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Der Unterschied der Verbunddatei zur herkömmlichen Datenübermittlung liegt
allein darin, dass diese statt der ansonsten mündlichen oder schriftlichen Abfrage,
nunmehr automatisch über elektronische Medien erfolgt. Dies ändert aber nichts
daran, dass es sich im Kern weiterhin um Datenaustausch handelt, der als solcher
keine organisatorischen Auswirkungen nach sich zieht.
II. Organisatorische Verflechtung durch Informationszusammenführung?
Etwas anderes könnte dagegen für die Informationszusammenführung gelten. Durch
eine gemeinsame Verbunddatei werden nicht nur Daten einzelfallbezogen ausgetauscht, es wird vielmehr ein gemeinsamer Datenbestand geschaffen. In diesem
Datenbestand sind die beteiligten staatlichen Stellen jedenfalls für die Zeit der Speicherung auf informationellem Gebiet vereinigt. Eine organisatorische Verflechtung
ist aber auch hier solange ausgeschlossen, als der gemeinsame Datenbestand keine
organisationsrechtlichen Konsequenzen nach sich zieht. Solange jede Behörde sowohl für die Speicherung als auch für die Abfrage und Übermittlung der in die Verbunddatei einzustellenden Daten hinsichtlich ausführenden Personals, datenschutzrechtlicher Verantwortung154 und rechtlicher Überprüfbarkeit jeweils selbständig
und in ihrer Tätigkeit von der anderen Behörde unabhängig bleibt, kann von einer
Vermengung in organisatorischer Hinsicht nicht gesprochen werden. Die durch die
organisatorische Trennung zu besorgende Gefahr des Einsickerns exekutiver Befugnisse in das nachrichtendienstliche Aufgabenfeld, ist dann nicht zu befürchten. Das
Gebot der organisatorischen Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten steht
gemeinsamen Verbunddateien demnach nicht entgegen.155
B. Gemeinsame Verbunddatei und funktionale Trennung
Problematisch bleibt indessen, ob die funktionelle Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten gewahrt bleibt, wenn die Polizei Zugriff auf die Daten der Nachrichtendienste hat und umgekehrt. Gemäß den oben156 herausgearbeiteten Vorgaben des
Trennungsgebots muss zum einen das zu Aufgaben der Nachrichtendienste konkurrierende polizeiliche Tätigwerden im Rahmen der Gefahrenvorsorge und Verdachtsgewinnung an das Vorliegen konkreter gefahr- bzw. verdachtsbegründender Anhaltspunkte gebunden bleiben. Zum anderen ist die nachrichtendienstliche Tätigkeit
insofern begrenzt, als diese einen Bezug zu ihrer Primärfunktion des Staats- und
Verfassungsschutzes aufweisen muss und nicht durch Aspekte der allgemeinen
Verbrechensbekämpfung überlagert werden darf. Diese Vorgaben dürfen durch die
154 Zum Punkt der datenschutzrechtlichen Verantwortung so auch Badura, Innenausschuss
Protokoll Nr. 16/24, S. 58.
155 A.A. wohl Poscher, Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 3.
156 Vgl. 1. Kap., C., I.
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informationelle Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden nicht umgangen werden.
Demnach impliziert die Behördenzuständigkeit zugleich die Informationszuständigkeit; durch die Errichtung und Führung gemeinsamer Verbunddateien dürfen den
Sicherheitsbehörden nicht mehr Daten zugänglich gemacht werden, als sie zur Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben brauchen.157 Dementsprechend ergeben sich zwei
Problemkreise, nämlich die mögliche Ausweitung sowohl polizeilicher als auch
nachrichtendienstlicher Aufgaben.
I. Abhängigkeit der polizeilichen Aufgabeneröffnung vom Vorliegen gefahr-, bzw.
verdachtsbegründender Tatsachen beim Zugriff auf nachrichtendienstliche Daten
Der erste Problemkomplex betrifft die Gefahr der Erweiterung polizeilicher Aufgaben. Dabei ist zunächst klarzustellen, dass eine Gefahr der Umgehung der funktionellen Begrenzung der Polizei auf die Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nicht
besteht, wenn die Polizei nachrichtendienstliche Informationen erlangt, die eine
konkrete Gefahr oder einen Anfangsverdacht begründen. Denn die Abwehr solcher
Gefahren und die Ermittlung der Straftat stellen gerade das klassische Aufgabenfeld
der Polizei dar. Solche Informationen dürfen der Polizei durch die Nachrichtendienste im Rahmen von Verbunddateien uneingeschränkt zur Verfügung gestellt
werden. Eine Erweiterung der polizeilichen Aufgaben ist insofern nicht zu befürchten. Vielmehr setzen die Nachrichtendienste in derartigen Fällen die Polizei lediglich von solchen Sachverhalten in Kenntnis, die die Zuständigkeit der Polizei originär eröffnen.158
Problematisch ist indessen, ob die gebotene Bindung der polizeilichen Zuständigkeit an das Vorliegen konkreter gefahr-, bzw. verdachtsbegründender Tatsachen
auch dann noch gewahrt bleibt, wenn die Polizei Zugriff auf Daten der Nachrichtendienste hat, die diese im Vorfeld und unabhängig von einer konkreten Gefahr bzw.
eines solchen Verdachts erlangt haben, und die eine derartige Tatsachenbasis auch
im Zeitpunkt ihres Einstellens in die gemeinsame Verbunddatei nicht begründen. In
diesem Zusammenhang ist auf Folgendes hinzuweisen: Allein dadurch, dass die
Nachrichtendienste die ihnen im Gefahrenvorfeld und auch hinsichtlich legaler Verhaltensweisen zur Kenntnis gelangten Daten in den gemeinsamen Datenbestand
einführen, ist die funktionale Begrenzung der polizeilichen Aufgabenzuständigkeit
noch nicht berührt. Diese ist erst dann tangiert, wenn die Polizei auf diese Daten
ebenfalls unabhängig vom Vorliegen konkreter gefahr- bzw. verdachtsbegründender
Anhaltspunkte zugreifen kann.159 Dass die Datenspeicherung eventuell an geringere
157 Denninger, ZRP 1981, 231 (233ff.); Lisken, NJW 1982, 1481 (1488); Kutscha, ZRP 1986,
194 (197); Gusy, DV 24 (1991), 467 (487); Pfaeffgen/Gärditz, KritV 83 (2000), 65 (68).
158 Gusy, ZRP 1987, 45 (50).
159 Zu weitgehend insofern Gusy, ZRP 1987, 45 (50), der jede Abrufmöglichkeit der Polizei
gegenüber Vorfelddaten für unzulässig hält.
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Voraussetzungen geknüpft ist, ist also im Hinblick auf die funktionelle Aufgabenbegrenzung zunächst unproblematisch. Allerdings werden die Vorgaben aus dem funktionellen Trennungsgebot auf der Stufe des Datenzugriffs relevant. Spätestens auf
dieser Ebene ist bei Verbunddateien daher dafür Sorge zu tragen, dass die Polizei
keine Kenntnis von legalen, nachrichtendienstbehördlicher Beobachtung unterliegenden Verhaltensweisen im Vorfeld konkreter, ihre Zuständigkeit eröffnender
Tatsachen erlangt. Ist dies nicht gewährleistet, wird der Polizei vielmehr der Zugriff
auf nachrichtendienstliche Daten unabhängig vom Vorliegen bestimmter gefahr-,
bzw. verdachtsbegründender Anhaltspunkte gewährt, ist das funktionelle Trennungsgebot verletzt. Dementsprechend dürfen in Verbunddateien entweder überhaupt nur schon gefährliche oder verdächtige Verhaltensweisen eingespeichert werden oder aber müssen die gesetzlichen Voraussetzungen eines Datenzugriffs so
gefasst sein, dass die Polizei jedenfalls keine Kenntnis von legalen Verhaltensweisen im Vorfeld einer konkreten Gefahr erlangt.
II. Funktionelle Begrenzung der spezifischen Aufgabenzuweisung der Nachrichtendienste beim Zugriff auf polizeiliche Daten
Der zweite Problemkreis betrifft die Gefahr der Erweiterung der nachrichtendienstlichen Aufgaben. Den Nachrichtendiensten dürfen von Verfassungs wegen nicht uneingeschränkt Aufgaben der allgemeinen Gefahrenabwehr und Verbrechensbekämpfung übertragen werden. Dieses Verbot gilt auch für eine informationelle Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden und darf durch die Errichtung gemeinsamer
Datenbestände nicht umgangen werden. Eine solche Umgehungsgefahr besteht zum
einen dann, wenn die Polizei Informationen, die allein die allgemeine Gefahrenabwehr und Verbrechensbekämpfung betreffen, in die gemeinsame Datei einspeist.
Denn diese Daten berühren die spezifischen Aufgaben, zu deren Wahrnehmung die
Nachrichtendienste aufgerufen sind, nicht und dürfen ihnen daher auch nicht zugänglich gemacht werden.160 Ebenso könnte es sich mit der funktionellen Begrenzung der Nachrichtendienste auf die spezifische Aufgabe des Staats- und Verfassungsschutzes als nicht vereinbar erweisen, wenn umgekehrt die Polizeibehörden
Zugriff auf Daten der Nachrichtendienste erhalten und diese für die allgemeine Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung einsetzen. Denn in diesem Fall würden letztlich
die Nachrichtendienste einen entscheidenden Beitrag zur allgemeinen Gefahrenabwehr und Verbrechensbekämpfung leisten und Aufgaben, deren Wahrnehmung
ihnen von Verfassungs wegen verwehrt ist, übernehmen. Im Rahmen der informationellen Zusammenarbeit in Form von Verbunddateien sind damit der Zweck der
Datei und das Problem der Verwendung der Daten angesprochen.
160 Denninger, ZRP 1981, 231 (233ff.); Gusy, ZRP 1987, 45 (50).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.