2005, November, S. 7, 11; Lucas/Lécuyer/Froehlich/Sénéchal, La réforme des procédures collectives, S. 301 f.; Cantin, Rev. proc. coll.,
2008, S. 21, 25.
951 Jacquemont, Droit des entreprises en difficulté, S. 357; Roussel-Galle, Réforme du droit
des entreprises en difficulté, S. 263..
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(Art. L. 641-9 (I) Abs. 3 Code de commerce). Dem Geschäftsführer kommt folglich eine Auffangzuständigkeit zu. Zwar nimmt infolge der weitgehenden Entmachtung des Geschäftsführers im Zusammenhang mit der Abwicklung fortan
der gerichtliche Abwickler die maßgeblichen Aufgaben der SARL wahr (Art. L.
641-5 Code de commerce).952 Gleichwohl ist diesem die Geltendmachung eigener
Rechte der SARL untersagt.953 Zur Wahrnehmung dieser Rechte ist die SARL
mithin weiterhin auf ihren Geschäftsführer angewiesen.954 Daher wird der
Geschäftsführer neben dem gerichtlichen Abwickler tätig. Er nimmt eigene
Rechte der SARL wahr, die dieser als juristische Person trotz ihrer Ersetzung
infolge der gerichtlichen Abwicklung weiterhin zustehen.955 Damit behält der
Geschäftsführer eine subsidiäre Zuständigkeit inne.956 Der Geschäftsführer hat
sich daher weiterhin als Vertreter der SARL am Verfahren der gerichtlichen
Abwicklung zu beteiligen, Sicherungsmaßnahmen durchzuführen oder persönliche Rechte in Anspruch zu nehmen.957 Insoweit ist er insbesondere befugt,
Beschwerde (»recours«) gegen Anordnungen (»ordonnances«) des Insolvenzrichters einzulegen.958 Ein weiteres Recht der SARL besteht darin, als Nebenkläger bzw. Privatkläger (»partie civile«) im Strafverfahren für die SARL aufzutreten (Art. L. 641-9 Code de commerce).959 Eine Neben- bzw. Privatklage würde
darauf abzielen, an der Seite der Staatsanwaltschaft den Beschuldigten anzuklagen (»action pénale«), um dessen strafrechtliche Verantwortung gerichtlich feststellen zu lassen. Dies setzt jedoch voraus, dass die SARL von der strafrechtlichen Handlung des Beschuldigten betroffen ist. Der Geschäftsführer nimmt
zudem das Recht der SARL auf rechtliches Gehör (»respect du contradictoire«)
und auf Anhörung (»droit de consultation«) wahr. Die Anhörung erfolgt insbesondere im Fall des Verkaufs einer Liegenschaft (Art. L. 642-18 Abs. 1 Code de
commerce) oder im Fall eines Vergleichsabschlusses (Art. L. 642-24 Abs. 1 Code
de commerce). Schließlich hat der Geschäftsführer auch im Rahmen der gerichtlichen Abwicklung Sicherungsmaßnahmen (»mesures conservatoires«) durchzuführen.960 Diese können sich für die Gläubiger in jedem Fall nur günstig auswir-
952 Legros, Jurisclasseur, Droit des sociétés, 2005, November, S. 7, 11; zur Rechtslage vor der
Insolvenzrechtsreform 2005 vgl. Guyon, Entreprises en difficultés, S. 330, Rn. 1296; Jahn,
Insolvenzen in Europa, S. 131.
953 Zur Rechtslage vor der Insolvenzrechtsreform 2005 vgl. Prat, S. 289, Rn. 335.
954 Saint-Alary-Houin, Droit des entreprises en difficulté, S. 643.
955 Jacquemont, Droit des entreprises en difficulté, S. 353, 358; Prat, S. 182, Rn. 212.
956 Jeantin/Le Cannu, Entreprises en difficulté, S. 712.
957 Jacquemont, Droit des entreprises en difficulté, S. 356; Lucas/Lécuyer/Froehlich/Sénéchal, La réforme des procédures collectives, S. 302; zur Rechtslage vor der Insolvenzrechtsreform 2005 vgl. Saint-Alary-Houin, Rev. proc. coll, 2003, S. 173 f.; Prat,
S. 288, Rn. 334.
958 Roussel-Galle, Réforme du droit des entreprises en difficulté, S. 265; Saint-Alary-Houin,
Droit des entreprises en difficulté, S. 642.
959 Jacquemont, Droit des entreprises en difficulté, S. 356.
960 Saint-Alary-Houin, Droit des entreprises en difficulté, S. 641; bereits für den gerichtlichen
Abwickler: Jeantin/Cathelineau, Jurisclasseur Sociétés, fascicule 1996, Nr. 9.
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ken.961 Folglich kann der Geschäftsführer im Rahmen der gerichtlichen Abwicklung Verfahrensrechte der SARL weitgehend selbständig wahrnehmen.
§ 4 Ergebnis
Der Aufgabenverteilung liegen die grundsätzlichen Fragen zugrunde, in welchem
Verhältnis das Insolvenzrecht und das Gesellschaftsrecht zueinander stehen und
wann welches Rechtsgebiet zur Anwendung kommt. Beide Rechtsgebiete ergänzen sich wechselseitig und stehen in einem Spezialitätsverhältnis, wonach das
Gesellschaftsrecht die allgemeinen und das Insolvenzrecht die speziellen Vorschriften zur Verfügung stellt. Folglich kommt dem Geschäftsführer eine Auffangzuständigkeit zu, wohingegen dem Verwalter Aufgaben zugewiesen werden.
Bei der Eröffnung des Erhaltungs- bzw. des Sanierungsverfahrens entscheidet
das Gericht über die Verwaltungsform des Verwalters. Im Erhaltungsverfahren
kann er den Geschäftsführer überwachen oder ihm beistehen. Im Sanierungsverfahren kann er dem Geschäftsführer ebenfalls beistehen oder ihn ersetzen bzw.
vertreten.
Unabhängig von der jeweiligen Verwaltungsform werden dem Verwalter kraft
Gesetzes bestimmte Aufgaben übertragen, wie insbesondere die Erstellung des
Wirtschafts- und Sozialberichts, des Erhaltungs- bzw. Sanierungsplans sowie die
Entscheidung über die Fortführung laufender Verträge.
Demgegenüber kann der Geschäftsführer unabhängig von der jeweiligen Verwaltungsform Sicherungsmaßnahmen sowie gewöhnliche Geschäfte durchführen. Zudem obliegt ihm die interne Organisation der SARL. Jedoch kann auch der
Verwalter unter bestimmten Voraussetzungen die Gesellschafterversammlung
einberufen.
Im Rahmen der gerichtlichen Abwicklung ersetzt der gerichtliche Abwickler
den Geschäftsführer weitgehend. Seit der Insolvenzrechtsreform 2005 behält der
Geschäftsführer jedoch seine Organstellung auch nach Eröffnung der gerichtlichen Abwicklung bei. Er nimmt im Rahmen seiner subsidiären Zuständigkeit die
Rechte der SARL sowie diejenigen Aufgaben wahr, die nicht dem gerichtlichen
Abwickler bzw. einem etwaig bestellten Verwalter zustehen.
961 So für den gerichtlichen Abwickler: Ripert/Roblot/Delebecque/Germain, Traité de droit
commercial, Band 2, S. 1199, Rn. 3220.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Deutschland und Frankreich stehen exemplarisch für eine bis heute sehr unterschiedliche Verfahrenspraxis im Insolvenzrecht. Ungleich gehandhabt wird insbesondere die Aufgabenverteilung zwischen Geschäftsführer und Insolvenzverwalter.
Die Aufgaben des Geschäftsführers einer GmbH bzw. einer Société à responsabilité limitée (SARL) richten sich grundsätzlich allein nach dem Gesellschaftsrecht. Dies ändert sich jedoch spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dann findet das deutsche bzw. das im Jahre 2005 novellierte französische Insolvenzrecht auf den Geschäftsführer Anwendung und der Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter tritt in das Leben der GmbH bzw. SARL ein. Auf dieser Schnittstelle von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht kommt es damit sowohl im Regelinsolvenzverfahren bzw. in der Eigenverwaltung im deutschen Recht als auch im Erhaltungs- bzw. Sanierungsverfahren im französischen Recht zu einem Nebeneinander des gesellschaftsrechtlichen und des insolvenzrechtlichen Organs.
Dieses Nebeneinander macht eine Aufgabenverteilung notwendig, die jedoch in keinem der beiden Länder explizit geregelt ist. Auf Grundlage der dogmatischen Lösungsansätze werden die wesentlichen Aufgaben des Insolvenzverwalters und des Geschäftsführers einer GmbH bzw. SARL definiert und rechtsvergleichend untersucht.