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Daher ist durch verfahrensrechtliche Sicherungen sicherzustellen, dass Fehler bei
der Anwendung des Gesetzes und bei der Beurteilung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Speicherung möglichst vermieden werden. Kommt ein Richtervorbehalt
angesichts der Zahl der in die Datei aufzunehmenden Grundrechtsträger aus Gründen der praktischen Handhabbarkeit nicht in Betracht, so ist jedenfalls ein Behörden- oder Dienststellenleitervorbehalt zu statuieren.
Ferner sind Benachrichtigungspflichten oder Auskunftsansprüche der Betroffenen
zu normieren, um die grundrechtlich gebotene Kenntnis von den Informationseingriffen der Verbunddatei zu gewährleisten. Dies gilt im Besonderen, soweit Daten
aus heimlichen Erhebungseingriffen in die Datei eingestellt werden, und eine Mitteilung an den Betroffenen bislang nicht erfolgt ist. Wegen der gegebenenfalls bestehenden Stigmatisierungswirkung bei einer Erfassung in der Verbunddatei und aufgrund des Verbots der Datensammlung auf Vorrat sind Speicher-, Löschungs- und
Berichtigungspflichten in Abstimmung mit den Erfordernissen eines effektiven
Rechtsschutzes unerlässlich. Beim Einsatz innovativer Technik, einem zweifelhaften
Nutzen oder einer hohen Eingriffsintensität kann schließlich die Befristung und
Evaluierung des der Verbunddatei zugrunde liegenden Gesetzes nötig sein.
III. Zusammenfassung und Ergebnis
Aufgrund der Eingriffsintensität von Verbunddateien sind Benachrichtigungspflichten oder Auskunftsrechte, Dokumentations- und Protokollpflichten, Speicher-, Löschungs- und Berichtigungsfristen sowie die Beobachtung sämtlicher Datenverarbeitungsprozesse durch eine unabhängige Kontrollinstanz unerlässlich. Im Übrigen
richten sich Maß und Mittel verfahrensrechtlicher Vorkehrungen nach dem Zweck
der Datei und den danach zu erwartenden Folgemaßnahmen gegen den in der Datei
Erfassten, der Art und Herkunft der Daten sowie einer gegebenenfalls gestatteten
weiteren Verwendung der Daten.
E. Das Gebot eines Rechtmäßigkeitsvorbehalts
Werden aufgrund anderweitiger gesetzlicher Ermächtigung erhobene Daten in die
Verbunddatei gestellt, ist die Frage der Zulässigkeit der Datenerhebung in erster
Linie eine Frage des zur Datenerhebung ermächtigenden Gesetzes. Da aber Verbunddateien durch die Verarbeitung der durch Informationsgewinnungseingriffe
gewonnenen Erkenntnisse den Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen fortschreiben, verfestigen und insofern intensivieren, kann die Herkunft der Daten auch
im Rahmen der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Verbunddateien nicht gänzlich außer Betracht bleiben. Denn es ist nicht auszuschließen, dass personenbezogene Daten unter Verstoß gegen die zur Datenerhebung ermächtigende gesetzliche
Grundlage erhoben werden, oder aus sonstigen zweifelhaften Quellen stammen. Das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung könnte daher eine Rechtmäßigkeitsprü-
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fung bzw. ein Verwertungsverbot rechtswidrig gewonnener Erkenntnisse dergestalt
gebieten, dass nur rechtmäßig erhobene Daten in eine Verbunddatei eingestellt und
dem Zugriff weiterer Behörden preisgegeben werden dürfen.
I. Rechtmäßigkeitsvorbehalt in Parallele zum Beweisverwertungsverbot im Strafverfahren
Ein solcher Rechtmäßigkeitsvorbehalt ließe sich bei gemeinsamen Dateien der Sicherheitsbehörden aufgrund der Sachnähe in Parallele zu den Beweisverwertungsverboten im Strafverfahren begründen.524 Zum wirksamen Schutz des Grundrechts
auf informationelle Selbstbestimmung jedenfalls Unbeteiligter und zur effektiven
Wahrung des Vertrauensverhältnisses zum Berufsgeheimnisträger hat das BVerfG
unlängst ein Beweisverwertungsverbot jedenfalls bei schwerwiegenden, bewussten
oder willkürlichen Verfahrensverstößen, in denen die Beschränkung auf den Ermittlungszweck des Datenerhebungseingriffs planmäßig oder systematisch außer acht
gelassen wird, angenommen.525 Ein solches diene der Effektuierung des Grundrechts
aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und des verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnisses zum Berufsgeheimnisträger.526 Die Rechtsprechung wurde in einer nachfolgenden Entscheidung auch auf die Ermittlungsmaßnahme veranlassende Betroffene ausgedehnt.527 Das BVerfG nimmt demnach
ein unmittelbar aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung fließendes
Beweisverwertungsverbot grundsätzlich dann an, wenn die zur Fehlerhaftigkeit der
Ermittlungsmaßnahme führenden Verfahrensverstöße schwerwiegend waren oder
bewusst bzw. willkürlich begangen wurden.
Dieser Ansatz überzeugt und ist auf jede Art der Datenverarbeitung, egal zu welchen Zwecken sie erfolgt, zu übertragen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt den Bürger vor der Preisgabe seiner persönlichen Daten und lässt
Einschränkungen dieses Rechts nur aufgrund bereichspezifischer gesetzlicher
Grundlage zu. In Fällen, in denen die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
überschritten werden, ist der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder diese speziell verbürgende Grundrechtsgewährleistungen unzulässig.
Jede weitere Form der Verarbeitung dieser Daten stellt einen erneuten Eingriff in
das betroffene Grundrecht dar, der allenfalls durch überwiegende Gemeinwohlbelange, etwa einer effektiven Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr, gerechtfertigt
werden kann. Beim planmäßigen oder willkürlichen Hinwegsetzen über die Grenzen
der Ermächtigungsgrundlage muss aber unter Rücksicht auf die im Verfahren zu
gewährleistende Subjektstellung des Betroffenen bzw. die besonders zu schützende
Stellung Unbeteiligter, die keinen Anlass zu Informationsgewinnungsmaßnahmen
524 S. hierzu Küpper, JZ 1990, 416.
525 BVerfG, 2 BvR 1027/02 vom 12.4.2005, Absatz-Nr. 134f.
526 Ebd.
527 BVerfG, 2 BvR 954/02 vom 16.3.2006, Absatz-Nr. 26.
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gegeben haben, eine weitere Verarbeitung der rechtswidrig gewonnenen Daten ausscheiden.
Dies muss auch für die Speicherung und Verwendung rechtswidrig gewonnener
Daten zu Zwecken der Gefahrenabwehr gelten. Genauso wie eine Wahrheitsfindung
im Strafverfahren nicht um jeden Preis erfolgen darf, so muss auch die Gefahrenabwehr dort enden, wo sie nur mittels tief greifender Grundrechtsverletzungen erreicht
werden kann, und insofern rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspricht. Eine Differenzierung im Hinblick auf die ausschließlich im Strafverfahren geltende Unschuldsvermutung danach, ob die Verarbeitung rechtswidrig gewonnener Daten zu
repressiven oder präventiven Zwecken erfolgt, geht fehl. Denn das Verwertungsverbot bei schwerwiegendem, planmäßigem oder willkürlichem Verstoß gegen die
Ermächtigungsgrundlage leitet das BVerfG nicht etwa aus dem nemo-tenetur-
Prinzip ab, sondern unmittelbar aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.528 Dieses hat der Staat aber stets und insofern auch bei einer Verwendung der
Daten zur Gefahrenabwehr zu wahren.
Letztlich deckt sich dieses Ergebnis mit der schon im „Volkszählungsurteil“ ausgesprochenen Forderung des BVerfG nach Weitergabe- und Verwertungsverboten
zum Schutz gegen Zweckentfremdungen.529 Denn jede Verarbeitung von Daten, die
unter Verstoß gegen den Zweck der Ermächtigungsgrundlage erhoben wurden, stellt
selbst wiederum eine von der gesetzlichen Grundlage nicht gedeckte, gesondert zu
rechtfertigende Zweckentfremdung dar. Personenbezogene Daten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie unter schwerwiegendem, planmäßigem
oder willkürlichem Verstoß gegen die Ermächtigungsgrundlage erhoben wurden,
dürfen daher in die Verbunddatei nicht eingestellt werden.
II. Verwertungsverbot von durch Verletzungen der Menschenwürde und grundlegender Menschenrechte erlangter Daten
Die Problematik von Rechtmäßigkeitsvorbehalten und Verwertungsverboten wird
des Weiteren im besonderen Maße bei Verbunddateien unter Beteiligung der Nachrichtendienste relevant. Die Herkunft der durch ausländische Geheimdienste deutschen Nachrichtendiensten übermittelten Daten lässt sich oftmals nur schwer bis gar
nicht verbindlich klären. Dass die übermittelten und sodann in die Verbunddatei
gestellten Daten unter Verletzung der Menschenrechte erhoben wurden, lässt sich
daher nicht ausschließen. Die Verarbeitung derartig gewonnener Informationen ist
mit den Grundrechten des Grundgesetzes, insbesondere im Hinblick auf die dogmatische Verankerung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in der Menschenwürdegarantie aber grundsätzlich nicht zu vereinbaren. Dennoch wird in jüngster Zeit die Verarbeitung dieser Daten jedenfalls zu Zwecken der Gefahrenabwehr
528 BVerfG, 2 BvR 1027/02 vom 12.4.2005, Absatz-Nr. 134f.; BVerfG, 2 BvR 954/02 vom
16.3.2006, Absatz-Nr. 26.
529 BVerfGE 65, 1 (46).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.