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schen Kritik auf die Reform des Decreto legislativo 9 Gennaio 2006, n.5, die von
dem Gesetzgeber aufgenommen wurde und später in der Reform des Decreto legislativo 12 Settembre 2007, n. 169 ihren Niederschlag fand. Vielmehr beeinflusst diese Sichtweise auch die Auslegung der gesamten Legge fallimentare. Besonders eindrücklich belegen dies die unterschiedlichen Interpretationen zu der Funktion der
Ersetzungskompetenz.1156 In fachlicher Hinsicht besitzt die genannte Personengruppe ohne Zweifel einen Erkenntnisvorsprung, da sie eine besondere Nähe zur Praxis
hat. Man muss sich aber bewusst sein, dass das italienische Insolvenzrecht in starkem Maße von diesem Personenkreis geprägt wird, der – wie vermutlich alle Juristen, deren Ausbildung darauf gerichtet ist, Urteile in erster Linie auf Grundlage der
überlieferten Werteordnung abzugeben – stark dazu neigt, das Hergebrachte zu bewahren.1157
Gleichzeitig sollte man bedenken, dass viele Menschen die eigene Leistung besser einschätzen als dies Außenstehende tun.1158 So ist auch bei Richtern im Allgemeinen1159 und Insolvenzrichtern im Besonderen1160 empirisch belegbar, dass diese
die von Ihnen auf ihrem Fachgebiet getroffenen Entscheidungen, die eine objektive
Bewertung zuließen, subjektiv in ihrer Leistung besser einschätzten als dies ihr Umfeld tat. Daher soll zu einer gewissen Vorsicht gemahnt werden, wenn von diesen
Personen die Effizienz von hoheitlichen Eingriffen in das Verfahren hervorgehoben
wird.
IV. Zusammenfassung
Seit der Reform durch das Decreto legislativo 9 Gennaio 2006, n. 5 bezweckt das
Regelinsolvenzverfahren in erster Linie die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger und strebt dieses Ziel unter anderem durch eine umfangreichere Beteiligung der
Gläubiger an. Ebenso wie das deutsche Recht muss das italienische Recht das Problem lösen, in welchem Maß eine Gläubigerbeteiligung sinnvoll ist, um das Verfahren möglichst effizient zu gestalten. Dies ist mit der Frage verbunden, mit welchen
Mitteln sich die widerstreitenden Interessen der Gläubiger zueinander in Ausgleich
bringen lassen. Die italienische Strömung, die für ein beherztes Zupacken des Gerichts wirbt, mag zu einem Teil auch auf einer konservativen Haltung beruhen. Der
Ansatzpunkt des deutschen und des italienischen Rechts unterscheidet sich gering-
NDS 2006, Nr. 4, 22 ff.; Nardecchia, Informazione prevedenziale 2006, 1 (8 ff.) und der magistrati Vitiello, in: Ambrosini, La riforma della legge fallimentare, S. 74 ff.
1156 Siehe oben S. 155 f.
1157 Vgl. Bonsignori, Inattualità del fallimento, 169 f.
1158 Vgl. Babcock et al., International Review of Law and Economics 1995, 289 (294); Eisenberg,
Washington University Law Quaterly, 979 (982); Lüdemann, Die Grenzen des homo
oeconomicus und die Rechtswissenschaft, S. 13 m.w.N.
1159 Guthrie/Rachlinsky/Wistrich, Cornell Law Review 86 (2001), 777 (811 ff.).
1160 Vgl. Eisenberg, Washington University Law Quaterly, 979 (982 ff.); Rachlinsky/Guthrie/Wistrich, JITE 163 (2007), 167 (169).
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fügig: Die Sanierbarkeit von größeren Vermögensmassen wird im italienischen Regelinsolvenzverfahren in der Regel nicht mehr geprüft.
Insoweit lassen sich das italienische und das deutsche Recht miteinander vergleichen.
B. Vergleich
Der folgende Abschnitt untersucht die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der
Entstehung und in dem Wirken der beiden Rechtsordnungen.1161 Wie bereits angedeutet ist es hierfür erforderlich, den Regelungskontext einzubeziehen, in dem das
Insolvenzrecht steht.1162 Der historische Hintergrund des deutschen und des italienischen Rechts bietet ebenfalls eine Erklärung für die Entstehung bestimmter Normen
und liefert darüber hinaus einen Eindruck, auf welche Weise bestimmte Institutionen
wirken. Er kann mangels empirischer Daten aber nur ein unvollkommenes Bild von
der Wirkungsweise bestimmter Normen vermitteln.
Noch größerer Vorsicht bedarf es bei der autonomen Spekulation über Folgewirkungen, die keine Grundlage in einer benachbarten Verhaltenswissenschaft finden.
Daher ist, soweit dies das vorhandene Material erlaubt, bei der Beurteilung von Folgewirkungen bestimmter Regelungen auf die Resultate der Sozialwissenschaften zurückzugreifen.1163 Einen Beitrag hierzu kann die ökonomische Analyse des Rechts
leisten,1164 die in ihrer positiven Ausrichtung versucht, das Verhalten der Normadressaten vorherzusagen.1165 So erscheinen viele der den Modellen der ökonomischen
Analyse des Rechts zugrunde liegenden Annahmen – wie Knappheit, stabile Präferenzen und die Wahl von Alternativen unter dem Gesichtspunkt der Nutzenmaximierung –1166 geradezu paradigmatisch für die durch das Insolvenzrecht geregelte
Situation.1167 Einige dieser Annahmen begegnen jedoch (etwa in der experimentellen
1161 Vgl. zu dem kausal-erklärenden Aspekt der funktionalen Rechtsvergleichung van Aaken,
Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2000, 127 (143 ff.).
1162 Vgl. Ehricke, ZZP 111 (1998), S. 104.
1163 Drobnig, RabelsZ 18 (1953), 295 ff.; van Aaken, Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler
2000, 127 (128); v. Benda-Beckmann, ZvglRWiss 1978, 51 (67); vgl. auch Grossfeld,
Rechtsvergleichung, S. 54.
1164 Insbesondere Fleischer, Festschrift Wiedemann, 827 (847 f.); Grossfeld, Rechtsvergleichung,
S. 53; Mattei, Comparative Law and Economics, S. IX; van Aaken, Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2000, 127 ff.; vgl. aber auch Sandrock, Sinn und Methode zivilistischer
Rechtsvergleichung, S. 33, der bereits 1966 den Zusammenhang von Wirtschaftstheorie und
Rechtsvergleichung hervorhob.
1165 Dazu Lüdemann, Die Grenzen des homo oeconomicus und die Rechtswissenschaft, S. 4 f.;
van Aaken, Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2000, 127.
1166 Vgl. dazu van Aaken, Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2000,127 (138).
1167 Vgl. Rasmussen, Behavioral Economics - Bancruptcy Law, S. 1 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die umfassende Gläubigerbeteiligung hat eine lange Tradition im deutschen Insolvenzrecht. In der Praxis beteiligen sich die Gläubiger jedoch häufig nicht. Dieser Umstand und unausgewogene Entscheidungen der Gläubiger können das Verfahrensziel, die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger, gefährden. Die Untersuchung vergleicht die Gläubigerbeteiligung nach der deutschen Insolvenzordnung mit der durch das decreto legislativo 9 gennaio 2006, n. 5 und das decreto legislativo 12 Settembre 2007, n. 169 reformierten legge fallimentare. Die Arbeit erörtert umfassend aktuelle juristische Fragen. Der rechtsvergleichende Teil bezieht Ansätze der ökonomischen Analyse des Rechts und der Verhaltensökonomik ein, um konkrete Änderungsvorschläge zu erarbeiten.