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der der jeweiligen Geschäftsstelle abgaben.863 Die aktuelle gesetzliche Regelung
schafft einen Ausgleich zwischen dem Erfordernis der Rechtssicherheit und dem die
gesamte Reform durchdringenden Bestreben, das Verfahren zu beschleunigen.864
Um Transparenz zu schaffen und Beschwerden nach Art. 36 LF zu ermöglichen,
müssen die Beschlüsse des Ausschusses nach Art. 41 Abs. 1 LF begründet werden.865
2. Beschlussfassung
Das italienische Recht enthält keine Regelung über die Beschlussfähigkeit. Daher
soll es möglich sein, dass Beschlüsse auch durch ein einziges Ausschussmitglied gefasst werden können.866 Nehmen mehrere Personen an der Beschlussfassung teil,
werden die Beschlüsse des Ausschusses nach Art. 41 Abs. 3 LF mit der Mehrheit
der Abstimmenden867 getroffen. Zu den Abstimmenden im Sinne des Art. 41 Abs. 3
LF zählen nicht solche Mitglieder, die sich der Stimme enthalten.868 Die Reform
rückt mit dieser Regelung von der alten Rechtslage869 ab, wonach die Mehrheit der
Mitglieder erforderlich war.870 Nicht völlig geklärt ist, welche Folge eine Stimmengleichheit nach sich zieht.871
IV. Die Ersetzungskompetenz des beauftragten Richters
Der italienische Torpedo, eine negative Feststellungsklage vor den langsam arbeitenden italienischen Gerichten mit dem Ziel, ein Verfahren vor deutschen Gerichten
863 Caselli, Degli Organi preposti al fallimento, in: Bricola/Galgano/Santini (Hrsg.), Commentario Scialoja-Branca, S. 242.
864 Rocco di Torrepadula, in: Nigro/Sandulli (Hrsg.), La riforma della legge fallimentare, I, S.
263.
865 Rocco di Torrepadula, in: Nigro/Sandulli (Hrsg.), La riforma della legge fallimentare, I, S.
264; Schiera, in: Ferro/Nappi (Hrsg.), Le insinuazioni al passivo, S. 251.
866 Rocco di Torrepadula, in: Nigro/Sandulli (Hrsg.), La riforma della legge fallimentare, I, S.
264; a.A.: allerdings ohne Alternativvorschlag Minutoli, in: Ferro, La legge fallimentare, S.
310.
867 Die ursprüngliche, insoweit übereinstimmende Formulierung des Justiz- und des Wirtschaftsministeriums, wonach es auf die Stimmen der Anwesenden („presenti“) ankommen
sollte, wurde gestrichen um auch eine schriftliche Stimmabgabe zu ermöglichen, Schiavon, Il
comitato dei creditori, S. 6 f.
868 Rocco di Torrepadula, in: Nigro/Sandulli (Hrsg.), La riforma della legge fallimentare, I, S.
264, FN 36.
869 Die Anzahl der Mitglieder war bereits nach dem Codice di Commercio von 1882 maßgeblich,
der bewusst von den Regelungen der deutschen Konkursordnung abwich, vgl. Calamandrei,
Del fallimento, S. 227.
870 Bruno, in: Terranova (Hrsg.), La nuova legge fallimentare,, S. 83.
871 Schiavon, Il comitato dei creditori, S. 7.
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zu blockieren, ist in Anwaltskreisen berüchtigt. Eine ähnliche Reputation muss in
den Anfängen der Legge fallimentare das Erfordernis einer Mitwirkung eines demotivierten Gläubigerausschusses gehabt haben. Denn Anfragen des Insolvenzverwalters um eine Stellungnahme oder gar eine Zustimmung wurden von den Mitgliedern
des Gläubigerausschusses häufig spät oder gar nicht beantwortet, so dass das Verfahren zum Erliegen zu kommen drohte. Dem versuchte die Rechtsprechung des
Corte di Cassazione dadurch Herr zu werden, dass sie das Schweigen der Ausschussmitglieder nach Verstreichen einer den Mitgliedern zur Stellungnahme gesetzen Frist als Zustimmung wertete.872 Diese Möglichkeit besteht nach der Reform
nicht mehr, da das Gesetz für den Fall der Untätigkeit klare Regelungen trifft.873 Der
beauftragte Richter kann nunmehr eine Entscheidung des Gläubigerausschusses in
bestimmten Fällen (insbesondere in dem der Untätigkeit) ersetzen (unten 1.). Eine
Ersetzung ist darüber hinaus auch auf eine Beschwerde nach Art. 36 LF möglich,
wenn eine Unterlassung des Ausschusses eine Rechtsverletzung darstellt (unten 2.).
1. Ersetzungskompetenz des beauftragten Richters
Nach Art. 41 Abs. 4 LF hat der beauftragte Richter die Befugnis, im Falle der Untätigkeit („inerzia“) des Ausschusses, seines Nichtzustandekommens wegen nicht ausreichender Zahl oder Bereitschaft der Gläubiger („impossibiltà di costituzione per
insufficienza di numero o di indisponibilità dei creditori“), oder eines Notfalles
(„urgenza“) selbst zu entscheiden.
a) Die Tatbestandsalternativen
Ein Fall der Untätigkeit ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Ausschuss
nicht innerhalb der fünfzehntägigen Frist entscheidet.874
Die durch das Decreto correttivo 12 Settembre 2007, n. 169 eingeführte Tatbestandsalternative des Nichtzustandekommens ersetzt die vorherige des Nichtfunktionierens, der ohnehin kein eigener Bedeutungsgehalt beigemessen wurde.875 Die
872 Corte di Cassazione 09.03.1995, n. 2730; Corte di Cassazione 03.01.1998, n. 16.
873 Fimmanò, in: Jorio/Fabiani (Hrsg.), Il nuovo diritto fallimentare, II, S. 1603 f.; Rocco di Torrepadula, in: Nigro/Sandulli (Hrsg.), La riforma della legge fallimentare, I, S. 263 und 271;
Schiavon, in: Jorio/Fabiani (Hrsg.), Il nuovo diritto fallimentare, I, S. 681; a.A.: Ragonesi,
Diritto e pratica fallimentare, S. 146 unter Hinweis auf die alte Rechtsprechung und ohne
weitere Begründung hinsichtlich der Änderungen durch die Reform.
874 Biscione/Pessetti, Compendio di diritto fallimentare, S. 69; Minutoli, in: Ferro, La legge fallimentare, S. 311; Schiavon, in: Jorio/Fabiani (Hrsg.), Il nuovo diritto fallimentare, I, S. 680
f.; Tedeschi, Manuale del nuovo diritto fallimentare, S. 186; vgl. auch Nardo, in: Santangeli
(Hrsg.), Il nuovo fallimento, S. 207 ; Pagni, Il fallimento 2007, 140 (143).
875 Vgl. Rocco di Torrepadula, in: Nigro/Sandulli (Hrsg.), La riforma della legge fallimentare, I,
S. 272; a.A.: Minutoli, in: Ferro, La legge fallimentare, S. 311.
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neue Rechtslage soll klarstellen, dass die Ersetzungskompetenz auch dann eingreift,
wenn ein Gläubigerausschuss nicht zustande kommt, und dass eine Zwangsernennung gegen den Willen eines Gläubigers nicht möglich ist.876
Ein Notfall ist gegeben, wenn die Entscheidung derart eilbedürftig ist, dass eine
Entscheidung des Ausschusses nach dem in Art. 41 Abs. 3 LF beschriebenen Verfahren zu spät käme.877 Der beauftragte Richter kann in diesem Fall sogar vor Ablauf der fünfzehntägigen Frist eine Entscheidung fassen.878
b) Konkurrenzen
Liegen die Voraussetzungen des Art. 41 Abs. 4 LF vor, bestehen die Entscheidungsbefugnis des beauftragten Richters und die des Ausschusses nebeneinander. Die
Entscheidung eines Organs schließt eine spätere Entscheidung des anderen Organs
aus.879 (Nur in dem hypothetischen Fall, dass beide Organe gleichzeitig eine Entscheidung treffen, soll die Entscheidung des Ausschusses maßgeblich sein.880) Dies
soll nach teilweise vertretener Ansicht auch für den Fall gelten, dass der beauftragte
Richter aufgrund eines Notfalles entscheidet. Die getroffene Entscheidung sei definitiv und entziehe dem Ausschuss dessen Entscheidungskompetenz. Selbst eine Bestätigung der Entscheidung des beauftragten Richters sei nicht mehr möglich.881
Nach abweichender Auffassung bedarf die Entscheidung des beauftragten Richters,
die aufgrund eines Notfalles getroffen werde, der späteren Genehmigung des Ausschusses, da grundsätzlich dem Ausschuss die Entscheidung zustehe und die Entscheidung des beauftragten Richters nur provisorischen Charakter habe.882
c) Ausnahmen
Es gibt Bestrebungen in der italienischen Literatur, einige wichtige Kompetenzen
von der Ersetzungskompetenz auszunehmen. Dazu gehört insbesondere die erforder-
876 Vgl. die Relazione illustrativa sul Decreto legislativo 12 Settembre 2007, n. 169, am
27.10.2007 abrufbar unter http://www.giurdanella.it/7877.
877 Minutoli, in: Ferro, La legge fallimentare, S. 311; Schiavon, in: Jorio/Fabiani (Hrsg.), Il nuovo diritto fallimentare, I, S. 682; vgl. auch Tedeschi, Manuale del nuovo diritto fallimentare,
S. 186.
878 Minutoli, in: Ferro, La legge fallimentare, S. 311; Rocco di Torrepadula, in: Nigro/Sandulli
(Hrsg.), La riforma della legge fallimentare, I, S. 272; Schiavon, in: Jorio/Fabiani (Hrsg.), Il
nuovo diritto fallimentare, I, S. 680 f.
879 Schiavon, in: Jorio/Fabiani (Hrsg.), Il nuovo diritto fallimentare, I, S. 681; vgl. zu dem Konkurrenzproblem auch Rocco di Torrepadula, in: Nigro/Sandulli (Hrsg.), La riforma della legge fallimentare, I, S. 272.
880 Schiavon, in: Jorio/Fabiani (Hrsg.), Il nuovo diritto fallimentare, I, S. 681.
881 Schiavon, in: Jorio/Fabiani (Hrsg.), Il nuovo diritto fallimentare, I, S. 682.
882 Abete, Il fallimento 2007, 480 (485).
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liche positive Stellungnahme des Gläubigerausschusses zu dem Liquidationsplan.
Scheitert die Stellungnahme des Gläubigergremiums allein aufgrund der bloßen Untätigkeit, soll nur die Klage wegen Unterlassens nach Art. 36 LF möglich sein.883
Auch bei der Entscheidung über die Betriebsfortführung884 solle eine Ersetzung
nicht möglich sein.885
d) Rechtsmittel
Noch nicht restlos geklärt ist, ob die Beschlüsse des beauftragten Richters, die dieser
gemäß Art. 41 Abs. 4 LF trifft, wie die des Comitato dei Creditori nach Art. 36 LF
nur bei einer Gesetzesverletzung angreifbar sind oder ob solche Beschlüsse wie alle
übrigen Beschlüsse des beauftragten Richters nach Art. 26 LF auf ihre Zweckmä-
ßigkeit überprüft werden können.886
2. Beschwerde gegen ein Unterlassen des Ausschusses
Wird einer gegen eine Unterlassung des Ausschusses gerichteten Beschwerde stattgegeben, entscheidet der beauftragte Richter gemäß Art. 36 Abs. 3 S. 2 LF an seiner
statt. Noch wird nicht einmütig beurteilt, inwieweit auch ein unterlassener Beschluss
des Ausschusses eine Rechtsverletzung darstellt.887 Nach herrschender Auffassung
ist der Ausschuss zu einer Entscheidung verpflichtet, wenn er dazu aufgefordert
wird. Wird in solchen Fällen ein Beschluss nicht gefasst, stellt die Unterlassung eine
Gesetzesverletzung dar, die nach Art. 36 LF angegriffen werden kann.888
883 Bonfatti/Censoni, Manuale di diritto fallimentare, S. 333; a.A.: D’Aquino, in: Ferro/Nappi
(Hrsg.), Le insinuazioni al passivo, S. 141; Fimmanò/Esposito, La liquidazione dell'attivo fallimentare, S. 300; Fimmanò, Il diritto fallimentare e delle società commerciali 2008, 845
(853), die eine Ersetzung nach Art. 41 Abs. 4 LF auch hier möglich für möglich halten.
884 Zu der Mitwirkung des Gläubigerausschusses bei der vorläufigen Betriebsfortführung siehe
oben S. 166 ff.
885 Caiafa, La legge fallimentare riformata e corretta, S. 428; a..A.: Ghedini/Fontana, in: Ferro,
La legge fallimentare, S. 760; Stasi, Il fallimento 2007, 853 (857), die auch insoweit von einer Ersetzungsmöglichkeit durch den beauftragten Richter ausgehen.
886 Minutoli, NDS 2006, Nr. 4, 22 (25).
887 In der Tendenz ablehnend Ianiello, Il nuovo diritto fallimentare, S. 99; Minutoli, NDS 2006,
Nr. 4, 22 (26, FN 22).
888 Abete, in Jorio/Fabiani (Hrsg.), Il nuovo diritto fallimentare, S. 609; Bersani, Impresa commerciale industriale 2006, 572 (575); Ghedini, in: Ferro, La legge fallimentare, S. 265.
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V. Kompetenzen des Gläubigerausschusses
1. Erteilung von Zustimmungen
a) Allgemeines
Die Legge fallimentare sieht in einer Reihe von Bestimmungen vor, dass die Vornahme bestimmter Rechtshandlungen nur in Übereinstimmung mit dem Gläubigerausschuss erfolgen darf. Dies ist gegenüber der bisherigen Rechtslage eine große
Neuerung, da nach altem Recht eine solche Mitwirkung des Gläubigerausschusses
allein in dem Fall der vorläufigen Unternehmensfortführung erforderlich war.889 Im
Übrigen mussten die Handlungen, die heute des Wohlwollens des Gläubigerausschusses bedürfen, nach altem Recht durch den beauftragten Richter autorisiert werden.
Bei allen Handlungen, die nicht der Zustimmung des Ausschusses (oder der des
beauftragten Richters) bedürfen, hat der Insolvenzverwalter ein eigenes Entscheidungsermessen.890
b) Bedeutung der unterschiedlichen Terminologie
Im heutigen Recht wird in den einzelnen Bestimmungen eine unterschiedliche Terminologie gebraucht. Teilweise ist eine Ermächtigung („autorizzazione“), teilweise
eine Zustimmung („approvazione“) oder auch eine positive Stellungnahme („parere
favorevole“) des Gläubigerausschusses erforderlich. Die unterschiedliche Terminologie, die aus dem italienischen Verwaltungsrecht stammt, hat durch die Zusammenführung zweier unterschiedlicher Gesetzesentwürfe Eingang in die Legge fallimen-
889 Art. 90 Abs. 2 LF a.F. lautete: “Dopo il decreto previsto dall’Art. 97, il comitato dei creditori
deve pronunciarsi sull’opportunità di continuare in tutto o in parte l’esercizio dell’impresa
del fallito, indicandone le condizioni. La continuazione o la ripresa può essere disposta dal
tribunale solo se il comitato dei creditori si è pronunciato favorevolmente.”.
890 Abete, Il fallimento 2007, 480 (481).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die umfassende Gläubigerbeteiligung hat eine lange Tradition im deutschen Insolvenzrecht. In der Praxis beteiligen sich die Gläubiger jedoch häufig nicht. Dieser Umstand und unausgewogene Entscheidungen der Gläubiger können das Verfahrensziel, die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger, gefährden. Die Untersuchung vergleicht die Gläubigerbeteiligung nach der deutschen Insolvenzordnung mit der durch das decreto legislativo 9 gennaio 2006, n. 5 und das decreto legislativo 12 Settembre 2007, n. 169 reformierten legge fallimentare. Die Arbeit erörtert umfassend aktuelle juristische Fragen. Der rechtsvergleichende Teil bezieht Ansätze der ökonomischen Analyse des Rechts und der Verhaltensökonomik ein, um konkrete Änderungsvorschläge zu erarbeiten.