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spätestens im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 erloschen sei und
demnach nicht mehr zur Begründung eines verfassungsrechtlichen Trennungsgebotes herangezogen werden könne.51 Dies wiederum wird vereinzelt mit dem Argument bestritten, weder die Besatzungsmächte, noch die deutschen staatlichen Organe
hätten je die Absicht geäußert, die Kompetenzbeschränkungen aufzuheben. Auch
nach Wiedererlangung der Souveränität Deutschlands würden die Vorgaben des
„Polizeibriefs“ als Elemente besatzungsrechtlicher Herkunft fortwirken. Denn
schließlich sei auch die Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes, obwohl es unter
Beteiligung der westlichen Besatzungsmächte zustande gekommen sei, zu keiner
Zeit in Frage gestellt worden.52
Zutreffender Weise können weder der „Polizeibrief“ noch das Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure zum Grundgesetz für die Frage nach dem Verfassungsrang des Trennungsgebotes unmittelbar herangezogen werden. Das Besatzungsrecht ist durch die Wiedererlangung der Souveränität der Bundesrepublik
Deutschland erloschen. Verfassungsrang kann dem Trennungsgebot insofern nur
noch durch eine entsprechende Anordnung im Grundgesetz selbst, die gegebenenfalls durch Auslegung der einschlägigen Bestimmungen unter Beachtung der Entstehungsgeschichte zu ermitteln ist, zukommen. Für eine unmittelbare Fortgeltung
der besatzungsrechtlichen Vorgaben besteht indessen kein Raum mehr. Die Argumentation, auch die Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes werde durch das Erlöschen des Besatzungsrechtes nicht berührt, vermag nicht zu überzeugen. Denn insofern besteht ein wesentlicher Unterschied. Während „Polizeibrief“ und Genehmigungsschreiben als reines Besatzungsrecht den deutschen Organen von außen
aufoktroyiert wurden, entstand das Grundgesetz, wenn auch unter Beteiligung der
Westallierten, doch im Wesentlichen autonom. Es wurde von den Deutschen Verfassungsgebern nicht lediglich als etwas Vorgegebenes akzeptiert, sondern aus innerer
Überzeugung heraus im Namen des Deutschen Volkes selbst erklärt.53
II. Verfassungsrang aus Art. 87 Abs. 1 Satz 2, 73 Abs. 1 Nr. 10 GG
Vielfach, in jüngster Zeit allerdings vermehrt bestritten, wird die verfassungsrechtliche Qualität des Trennungsgebots aus Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, gegebenenfalls in
Verbindung mit Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG, hergeleitet.
51 Roewer, DVBl. 1986, 205 (207); Gusy, ZRP 1987, 45 (46); Schafranek, Kompetenzverteilung, S. 169; Nehm, NJW 2004, 3289 (3290); Mehde, JZ 2005, 815 (818); Baumann, DVBl.
2005, 798 (799); König, Trennung und Zusammenarbeit, S. 156.
52 Kutscha, ZRP 1986, 194 (195).
53 Siehe Präambel zum GG.
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1. Wortlaut
Argumentativ wird zuvörderst auf den Wortlaut des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG abgestellt, der dem Bund die Befugnis einräumt, „Zentralstellen für das polizeiliche
Auskunfts- und Nachrichtenwesen, für die Kriminalpolizei und zur Sammlung von
Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes“ einzurichten. Aus der Pluralformulierung der „Zentralstellen“ ergebe sich nicht nur das Recht, sondern die Pflicht
des Bundesgesetzgebers zur Schaffung unterschiedlicher, organisatorisch getrennter
Behörden für die in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG genannten Polizei- und Verfassungsschutzaufgaben.54 Dieser Auffassung wird durch Hinweis auf den Charakter des Art.
87 Abs. 1 Satz 2 GG als Verwaltungskompetenznorm widersprochen, nach der dem
Bundesgesetzgeber lediglich die Befugnis, nicht aber auch die Pflicht zur Errichtung
unterschiedlicher Zentralstellen eingeräumt sei.55 Im Übrigen sei dann auch die
Schaffung des Bundeskriminalamtes, das mehrere der in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG
genannten Zentralstellenfunktionen erfülle, verfassungswidrig, was aber nie ernsthaft vertreten worden sei.56
Neben dem organisatorischen Aspekt soll nach teilweise vertretener Auffassung
aus dem Begriff des „Sammelns von Unterlagen“ über die darin zum Ausdruck
kommende Aufgabenzuweisung der Zentralstelle für Verfassungsschutzzwecke
hinaus eine befugnisrechtliche Trennung verfassungsrechtlich geboten sein. Denn
die Aufgabenzuweisung der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung enthalte auch die Befugnis zum Einsatz der dafür notwendigen Mittel, erstrecke sich
aber nicht auf exekutive Zwangsmittel, die allein der Polizei vorbehalten sein sollen.57 Dem wird allerdings entgegengehalten, dass der Wortlaut des „Sammelns“
eine Begrenzung auf passive Befugnisse der bloßen Entgegennahme und Speicherung von Informationen allein nicht trage.58
Dem Wortlaut des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG ist zunächst eine funktionelle Trennung zwischen Polizei und Verfassungsschutz zu entnehmen, indem er nämlich mit
den Begriffen „Kriminalpolizei“ und „Verfassungsschutz“ die in Art. 73 Abs. 1 Nr.
10 a und b GG festgeschriebene spezifische Aufgabenzuweisung für Polizei und
Verfassungsschutz aufnimmt und insoweit zugleich die Sicherheitsbehörden auf die
jeweiligen Aufgaben beschränkt. Darüber hinaus legt er allein aber keine zwingenden Schlüsse für oder gegen eine verfassungsrechtlich vorgegebene auch organisatorische Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendiensten nahe.59 Die Verwendung
des Plurals „Zentralstellen“ mag ein Hinweis auf die organisatorische Trennung der
verschiedenen Aufgabenbereiche sein, ist aber alleine zu vage, um daraus ableiten
zu können, dem Bundesgesetzgeber stehe nicht nur ein entsprechendes Recht zu, ihn
54 Gusy, ZRP 1987, 45 (46).
55 Nehm, NJW 3289 (3291); König, Trennung und Zusammenarbeit, S. 164.
56 Zöller, Informationssysteme, S. 315.
57 Lerche, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 87, Rdnr. 142f.
58 Nehm, NJW 3289 (3291).
59 So selbst Gusy als Vertreter der Wortlautargumentation in ZRP 1987, 45 (47).
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treffe vielmehr auch eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Einrichtung unterschiedlicher Zentralstellen. Ebenso verhält es sich mit der Annahme einer befugnisrechtlichen Begrenzung der Nachrichtendienste. Der Begriff des „Sammelns“ in Art. 87
Abs. 1 Satz 2 GG kann zunächst als bloße Konkretisierung der dem Verfassungsschutz in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b GG zugewiesenen Aufgaben interpretiert werden.
Ein Ausschluss exekutiver Befugnisse folgt aus dem Wortlaut allein dagegen nicht.
2. Historische Auslegung
Ungeachtet des Erlöschens des Besatzungsrechts wird ferner teilweise vertreten, die
Vorgaben der Alliierten für die Sicherheitsstruktur Deutschlands seien vom Grundgesetz ausweislich der Verfassungssprache „Verfassungsschutz“ anstelle von „Geheimdienst“ rezipiert worden, das Erlöschen des Besatzungsrechts habe insofern auf
die Fortgeltung der aus dem „Polizeibrief“ fließenden Vorgaben keinen Einfluss.60
Vielmehr hätten die Verfassungsgeber ihrem Willen nach die Vorgaben aus dem
„Polizeibrief“ stillschweigend bei Schaffung des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungskräftig umgesetzt.61 Dieser Auffassung wird entgegengehalten, die durch die
Alliierten Vorbehalte in Nr. 3 ihres Genehmigungsschreibens zum Grundgesetz
seien allein dadurch zu erklären, dass sie ihre Vorgaben hinsichtlich der Sicherheitsstruktur Deutschlands noch nicht mit dem Grundgesetz umgesetzt sahen.62 Eine
andere Auffassung wiederum will die entscheidenden Motive zum Erlass des Art. 87
Abs. 1 Satz 2 GG dagegen gar nicht in der Verwirklichung der Vorgaben des Polizeibriefs sehen.63 Schließlich spreche ein Blick auf den nur ein Jahr nach dem GG in
Kraft getretenen § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 BVerfSchG a.F.64, der sowohl die organisatorische als auch befugnisrechtliche Trennung von Polizei und Verfassungsschutz
festschrieb, gegen eine stillschweigende Umsetzung des „Polizeibriefs“. Einer solchen einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Trennungsgebotes hätte es nicht bedurft, würde bereits das Grundgesetz eine derartige Trennung vorgeben.65
Der enge zeitliche und kausale Zusammenhang zwischen dem „Polizeibrief“ vom
14.4.1949 und der Schaffung des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG kann bei der Auslegung
dieser Norm nicht vernachlässigt werden. Diese wurde zusammen mit Art. 73 Nr. 10
GG a.F. aufgrund einer interfraktionellen Absprache erst unmittelbar vor der
Schlussberatung eingebracht und ohne nähere Begründung oder Aussprache am
6.5.1949 verabschiedet.66 Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG kann damit, ungeachtet weiterer
60 Schaefer, NJW 1999, 2572 (2572); in diesem Sinne wohl auch Pfaeffgen/Gärditz, KritV 83
(2000), 65 (67).
61 Roggan/Bergemann, NJW 2007, 876 (876).
62 Roewer, DVBl. 1986, 205 (206).
63 König, Trennung und Zusammenarbeit, S. 173ff.
64 Heute § 2 Abs. 1 Satz 3 und § 8 Abs. 3 BVerfSchG.
65 Albert, ZRP 1995, 105 (108); Baumann, DVBl. 2005, 798 (801); a. A. Gusy, ZRP 1987, 45
(47), Schafranek, Kompetenzverteilung, S. 171f.
66 Gusy, ZRP 1987, 45 (47), Schafranek, Kompetenzverteilung, S. 171.
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bestehender Motive, durchaus als unmittelbare Reaktion des Parlamentarischen
Rates auf den „Polizeibrief“ mit dem Bemühen, die Vorgaben der Westalliierten
umzusetzen, gesehen werden.67 Gestützt wird diese Auffassung daneben auch durch
die amtliche Begründung des BVerfSchG a.F.68, wo es heißt:
„Aus den oben erwähnten beiden Bestimmungen des Grundgesetzes [gemeint waren Art. 73 Abs. 1 Nr. 10, 87 Abs. 1 Satz 2 GG, Anm. d. Verf.] folgt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz keine Exekutivbehörde ist. Es soll keine polizeilichen
Befugnisse und keine Kontrollbefugnisse haben. Das Amt soll auch einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden.“69
Daraus kann gefolgert werden, dass der damalige Gesetzgeber von einer verfassungsrechtlich gebotenen Trennung von Polizei und Verfassungsschutz hinsichtlich
Organisation und Befugnissen ausging und die einfachgesetzliche Ausgestaltung des
Trennungsgebots lediglich als Konkretisierung der grundgesetzlichen Vorgaben
gewollt hat. Dies erlaubt wiederum Rückschlüsse auf den Willen des Verfassungsgebers, die für die Auslegung des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG Bedeutung erlangen
können. Denn viele Mitglieder des Parlamentarischen Rates waren auch im ersten
Bundestag vertreten und an den damaligen Beratungen zum BVerfSchG beteiligt.70
Den gesetzgeberischen Motiven bei Schaffung des § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2
BVerfSchG a.F. kommt daher erhebliche Indizienwirkung nicht gegen, sondern für
die Annahme, dass der Verfassungsgeber die besatzungsrechtlichen Vorgaben verfassungskräftig umsetzen wollte, zu. Die historische Auslegung spricht demnach
eher für den Verfassungsrang des Trennungsgebotes.
3. Systematische und teleologische Auslegung
Schließlich wird zur Begründung des Verfassungsrangs vermehrt auch auf die Systematik des GG und den Sinn und Zweck des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG verwiesen.
Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, gegebenenfalls i.V.m. Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG, grenze
die Aufgabenfelder von Polizei und Nachrichtendiensten ab und begrenze mit dieser
Aufgabenverteilung zugleich die den unterschiedlichen Behörden zustehenden Befugnisse. Aus der Verschiedenheit der in den Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 und 87 Abs. 1
Satz 2 GG angesprochenen Zwecke und der Arbeitsweisen von Zentralstellen für
das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen einerseits und den Verfassungsschutz andererseits, folge weiter, dass diese auch von unterschiedlichen Stellen
wahrgenommen werden müssen. Anders sei eine Vermengung polizeilicher und
67 S. zur Entstehungsgeschichte auch Lerche, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 87, Rdnr.
29, der einräumt, dass der „Polizeibrief“ „in den Beratungen zum Grundgesetz eine verhältnismäßig große Rolle“ spielte, diesem dann aber ohne nähere Begründung für die jetzige
Auslegung des GG keinen maßgeblichen Einfluss mehr zukommen lassen möchte.
68 So auch Gusy, ZRP 1987, 45 (47); Schafranek, Kompetenzverteilung, S. 171f.
69 BT-Dr. 1/924, S. 4.
70 Gusy, ZRP 1987, 45 (47); Schafranek, Kompetenzverteilung, S. 171f.
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nachrichtendienstlicher Befugnisse nicht zu vermeiden.71 Entscheidender Zweck des
Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG sei aber gerade, das Einsickern polizeilicher Befugnisse in
das den Nachrichtendiensten vorbehaltene Gefahrenvorfeld zu verhindern.72
Dem Bemühen, den Verfassungsrang des Trennungsgebots durch eine systematische Auslegung des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG unter Rückgriff auf Art. 73 Abs. 1 Nr.
10 GG zu begründen, wird vereinzelt die Legitimation mit dem Argument abgesprochen, die Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG seien inhaltlich zu unterschiedlich ausgestaltet, als dass ihnen im Wege einer vergleichenden Betrachtung
Rückschlüsse auf ein verfassungsrechtliches Trennungsgebot entnommen werden
könnten.73 Im Übrigen wird vorgenannter Ansicht entgegengehalten, Art. 87 Abs. 1
Satz 2 GG bestimme lediglich die jeweiligen Tätigkeitsbereiche der Sicherheitsbehörden, enthalte dagegen aber gerade keine Aussage über die den Behörden zustehenden Befugnisse. Ein Schluss von der Aufgabe auf die Befugnis sei weder dergestalt möglich, einer Behörde einzelne Befugnisse zuzuschreiben, noch ihr solche
vorzuenthalten.74 Auch sei der Rückgriff auf den gemäß der Funktion des Trennungsgebots ermittelten Sinn und Zweck des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG zur verfassungsrechtlichen Begründung des Trennungsgebots letztlich ein Zirkelschluss.75
Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG nimmt begrifflich mit den Formulierungen „Kriminalpolizei“, „Verfassungsschutz“ und „Schutz gegen Bestrebungen im Bundesgebiet,
die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen
auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden“ auf Art. 73 Abs. 1
Nr. 10 GG Bezug. Dies wird durch den Gebrauch des in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b GG
legaldefinierten Begriffs „Verfassungsschutz“ durch Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG besonders deutlich. Demnach besteht zwischen beiden Grundrechtsartikeln ein derartiger Sach- und Auslegungszusammenhang, dass diese Normen im Rahmen der systematischen Auslegung vergleichend herangezogen werden dürfen. Die daneben
bestehenden begrifflichen Unterschiede beider Normen stehen dem nicht entgegen.
Denn für den erforderlichen Sach- und Auslegungszusammenhang zweier Normen
ist eine vollständige Überschneidung in inhaltlicher Hinsicht nicht zu fordern. Aus
der systematischen Zusammenschau von Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG mit Art. 73 Abs.
1 Nr. 10 GG folgt danach zunächst, wie auch schon die Wortlautauslegung ergab,
eine funktionelle Trennung von Nachrichtendiensten und Polizeien hinsichtlich
spezifischer Aufgabenbereiche. Darüber hinaus ist der Systematik des Grundgesetzes aber auch eine organisatorische Trennung der die unterschiedlichen Aufgaben
wahrnehmenden Behörden zu entnehmen. Denn der in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG
niedergelegten Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf dem Gebiet der Kriminalpolizei und des Verfassungsschutzes stellt das Grundgesetz in Art. 87 Abs. 1 Satz 2
GG die erforderliche Verwaltungskompetenz des Bundes auf eben diesen Gebieten
71 Gusy, ZRP 1987, 45 (47f.).
72 Gusy, ZRP 1987, 45 (48); Zöller, Informationssysteme, S. 317f.
73 König, Trennung und Zusammenarbeit, S. 167ff. m.w.N.
74 Nehm NJW 2004, 3289 (3291).
75 König, Trennung und Zusammenarbeit, S. 171.
34
gegenüber. Macht der Bundesgesetzgeber von der ihm in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG
eingeräumten Gesetzgebungskompetenz Gebrauch, so muss er quasi parallel zu
dieser Gesetzgebungskompetenz für die unterschiedlichen Aufgabenbereiche auch
unterschiedliche Zentralstellen einrichten. Genauso wenig wie der Gesetzgeber sich
über die von der Verfassung in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10, 87 Abs. 1 Satz 2 GG vorgegebene spezifische Aufgabenverteilung hinwegsetzen darf, darf er die die Aufgaben
wahrnehmenden Behörden organisatorisch vermengen.76
Dies wird durch teleologische Gesichtspunkte gestützt. Denn, wie aus Art. 73
Abs. 1 Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG ersichtlich, verfolgen Polizei und Verfassungsschutz unterschiedliche Aufgaben und Zwecke. Während die Polizei erst bei
Bestehen konkreter Anhaltspunkte strafverfolgend bzw. gefahrenabwehrend tätig
wird, bezwecken die Verfassungsschutzbehörden den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder
eines Landes. Ihre Tätigkeit ist mit der „Sammlung von Unterlagen“ weit in das
Vorfeld einer konkreten Gefahr oder eines Anfangsverdachts verlagert. Aus dieser
unterschiedlichen Zwecksetzung und Arbeitsweise folgen auch unterschiedlich weite Befugnisse der Sicherheitsbehörden. Andernfalls würde Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG
seines entscheidenden Sinnes entbehren. Denn die in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10, 87 Abs.
1 Satz 2 GG angelegte funktionelle Trennung von Polizei und Nachrichtendienst
erlangt ihren maßgeblichen Sinn erst dann, wenn man ihr ergänzend eine befugnisrechtliche Trennung der Sicherheitsbehörden an die Seite stellt. Die Zuweisung
spezifischer Aufgaben und Zwecke ist nämlich nur dann sinnvoll und notwendig,
wenn im Rahmen dieser unterschiedlichen Zweckverfolgung auch unterschiedliche
Mittel zum Einsatz kommen sollen. Die entscheidende Funktion des Art. 87 Abs. 1
Satz 2 GG ist es demnach, die polizeilichen Zwangsbefugnisse aus dem den Nachrichtendiensten zugewiesenen Bereich der Sammlung und Auswertung von Informationen im Vorfeld einer konkreter Gefahren- und Verdachtslage herauszuhalten.
Dieser Argumentation liegt insofern kein Zirkelschluss zugrunde, als die teleologische Auslegung des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG nicht auf den Schutzzweck des Trennungsgebotes gestützt wird, sondern aus der inneren Schlüssigkeit der Norm heraus
erfolgt. Wird des Weiteren der genannte Zweck des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG unter
Hinweis auf die jüngsten Aufgaben- und Befugniserweiterungen im einfachgesetzlichen Polizei- und Nachrichtendienstrecht bestritten77, so geht diese Kritik fehl.
Rechtstatsächliche Situationen und einfachgesetzliche Fehlentwicklungen vermögen
nicht das verfassungsrechtlich Gebotene in Zweifel zu ziehen. Legt man die vorgenannte Funktion zugrunde, dann muss dem Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG aber auch ein
organisatorisches Trennungsgebot zugeschrieben werden. Denn der Zweck, das
nachrichtendienstliche Tätigkeitsfeld von polizeilichen Befugnissen freizuhalten,
kann nur erreicht werden, wenn die jeweiligen Sicherheitsbehörden auch organisatorisch getrennt sind.
76 So im Ergebnis mit teilweise anderer Begründung auch Schafranek, Kompetenzverteilung, S.
172.
77 König, Trennung und Zusammenarbeit, S.172.
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Der Verfassungsrang des Trennungsgebotes lässt sich demnach mit teleologischen Erwägungen, die ergänzend zu systematischen Aspekten herangezogen werden, begründen.
III. Ausfluss des Trennungsgebots aus Rechtstaats- und Bundesstaatsprinzip
Im Schrifttum wird der Verfassungsrang des Trennungsgebots zum Teil auch unter
Rückgriff auf das Rechtsstaats-78 und das Bundesstaatsprinzip79 bejaht. Der Ausschluss polizeilicher Befugnisse im Tätigkeitsfeld der Nachrichtendienste gewährleiste die Gewaltenkontrolle durch Binnendifferenzierung der Exekutive, das Trennungsgebot sei letztlich als institutionalisierte Umsetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu sehen.80 Gegenüber der sich oftmals richterlicher Kontrolle
entziehenden, heimlichen Tätigkeit der Nachrichtendienste sei das Trennungsgebot
zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes in einem demokratischen
Rechtsstaat geboten.81 Das BVerfG verschließt sich dieser Auffassung grundsätzlich
nicht. Vielmehr zieht es ausdrücklich in Erwägung, dass das Rechtsstaats- und das
Bundesstaatsprinzip es verbieten könnten, „bestimmte Behörden miteinander zu
verschmelzen oder sie mit Aufgaben zu befassen, die mit ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung nicht vereinbar sind. So werden die Zentralstellen für Zwecke des Verfassungsschutzes oder des Nachrichtendienstes - angesichts deren andersartiger Aufgaben und Befugnisse - nicht mit einer Vollzugspolizei zusammengelegt werden dürfen.“82 Zu einer abschließenden Entscheidung dieser Frage konnte
sich das Gericht indessen bislang nicht durchringen.
Der Ansicht, die das Trennungsgebot als rechtsstaatlich gebotenes Mittel zum effektiven Rechtsschutz ansieht, wird entgegengehalten, dass Art. 19 Abs. 4 GG als
Ausfluss des Rechtsstaatsgebots lediglich gebiete, dass überhaupt ein geeigneter
Rechtsschutz gegen sicherheitsbehördliche Maßnahmen bestehe, eine Trennung der
Sicherheitsbehörden aber nicht zwingend erfordere.83 Im Übrigen wird der vorgenannten Ansicht mit Blick auf die kompetenzrechtliche Ausgestaltung der Sicherheitsbehörden anderer anerkannter demokratischer Rechtsstaaten widersprochen.
78 Denninger, ZRP 1981, 231 (232); Götz, in: HdbStR IV, § 85, Rdnr. 39; Lisken/Denninger, in:
HdbPolR, C, Rdnr. 114; in diese Richtung tendierend auch Möstl, Öffentliche Sicherheit und
Ordnung, S. 411.
79 Pfaeffgen/Gärditz, KritV 83 (2000), 65ff.; a.A. König, Trennung und Zusammenarbeit, S.
191ff.
80 Gusy, DV 24 (1991), 467 (468ff.).
81 Denninger, ZRP 1981, 231 (232).
82 BVerfGE 97, 198 (217); s. auch BVerfG NJW 2000, 55 (60).
83 Schafranek, Kompetenzverteilung, S. 170; König, Trennung und Zusammenarbeit, S. 183ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.