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II. Eingriff
In das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird eingegriffen, wenn die
Freiheit des Einzelnen, selbst über das Ob und Wie der Preisgabe seiner persönlichen Daten zu bestimmen, eingeschränkt wird.224 Ein solcher Eingriff erfolgt in
spezifischen Formen - dem trägt auch das einfachgesetzliche Datenschutzrecht in
seiner Terminologie Rechnung -, nämlich durch Erhebung und Verarbeitung.225
Unter letztere fallen alle der Datenerhebung nachfolgenden Informationsvorgänge,
wie die Speicherung, Veränderung, Übermittlung, Weitergabe, Sperrung, Löschung,
Nutzung bzw. Verwendung, Veröffentlichung, die Einsichtnahme und der Abruf von
Daten. Ein Eingriff liegt demnach insbesondere vor, wenn der Staat die Bekanntgabe persönlicher Informationen verlangt, sie einer manuellen oder automatischen
Datenverarbeitung zuführt oder an Dritte übermittelt.226
Während sich das „Volkszählungsurteil“ noch auf die zwangsweise Erhebung
personenbezogener Daten bezog, werden inzwischen alle Formen der staatlichen
Kenntnisnahme, Aufzeichnung und Verwertung von Kommunikationsdaten als
Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung angesehen.227 Denn
auch bei freiwilligen Angaben lassen sich die Gefahren der modernen Informationsverarbeitung nicht ausschalten, und muss der Betroffene vor einer Verwendung
seiner Daten, die er nicht mehr überblicken kann und daher bei Preisgabe seiner
Daten gegebenenfalls nicht gewollt hat, geschützt werden.228 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt damit über den durch die Kriterien der Unmittelbarkeit und Finalität geprägten klassischen Eingriffsbegriff hinaus insbesondere
auch vor faktischen Handlungen des Staates.229
Darüber hinaus begegnet die Bestimmung von Informationseingriffen allerdings
Schwierigkeiten, insbesondere in der Abgrenzung zu bloßen Belästigungen des
Grundrechtsträgers. Während hinsichtlich der Eingriffsqualität einzelner Verarbeitungsphasen und Maßnahmen zwar Einigkeit besteht, ist eine umfassende Klärung
dieser Problematik bislang nicht gelungen. Dieser ist im nächsten Kapitel im Rahmen der Klärung des Eingriffscharakters von Verbunddateien nachzugehen.
224 König, Trennung und Zusammenarbeit, S. 202.
225 Stern, in: ders., Staatsrecht IV/1, S. 237.
226 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 176.
227 Gusy, KritV 83 (2000), 52 (54f.) m.w.N.
228 Simitis, NJW 1984, 398 (402), insofern ist die Reichweite der Einwilligung entscheidend; s.
auch BVerfG 85, 386 (398); Geiger, NVwZ 1989, 35.
229 Jarass, in: Recht der Persönlichkeit, S. 96.
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III. Einschränkbarkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und
Schranken-Schranken
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht schrankenlos gewährleistet. Da es dogmatisch als eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
konzipiert ist, gilt auch für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung grundsätzlich die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG.230 Besondere Bedeutung erlangt in
erster Linie die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung als die Gesamtheit der
Normen, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehen.231 Das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung unterliegt insofern einem einfachen
Gesetzesvorbehalt. Dem Einzelnen steht die Herrschaft über seine Daten demnach in
der Regel nicht absolut und uneinschränkbar zu, er ist vielmehr eine sich innerhalb
der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit.232 Aufgrund dieser Gemeinschaftsbezogenheit muss er Einschränkungen
seines Grundrechts im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen.233 Daneben
ist allerdings bei besonders schwerwiegenden Eingriffen in das Grundrecht auch der
dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 1 Abs. 1 GG zuzuschreibende Menschenwürdegehalt zu beachten, der staatlichem Handeln im Einzelfall eine absolute Grenze setzen kann.
Ferner hat das BVerfG klare Anforderungen für die Beschränkung des Rechts auf
informationelle Selbstbestimmung entwickelt, an denen jeder Eingriff zu messen ist.
So bedarf jede Einschränkung einer verfassungsgemäßen bereichsspezifischen gesetzlichen Grundlage, die dem Gebot der Normenklarheit und dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss.234 Ein Zwang zur Preisgabe personenbezogener
Daten setzt insofern voraus, dass der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt hat und ein amtshilfefester Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote besteht.235 Des Weiteren
muss die Datenverarbeitung zur Erreichung dieses Zwecks geeignet und erforderlich
sein. Eingriffe in Rechte Unverdächtiger sind in besonderer Weise rechtfertigungsbedürftig.236 Der Aspekt der Normenklarheit verlangt eine Regelung, die den gesamten Prozess der Datenerhebung und -verarbeitung für den Betroffenen transparent
macht.237 Der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts ist des Weiteren
durch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen entgegenzuwirken.
Als solche kommen insbesondere Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungspflichten
sowie die Beteiligung unabhängiger Datenschutzbeauftragter in Betracht.238
230 Zöller, Informationssysteme, S. 40.
231 BVerfGE 6, 32 (38ff.).
232 Heußner, BB 1990, 1281 (1282).
233 BVerfGE 65, 1 (44).
234 BVerfGE 65, 1 (44ff.).
235 BVerfGE 65, 1 (46).
236 BVerfG, 2 BvR 1027/02 vom 12.4.2005, Absatz-Nr. 112.
237 BVerfGE 65, 1 (44); König, Trennung und Zusammenarbeit, S. 204.
238 BVerfGE 65, 1 (46, 49).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.