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nen. Insofern werden auch solche Personen in die Verbunddatei aufgenommen, die
keinen konkreten Anlass zu staatlichen Eingriffen in ihre Grundrechte gegeben haben und die in keinem zurechenbaren Zusammenhang zur vermeintlichen Gefahr
stehen. Ferner müssen die Speicherung in der Verbunddatei sowie die sich daran
anschließenden Maßnahmen der Recherche und des Abrufs regelmäßig heimlich
erfolgen, um eine uneingeschränkte Aufklärung und Abwehr der potentiellen Gefahr
nicht zu gefährden. Die Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen gegen seine Erfassung in der Datei sind dementsprechend eingeschränkt. Darüber hinaus werden
sich an die Speicherung, der Recherche und dem Abruf der Daten aus der Verbunddatei wesensnotwendig weitere Ermittlungsmaßnahmen gegen die in der Datei recherchierten Personen anschließen, um den Sachverhalt aufzuklären und die Begründetheit des Verdachts zu verifizieren. Insoweit setzen Verdachtsgewinnungsdateien ebenso wie die Rasterfahndung unverdächtige und unbeteiligte Personen dem
Risiko aus, Gegenstand weiterer Ermittlungsmaßnahmen zu werden, ohne dass der
Einzelne durch sein Verhalten hierzu Anlass gegeben hat. Die Gefahr der Hervorrufung von Einschüchterungseffekten mit ihren negativen Auswirkungen auf das Gemeinwohl ist daher bei Verbunddateien der Sicherheitsbehörden, die eine Gefährdungsersteinschätzung der erfassten Personen ermöglichen sollen, in gleicher Weise
gegeben wie bei der Rasterfahndung.
Schließlich gehen derartige Verdachtsgewinnungsdateien in ihrer Wirkung aber
sogar noch über die Rasterfahndung hinaus. Während die aufgrund der Rasterfahndung gewonnenen Datensätze nämlich zur Prüfung der von den den Daten zuzuordnenden Personen ausgehenden Gefahr verwendet, sodann aber gelöscht werden,
bleiben die Datensätze in der Verdachtsgewinnungsdatei für unbestimmte Zeit vorgehalten, um in besonderen Lagen stets auf diese zugreifen zu können. Derartige
Dateien schreiben daher den Grundrechtseingriff und die mit ihm verbundenen Risiken für die Persönlichkeit des Einzelnen auf unbestimmte Zeit fest und erhöhen
damit gleichzeitig die von der Datei ausgehenden Einschüchterungseffekte. Denn
die stigmatisierende Wirkung ist für den Einzelnen besonders hoch, wenn er nicht
nur vereinzelt Adressat einer vorübergehenden staatlichen Maßnahme ist, sondern
auf unbestimmte Zeit durch staatliche Behörden als potentieller Gefährder geführt
wird. Der Einzelne sieht sich demnach nachhaltig dem Druck zur Verhaltensanpassung ausgesetzt, um diese negativen Wirkungen möglichst zu vermeiden.
III. Zusammenfassung und Ergebnis
Informationelle Vorkehrungen in Form von Verbunddateien mit dem Zweck der
Gefahrenvorsorge und Verdachtsgewinnung müssen aufgrund ihrer besonderen
Eingriffsintensität dafür Sorge tragen, dass die Speicherung nur bei Vorliegen einer
konkreten Gefahren- oder Verdachtssituation erfolgt und nur solche Personen erfasst
werden, die in einer auf hinreichende Tatsachen gestützten Nähebeziehung zur Gefahr stehen. Ansonsten sind sie mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar.
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In den Kontext der bisher gewonnenen Ergebnisse dieser Arbeit gestellt, bedeutet
dies Folgendes: Aus dem Trennungsgebot und dem Gebot der Zweckbindung folgt
die Vorgabe, dass die Polizei nur dann Kenntnis von verdachts- oder gefahrenunabhängig gewonnenen Daten der Nachrichtendienste erlangen darf, wenn im Zeitpunkt
der Übermittlung oder sonstigen Kenntnisnahme der Daten durch die Polizei eine
konkrete Gefahren- oder Verdachtslage besteht und die Polizei insofern die Daten
aufgrund eigener Befugnisse selbst erheben dürfte. Aus dem Verbot verdachts- und
gefahrenunabhängiger informationeller Vorkehrungen folgt nun darüber hinaus das
Verbot für die Polizei, die durch sie selbst erhobenen Daten unabhängig vom Vorliegen einer konkreten Gefahr oder eines solchen Verdachts zu speichern oder in
sonstiger Weise zu verarbeiten. Während dem Trennungsgebot und dem Gebot der
Zweckbindung schon dann genügt ist, wenn im Rahmen der Verbunddatei spätestens durch eine entsprechend enge Fassung der Zugriffsvoraussetzungen sichergestellt ist, dass Daten aus Vorfeldmaßnahmen nur bei Bestehen einer konkreten Gefahren- und Verdachtslage zur Kenntnis der Polizei gelangen, muss nun schon die
Speicherung polizeilicher Daten entsprechend beschränkt sein. Tragen die Voraussetzungen der Speicherung diesem Erfordernis nicht Rechnung, verstößt das Gesetz
zur Verbunddatei gegen das Verbot verdachts- und gefahrenunabhängiger informationeller Vorkehrungen.
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References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.