175
Abkehr von rechtsstaatlichen Grundsätzen zu rechtfertigen. Dies belegt insbesondere die Diskussion um die Einführung eines Feindstrafrechts648 und die Zulässigkeit
von Folter zur Gefahrenabwehr649.
Vorrangig die Judikatur versucht diesem Verständniswandel entgegenzutreten
und die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit wieder herzustellen. So hat insbesondere das BVerfG zahlreiche Ermächtigungsgrundlagen, die im Zuge der Terrorismusbekämpfung Eingang in die Gesetze gefunden haben, jedenfalls in Teilen für
verfassungswidrig erklärt. Regelungen zur Brief- und Telefonüberwachung durch
das Zollkriminalamt650, zur vorbeugenden Telefonüberwachung durch die Länderpolizeien651, zum Abschuss ziviler Luftfahrtzeuge durch die Streitkräfte652 sowie zur
Rasterfahndung653 fanden die Kritik des Gerichts. Deutlich hat das BVerfG in seinen
Entscheidungen die Unausgewogenheit, mit der individuelle Grundrechte für die
Befriedigung kollektiver Sicherheitsbedürfnisse eingeschränkt werden, beanstandet
und den zunehmenden Verlust bürgerlicher Freiheit kritisiert.654
II. Verfassungsrechtliche Grenzen des Verständniswandels betreffend das Verhältnis
von Freiheit und Sicherheit
Im Hinblick auf den aufgezeigten Verständniswandel der jüngeren Zeit ist zu untersuchen, ob dem Gesetzgeber in seiner Tendenz, der inneren Sicherheit Vorrang vor
individuellen Freiheitsrechten einzuräumen, von Verfassungs wegen Grenzen gesetzt sind.
1. Der Verfassungsrang der Sicherheit
Insofern ist zunächst der Verfassungsrang der inneren Sicherheit zu problematisieren. Denn nur soweit ihr Verfassungsrang als Staatszweck, Staatsaufgabe, Staatszielbestimmung, staatlicher Schutzpflicht oder gar als individuellem „Grundrecht
auf Sicherheit“ zukommt, ist eine ranggleiche Abwägung mit den Freiheitsrechten
des Einzelnen denkbar.655
648 S. hierzu Düx, ZRP 2003, 189 (194) m.w.N.
649 Zum Streitstand s. Bielefeldt, APuZ 36 (2006), 3; Ekhardt, NJ 2006, 64; Gusy, VVDStRL 63
(2004), 151 (176); Jerouschek/Kölbel, JZ 2003, 613; Schulze-Fielitz, in: FS f. Schmitt Glaeser, S. 416ff. jeweils m.w.N.; befürwortend Brugger, JZ 2000, 165; ders., Freiheit und Sicherheit, S. 56ff.; wohl auch Wittreck, DÖV 2003, 873.
650 BVerfG NJW 2004, 2213.
651 BVerfG, 1 BvR 668/04 vom 27.7.2005.
652 BVerfG, 1 BvR 357/05 vom 15.2.2006.
653 BVerfG NJW 2006, 1939.
654 Kritisch zur jüngsten Judikatur Hillgruber, JZ 2007, 209 (212ff.).
655 BVerfGE 28, 243 (260f.).
176
Freiheit bildet einen herausragenden Verfassungswert, den das Grundgesetz in
der Menschenwürdegarantie, in den grundrechtlichen Freiheitsrechten und, politisch
gedacht, in den demokratischen Mitwirkungsrechten gewährleistet.656 Schutz von
Freiheit und Menschenwürde ist insofern oberster Zweck allen Rechts.657 Ein Verfassungswert „Sicherheit“ lässt sich dagegen im Grundgesetz textlich zunächst nicht
finden. Dies lässt sich aus der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes erklären.
Den Verfassungsgebern war es nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus
erklärtes Ziel, die Freiheitsrechte des Einzelnen vor staatlichem Machtmissbrauch zu
schützen und einen unkontrollierbaren Machtzuwachs des Staates zu verhindern.
Das Bild des nationalsozialistischen Staates als Bedrohung für Würde, Freiheit und
Gleichheit prägte die Schaffensphase des Grundgesetzes so nachhaltig, dass darüber
die Rolle des Staates als Beschützer seiner Bürger in den Hintergrund trat.658 Dem
Umstand, dass die innere Sicherheit nicht den ihrer Bedeutung nach eigentlich angemessenen Ausdruck im Verfassungstext selbst fand, kann insofern nicht entnommen werden, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes der Sicherheit nicht
selbst auch Verfassungsrang hätten zumessen wollen. Insoweit ist es auch nicht
ausgeschlossen, dass die wenigen Einzelstellen des Grundgesetzes659, die begrifflich
von Sicherheit sprechen, im Wege der Rechtsanalogie verallgemeinert und als
Staats- und Verfassungsziel, bzw. -aufgabe interpretiert werden660 oder aber der
Sicherheit über die Begründung staatlicher Schutzpflichten Verfassungsrang zugeschrieben wird.
a) Sicherheit als Staatszweck, Staatsaufgabe und Staatszielbestimmung
Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Idee der Sicherheitsgewährleistung, wie sie
in rechts- und staatsphilosophischer Tradition dem heutigen demokratischen und
liberalen Staat des Grundgesetzes zugrunde liegt. Danach ist zuvorderster Entstehungs- und Legitimationsgrund des Staates die Gewährleistung der Sicherheit seiner
Bürger. Vor dem Hintergrund der Bürgerkriege im England und Frankreich des
Feudalzeitalters und dem Übergang von der Agrargesellschaft zur Handelsgesellschaft, die ein erstmalig auch ökonomisch begründetes Bedürfnis nach Sicherheit
auslöste, entstand die von Jean Bodin (1530-1596) in seinem Werk „De la Republique“ (1577) erstmals begründete Idee einer souveränen Staatsgewalt, nach der dem
Staat zur Friedenssicherung absolute Macht und immerwährendes Monopol jeglicher Gewaltanwendung zu übertragen ist.661 Diese Idee aufgreifend entwickelte
Thomas Hobbes (1588-1679) in seinen Werken „De cive“ (1642) und „Leviathan“
656 Brugger, Freiheit und Sicherheit, S. 52.
657 BVerfGE 5, 85 (204f.); 12, 45 (51); 33, 1 (10f.); 37, 57 (65).
658 Brugger, Freiheit und Sicherheit, S. 52.
659 Art. 13 Abs. 4, 35 Abs. 2, 73 Abs. 1 Nr. 10 GG.
660 Brugger, Freiheit und Sicherheit, S. 52.
661 Calliess, ZRP 2002, 1 (2).
177
(1651) erstmals anhand von Staatszwecken seine Staatstheorie, nach der als Motiv
und Legitimation der Staatsbildung die Sicherheit anzusehen ist. Nach Hobbes Entwurf befinden sich die Menschen im Naturzustand, in dem es weder rechtliche Ordnung noch Grenzen der Freiheit des Einzelnen gibt, in der also jeder tun und lassen
kann, was er will, in einem Krieg aller gegen alle.662 Diesen kann nur der souveräne
Staat beenden, dem die Bürger das Gewaltmonopol übertragen, neben Gewaltverzicht Gehorsam schulden, und als Gegenleistung durch den Staat vor Übergriffen
Dritter geschützt werden.663 Der bürgerlichen Friedens- und Rechtsgehorsamspflicht
korrespondiert insofern also eine staatliche Schutzpflicht. In diesem Sinne stellt sich
der Staat als institutionelle Überwindung des vorstaatlichen Naturzustands des Bürgerkriegs dar.664 Die Gewährleistung von Sicherheit im Wege einer Gesamtordnung
ist danach Sinn der Existenz des Staates.665
Während im absolutistischen Staat dementsprechend noch einseitig die Sicherheitsgewährleistung durch den Staat als Rechtfertigung des staatlichen Gewaltmonopols und gebündelter Machtkonzentration im Vordergrund steht, reift mit Aufkommen des liberalen Staatsverständnisses die Erkenntnis, dass aufgrund seiner
absoluten Macht der Staat selbst zusehends eine Bedrohung für die Bürger darstellt.
Die liberale Staatsidee erkennt das Spannungsfeld zwischen Sicherheit durch den
Staat und Sicherheit vor dem Staat, den Antagonismus zwischen der Entfaltung
individueller Freiheit und staatlicher Durchsetzung der öffentlichen Ordnung und
versucht fortan die umfassende Macht des Staates zugunsten der Verwirklichung
persönlicher Freiheit zu beschränken.666 Als Begründer dieser Freiheitsphilosophie
entwickelte dementsprechend John Locke (1632-1704) den Staat von der obrigkeitlichen Aufsichtsbehörde Hobbes zu einer auf vertraglicher Grundlage geschaffenen
Aktivbürgerschaft weiter, die ihre Legitimation aus ihrer Schutzfunktion für die
Grundrechte ihrer Bürger gewinnt, und in die sich jeder Bürger als freier Mensch
einbringt.667 Danach bedeutet Sicherheit durch den Staat Schutz vor Übergriffen
Dritter, Sicherheit vor dem Staat Freiheit, die zu verwirklichen weiterer Legitimationsgrund des Staates ist.668 Dem Staat ist somit nur soviel Macht zu überlassen, wie
er braucht, um die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten, damit diese sich im
Zustand des inneren Friedens und der Ordnung frei entfalten können. Sicherheit ist
insofern lediglich die notwendige Grundlage für die Verwirklichung von Freiheit.
Der staatlicherseits durchzusetzende Zustand der Sicherheit bildet die Bedingung für
die grundrechtliche Freiheit und Gleichheit der Bürger.669 Neben den Staatszweck
662 Hobbes, Leviathan, 13. Kap., insbes. S. 96.
663 Hobbes, Leviathan, 17. Kap., insbes. S. 134, 18. Kap.
664 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 4.
665 Ebd.
666 Dietlein, Schutzpflichten, S. 23.
667 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, Buch II, 7. Kap., insbes. §§ 87, 88; s. dazu
auch Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 5ff.; Calliess, ZRP 2002, 1 (4); Kniesel, ZRP
1996, 482 (485).
668 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 6, Calliess, ZRP 2002, 1 (4).
669 Isensee, in: HdbStR V, § 111, Rdnr. 83.
178
Sicherheit tritt demnach der Staatszweck Freiheit. Ziel des liberalen Verfassungsstaates ist insofern eine Gesamtordnung größtmöglicher Freiheit des Einzelnen bei
notwendiger Sicherheit aller.670 In Verinnerlichung und Umsetzung dieser Gedanken
Lockes durch die nachfolgende Natur- und Vernunftrechtsepoche von Jean Jaques
Rosseau (1712-1778) über Immanuel Kant (1724-1804) bis Max Weber (1864–
1920) werden die rechtsinstitutionellen Vorkehrungen zum Schutz der Bürger vor
dem Staat und zur Gewährleistung ihrer Freiheit, wie Repräsentation, Gewaltenteilung und Gesetzesbindung, ausgebaut und tritt der Aspekt der Eingriffsabwehr und
Freiheitssicherung zusehends in den Vordergrund.671
Diese Grundgedanken haben bis heute ihre Gültigkeit bewahrt und Eingang in die
Verfassung gefunden.672 In der Entscheidung des Grundgesetzes für den Rechtsstaat
als „staatsgewährleistende Friedensordnung durch Recht“673 kommt nämlich die
Grundbestimmung von Recht und Staat im Sinne der Gewährleistung von Sicherheit
im und durch das Recht zum Ausdruck.674 In Übereinstimmung mit dem BVerfG
erblickt das überwiegende Schrifttum im Rechtsstaatsprinzip insofern einen Verfassungsgrundsatz, dessen vorrangiges Ziel die Gewährleistung der Grundrechte nicht
nur in ihrer Funktion als Abwehrrechte, sondern auch als objektive Wertentscheidungen des Grundgesetzes ist.675 Grundrechtliche Freiheitsverbürgung erschöpft
sich nach diesem Verständnis nicht in der bloß passiven Achtung bürgerrechtlicher
Freiheit, sondern verlangt zum Schutz dieser Freiheit vor Einschränkungen Dritter
ein aktives Handeln des Staates. In der demnach gebotenen Aktivierung und gleichzeitigen Disziplinierung des Staates offenbart sich der Doppelauftrag des Rechtsstaats, der Gewährleistung und Beschränkung staatlichen Handelns gleichermaßen
erfasst, um Sicherheit und Freiheit sowohl gegenüber dem Staat als auch im Verhältnis der Bürger zueinander zu sichern.676
Der rechtsphilosophisch begründete Staatszweck Sicherheit erlangt demnach im
Rechtsstaat „verfassungsjuristische Verpflichtungskraft“677 als Staatsaufgabe Sicherheit neben der Staatsaufgabe Freiheit. Unabhängig von der normtextlichen Verankerung der Sicherheit liegt sie dem Grundgesetz, das die Bundesrepublik Deutschland als modernen Staat im Sinne einer machtbewehrten Friedens- und Rechtsordnung auffasst, als Selbstverständlichkeit zugrunde.678 Dementsprechend hat auch das
BVerfG in Übereinstimmung mit dem BVerwG betont, dass aus der Funktion des
670 Kniesel, ZRP 1996, 482 (485).
671 Horn, in: FS f. Schmitt Glaeser, S. 447; Brugger, Freiheit und Sicherheit, S. 26ff.
672 Vgl. insofern BVerfG NJW 2006, 1939 (1945), das jüngst die Sicherheit als fundamentalen
Staatszweck bezeichnete.
673 Schmidt-Aßmann, in: HdbStR II, § 26, Rdnr. 1.
674 Horn, in: FS f. Schmitt Glaeser, S. 442.
675 BVerfGE 33, 303 (330f.); 39, 1 (41f.); s. aus dem Schrifttum statt Vieler Stern, in: ders.,
Staatsrecht III/1, S. 915ff.
676 Schmidt-Aßmann, in: HdbStR II, § 26, Rdnr. 1; Calliess, ZRP 2002, 1 (5); Möstl, Öffentliche
Sicherheit und Ordnung, S. 63 m.w.N.
677 Horn, in: FS f. Schmitt Glaeser, S. 443.
678 Hillgruber, JZ 2007, 209 (210) m.w.N.
179
Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und aus der von ihm zu gewährleistenden Sicherheit seiner Bevölkerung die Institution Staat ihre eigentliche und
letzte Rechtfertigung herleite.679 Dass dem inneren Frieden und der öffentlichen
Sicherheit fundamentale Bedeutung beizumessen und ihre Gewährleistung insofern
als Staatsaufgabe mit Verfassungsrang anzusehen ist, gilt insoweit mittlerweile als
weitestgehend unbestritten.680
Festzuhalten bleibt, dass die Staatsaufgabe Sicherheit, wenn auch aus dem Staatszweck des Schutzes jedes Einzelnen vor Übergriffen Dritter heraus begründet, nicht
lediglich den Schutz von Individualrechtsgütern erfasst, sondern auch den Schutz
von Staat und Verfassung selbst.681 Denn auch die Gewährleistung des Bestandes
und der Sicherheit des Staates sowie der Schutz der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung gehört zu den Verfassungsaufgaben, die der Staatsgewalt in ihrer
Funktion als Friedensmacht selbstverständlich übertragen sind. Ohne Sicherheit und
Funktionsfähigkeit des Staates selbst, kann dieser seine Funktion als Schutzmacht
vor Übergriffen im Verhältnis der Bürger untereinander nicht gerecht werden.682
Der insoweit insbesondere im Rechtsstaatsprinzip verankerten Staatsaufgabe Sicherheit kommt darüber hinaus die objektive Bindungswirkung und positive Verpflichtungskraft einer Staatszielbestimmung683 zu.684 Nur auf diese Weise nämlich
kann der herausragenden Bedeutung des Staatszwecks Sicherheit angemessen Rechnung getragen werden. Denn es wäre inkonsequent und nicht gerechtfertigt, den
ausdrücklich im Grundgesetz festgeschriebenen Staatszielen der sozialen und ökologischen Sicherheit diese Bedeutung beizumessen, dem Staatszweck der inneren
Sicherheit, der als älterer Legitimationsgrund der Staatsbildung den beiden anderen
Zielen vorausgeht, diesen Rang aber zu versagen.685 Die Gewährleistung von innerem Frieden und Sicherheit ist jedem Staat unabweislich vorgegeben. Sie ist die
unabdingbare Voraussetzung des modern-staatlichen Gemeinwohls und stellt insofern „das elementarste aller Staatsziele“ dar.686 Sicherheit ist daher nicht nur verfassungspolitischer Programmsatz, sondern verfassungsrechtlich bindend.687 Als
Staatszielbestimmung gibt sie allerdings bloß das Ziel vor, lässt das gebotene
679 BVerfGE 49, 24 (56f.); BVerwGE 49, 202 (209).
680 S. statt Vieler Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 47 m.w.N.; s. auch BVerfG
NJW 2006, 1939 (1945), das von „fundamentalen Staatszwecken der Sicherheit und des
Schutzes der Bevölkerung“ spricht.
681 BVerfG 111, 147 (158).
682 Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 55ff.
683 Zum Begriff der Staatszielbestimmung s. Klein, DVBl. 1991, 729 (733) m.w.N.: Danach sind
Staatszielbestimmungen „Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der
Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben - sachlich
umschriebene Ziele - vorschreiben“.
684 Isensee, in: HdbStR IV, § 73, Rdnr. 40; Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 73ff.;
Horn, in: FS f. Schmitt Glaeser, S. 443; Limbach, Kollektive Sicherheit, S. 5.
685 Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 82.
686 Isensee, in: HdbStR IV, § 71, Rdnr. 78.
687 Zur Bindungswirkung einer Staatszielbestimmung s. statt Vieler Badura, in: HdbStR VII, §
159, Rdnr. 15.
180
Schutzniveau sowie die zu ihrer Umsetzung einzusetzenden Mittel dagegen offen.688
Sie wirkt insofern lediglich im Sinne einer objektiv-rechtlichen Aufgabennorm,
vermag als solche aber keine subjektiven Ansprüche des Einzelnen gegen den Staat
begründen.689
b) Die Figur der verfassungsrechtlich gebotenen staatlichen Schutzpflicht
Teilweise darüber hinaus gehend wird der Sicherheit des Weiteren über die Figur
der staatlichen Schutzpflicht Verfassungsrang verliehen. Von der Judikatur in ihrer
Entwicklung angestoßen und trotz zum Teil unterschiedlicher dogmatischer Herleitung im Kern mittlerweile weitestgehend allgemein anerkannt, nimmt die Lehre von
den staatlichen Schutzpflichten eine Pflicht der öffentlichen Gewalt an, jeden Bürger
vor staatlicher oder privater Verletzung seiner Rechtsgüter zu schützen.690 Über die
ausdrücklich im Grundgesetz verankerten Schutzpflichten der Art. 1 Abs. 1 Satz 2,
Art. 6 Abs. 1, 2 und 4 und Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG hinaus, hat das BVerfG in seinem Urteil zur gesetzlichen Freigabe der Abtreibung im Rahmen der Fristenlösung
erstmals unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unter zusätzlicher Heranziehung
des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG die Pflicht des Staates abgeleitet, jedes menschliche
Leben zu schützen. Danach verbiete die umfassende Schutzpflicht des Staates nicht
nur unmittelbare Eingriffe in das Leben, vielmehr gebiete sie ihm auch, sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen und es vor rechtswidrigen Eingriffen
Dritter zu bewahren.691 Diese Judikatur in seinen nachfolgenden Urteilen bestätigend692, sieht das BVerfG und ihm folgend das überwiegende Schrifttum693 die
staatliche Schutzverpflichtung dogmatisch in den positivrechtlichen Grundrechtsnormen verankert, nämlich in der „objektiven Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und Richtlinien und
Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt“, und die den
Grundrechten neben ihrer klassischen Abwehrfunktion zukommt.694 Insoweit ist die
688 BVerfGE 59, 231 (263); Badura, in: HdbStR VII, § 159, Rdnr. 15; Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 74.
689 Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 75.
690 S. dazu aus der Rspr. vgl. BVerfGE 39, 1 (41ff.); 46, 160 (164); 49, 89 (141f.); 53, 30 (57f.);
56, 54 (73ff.); 77, 170 (214); 77, 381 (403); 79, 174 (201f.); 88, 203 (251ff.); 90, 145 (195);
BVerfG, 1 BvR 357/05 vom 15.2.2006, Absatz-Nr. 120; BVerfG NJW 2006, 1939 (1942);
aus dem Schrifftum vgl. Stern, in: ders., Staatsrecht III/1, S. 943ff.; Isensee, in: HdbStR V, §
111, Rdnr. 77ff.; Klein, NJW 1989, 1633; Dietlein, Schutzpflichten; Klein, DVBl. 1994, 489
jeweils m.w.N.; kritisch Preu, JZ 1991, 265.
691 BVerfGE 39, 1 (42).
692 S. die Nachweise in Fn. 674.
693 Zur dogmatischen Verankerung der Schutzpflichten im objektiv-rechtlichen Gehalt der
Grundrechte s. die ausführliche Darstellung bei Dietlein, Schutzpflichten, S. 51ff. m.w.N.;
vgl. Stern, in: ders., Staatsrecht III/1, S. 947ff. und Calliess, in: HdbGR II/1, § 44, Rdnr. 9ff.
jeweils m.w.N. zu abweichenden dogmatischen Konstruktionen.
694 BVerfGE 39, 1 (41) m.w.N.
181
Schutzpflicht nicht auf die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Grundrechtsgüter zu beschränken, sondern auf alle übrigen durch das Grundgesetz in den Grundrechten gewährleisteten Rechtsgüter zu erstrecken, deren Unversehrtheit der Staat in
seiner Funktion als Ordnungs- und Friedensmacht zu sichern hat.695 Denn in der
Gesamtheit dieser Freiheitsverbürgungen ist die durch das Grundgesetz geschützte
objektive Wertordnung zu erblicken.696 Die Pflicht des Staates, die Grundrechte
zugleich zu achten und zu schützen, sind danach zwei Aspekte der Grundrechtsgewährleistungen, denen insofern der gleiche verfassungsrechtliche Rang zukommt.697
In ihrer Reichweite richten sich diese Schutzpflichten auf die Abwehr von Angriffen und Gefährdungen, die dem grundrechtlichen Schutzgut durch andere Grundrechtsträger bzw. durch nichtdeutsche Träger hoheitlicher Gewalt, insbesondere
auswärtige Staaten, drohen.698 Jüngst wurde des Weiteren die Pflicht der deutschen
Staatsgewalt, das Ausland vor der Realisierung von Gefahren zu schützen, die im
Inland entstehen, betont.699 Inhaltlich hat sich die Schutzpflicht am wirksamen
Schutz des grundrechtlichen Schutzguts auszurichten, verpflichtet die öffentliche
Gewalt also zu Maßnahmen, die geeignet sind, Eingriffe Dritter abzuwehren.700 Da
regelmäßig verschiedene Schutzmöglichkeiten bestehen, kommt den staatlichen
Organen bei der Umsetzung der Schutzpflicht allerdings ein weiter Einschätzungs-,
Wertungs- und Gestaltungsspielraum, der auch Raum lässt, etwa konkurrierende
öffentliche und private Belange zu berücksichtigen, zu.701 Zu orientieren hat sich die
staatliche Schutzgewährleistung allein am aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fließenden Untermaßverbot, wonach der staatliche Schutz grundsätzlich nicht
hinter einem verfassungsrechtlich gebotenen Mindeststandard zurückbleiben darf.702
Klarzustellen bleibt in diesem Zusammenhang, dass die grundrechtlichen Schutzpflichten den Staat, insbesondere den Gesetzgeber, normativ zunächst nur dazu
verpflichten, die Rechtsordnung objektiv-rechtlich so zu gestalten, dass in ihr und
durch sie die Grundrechte wirksam geschützt sind.703 Das bedeutet zugleich, dass bei
der Verwirklichung der Schutzpflichten der Staat auch die Freiheitsrechte möglicher
Störer zu achten hat. Die Schutzpflichten verpflichten den Staat mit ihrer Verankerung im objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte insofern zunächst lediglich
dazu, einen Zustand herzustellen, in dem die grundrechtlichen Schutzgüter aller
Grundrechtsträger in einen angemessenen Ausgleich gebracht sind. Sie stellen inso-
695 Grundlegend dazu Isensee, Grundrecht auf Sicherheit.
696 Klein, DVBl. 1994, 489 (491).
697 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 33.
698 Dietlein, Schutzpflichten, S. 102ff.; Klein, DVBl. 1994, 489 (490) jeweils m.w.N.
699 S. dazu OVG Koblenz NVwZ 2002, 1528 (1528); VG Mainz, DuD 2002, 303 (305); Bausback, BayVBl. 2002, 713 (721).
700 BVerfGE 52, 214 (221); Klein, NJW 1989, 1633 (1637).
701 BVerfGE 77, 170 (214f.); 77, 381 (405); 79, 174 (202); 92, 26 (46); BVerfG, 1 BvR 357/05
vom 15.2.2006, Absatz-Nr. 138.
702 BVerfGE 88, 203 (254); BVerfG NJW 1995, 2343; Isensee, HdbStR V, § 111, Rdnr. 165f.
m.w.N.; kritsch hierzu Hain, DVBl. 1993, 982.
703 Klein, DVBl. 1994, 489 (491).
182
weit lediglich Aufgabennormen im Sinne von objektiv-rechtlichen Verfassungsdirektiven704 dar, gewähren selbst unmittelbar dagegen keine Befugnisse zu Eingriffen
in Grundrechte Dritter.705 Eingriffslegalisierende Rechtswirkung kommt allein den
von der Legislative in Erfüllung der staatlichen Schutzaufgabe erlassenen Normen
zu. Diese wiederum stellen sich als einen die klassische Abwehrfunktion der Grundrechte auslösenden Eingriff in die Freiheit des Störers dar und unterliegen dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.706 Demgemäß ist ein angemessener Ausgleich in
dem durch das Untermaßverbot und das Übermaßverbot gezogenen Rahmen zu
suchen. Damit wird an dem herkömmlichen Verständnis der Grundrechte als Freiheitsrechte festgehalten, wonach nicht die Ausübung der Freiheit, sondern ihre Beschränkung rechtfertigungsbedürftig ist, mag sie auch dem Schutz der Freiheitsrechte anderer dienen.707
Insoweit, also in der hier angesprochenen Dimension der staatlichen Schutzpflichten als objektiv-rechtliche Verfassungsdirektiven, ist der Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten zuzustimmen. Sie stellt der auf staatliche Passivität
ausgerichteten klassischen Funktion der Grundrechte als subjektive Abwehrrechte
gegen den Staat einen auf Aktivierung des Staates angelegten, allerdings rein objektiv-rechtlich wirkenden Grundrechtsschutz an die Seite. Staatliche Schutzpflichten
stehen mit der Legitimationsgrundlage und dem Zweck des Staates insofern im
Einklang, als sie als Vorbedingung jeglicher freiheitlicher Grundrechtsausübung
eine Gesamtordnung der Sicherheit schaffen. Die Lehre von den grundrechtlichen
Schutzpflichten stärkt insofern letztlich die Grundrechte als Freiheitsrechte und steht
damit in der Tradition eines liberalen Staats- und Verfassungsverständnisses wie es
dem Grundgesetz zugrunde liegt. Sie stellt die dogmatisch notwendige Konstruktion
dar, um der Staatsaufgabe und Staatszielbestimmung Sicherheit inhaltliche Konturen
dergestalt zu geben, dass sich der Schutzauftrag des Staates auf die den Grundrechten zugrunde liegenden Rechtsgüter bezieht.708 Insoweit erlangt der Sicherheitszweck im Verfassungsgefüge einen Rang, der mit dem der Freiheit ebenbürtig ist.
Ein Widerspruch zur Freiheit des Einzelnen ist nicht zu befürchten, soweit die
Schutzpflichten im Sinne objektiv-rechtlicher Schutzaufträge des Staates für die
grundrechtlich geschützten Rechtsgüter, nicht aber als eingriffslegalisierende Befugnisnormen verstanden werden. Denn insoweit sind sie lediglich ein der individuellen Entfaltung notwendig vorgelagerter Aspekt der Freiheit. Der Verfassungswert
Sicherheit kann insofern als Teilausschnitt der den freiheitlichen Grundrechten
zugrunde liegenden Rechtsgüter verstanden werden.709
704 Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 86.
705 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 42; Preu, JZ 1991, 265 (266); Dietlein, Schutzpflichten, S. 67ff.; Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 70 jeweils m.w.N.; Limbach, Kollektive Sicherheit, S. 5; in Richtung eingriffslegaliserender Befugnisnormen BVerwGE 82,
76 (82f.); BVerfG NJW 1989, 3269 (3270); Stern, in: ders., Staatsrecht III/1, S. 723ff.
706 So ausdrücklich BVerfGE 49, 24 (58).
707 So auch Dietlein, Schutzpflichten, S. 68f.; dies verkennend HessVGH, JZ 1990, 88 (89).
708 So auch Isensee, in: HdbStR V, § 111, Rdnr. 84.
709 Ähnlich auch Calliess, ZRP 2002, 1 (6ff.); Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 53.
183
c) Das „Grundrecht auf Sicherheit“?
Ein Gegensatz zu den grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen vermag aber in der
Lehre der grundrechtlichen Schutzpflichten gleichwohl angelegt sein.710 Denn der
Staatsaufgabe und Staatszielbestimmung Sicherheit werden, indem ein Bezug zu den
Grundrechten hergestellt wird, die grundrechtlichen Schutzgüter als verfassungsrechtliches Substrat gegeben.711 Darin liegt die entscheidende Leistung, aber auch
die Gefahr der Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten. Während der
Staatsaufgabe und Staatszielbestimmung Sicherheit zunächst allein objektivrechtliche Funktion zukommt, findet sie über die grundrechtlichen Schutzpflichten
nunmehr ihren Gegenstand in den individuellen Rechtsgütern und gibt den Weg frei,
aus dem objektiv-rechtlichen Schutzauftrag nunmehr darüber hinaus einen subjektiven Schutzanspruch des Einzelnen abzuleiten712, den einzuschränken wiederum
besonderer Rechtfertigung bedürfte.
Ob der aus den objektiv-rechtlichen Gehalten der Grundrechte fließenden staatlichen Schutzpflicht ein entsprechendes subjektives Recht des Einzelnen im Sinne
eines (im Wege der Verfassungsbeschwerde) justiziablen Anspruchs auf Sicherheitsgewährleistung durch den Staat entspricht, ist insofern umstritten. Das BVerfG
hat die Möglichkeit subjektiv-grundrechtlicher Schutzansprüche des Einzelnen gegen den Staat im Grundsatz bejaht. Nach Auffassung des Gerichts verletze der Staat
mit Verletzung seiner objektiven Schutzpflicht zugleich den Schutzgebührendem in
seinem subjektiven Grundrecht.713 Eine Verletzung der Schutzpflichten sieht das
Gericht dann als gegeben an, wenn der Staat seiner Schutzpflicht gar nicht oder nur
in evident unzureichender Weise nachkomme.714 In diesen Einzelfällen könnten sich
nach Auffassung des Gerichts die staatlichen Schutzpflichten derart verdichten, dass
der Einzelne von Verfassungs wegen ein staatliches Handeln einzuklagen berechtigt
sei. Insoweit misst sich das Gericht das Recht zu, über die eingesetzten Mittel und
das angestrebte Schutzniveau zu befinden.715 Das BVerfG bejaht folglich - wenn
auch mit einer gewissen Zurückhaltung - bei einem Verstoß gegen die zunächst rein
objektiv-rechtlich wirkende Rechtspflicht der Sicherheitsgewährleistung ein subjektives Recht des Einzelnen auf Schutz. Die Auffassung der Judikatur wird von einem
Teil der Literatur716 geteilt, die - mit zum Teil unterschiedlichen Nuancen hinsichtlich der dogmatischen Begründung717 - ein „Grundrecht auf Sicherheit“ postuliert
710 Dazu ausführlich Preu, JZ 1991, 265.
711 Isensee, in: HdbStR V, § 111, Rdnr. 84.
712 Ebd.
713 BVerfGE 77, 170 (214).
714 BVerfGE 77, 170 (214f.); 92, 26 (46).
715 Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 78.
716 S. vor allem Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 410ff.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 144ff.; Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 84ff.
717 Vgl. zu den verschiedenen Ansätzen des Schrifttums und zur kritischen Auseinandersetzung
mit diesen Dietlein, Schutzpflichten S. 154ff.
184
und teleologisch mit der Erwägung stützt, dass die in den Grundrechten wurzelnde
Schutzpflicht des Staates gerade im Interesse des Einzelnen bestehe, zu ihrer Verwirklichung ein einklagbares Recht des Grundrechtsträgers demnach wesensnotwendig sei.718 Den Schutzpflichten als ursprünglich rein objektiv-rechtliche Verfassungsdirektiven wird insofern die Wirkkraft subjektiver Rechtszuweisungen verliehen.719
Dies ist in Übereinstimmung mit einem nicht unerheblichen Teil des Schrifttums720 kritisch zu betrachten, ebnet die Anerkennung einer subjektiv-rechtlichen
Seite staatlicher Schutzpflichten doch den Weg für ein Verfassungsverständnis, das
die staatliche Sicherheitsgewährleistung übermäßig, nämlich auf Kosten der Freiheitsrechte, betont. Denn ein individuelles „Grundrecht auf Sicherheit“ verpflichtet
den Staat als Grundrechtsadressaten letztlich zu Eingriffen in Freiheitsgrundrechte
des Störers. Insbesondere die Annahme eines aus den grundrechtlichen Schutzpflichten abgeleiteten subjektiven „Grundrechts auf Sicherheit“ als „Summe der
schutzrechtlichen Gewährleistungen“721 ist damit grundsätzlich mit der Gefahr verbunden, die Erfüllung der staatlichen Schutzpflichten vom Vorbehalt des Gesetzes
zu lösen und den Grundrechten letztlich den Charakter eingriffslegitimierender Befugnisnormen zuzumessen. Während die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur diesen Weg bislang nicht beschreitet, die Verwirklichung des
subjektiven Schutzanspruches vielmehr allein über eingriffslegalisierende Gesetze
vermitteln möchte722, wird vereinzelt den grundrechtlichen Schutzpflichten selbst
eingriffslegalisierende Wirkung zugeschrieben.723 Die Grundrechte als Quelle staatlicher Schutzpflichten und subjektiver Schutzansprüche stellten förmliche Gesetze
dar, die hinsichtlich ihrer Geltungsstufe den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts
genügten. Zweifel bestünden allein daran, ob die grundrechtlichen Eingriffsnormen
den Anforderungen des Gesetzesvorbehaltes hinsichtlich Klarheit, Bestimmtheit und
Justiziabilität Rechnung trügen.724
Diese Auffassung steht mit dem herkömmlichen Freiheitsanliegen des Grundrechtsgefüges aber im Widerspruch und ist abzulehnen. Die Träger der Grundrechte
würden somit nämlich zu „Grundpflichtadressaten“ des vom Staat zu gewährleistenden „Grundrechts auf Sicherheit“.725 Dies verstrickt die Grundrechte in einen
718 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 135; Stern, in: ders., Staatsrecht III/1, S. 987ff.;
Klein, NJW 1989, 1633 (1637); Horn, in: FS f. Schmitt Glaeser, S. 443; Calliess, ZRP 2002,
1 (6).
719 Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 86.
720 Kniesel, ZRP 1996, 482 (486); Fritsche/Eisvogel, ZFIS 1998, 195 (212f.); Gusy, Polizeirecht,
Rdnr. 74ff.; ders., VVdStRL 63 (2004), 151 (169); Hassemer, in: FG f. Büllesbach, S. 233;
Albrecht, KritV 86 (2003), 125 (128f.).
721 Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 84.
722 S. insbesondere BVerfGE 77, 170 (214f.); 92, 26 (46); Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S.
42ff.; Dietlein, Schutzpflichten S. 67ff. m.w.N.
723 Stern, in: ders., Staatsrecht III/1, S. 723ff.; ebenfalls in Richtung eingriffslegaliserender
Befugnisnormen tendierend BVerwGE 82, 76 (82f.); BVerfG NJW 1989, 3269 (3270).
724 Stern, in: ders., Staatsrecht III/1, S. 723.
725 Denninger, KJ 21 (1988), 1 (13).
185
Selbstwiderspruch und führt letztlich zur Relativierung aller individuellen Freiheit.726 Jedenfalls ein allgemeines „Grundrecht auf Sicherheit“, das über ein in engen
Schranken gewährleistetes und an den Vorbehalt des Gesetzes gebundenes Recht auf
Schutz einzelner, konkreter Rechtsgüter hinausgeht, läuft der Konzeption des
Grundgesetzes als Ausdruck eines liberalen Rechtsstaates zuwider und ist dogmatisch nicht überzeugend begründbar. Staatliche Schutzpflichten bestehen gemäß
ihrer dogmatischen Verankerung in den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten
vornehmlich im Interesse des Gemeinwesens an der Gewährleistung öffentlicher
Sicherheit als einem Zustand, in dem sich jeder Einzelne frei und ungestört entfalten
kann. Ihnen kommt insofern zuvörderst eine bloß objektiv-rechtliche Funktion zu,
nicht aber ein subjektiver Gehalt im Sinne eines einklagbaren Anspruchs des Einzelnen gegen den Staat auf unmittelbar in Freiheitsrechte des Dritten eingreifende
Tätigkeit. Grundrechtliche Schutzpflichten dienen lediglich dazu, der Staatsaufgabe
und Staatszielbestimmung Sicherheit ein verfassungsrechtliches Substrat zu verleihen, das eine ranggleiche Abwägung mit den Freiheitsrechten ermöglicht. Dies darf
aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der so begründete Verfassungswert Sicherheit seiner Legitimation und Begründung nach der Freiheit dient und sich nicht über
sie stellen oder gar gegen sie richten kann. Die Ausübung von Freiheit unterliegt
nach der Konzeption des Grundgesetzes keinem Rechtfertigungszwang.727 Ein solcher darf auch nicht über die Weiterentwicklung der grundrechtlichen Schutzpflichten zu einem eingriffslegalisierenden „Grundrecht auf Sicherheit“ begründet werden.
Die Annahme eines so verstandenen „Grundrechts auf Sicherheit“ schießt über
das Ziel, einen Zustand der Sicherheit im Sinne eines Ausgleichs der kollidierenden
Freiheitsrechte der Bürger durch Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung, durch
„Grundrechts-Koordination“728, zu gewährleisten, hinaus. Dies ist vornehmlich
Aufgabe des Gesetzgebers und der vollziehenden Gewalt, die bei ihrer Tätigkeit die
Grundrechte dergestalt zu achten und zu sichern haben, dass sich ihr Handeln im
Rahmen des durch Unter- und Übermaßverbot definierten Zulässigen halten muss.729
Die Gewährleistung von Sicherheit ist insofern eine vorrangig rahmenausgestaltende
Tätigkeit, die den Grundrechten aller dient. Dies kann durch vielfältigere Weise
geschehen als allein durch Beschränkungen der Freiheitsrechte. Etwa kann eine auf
Integration, Dialog und soziale Teilhabe ausgerichtete Politik, die die Ursachen von
Kriminalität und Gewalt im Kern zu bekämpfen versucht, Sicherheit und inneren
Frieden möglicherweise effektiver gewährleisten, als ein auf staatliche Restriktion
und Repression setzendes Vorgehen. Freiheit dagegen kann grundsätzlich allein
dadurch gewährleistet werden, dass sich der Staat Eingriffen in die Grundrechte
möglichst enthält. Individuelle Schutzansprüche, die den Staat zu unmittelbaren
Eingriffen in Grundrechte Dritter legitimieren, drohen den Staat insoweit einseitig
726 Gusy, Polizeirecht, Rdnr. 74.
727 So auch Kniesel, ZRP 1996, 482 (484) m.w.N.; Fritsche/Eisvogel, ZFIS 1998, 195 (212);
Gusy, VVDStRL 63 (2004), 151 (181).
728 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 46.
729 So auch Horn, in: FS f. Schmitt Glaeser, S. 451.
186
auf die Sicherheitsbedürfnisse Einzelner zu verpflichten und den objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte im Sinne einer übergreifenden Wertordnung des
Gemeinwesens zu vernachlässigen.
Die Gewährleistung von Sicherheit ist damit fundamentaler Staatszweck, der
Schutz individueller und gemeinschaftlicher Rechtsgüter Aufgabe und Zielbestimmung einer rechtsstaatlichen Gemeinschaft. Der Verfassungswert Sicherheit bleibt
insofern vornehmlich auf seine objektiv-rechtliche Bedeutung für das Gemeinwesen
beschränkt. Ein darüber hinausgehender subjektiv-rechtlicher Anspruch auf Sicherheit ist nur in engen Grenzen anzuerkennen, ein „Grundrecht auf Sicherheit“, das die
Erfüllung staatlicher Schutzpflichten vom Vorbehalt des Gesetzes entbindet, ist
abzulehnen.
2. Das Rangverhältnis von Freiheit und Sicherheit
Im Folgenden bleibt zu untersuchen, ob der insoweit anerkannte Verfassungswert
Sicherheit in eine ranggleiche Abwägung mit dem Verfassungswert Freiheit gebracht werden muss, oder aber, ob einem der beiden von Verfassungs wegen höherer
Rang beigemessen werden kann. Teilweise klang diese Fragestellung bereits im
Rahmen der vorstehenden Erörterung an, ihr soll aber aufgrund der besonderen
Auswirkungen der jüngsten terroristischen Bedrohung auf das Gemeinwesen, von
dem die Sicherheitsaufgabe ihre verfassungsrechtliche Legitimation erhält, noch
einmal genauer nachgegangen werden.
a) Das klassische Verständnis der Freiheitsrechte als Abwehrrechte gegen den Staat
und der herkömmliche Grundsatz „in dubio pro libertate“
Das Wertsystem des Grundgesetzes, in dem die Menschenwürde oberstes Prinzip ist,
findet seinen Mittelpunkt in der sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde.730 Menschenwürde und Freiheit kommen dem Einzelnen schon in naturrechtlicher Ableitung als Mensch zu und
bedürfen nicht erst der staatlichen Anerkennung. Unsere freiheitliche demokratische
Grundordnung ist insofern auf den Einzelnen und seine Grundrechte ausgerichtet.731
Sie schreibt den Vorrang des Einzelnen vor dem Staat fest und weist der öffentlichen Gewalt eine dienende Funktion zu.732 Grundgesetzlicher Freiheitsschutz bezweckt aber nicht nur den Schutz des Individuums, sondern dient gleichermaßen der
Verwirklichung demokratischer Mitwirkungsrechte und insoweit einer pluralen und
offenen Gesellschaftsordnung. Die Verfassung schützt die Freiheit des Einzelnen
730 S. nur BVerfGE 5, 85 (204ff.); 7, 198 (205).
731 S. nur BVerfGE 5, 85 (204ff.); 7, 198 (204); 12, 45 (51, 53).
732 S. nur BVerfGE 5, 85 (205); 7, 198 (205); Kniesel, ZRP 1996, 482 (484); Fritsche/Eisvogel,
ZFIS 1998, 195 (212).
187
insofern als „Voraussetzung eines demokratischen Gemeinwesens und als verfassungsrechtliches Legitimationssubjekt“733. Freiheit ist damit Voraussetzung und
Ausfluss sowohl des Rechtsstaats- als auch des Demokratieprinzips. Dabei sind
Rechtsstaats- und Demokratieprinzip zwar grundsätzlich eigenständige Strukturgarantien, die auch jeweils ohne die andere zu verwirklichen sind, doch begrenzen sich
Rechtsstaat und Demokratie in einem Gemeinwesen, das beide Prinzipien zur seiner
Grundlage macht, grundsätzlich gegenseitig.734
Freiheit ist im liberalen und demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes daher
umfassend in dem Sinne zu verstehen, dass erste und letzte Bedingung jeglicher
Staatstätigkeit stets die Gewährleistung von Freiheit ist und sich an dieser auszurichten hat. Daraus erklärt sich, dass nicht der Freiheitsgebrauch des Einzelnen rechtfertigungsbedürftig ist, sondern die Freiheitsbeschränkung durch den Staat.735 Zwar
können Sicherheitsaspekte den Freiheitsgebrauch des Einzelnen einschränken, doch
ist jede Beschränkung der prinzipiell unbeschränkten Freiheit einer durchgehenden
Rechtfertigungslast unterworfen. Im Sinne dieser klassischen Konzeption der
Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat wurde herkömmlich dem Grundgesetz ein abstrakter Vorrang der Freiheit vor Sicherheitsbelangen entnommen, nach
dem die Abwägung von Freiheit und Sicherheit im Sinne eines Grundsatzes „in
dubio pro libertate“ aufzulösen sei.736
b) Vom Grundsatz „in dubio pro libertate“ zum Grundsatz „in dubio pro securitate“?
aa) Sicherheit als Voraussetzung von Freiheit
Allerdings ist unter Rückbesinnung auf die Legitimationsgründe des Staates Sicherheit als wesensnotwendige Bedingung und insofern Voraussetzung von Freiheit
anzusehen. Daher greift ein einseitiges Verfassungs- und Grundrechtsverständnis
zugunsten der Freiheit zu kurz.
Dementsprechend verweist die Judikatur bei der Frage nach dem Rangverhältnis
von Freiheit und Sicherheit auf die Janusköpfigkeit des Rechtsstaatsprinzips und
betont, dass gewisse Gegenläufigkeiten der beiden Prinzipien im Rechtsstaatsprinzip
selbst angelegt seien.737 Insofern geht das BVerfG von einer prinzipiellen Gleichwertigkeit der Verfassunsgswerte aus.738 Danach stellt das Gericht zum einen die
Sozialpflichtigkeit der Freiheit in Sachen Sicherheit heraus, wonach der Einzelne
733 Lepsius, Leviathan 2004, 64 (71).
734 Grundlegend zum Verhältnis von Rechtsstaat und Demokratie Wolff, in: FS f. Quaritsch, S.
73ff.
735 Schlink, EuGRZ 1984, 457 (467); Kniesel, ZRP 1996, 482 (484) m.w.N.; Fritsche/Eisvogel,
ZFIS 1998, 195 (212); Gusy, VVDStRL 63 (2004), 151 (181).
736 Dürig, AöR 79 (1953/1954), 57 (62f.); Schlink, EuGRZ 1984, 457 (467).
737 BVerfGE 57, 250 (276).
738 So ausdrücklich BVerfGE 49, 24 (56); jüngst BVerfG NJW 2006, 1939 (1942).
188
Belastungen seiner Freiheit, die sich aus der staatlichen Wahrung hochrangiger
Sicherheitsinteressen ergeben, als ihn treffende Last zu tragen habe.739 Zum anderen
betont das Gericht gerade in jüngster Zeit, dass der Staat auch bei der Erfüllung
seines Auftrages zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische
Grundordnung, also bei der Verfolgung des fundamentalen Staatszwecks der Sicherheit und des Schutzes seiner Bevölkerung die Regeln des Rechtsstaats zu beachten und auch den Umgang mit seinen Gegnern den allgemein geltenden Grundsätzen
zu unterwerfen habe.740 Insofern verlange die Verfassung vom Gesetzgeber, eine
angemessene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen.741
An der herausragenden Bedeutung von Freiheit ändert die Anerkennung der Sicherheit als Staatsaufgabe, Staatzielbestimmung und staatlichen Schutzauftrag mit
Verfassungsrang allein also noch nichts. Ihr Charakter als Staatsaufgabe, Staatszielbestimmung und Schutzauftrag weist lediglich die Gewährleistung von Sicherheit
als legitime staatliche Tätigkeit aus742, bei deren Vornahme der Staat an die rechtsstaatlichen Mittel gebunden ist und insbesondere Eingriffe in die Freiheitsrechte
Dritter nur aufgrund gesetzlicher Ermächtigung im Rahmen des Verhältnismäßigen
vornehmen darf. Bedeutung erlangt der Verfassungsrang der Sicherheit aber im
Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung, indem Sicherheit mit dem Bezug auf
die grundrechtlichen Rechtsgüter nunmehr ein Wert zugeschrieben wird, der - da
Teilausschnitt derselben - eine ranggleiche Abwägung der Sicherheit mit den grundrechtlich verbürgten Freiheitsrechten ermöglicht.743 Die Anerkennung des Verfassungsrangs des Sicherheitszwecks führt demnach zwar zunächst nicht dazu, dem
Grundgesetz einen prinzipiellen Vorrang der Sicherheitsgewährleistung gegenüber
der Freiheitsverbürgung entnehmen zu wollen, er verschiebt aber jedenfalls das
Gewicht der Abwägung im Vergleich zum überkommenen Verfassungsverständnis
zu Lasten der Freiheit. Stehen sich Sicherheit und Freiheit nämlich grundsätzlich
ranggleich gegenüber, kann auch der Freiheit kein stärkeres Gewicht im Rahmen der
Verhältnismäßigkeitsprüfung zugesprochen werden.744 An dem klassischen Verständnis der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat und einem in diesem
angelegten abstrakten Rangverhältnis zugunsten der Freiheit im Sinne eines Grundsatzes „in dubio pro libertate“ kann mit Anerkennung des Verfassungsrangs der
Sicherheit, insbesondere mit der Verankerung staatlicher Schutzpflichten in den
objektiv-rechtlichen Gehalten der Grundrechte insofern nicht mehr uneingeschränkt
festgehalten werden. Die ausschließlich abwehrrechtliche Verfassungsdogmatik ist
dementsprechend weithin einer differenzierten Sichtweise gewichen, die die Balance
739 BVerfG NJW 1971, 275 (279); jüngst ähnlich BVerfG, 1 BvR 668/04 vom 27.7.2005, Absatz-Nr. 136.
740 BVerfG NJW 2004, 2814 (2816); BVerfG NJW 2006, 1939 (1945).
741 BVerfG NJW 2006, 1939 (1945).
742 Möstl, Öffentliche Ordnung und Sicherheit, S. 70.
743 S. dazu jüngst BVerfG NJW 2006, 1939 (1942) unter Bezug auf BVerfGE 49, 24 (56f.).
744 Möstl, Öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 72.
189
zwischen Freiheit und Sicherheit im Sinne praktischer Konkordanzen auszutarieren
versucht.745
Bisweilen wird darüber hinausgehend auf die elementare Bedeutung der Sicherheitsgewährleistung für die Freiheitsverwirklichung verwiesen. Da ohne Sicherheit
die Freiheitsverbürgung des Grundgesetzes nicht mit Leben erfüllt werden könne,
förderten alle sicherheitsgewährleistenden Maßnahmen zugleich die Freiheitsentfaltung. Sie stellten damit einen Zugewinn an Freiheit selbst für denjenigen dar, der
durch die staatliche Schutzmaßnahme in seinem Freiheitsrecht eingeschränkt
wird.746 Mit diesem Staats- und Grundrechtsverständnis lassen sich letztlich alle
freiheitsbeschränkenden Maßnahmen rechtfertigen und läuft die Ansicht daher in
letzter Konsequenz auf die Annahme eines abstrakten Vorrangs der Sicherheit vor
der Freiheit hinaus.
Ob dem Sicherheitszweck eine generelle Präferenz im Sinne eines Grundsatzes
„in dubio pro securitate“ zugemessen werden kann, erlangt insbesondere angesichts
sich verändernder Bedrohungslagen eine neue Bedeutung. Eine solche Sichtweise
zeichnet sich zunehmend, wie zuvor dargestellt, in der jüngeren Gesetzgebungsgeschichte ab. Ausgeschlossen ist ein solches Verfassungsverständnis nicht von vornherein. Denn ist Sicherheit als elementare Vorbedingung von Freiheit anzusehen, so
wird durch einen Zustand der Unsicherheit, in der sich aus Angst vor Übergriffen
Dritter kein Bürger mehr frei bewegen und sich ungestört entfalten kann, die liberale
Grundordnung in ihren Grundsätzen in Frage gestellt und droht der Staat seine Legitimation zu verlieren. In einem solchen Fall wäre es zuvörderste Aufgabe des Staates, eine Gesamtordnung herzustellen, auf deren Grundlage sich Freiheit wieder
entfalten kann. Dies dürfte unbestritten sein, folgt dies doch bereits aus der Rechtfertigung des Staates, dem Zweck und Motiv seiner Entstehung. Zielen Bestrebungen
Dritter auf die Schaffung eines solchen „Angstzustandes“, richten sie sich also gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung insgesamt, so ist es ebenfalls
Aufgabe des Staates, diesen bereits in ihren Anfängen mit allen ihm zur Verfügung
stehenden Mitteln entschieden entgegenzutreten. In dem Sinne, dass Schutz des
Lebens und die Gewährleistung gewaltfreier Verhältnisse die Mindestanforderungen
an den Staat sind, könnte sich insoweit ein Vorrang des Sicherheitszwecks befürworten lassen, als der Staat als erstes die Aufgabe der Sicherheit erfüllen und stets
neu verteidigen muss, bevor er sich um andere Dinge wie etwa die Ausgestaltung
der individuellen Freiheiten kümmert.747 Insoweit könnte das Verhältnis von Freiheit
und Sicherheit abstrakt zugunsten der Sicherheit aufzulösen sein. Dem ist im Folgenden nachzugehen.
745 S. statt Vieler Götz, in: HdbStR III, § 79, Rdnr. 24.
746 So das Sondervotum der Richterin Haas zum Rasterfahndungsurteil des BVerfG, NJW 2006,
1939 (1950).
747 In diesem Sinne etwa Brugger, Freiheit und Sicherheit, S. 67.
190
bb) Die qualitativ neue Bedrohungslage
Als ein dem obigen Sinne entsprechender „Fundamentalangriff auf Staat und
Rechtsstaat“748 wird zuweilen die terroristische Gewalt, insbesondere in Gestalt des
islamistischen Terrors der Gegenwart angesehen. Zutreffend ist, dass sich der Terrorismus seinem Angriffsziel nach gegen den Staat an sich, seine Kultur, Sinngebung
und Wertordnung richtet, ihn seiner Handlungsfähigkeit zu berauben und ihn in
seiner Existenz zu erschüttern beabsichtigt.749 Um dies zu erreichen, missachtet er
die Rechts- und Friedensordnung, sowie als deren elementarste Grundlage das Gewaltmonopol des Staates.750 Terrorismus an sich ist für Europa und auch für die
Bundesrepublik Deutschland keine neuartige Bedrohung für die innere Sicherheit.
Insoweit sei nur an den linksextremistischen Terrorismus, wie er insbesondere durch
die Rote Armee Fraktion (RAF) von 1968 bis zu deren Auflösung 1998 verübt wurde und seinen traurigen Höhepunkt 1977 mit der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer und der Entführung der Lufthansamaschine „Landshut“ erreichte,
erinnert.751
Eine neue Qualität erreicht allerdings der religiös motivierte Terror radikaler Islamisten, wie er in den vergangenen Jahren in Erscheinung getreten ist. Während zu
den Zielen des bislang herkömmlichen Terrorismus, insbesondere des linksextremistischen Terrors der RAF, ausgewählte Personen des Politik- und Wirtschaftslebens
gehörten, richtet sich der „neue“ Terrorismus allgemein gegen sowohl private als
auch staatliche Einrichtungen und gegen die Bevölkerung insgesamt. Die Auswahl
der Ziele erfolgt lediglich nach dem Ausmaß des anzurichtenden Schadens, der Zahl
der potentiellen Opfer und der Symbolträchtigkeit der Orte und Gebäude, ist darüber
hinaus aber völlig zufällig. Somit gerät potentiell jeder ins Visier der Attentäter,
weshalb als Folge kollektive Angst entsteht und entstehen soll.752 Ein neues Ausmaß
erreichen insoweit auch die angerichteten Schäden und die vom internationalen
Terrorismus ausgehenden Gefahren. Während sich früher etwa die Zahl der Opfer
noch in überschaubaren Grenzen hielt - so verlorenen durch den inländischen linksextremistischen Terrorismus von 1968 bis 1998 insgesamt 41 Personen753 ihr Leben
- reichen die Opferzahlen nunmehr leicht ins Hunderte bis Tausendfache.
Charakteristisch ist auch die Irrationalität und Unkalkulierbarkeit des „neuen“
Terrors. Während die äußerste Grenze herkömmlicher Terroristen bislang durch das
eigene Überleben bestimmt war, setzen sich die fundamental religiös motivierten
Täter regelmäßig selbst gezielt als Waffe ein und nehmen ihren Tod damit nicht nur
in Kauf, sondern sehen ihn als entscheidendes Mittel zum Zweck an. Eine bei der
Bekämpfung dieser Bestrebungen und der Gefahrenabwehr nutzbare, an den Prinzi-
748 Horn, in: FS f. Schmitt Glaeser, S. 444f.
749 Dies gilt zu einem gewissen Teil auch für die organisierte Kriminalität.
750 S. dazu auch Horn, in: FS f. Schmitt Glaeser, S. 444f.; Scholz, in: FS f. Meyer, S. 179f.
751 S. hierzu Klink, in: FS f. Herold, S. 65ff.
752 S. dazu auch Hetzer, StraFo 2006, 140 (143).
753 Klein, in: FS f. Herold, S. 80.
191
pien des Überlebens ausgerichtete Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit des terroristischen Handelns sowie die Möglichkeit rational bestimmter Verhandlungen gehen insoweit verloren. Insbesondere das Strafrecht vermag als Mittel zur Harmonisierung von Freiheit und Sicherheit nichts mehr auszurichten. Denn die abschreckende Wirkung der Strafandrohung läuft bei Suizidattentätern ins Leere.754
Organisatorisch tritt der „neue“ Terrorismus in teils abgeschotteten Terrorzellen,
teils in netzwerkartigen Strukturen auf. Die langfristigen Zielsetzungen und das
planmäßige Vorgehen sind gekennzeichnet durch eine ausgeprägte Logistik, überregionale bis globale Verflechtungen und eine stringente Geheimhaltung. Die Bekämpfung dieser Erscheinungsform des Terrorismus muss sich daher notwendig an
der Erforschung von Strukturen ausrichten, sieht sich aber durch die organisatorische Ausgestaltung der Terrorvereinigungen bei der Informationsbeschaffung mit
erheblichen Herausforderungen konfrontiert.755
Weitere Schwierigkeiten bei der Bekämpfung des „neuen“ Terrorismus bereitet
auch die besondere Figur des so genannten „Schläfers“. Da etwa der linksextremistische Terrorismus der RAF noch durch in der Illegalität lebende Personen verübt
wurde und bereits im Vorbereitungsstadium durch strafbare Verhaltensweisen, wie
etwa Banküberfalle als Form der Finanzierungskriminalität geprägt war, konnten
sich auch die Ansätze seiner Bekämpfung an diesen illegalen Verhaltensmustern
ausrichten. Den zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung berufenen Behörden waren Verdächtige bzw. ein bestimmtes soziales Umfeld bekannt, aus denen sich die
Täter noch relativ leicht ermitteln ließen. Das herkömmliche, auf konkrete Gefahren
und konkrete Verdachtslagen zugeschnittene Recht der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung versagt dagegen bei bloß diffusen Risiken durch Personen, die sich jahrelang legal verhalten haben, um dann überraschend und besonders wirkungsvoll
Terroranschläge zu begehen.756 Die Auswahl des am Grundsatz der Verhältnismä-
ßigkeit ausgerichteten geeigneten und gleichsam mildesten Mittels stößt dort an
seine Grenzen, wo die Mittel-Zweck-Relation noch gänzlich unbestimmt ist, weil
die Gefahr zwar spürbar, aber in ihrer Erscheinung noch völlig unbekannt und nicht
individualisierbar ist.757
Das überkommene Polizeirecht stößt beim internationalen Terrorismus insofern
an seine Grenzen. Daher ist es nicht verwunderlich und rechtsstaatlich zunächst
unbedenklich, wenn angesichts dieser neuen Herausforderungen des Polizeirechts
neue Strategien und rechtliche Instrumentarien gefordert werden. Lassen sich konkrete Gefahren und Verdachtslagen nicht ausmachen, so muss eine effektive Bekämpfung der Bedrohung notwendigerweise im Vorfeld gefahrgeneigter Situationen
ansetzen. Entziehen sich die Täter ihrer Verfolgung und Bestrafung durch ihre
Selbsttötung bei Ausführung der Anschläge, und verliert das Strafrecht insofern
754 Hoffmann-Riem, ZRP 2002, 497 (499).
755 Albers, in: Informatik bewegt, S. 82.
756 Hoffmann-Riem, ZRP 2002, 497 (499); Albers, in: Informatik bewegt, S. 82f.
757 Denninger, StV 2002, 96 (96).
192
seinen Sinn, muss anstelle der Strafverfolgung die Prävention treten.758 Dass Prävention auch im Rechtsstaat ein legitimes Anliegen ist, unterliegt keinem Zweifel und
bedarf keiner näheren Erörterung. Problematisch ist und bleibt allein das rechte
Maß.
cc) Antagonismus zwischen Rechtsstaat und Präventionsstaat?
Im Rahmen der Suche nach dem rechten Maß wird oftmals auf das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit hingewiesen, gar von einem Widerstreit des
Freiheits- und Schutzauftrages und insofern von einem Gegensatz zwischen Rechtsstaat und Präventionsstaat gesprochen.759 Ein solches Verständnis unterliegt allerdings zu oft der Versuchung, den vermeintlichen Widerspruch von Freiheit und
Sicherheit vorschnell zugunsten eines dieser beiden Prinzipien im Sinne eines Entweder-Oder aufzulösen. Jedenfalls der These von dem Antagonismus zwischen
Freiheit und Sicherheit ist insofern zu widersprechen. Nicht die Annahme eines
abstrakten Vorrangs der Freiheit vor der Sicherheit, und schon gar nicht die Annahme einer generellen Präferenz der Sicherheit vor der Freiheit werden dem Problem
gerecht bzw. sind mit dem staatstheoretischen Verständnis des Grundgesetzes vereinbar.
Zutreffend ist allerdings zunächst die so oft bemühte Behauptung, dass Sicherheit
Voraussetzung von Freiheit ist. In dieser auf Wilhelm v. Humboldt zurückgehenden
These ist Sicherheit aber im Sinne einer „Gewissheit der gesetzmäßigen Freiheit“ zu
verstehen.760 Als insofern der Freiheit vorgelagerte Bedingung dient Sicherheit dieser. Zwar ist es dem Staat nicht verwehrt, verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter auf Kosten anderer, ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestatteter Güter zu bewahren. Belange der Sicherheit können insofern die Freiheitsrechte einschränken.
Allerdings ist dabei stets von der verfassungsmäßigen Ordnung als Sinnganzem
auszugehen, und ist der Widerstreit zwischen den betroffenen Belangen nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit
dieses Wertsystems zu lösen.761 Dem grundgesetzlichen Wertsystem liegt aber gerade die Vorstellung zugrunde, dass Sicherheit nur eine dienende Vorbedingung der
Freiheit ist. Denn in einem auf Würde und Freiheit ausgerichteten liberalen und
demokratischen Rechtsstaat wie dem des Grundgesetzes ist Leben nicht nur im Sinne eines biologisch-physischen Zustands zu verstehen, sondern im Sinne einer „bio-
758 Zu dieser Einschätzung vgl. etwa nur Nehm, NJW 2002, 2665 (2670).
759 S. etwa Hassemer, Vorgänge 2002, 10 (10f.); Hirsch, Vorgänge 2002, 5 (8); Denninger, KJ
35 (2002), 467 (470); Hoffmann-Riem, ZRP 2002, 497 (500); Limbach, Kollektive Sicherheit,
S. 5; Düx, ZRP 2003, 189 (189); Schulze-Fielitz, in: FS f. Schmitt Glaeser, S. 409; Gusy,
VVDStRL 63 (2004), 151 (155); Hetzer, ZRP 2005, 132 (133); a.A. etwa Isensee, HdbStR V,
§ 111, Rdnr. 85.
760 v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, S. 118.
761 BVerfGE 49, 24 (56).
193
logisch-seelisch-geistigen Ganzheit“, die vornehmlich auf soziale Kommunikation
und freie Selbst- und Mitbestimmung angewiesen ist.762 Sicherheit als Schutz des
Lebens und der Lebensgrundlagen ist in diesem Sinne auch nicht verkürzt als Sicherung des Überlebens, sondern als Gewährleistung eines Zustandes zu begreifen, in
dem sich der Mensch als Träger von Würde und Freiheit und in seiner Rolle als
soziales Wesen finden und entfalten kann.
Sicherheitsbelange dürfen die Freiheitsrechte danach zwar im Einzelfall zur Herstellung eines die Freiheitsrechte zur Vervollkommnung bringenden Zustands einschränken, die Beschränkung bedarf dabei aber der Rechtfertigung und kann sie
wiederum allein in der Verwirklichung der Freiheit finden. Ein Sicherheitsverständnis im Sinne einer prinzipiell unbeschränkten staatlichen Aktivität zur Gewährleistung einer umfassenden Sicherheit der Bürger vor Risiken und Gefahren einer modernen Gesellschaft vergisst die Bindung der Sicherheit an die Freiheit und beraubt
sie letztlich ihrer Legitimität.763 Die Annahme eines abstrakten Vorrangs der Sicherheit im Sinne eines Grundsatzes „in dubio pro securitate“ verbietet sich daher nach
dem staatstheoretischen Verständnis des dem Grundgesetzes zugrunde liegenden
liberalen und demokratischen Rechtsstaats. Danach kann und ist Sicherheit zwar als
der Freiheit gleichrangig, aber nie vorrangig anzusehen. Selbst angesichts der neuen
Qualität der Bedrohung für den inneren Frieden ist es dem Gesetzgeber grundgesetzlich verwehrt, der Sicherheit abstrakten Vorrang vor den Freiheitsrechten einzuräumen. Vielmehr ist an einem ranggleichen Verständnis von Freiheit und Sicherheit
festzuhalten und der Ausgleich zwischen diesen Prinzipien im Sinne praktischer
Konkordanz zu suchen.
Sicherheit und Freiheit sind demnach abwägungsbedürftig, aber auch abwägungsfähig. Wird Sicherheit von seiner abstrakten Größe als Staatszweck, Staatszielbestimmung und Staatsaufgabe gelöst und inhaltlich durch die Annahme staatlicher
Schutzpflichten auf die grundrechtlich geschützten Rechtsgüter bezogen, ist sie
ebenso wie die einzelnen Freiheitsrechte abwägungsfähig. So besteht zwar ein gewisses Spannungsverhältnis bei der Frage, wie viel Sicherheit und wie viel Freiheit
es im Rechtsstaat bedarf, der so vielfach beschriebene Antagonismus zwischen Freiheit und Sicherheit geht dagegen von einem einseitig geprägten Verfassungsverständnis aus. Ist der Sicherheitszweck als Teilausschnitt der den Freiheitsrechten
zugrunde liegenden Rechtsgüter anzusehen764, so ist er vielmehr letztlich auf das
gleiche Ziel, nämlich die Verwirklichung der freiheitlichen Grundrechte gerichtet,
und nicht gegen sie. Das zulässige Höchstmaß an Sicherheit ist insofern immanent
durch das Ziel der Freiheitsverwirklichung begrenzt. Nur dort, wo der Sicherheitszweck über dieses Ziel hinausschießt, richtet er sich gegen die Freiheit und schlie-
ßen Freiheit und Sicherheit einander aus. Am Anfang und am Ende des Sicherheitszwecks steht demnach die Freiheit. Der Wunsch nach Freiheitsentfaltung ruft erst
die Notwendigkeit der Sicherheitsgewährleistung hervor. Sicherheit ist ihrer Be-
762 Denninger, KJ 35 (2002), 467 (469).
763 So auch Denninger, KJ 35 (2002), 467 (472).
764 Vgl. A., II., 1., b.
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gründung nach daher nie Selbstzweck, sie findet ihre Rechtfertigung erst in dem
Schutz der Freiheit. Dort, wo sie der Freiheit nicht mehr dient, findet sie ihr Ende.
Ein Staat, in dem es keine Freiheit mehr zu sichern gibt, entbehrt jeder Legitimation.
Ein Staat, in dem die Sicherheit zum Selbstzweck wird, ist nicht mehr Rechtsstaat,
sondern Präventionsstaat. Nur in diesem Sinne ist der These Denningers beizupflichten, nach der „die an Freiheit und Autonomie des Einzelnen orientierte
Funktionslogik des liberalen Rechtsstaats und die an Sicherheit und Effizienz orientierte Logik des Sicherheits- oder Präventionsstaats“ sich einander tendenziell ausschließen.765 Die den Präventionsstaat kennzeichnenden Versuche, staatliches Handeln zum Zwecke der Risikoabwehr und -verhütung von den Determinanten des
polizeirechtlichen Gefahr- und Störerbegriffs zu lösen und die Beweislast der Gefährlichkeit zu Lasten des Bürgers umzukehren, sind daher nur in den durch die
Freiheitsrechte gesetzten Grenzen zulässig. Ist der Dienst der Sicherheit an der Freiheit zweifelhaft, muss Sicherheitsgewährleistung durch Freiheitseinschränkung
daher notwendig unterbleiben. In letzter Konsequenz ist mit diesem Verständnis von
einem Grundsatz „in dubio pro libertate“ auszugehen. Dieser steht aber nicht am
Anfang der Abwägung, sondern an ihrem Ende, greift also nur dort ein, wo die Abwägung der grundsätzlich ranggleichen Werte ein Patt ergibt.
Das Grundgesetz schließt demnach sowohl grenzenlose Freiheit als auch Sicherheit um jeden Preis aus. Absolute Sicherheit kann und darf es nie geben. Der Staat
kann und darf allenfalls ein hohes Maß an Sicherheit versprechen und umsetzen. Die
maßlose Verfolgung eines „unerreichbaren Ideals“766 von optimaler Sicherheit ist
ihm dagegen auch bei neuartigen Herausforderungen durch diffuse Bedrohungen
rechtsstaatlich verwehrt. Nicht die Gewährleistung absoluter Sicherheit, sondern das
zur Verwirklichung eines Höchstmaßes an Freiheit notwendige Maß an Sicherheit
ist das Ideal des Rechtsstaats.767
III. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung als entscheidende grundrechtssichernde Funktion und ihre Auflösung durch Entindividualisierungstendenzen
Das maßgebende verfassungsrechtliche Instrument zur Umsetzung dieses Ideals ist
und bleibt die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dieser kommt demnach die entscheidende grundrechtssichernde Funktion zu. Allerdings stößt vermehrt auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an seine Grenzen. Als Antwort auf die neue Qualität
und Erscheinungsform der kriminellen und terroristischen Bedrohung768 erhalten
nämlich neue Sichtweisen Eingang in die rechtliche Abwägung von Freiheit und
Sicherheit, die die Rechtfertigungslast zum Nachteil der Freiheitsrechte verschieben.
765 Denninger, StV 2002, 96 (97); ders., KJ 35 (2002), 467 (470).
766 Denninger, KJ 35 (2002), 467 (472).
767 So auch Denninger StV 2002, 96 (97); ders., KJ 35 (2002), 467 (472).
768 S. hierzu A., II., 2., b., bb.
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References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.