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Mit dem Verzicht auf das Erfordernis einer konkreten, auf hinreichende Tatsachen gestützten Gefahr schränkt § 2 ATDG die Rechte der von der Speicherung
Betroffenen unverhältnismäßig ein. Die Regelung steht allenfalls in einer restriktiven Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „tatsächlichen Anhaltspunkte“ mit der
Verfassung im Einklang.
II. Der von der Speicherung betroffene Personenkreis, § 2 ATDG
Daneben geben die einzelnen in der Antiterrordatei zu erfassenden Personenkreise
nach § 2 Satz 1 Nr. 1 - 3 ATDG Anlass zu Bedenken. Unabhängig der vom ATDG
gewählten Einteilung lassen sich hinsichtlich ihrer Nähe zur potentiellen Rechtsgutverletzung drei Kategorien unterscheiden. So betrifft die Speicherungspflicht zum
einen Personen, die terroristische Aktivitäten durch ihr Handeln fördern (§ 2 Satz 1
Nr. 1, 2 Alt. 1, 2, 3, 5 ATDG), zum anderen Personen, die die Schwelle zum Handeln noch nicht überschritten haben (§ 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 4 ATDG) und drittens
unverdächtige Kontaktpersonen aus dem sozialen Umfeld der eigentlichen Zielperson (§ 2 Satz 1 Nr. 3 ATDG).925
Die Erfassung des ersten Personenkreises ist, auch soweit es sich um das Vorfeldstadium der Planung und Vorbereitung terroristisch motivierter Straftaten handelt,
angesichts dessen aktiven Beitrags zum Terrorismus und dem Gewicht der bedrohten Rechtsgüter grundsätzlich verhältnismäßig. Personen dieser Kategorie haben die
Schwelle der Rechtswidrigkeit und der Passivität überschritten und weisen insofern
eine hinreichende Nähebeziehung zur Gefahr auf, die ihre Inanspruchnahme zu
rechtfertigen vermag. Bedenken bestehen allein hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit
und Normbestimmtheit des ATDG, sofern auch solche Personen, die lediglich eine
Gruppierung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, unterstützen, der Speicherungspflicht unterworfen werden, § 2 Satz 1 Nr. 1 b) 2. Alt. ATDG.926 Nach der
Gesetzesbegründung ist das Tatbestandsmerkmal des „Unterstützens“ in beiden
Fällen im Sinne des § 129 a Abs. 5 Satz 1 StGB zu verstehen927, also als Förderung,
Stärkung oder Absicherung des spezifischen Gefährdungspotentials der Vereinigung928. Die sachgerechte Subsumtion dieses Tatbestandsmerkmals bereitet zum
Teil große Schwierigkeiten und wird durch die Alternative des Unterstützens des
Unterstützens noch einmal erschwert. Das von der Speicherung erfasste terroristische Umfeld wird demnach nahezu konturenlos und in einer Weise ausgeweitet, die
letztlich die Erfassung aller in einem irgendwie gearteten Zusammenhang zu terroristischen Vereinigungen oder Gruppierungen stehenden Personen legitimiert. Dies
begegnet unter Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitserwägungen erheblichen
Bedenken, die auch durch eine restriktive Auslegung der Norm nicht ausgeräumt
925 Poscher, Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 4f.
926 So auch Geiger, Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 7.
927 Amtliche Begründung zum GDG, BT-Dr. 16/2950, S. 15.
928 Tröndle/Fischer, StGB, § 129, Rdnr. 30.
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werden können. Denn zum einen bereitet es Schwierigkeiten, das Verhalten einer
nur potentiell gefährlichen Person auf Unterstützungsbemühungen zu beziehen, die
ausreichend Gefährdungspotential aufweisen, einen derartig schweren Grundrechtseingriff wie der Erfassung in der Antiterrordatei zu rechtfertigen, zum anderen
ist es in rechtsstaatlicher Hinsicht bedenklich, der Behörde, deren Handeln beschränkt werden soll, selbst die hierfür gebotene Auslegung zu überlassen; vielmehr
muss der Gesetzgeber selbst die Verantwortung für eine entsprechende konkretisierende Begrenzung der Eingriffsbefugnis übernehmen929. Die Variante des Unterstützens des Unterstützens gemäß § 2 Satz 1 Nr. 1 b) 2. Alt. ATDG ist demnach verfassungswidrig.
Verfassungsrechtlich problematisch ist des Weiteren die Erfassung solcher Personen, die eine Gewaltanwendung zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange lediglich befürworten, § 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 4 ATDG.
Dies sind nach der Gesetzesbegründung Personen, die eine entsprechende Gewaltanwendung bloß gutheißen.930 Insofern sind in dieser Alternative nicht terroristische
Aktivitäten, sondern Meinungen und Überzeugungen Anlass und Grund des Informationseingriffs. Die Antiterrordatei erhält insoweit den Charakter einer Gesinnungsdatei.931 Schon im Hinblick auf die nach Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsfreiheit bestehen erhebliche Vorbehalte gegen den Einbezug dieser Personengruppe. Im Vorfeld konkreter Gefahren- und Verdachtslagen führt die Erstreckung
auf Personen, die lediglich eine bestimmte Geisteshaltung haben, selbst aber in keiner Weise aktiv für die tätliche Umsetzung ihrer Anschauungen geworden sind, zu
einer uferlosen Ausdehnung des Kreises potentieller Gefährder. Auch das überragend hohe Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter vermag Informationseingriffe
gegen reine Gesinnungstäter nicht zu rechtfertigen. Denn was als Ausdruck relevanten Befürwortens rechtswidriger Gewalt anzusehen ist, entscheiden letztlich die
beteiligten Behörden, zumal auch der Begriff der rechtswidrigen Gewalt gesetzlich
nicht näher konkretisiert ist. Dementsprechend entsteht ein hoher Anpassungsdruck
auf den Einzelnen, nicht durch bestimmte Verhaltensweisen aufzufallen, der schließlich im Verzicht auf die Meinungsfreiheit oder sonstige grundrechtlich verbürgten
Rechte münden kann. Dies wäre aber, wie vom BVerfG wiederholt betont, mit einem demokratischen Staatswesen nicht vereinbar. Insofern steht § 2 Satz 1 Nr. 2
Alt. 4 ATDG mit der Verfassung nicht im Einklang.
Auf erheblichen Widerstand im Gesetzgebungsverfahren932 traf die Regelung des
§ 2 Satz 1 Nr. 3 ATDG, die auch Kontaktpersonen im sozialen Umfeld der eigentlichen Zielperson der Speicherungspflicht unterwirft. Ihre ursprüngliche, in anderem
Zusammenhang zuvor vom BVerfG933 bemängelte Fassung wurde nach rechtspoliti-
929 BVerfG, 1 BvR 668/04 vom 27.7.2005, Absatz-Nr. 132.
930 Amtliche Begründung zum GDG, BT-Dr. 16/2950, S. 15.
931 Poscher, Stellungnahme zum ATDG-Enwurf, S. 5.
932 S. dazu Plenarprotokolle 16/51, S. 5007ff.; 16/71, S. 7096ff.
933 BVerfG, 1 BvR 1104/92 vom 25.4.2001, Absatz-Nr. 54; BVerfG, 1 BvR 668/04 vom
27.7.2005, Absatz-Nr. 130ff.
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scher und wissenschaftlicher Kritik934 entsprechend eingeschränkt. Als solche sind
nunmehr Personen anzusehen, „bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass
sie mit den in Nummer 1 Buchstabe a oder in Nummer 2 genannten Personen nicht
nur flüchtig oder in zufälligem Kontakt in Verbindung stehen und durch sie weiterführende Hinweise für die Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu erwarten sind“. Nach den von der Judikatur entwickelten Anforderungen
an die Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit von Vorfeldbefugnissen ist die Erstreckung der informationellen Maßnahme auf jede beliebige Person im Umkreis des
potentiellen Verdächtigen nicht zulässig, vielmehr sind konkrete Tatsachen erforderlich, die einen objektiven Bezug zur Zielperson und der von ihr ausgehenden Gefahr
herstellen.935
Insofern bereitet wiederum die Eingriffsschwelle der tatsächlichen Anhaltspunkte, die im Rahmen der Regelung der Kontaktpersonen gleich doppelt zur Anwendung kommt, Bedenken. So genügen tatsächliche Anhaltspunkte sowohl für die
Frage, ob eine Person potentiell gefährlich ist, als auch für die Frage, ob ein entsprechender Kontakt zu ihr besteht.936 Sofern das Tatbestandsmerkmal in beiden Fällen
restriktiv im Sinne konkreter, zu einem gewissen Gefahren- oder Verdachtsgrad
hinreichend verdichteter Umstände ausgelegt wird - wie dies die insofern widersprüchliche Gesetzesbegründung für das Merkmal der tatsächlichen Anhaltspunkte
im Rahmen des § 2 Satz 1 Nr. 3 ATDG, nicht aber im Rahmen des § 2 Satz 1 ATDG
vorsieht937 - kann das Erfordernis einer auf Tatsachen gestützten Verbindung zwischen dem Betroffenen als Kontaktperson und der Zielperson als potentielle Gefahrenquelle noch als gewahrt angesehen werden.
Allerdings hat die Rechtsprechung zu den Kontakt- und Begleitpersonen des Weiteren das Erfordernis der Beschränkung der Eingriffsnorm auf Art, Gegenstand,
Zweck und Ausmaß der Verbindung und der zu erwartenden Hinweise im Hinblick
auf die zu erwartenden Rechtsgutsverletzungen betont.938 Mit dem Ausschluss nur
flüchtiger und zufälliger Kontakte und dem Erfordernis, dass durch die Kontaktperson weiterführende Hinweise für die Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu erwarten sein müssen, zieht die Regelung insoweit die Konsequenzen aus den früheren Entscheidungen des BVerfG, wonach der undifferenzierte
Einbezug des gesamten sozialen Umfeldes der eigentlichen Zielperson weder ausrei-
934 Roggan/Bergemann, Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 10f.; Der Bundesbeauftragte für
Datenschutz, Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 6f.; Möstl, Stellungnahme zum ATDG-
Entwurf, S. 10; Geiger, Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 7f.; Hilgendorf, Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 4; Schmid, Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 4f.; Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V., Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 4; Poscher,
Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 5f.
935 BVerfG, 1 BvR 1104/92 vom 25.4.2001, Absatz-Nr. 54; Trute, DV 36 (2003), 501 (518).
936 Roggan/Bergemann, Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 10; dies., NJW 2007, 876 (878).
937 Amtliche Begründung zum GDG, BT-Dr. 16/2950, S. 16.
938 BVerfG, 1 BvR 668/04 vom 27.7.2005, Absatz-Nr. 156; SächsVerfGH JZ 1996, 957 (962).
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chend bestimmt noch verhältnismäßig ist.939 Was allerdings als „weiterführende
Hinweise“ anzusehen ist, bestimmt das Gesetz nicht näher. Geht es um die Anknüpfung an ein zukünftiges Verhalten eines nur potentiellen Gefährders oder Verdächtigen, bereitet die Bestimmung, was als „weiterführend“ anzusehen ist, Schwierigkeiten.940 In dem weiten Vorfeld, in dem die Speicherungspflicht des ATDG ansetzt,
kann letztlich alles als hilfreich bei der Aufklärung und Bekämpfung des Terrorismus angesehen werden.
Schließlich ist die Erfassung der erweiterten Grunddaten von dolosen Kontaktpersonen nach § 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 b) ATDG unverhältnismäßig.
Kontaktpersonen sind Unverdächtige, die lediglich aufgrund ihrer Beziehung zum
potentiellen Gefährder bzw. Verdächtigen in der Datei erfasst werden, um bei entsprechender Konkretisierung der Gefahren- und Verdachtslage weitere Informationen zur Gefahrenabwehr einzuholen. Dafür genügt bereits die Erfassung der Grunddaten. Der Speicherung der erweiterten Grunddaten bedarf es dagegen nicht, und
rechtfertigt auch die Kenntnis der Kontaktperson von den potentiellen Rechtsgutsverletzungen sie nicht. Die erweiterten Grunddaten sollen nämlich nach dem Willen
des Gesetzgebers, Sinn und Systematik des ATDG eine Gefährdungsersteinschätzung der potentiell Verdächtigen ermöglichen.941 Kontaktpersonen als Unverdächtige sind einer solchen Erstbewertung aber nicht zu unterziehen. Besteht bei ihnen das
Bedürfnis der Speicherung der erweiterten Grunddaten, da ihre Verwicklung in
terroristische Aktivitäten zu befürchten ist, sind sie nicht mehr unverdächtig und
insofern nach § 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ATDG zu erfassen. Gelten sie der behördlichen
Einschätzung nach aber als unverdächtig und lediglich für die weitere Aufklärung
und Bekämpfung des Terrorismus im informativen Sinne relevant, ist die Kenntnis
der Sicherheitsbehörden über ihren erweiterten Lebensbereich, etwa welcher Religionsgruppe sie angehören, oder welche Reiseziele sie bevorzugen, nicht erforderlich.
Die Regelung zur Erfassung der Kontaktpersonen nach § 2 Satz 1 Nr. 3 ATDG,
gegebenenfalls i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 b) ATDG genügt weder den Anforderungen
der Bestimmtheit noch der Verhältnismäßigkeit.942
III. Zusammenfassung
Als Mittel der Gefahrenvorsorge und Verdachtsgewinnung genügt das ATDG nur
teilweise den in diesem Zusammenhang entwickelten verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die Eingreifschwelle des § 2 Satz 1 ATDG wird in der vom Gesetzgeber
befürworteten Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „tatsächlichen Anhaltspunkte“ dem Erfordernis einer konkreten Gefahr nicht gerecht. Die Alternative des Un-
939 BVerfG, 1 BvR 1104/92 vom 25.4.2001, Absatz-Nr. 54; BVerfG, 1 BvR 668/04 vom
27.7.2005, Absatz-Nr. 130ff., 156.
940 Ähnlich BVerfG, 1 BvR 668/04 vom 27.7.2005, Absatz-Nr. 132.
941 Amtliche Begründung zum GDG, BT-Dr. 16/2950, S. 17.
942 So im Ergebnis auch Ruhmannseder, StraFo 2007, 184 (188f.).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.