209
fügig: Die Sanierbarkeit von größeren Vermögensmassen wird im italienischen Regelinsolvenzverfahren in der Regel nicht mehr geprüft.
Insoweit lassen sich das italienische und das deutsche Recht miteinander vergleichen.
B. Vergleich
Der folgende Abschnitt untersucht die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der
Entstehung und in dem Wirken der beiden Rechtsordnungen.1161 Wie bereits angedeutet ist es hierfür erforderlich, den Regelungskontext einzubeziehen, in dem das
Insolvenzrecht steht.1162 Der historische Hintergrund des deutschen und des italienischen Rechts bietet ebenfalls eine Erklärung für die Entstehung bestimmter Normen
und liefert darüber hinaus einen Eindruck, auf welche Weise bestimmte Institutionen
wirken. Er kann mangels empirischer Daten aber nur ein unvollkommenes Bild von
der Wirkungsweise bestimmter Normen vermitteln.
Noch größerer Vorsicht bedarf es bei der autonomen Spekulation über Folgewirkungen, die keine Grundlage in einer benachbarten Verhaltenswissenschaft finden.
Daher ist, soweit dies das vorhandene Material erlaubt, bei der Beurteilung von Folgewirkungen bestimmter Regelungen auf die Resultate der Sozialwissenschaften zurückzugreifen.1163 Einen Beitrag hierzu kann die ökonomische Analyse des Rechts
leisten,1164 die in ihrer positiven Ausrichtung versucht, das Verhalten der Normadressaten vorherzusagen.1165 So erscheinen viele der den Modellen der ökonomischen
Analyse des Rechts zugrunde liegenden Annahmen – wie Knappheit, stabile Präferenzen und die Wahl von Alternativen unter dem Gesichtspunkt der Nutzenmaximierung –1166 geradezu paradigmatisch für die durch das Insolvenzrecht geregelte
Situation.1167 Einige dieser Annahmen begegnen jedoch (etwa in der experimentellen
1161 Vgl. zu dem kausal-erklärenden Aspekt der funktionalen Rechtsvergleichung van Aaken,
Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2000, 127 (143 ff.).
1162 Vgl. Ehricke, ZZP 111 (1998), S. 104.
1163 Drobnig, RabelsZ 18 (1953), 295 ff.; van Aaken, Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler
2000, 127 (128); v. Benda-Beckmann, ZvglRWiss 1978, 51 (67); vgl. auch Grossfeld,
Rechtsvergleichung, S. 54.
1164 Insbesondere Fleischer, Festschrift Wiedemann, 827 (847 f.); Grossfeld, Rechtsvergleichung,
S. 53; Mattei, Comparative Law and Economics, S. IX; van Aaken, Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2000, 127 ff.; vgl. aber auch Sandrock, Sinn und Methode zivilistischer
Rechtsvergleichung, S. 33, der bereits 1966 den Zusammenhang von Wirtschaftstheorie und
Rechtsvergleichung hervorhob.
1165 Dazu Lüdemann, Die Grenzen des homo oeconomicus und die Rechtswissenschaft, S. 4 f.;
van Aaken, Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2000, 127.
1166 Vgl. dazu van Aaken, Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2000,127 (138).
1167 Vgl. Rasmussen, Behavioral Economics - Bancruptcy Law, S. 1 ff.
210
Verhaltensforschung) Bedenken.1168 Daher erscheint es sinnvoll, auch die Ergebnisse der Verhaltensökonomik – soweit diese für das Wirtschaftsrecht1169 im Allgemeinen und für das Insolvenzrecht1170 im Besonderen verwertbar sind – in die Wirkungsanalyse einzubeziehen.
Diese Ansätze behandeln freilich nur einen Ausschnitt der hier zu untersuchenden
Materie. Daher wird es letztlich unumgänglich sein, neben den erwähnten Verhaltensannahmen von Nachbarwissenschaften auch eigene Wertungen in die Untersuchung einfließen zu lassen.1171
Neben der Darstellung der Wirkungsweise soll sich der folgende Abschnitt aber
auch der Frage nähern, inwiefern bestimmte Regelungen des italienischen Rechts
den deutschen überlegen sind. Um bessere Gestaltungsformen aufzuspüren und Anweisungen zum rechtspolitischen Handeln geben zu können, bedarf es eines tertium
comparationis,1172 mit dem ermittelt werden kann, welche Regelungen geeigneter
zur Lösung eines sozialen Konflikts sind. Hier findet die ökonomische Analyse in
ihrer normativen Ausrichtung, also in ihrem Streben, Recht nach Effizienz zu gestalten,1173 ihren Platz. Das mag nicht für alle Rechtsbereiche gelten. Hat der Gesetzgeber aber – wie im Insolvenzrecht – zu erkennen gegeben, dass bestimmte Regelungen an dem Effizienzziel auszurichten sind, so ist es auch zulässig, einen ökonomischen Maßstab anzulegen.1174 Dies gilt gerade auch für die Entwicklung von Anweisungen zu rechtspolitischem Handeln.
1168 Ein Überblick über die möglichen Einwände findet sich bei Lüdemann, Die Grenzen des homo oeconomicus und die Rechtswissenschaft, S. 12 ff.; siehe auch Eidenmüller, Effizienz als
Rechtsprinzip, S. 335 ff.
1169 Im deutschsprachigen Schrifttum ist unter anderem Fleischer, Festschrift Wiedemann,
S. 827 ff.; Fleischer, Immenga-Festschrift, S. 575 ff. zu nennen.
1170 Siehe etwa Rachlinsky/Guthrie/Wistrich, JITE 163 (2007), 163 ff.; Rasmussen, Behavioral
Economics - Bancruptcy Law, S. 1 ff.
1171 Sehr kritisch hierzu Martinek, in: Simon (Hrsg.), Wissenschaftsgeschichte der Jurisprudenz,
S. 529 (552): „Die Komparatisten dilettieren zwar gern rechtssoziologisch, gelangen aber
häufig nicht über eine Ornamentalfunktion soziologischer Platitüden für ihre letztlich normativ-autonomen Argumentationsstrategien und hermeneutischen Spekulationen hinaus.“; vgl.
aber Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 12: „Das bedeutet nicht, dass
der Rechtsvergleicher an Einsichten und Erkenntnissen der Rechtssoziologie vorbeigehen
dürfte; das Gegenteil ist richtig. Wohl aber kann es bei der angewandten Rechtsvergleichung
unvermeidlich sein, dass – freilich mit großer Vorsicht, sehenden Auges und bewusstermaßen
– Thesen zugrunde gelegt werden, die zwar für den Rechtssoziologen nicht ausreichend begründet sein mögen, aber doch immer so plausibel sind, dass sie in der rechtspolitischen Diskussion zu überzeugen und praktisches Handeln in konkreten Entscheidungssituationen zu
fördern vermögen.“.
1172 Drobnig, RabelsZ 18 (1953), 295 (305); Fleischer, Festschrift Wiedemann, 827 (847); van
Aaken, Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2000, 127 (148); vgl. auch Martinek, in:
Simon (Hrsg.), Wissenschaftsgeschichte der Jurisprudenz, 529 (552).
1173 Lüdemann, Die Grenzen des homo oeconomicus und die Rechtswissenschaft, S. 4; van Aaken, Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2000, 127 (128).
1174 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 452.
211
I. Darstellung und Analyse der Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Auf den ersten Blick scheinen insbesondere Maß und Umfang der Gläubigerbeteiligung bei allen Unterschieden im Einzelnen weitgehend gleich. Welche Unterschiede
hinsichtlich des Umfangs der Gläubigerbeteiligung bestehen, behandelt der erste
Abschnitt (unten 1.). Auch wenn viele Beteiligungsrechte ähnlich sind, fällt auf,
dass diese unterschiedlichen Organen der Gläubiger zugewiesen sind. Mit dieser
Rollenverteilung beschäftigt sich der zweite Abschnitt (unten 2.). Im dritten Abschnitt (unten 3.) wird untersucht, auf welche Weise der Entscheidungsprozess in
den jeweiligen Organen geregelt ist. Schließlich werden kurz der Gläubigerausschuss und das Comitato dei Creditori einander gegenübergestellt (unten 4.).
1. Umfang der Gläubigerbeteiligung
Der folgende Abschnitt dient der Darstellung und Analyse, in welchem Umfang die
Gläubiger im deutschen und italienischen Recht beteiligt werden. Dazu gehört zunächst der Vergleich, welche Gläubigergruppen überhaupt beteiligt werden (unten
a.). Da in beiden Ländern das wesentliche Exekutivorgan der Insolvenzverwalter ist,
bestimmt sich das Maß des Gläubigereinflusses insbesondere nach den Einwirkungsmöglichkeiten auf den Insolvenzverwalter (unten b.). Anschließend wird untersucht, inwieweit die Kompetenzen der gerichtlichen Organe den Einfluss der
Gläubiger schmälern (unten c.).
a) Beteiligte Gläubigergruppen
Obwohl sowohl Deutschland als auch Italien die mit Sicherungsrechten belegten
Güter in das Verfahren einbinden,1175 bestehen Unterschiede in der Beteiligung der
Inhaber von Sicherungsrechten. Während in Deutschland die Inhaber von Sicherungsrechten, die nicht zugleich eine Forderung gegen den Schuldner besitzen, sowohl an Personal- als auch Sachentscheidungen beteiligt sind, korrespondiert in Italien diesen Sicherungsrechten keine stimmmäßige Beteiligung.
Ähnlich sind sich das deutsche und das italienische Recht aber in Bezug auf die
Beteiligung der Inhaber von gesicherten Forderungen. In beiden Ländern werden
gesicherte und ungesicherte Gläubiger nach der Höhe ihrer Forderungen im Insolvenzverfahren beteiligt.1176 In Deutschland ist dies eine Neuerung der Insolvenzrechtsreform, die wiederholt kritisiert worden ist. Zuvor wurden die gesicherten
1175 In Italien macht Art. 53 Abs. 1 LF eine Ausnahme für die Sicherungsrechte nach Art. 2756
und 2761 Codice civile. Diese können auch während des Insolvenzverfahrens realisiert werden, vgl. oben S. 130.
1176 Bei der Abstimmung über den konkursabwendenden Vergleich sind die gesicherten Gläubiger hingegen nach Art. 177 LF nicht stimmberechtigt; siehe dazu bereits oben S. 140.
212
Gläubiger allein nach dem Betrag beteiligt, der ihrem mutmaßlichen Ausfall entsprach. Es wäre vorschnell, diese Parallele als eine Bestätigung der Sachangemessenheit des deutschen Rechts zu feiern. Denn die italienische Regelung steht in einem ganz anderen Kontext als ihr deutsches Pendant. Der Umstand, dass die gesicherten Gläubiger in Italien im Durchschnitt viel geringere Quoten erhalten als in
Deutschland,1177 mag dabei nur einen geringen Erklärungsgehalt haben. Zwar verringert sich mit abnehmender Quote auch der Widerspruch zwischen ohnehin bereits
bestehender Sicherung und der zusätzlich gewährten Beteiligungsrechte. Wäre dieser Widerspruch aber ausschlaggebend, wäre es angemessen, die Betroffenen nach
ihrem möglichen Ausfall zu beteiligen. Die italienische Regelung erscheint aber gerade vor dem Hintergrund konsequent, dass das Verfahren über die Zuweisung von
Stimmrechten weniger auf Einzelfallgerechtigkeit, sondern mehr auf Vereinfachung
und Beschleunigung ausgerichtet ist.1178 Dieses Verfahren bietet kaum Raum, auch
noch die Werthaltigkeit der Sicherungen zu überprüfen und in Beziehung zu den gesicherten Forderungen zu setzen. Ferner muss das italienische Recht den gesicherten
Gläubigern auch deswegen volle Stimmrechte einräumen, weil das italienische
Recht keine Entsprechung zu dem Wertersatz gemäß § 172 InsO kennt. Die gesicherten Gläubiger erhalten also keine Kompensation für die Verfahrenseinbindung
und Nutzung der Gegenstände, auf die sich ihre Sicherungsrechte beziehen. Die
Stellung der gesicherten Gläubiger ist in Italien hinsichtlich des Verwertungserlöses
sogar noch etwas schlechter als in Deutschland, da sie nicht nur die Kosten der
Verwertung des Sicherungsgutes zu tragen haben, sondern vor ihnen auch die Massegläubiger von dem Erlös des Sicherungsgutes befriedigt werden.1179 Da das Interesse der gesicherten Gläubiger auf die eine oder andere Weise in dem Entscheidungsprozess internalisiert werden muss,1180 sind die Stimmrechte hier, anders als in
Deutschland, erforderlich.
b) Einfluss auf den Insolvenzverwalter
aa) Wahl
Sowohl in Deutschland wie auch in Italien können die Gläubiger an die Stelle des
gerichtlich bestellten Insolvenzverwalters einen neuen Insolvenzverwalter wählen.
Dabei zeigen sich einige Unterschiede in der Zuweisung von Stimmrechten und den
erforderlichen Mehrheiten.
1177 Siehe dazu oben S. 124 ff.
1178 Siehe dazu sogleich auf S. 124 ff.
1179 Siehe dazu den Abschnitt über die Rechtsstellung der gesicherten Gläubiger im italienischen
Recht auf S. 129 ff.
1180 Siehe hierzu S. 74 und S. 251.
213
aaa) Zuweisung von Stimmrechten
Die Zuweisung von Stimmrechten unterscheidet sich jedenfalls im Ablauf in den
beiden Ländern. Zwar werden die angemeldeten Forderungen in beiden Ländern vor
dem Prüfungstermin von dem Insolvenzverwalter geprüft (der damit auch einen gro-
ßen Einfluss hat, weil sich die Verfahrensbeteiligten häufig nach seinen Empfehlungen richten werden). In Italien entscheidet im Prüfungstermin selbst aber nur der beauftragte Richter über die Zulassung der Forderung zur Insolvenztabelle und damit
auch über das Stimmrecht. Will ein Gläubiger oder der Insolvenzverwalter die Forderung bestreiten, müssen sie gegen den Beschluss vorgehen, der die Insolvenztabelle für vorläufig vollstreckbar erklärt, Art. 98 LF. Dies hat aber keine Auswirkung
auf das Stimmrecht.
In Deutschland hindert ein Widerspruch gemäß § 177 Abs. 1 InsO die Feststellung einer Forderung. Auch eine Forderung, der widersprochen wurde, wird zwar in
die Tabelle eingetragen, die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils wird ihr aber nach
§ 177 Abs. 3 InsO versagt. Ein Stimmrecht hat der Inhaber einer solchen Forderung
nur, wenn er sich mit dem Verwalter und den anderen stimmberechtigten Gläubigern
einigt oder das Insolvenzgericht ihm ein Stimmrecht gewährt.
Während im italienischen Recht also nur der beauftragte Richter über das Stimmrecht entscheidet, haben die Gläubiger und der Insolvenzverwalter im deutschen
Recht größere Einwirkungsmöglichkeiten auf das Stimmrecht. Dieser Einfluss äu-
ßert sich darin, dass sich ein Bestreiten direkt auf das Stimmrecht auswirkt und sie
sich vor einer Entscheidung des Insolvenzgerichts mit dem Inhaber über das Stimmrecht einigen können.
Das italienische Recht bietet auch keinen Raum für abgestufte, an der Erfolgswahrscheinlichkeit orientierte Lösungen. Ist eine Forderung nur dem Grunde (und
nicht der Höhe) nach streitig, so kann das italienische Insolvenzgericht nur insgesamt die Forderung zulassen oder ablehnen, während man im deutschen Recht bezüglich des Stimmrechts anhand der Erfolgswahrscheinlichkeit der Klage differenzieren kann.
Das deutsche Recht versucht dadurch, dass auch andere Gläubiger die Möglichkeit haben das Stimmrecht durch Bestreiten der Forderung zu beeinflussen und die
Stimmfestsetzung eine höhere Einzelfallgerechtigkeit zu erreichen. Das italienische
Recht hingegen ist bemüht, das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen,
indem es andere Gläubiger bei der Stimmrechtsfestsetzung völlig ausschließt. Das
ist aus der Sicht des italienischen Rechts, das sehr an einer überlangen Verfahrensdauer leidet,1181 konsequent. Die unterschiedliche Akzentsetzung ist aber auch darin
begründet, dass die Stimmzuweisung in den beiden Verfahren von unterschiedlicher
Tragweite ist: Während die Stimmzuweisung in Deutschland auch für Sachentscheidungen Bedeutung erlangt, beeinflusst die Stimmzuweisung in Italien allein die anstehenden Personalentscheidungen.1182
1181 Siehe dazu oben S. 124 ff.
1182 Siehe dazu auch den Abschnitt unten S. 230.
214
bbb) Ausübung des Stimmrechts
Auch die Art, wie das Stimmrecht auszuüben ist, bestimmt mittelbar den Einfluss
der Gläubiger. Ist ein besonders großer Aufwand erforderlich, werden sich viele
Gläubiger die Mühe sparen. Umgekehrt kann etwa die im Aktienrecht übliche briefliche Stimmabgabe den Einfluss steigern.
Sowohl die Insolvenzordnung als auch die Legge fallimentare kommen den
Gläubigern zwar dadurch entgegen, dass diese sich vertreten lassen können. Die
Stimmabgabe per Brief lassen beide Rechtsordnungen jedoch nicht zu.1183 Ungeklärt
ist auch noch, inwieweit die Gläubiger mittels Videokonferenz oder via Internet
mitwirken können.1184
ccc) Das Problem der Insolvenzverwalterwahl durch verfahrensbeherrschende Gläubiger und die Neutralität des Verwalters
Die Wahl des Insolvenzverwalters durch verfahrensbeherrschende Gläubiger wird
sowohl in Deutschland als auch in Italien als problematisch empfunden. Dem liegt
die Furcht vor der sich in der Vergangenheit wiederholt konkretisierten Gefahr
zugrunde, der neue Insolvenzverwalter könnte insolvenzzweckwidrig zugunsten seines Gönners handeln oder bestimmte Handlungen (etwa die von seinem Vorgänger
geplante Anfechtungsklage) unterlassen.1185 Die in beiden Rechtsordnungen ins
Spiel gebrachten Vorschläge zur Lösung des Dilemmas beeindrucken durch ihre
Konvergenz.
In Italien war vor der jüngsten Reform zunächst sehr umstritten, ob das Gericht
bei der Ernennung des von den Gläubigern gewählten Insolvenzverwalters einen eigenen Ermessenspielraum hatte. Die jüngste Reform hat klargestellt, dass das Gericht einen solchen Spielraum hat und die Gründe, die zu der Abwahl des Verwalters
geführt haben, überprüfen kann.
Diesem Modell entsprach in Deutschland die Regelung des § 80 S. 2 KO. Mit der
Einführung der Insolvenzordnung kann das Gericht nur noch die Neutralität des
Verwalters im Rahmen der Geeignetheit des § 57 S. 3 InsO prüfen.1186 Die Ablehnung eines Gewählten ist im Fall der vermuteten fehlenden Unabhängigkeit an das
Vorliegen objektiver Umstände geknüpft. Damit werden die Gläubiger zwar vor der
richterlichen Willkür geschützt. Fehlen die objektiven Umstände jedoch, kann selbst
1183 Siehe dazu aber oben S. 33 f.
1184 Siehe dazu oben S. 33 f.
1185 Zur italienischen Geschichte siehe inbesondere S. 121 ff.; siehe außerdem den exemplarischen Fall des LG Traunstein, DZWIR 2003, 257 m. Anm. Graeber, in dem der von dem Gericht ernannte Insolvenzverwalter offenbar allein deshalb abgewählt wurde, weil er sich weigerte, anzuerkennen, dass Anfechtungsansprüche gegen den erschienenen Gläubiger nicht bestanden.
1186 Siehe dazu oben S. 46 ff.
215
dann die Ernennung nicht verhindert werden, wenn dem Gewählten der Ruch der
Parteilichkeit anhaftet. Auch um dies zu verhindern, versucht man mit dem zusätzlichen Erfordernis einer Kopfmehrheit (§ 57 S. 2 InsO) die Wahl des Insolvenzverwalters an eine breitere Zustimmung der Gläubiger zu koppeln.1187
Angesichts dieser parallelen Entwicklung und der Umstände, die in Italien in den
dreißiger Jahren zu einer Abschaffung der in dem Codice di Commercio von 1882
vorgesehenen einfachen Betragsmehrheit geführt haben,1188 spricht einiges dafür,
dass diese Mehrheit bei der Wahl des Insolvenzverwalters nicht angemessen ist und
dass es daher einer zusätzlichen Kontrolle bedarf – sei es durch eine richterliche Überprüfung, sei es durch höhere Mehrheitserfordernisse. Welche Gestaltung im Einzelnen sinnvoller ist, ist schwieriger zu beurteilen.
Das deutsche Regelungsgefüge hat den Vorzug, dass es die Wahlentscheidung der
Gläubiger relativ geringen Schranken unterwirft. Die Möglichkeit, direkt einen Insolvenzverwalter zu wählen, dem die Gläubiger vertrauen (etwa weil er sich bereits
in der Vergangenheit bewährt hat), ist wiederum nicht nur ein Zugeständnis an die
Willkür der größten präsenten Gläubiger. Vielmehr ist eine solche Wahl auch sinnvoll, wenn man die Gläubiger von dem erhöhten Aufwand, der mit der Überwachung eines völlig unbekannten Insolvenzverwalters verbunden ist, entlasten will.
Außerdem stellt die Möglichkeit, in einem späteren Insolvenzverfahren wieder von
zufriedenen Gläubigern gewählt zu werden, einen Anreiz für eine gute, an den Interessen der Gläubiger orientierte Verwaltung1189 dar. Eine missbräuchliche Wahl
durch verfahrensbeherrschende Gläubiger wird durch das Erfordernis einer Kopfmehrheit und die Geeignetheitsprüfung gemäß § 57 S. 2, 3 InsO bis zu einem gewissen Grad unterbunden. Das Erfordernis einer Kopfmehrheit hilft freilich wenig in
Versammlungen, in denen nur wenige Gläubiger vorhanden sind und eine Kopfmehrheit daher leicht zu erreichen ist.
Das italienische Recht kann demgegenüber einem Missbrauch auch in kleineren
Verfahren recht effektiv vorbeugen. Natürlich sorgt insbesondere das Entscheidungsermessen des Gerichts dafür, dass ein unter zweifelhaften Umständen gewählter Verwalter gar nicht erst zu einem solchen bestellt wird. Darüber hinaus haben
Inhaber geringerer Forderungen eventuell auch die Möglichkeit den Ausschluss des
Stimmrechts der Gläubiger zu beantragen, die sich in einer Interessenkollision befinden.1190 Der Nachteil dieser Regelungen kann eine gewisse Rechtsunsicherheit
sein. So ist noch nicht abschließend geklärt, in welchen Fällen die Gerichte eine Bestellung des Verwalters ablehnen und in welchen Fällen sie eine zu einem Stimmrechtsausschluss führende Interessenkollision eines Gläubigers annehmen werden.
1187 Siehe dazu oben S. 44 f. und insbesondere auch Kübler, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, 61 (66).
1188 Man kann davon ausgehen, dass diese Veränderungen nicht allein durch den herrschenden
Zeitgeist bewirkt wurden. Zu dem Codice di Commercio von 1882, dem Gesetz 10. Juli 1930,
Nr. 995 und den jeweiligen Hintergründen siehe oben S. 122 f.
1189 Sehr anschaulich zu diesem Punkt Uhlenbruck, KTS 1989, 229 (231 ff.).
1190 Dabei hat man insbesondere solche Gläubiger im Blick, gegen die der Insolvenzverwalter
Schadensersatz- oder Anfechtungsklagen angekündigt hat, siehe dazu oben S. 143 ff.
216
Gravierender mag aber noch die Gefahr sein, dass die Gerichte die Hürden für eine
Ersetzung des Verwalters allzu hoch setzen1191 und damit ein Verwalter eventuell
auch dann nicht ersetzt werden kann, wenn er nicht das Vertrauen der Gläubiger genießt.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das deutsche Recht gerade in großen Verfahren mit hoher Beteiligung eine effiziente Lösung mit einer vergleichsweise gro-
ßen Rechtssicherheit bietet. In kleineren Verfahren, in denen Kopfmehrheiten keinen
großen Wert darstellen, erscheint eine weitergehende gerichtliche Kontrolle, wie sie
das italienische Recht vorsieht, sinnvoller zu sein.
bb) Abberufung
In Deutschland genießt der von den Gläubigern einmal gewählte Insolvenzverwalter
eine gewisse Unabhängigkeit, da er nach § 59 InsO nur aus wichtigem Grund entlassen werden kann. Ähnlich wie im deutschen Aktienrecht, das im internationalen
Vergleich aber eine gewisse Sonderstellung einnimmt,1192 wird das leitende Organ
damit mit einer größeren Unabhängigkeit ausgestattet.
In Italien ist ein wichtiger Grund für die Abberufung nicht erforderlich. Vielmehr
reichen dort auch reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte aus.1193 Dieser Unterschied
mag daran liegen, dass man mit der Figur des Insolvenzverwalters schlechte Erfahrungen gemacht hat1194 und sich insoweit eine Einflussmöglichkeit vorbehalten wollte.
Die Erwägungen, die den deutschen Gesetzgeber dazu bewogen haben, die Stellung des Insolvenzverwalters zu festigen (namentlich den Insolvenzverwalter resistenter gegenüber dem Einfluss bestimmter Großgläubiger zu machen) trägt man in
Italien bereits dadurch Rechnung, dass der beauftragte Richter als unabhängiger
Dritter das Verfahren überwacht und dass das Gericht im Hinblick auf die Frage der
Entlassung einen Ermessensspielraum hat.1195
cc) Umfang der Zustimmungserfordernisse
Sowohl in Deutschland als auch in Italien existieren Zustimmungserfordernisse. Sie
dienen dazu, demjenigen die Entscheidung zuzuweisen, der von ihr auch wirtschaft-
1191 Nach der Gesetzesbegründung soll eine Ersetzung nur bei einem giustificato motivo vorgenommen werden können, siehe oben S. 134.
1192 Vgl. Hansmann/Kraakman, in: Kraakman, The anatomy of corporate law, S. 45.
1193 Siehe oben S. 179 ff.
1194 Vgl. dazu den Abschnitt über die Einführung des Gesetzes vom 10. Juli 1930, Nr. 995 auf
S. 122 ff.
1195 Siehe dazu S. 179 ff.
217
lich betroffen ist, und den Sachverstand der Gläubiger zu aktivieren.1196 Inwieweit
ist ein solcher Sachverstand allerdings vorhanden? Im Aktienrecht der meisten modernen Rechtsordnungen gibt es nur wenige Zustimmungserfordernisse.1197 Das ist
auch plausibel, wenn doch die meisten (namentlich kleine) Anteilseigner sich nur
schlecht über anstehende Unternehmensentscheidungen informieren.1198 Mangelhaft
vorbereitete Entscheidungsträger sind selten eine gute Voraussetzung für optimale
Entscheidungen. Dagegen wird die Qualität der Entscheidung mit dem Sachwissen
des Betroffenen zunehmen.1199
Auch im Insolvenzrecht sind die sich beteiligenden Gläubiger meist schlecht informiert.1200 Hier dürfte der Antrieb, vor jedem Treffen in Bilanzen, Akten und
Marktberichten zu lesen, sogar noch etwas geringer als bei einer Hauptversammlung
sein. Denn das zu verwaltende Vermögen ist im Insolvenzrecht regelmäßig geringer
als im Aktienrecht. Daher werden auch die Folgen der Entscheidungen von einer geringeren Tragweite für den sich Beteiligenden sein. Aus Sicht des Verwalters sind
solche Zustimmungserfordernisse im Einzelfall zwar hilfreich, da sie es ihm erlauben, auch unpopuläre Maßnahmen wie etwa einen Personalabbau zu rechtfertigen.1201 Die Zustimmungserfordernisse sind aber nicht dazu gedacht, den guten Ruf
des Insolvenzverwalters zu erhalten. Vielmehr mag das Mehr an Zustimmungserfordernissen im Insolvenzrecht gegenüber dem Aktienrecht zum einen damit zu tun haben, dass die Gläubiger im Insolvenzrecht, anders als im Aktienrecht, ihren Unmut
über das Management nicht durch einen Verkauf ihrer Forderungen äußern können,1202 da sich bei einer geringeren Werthaltigkeit der Forderungen keine Märkte
bilden werden. Um einen möglichst hohen Betrag realisieren zu können, sind die
Insolvenzgläubiger in besonders hohem Maße daher auf eine gute Verwaltung angewiesen. Auf diese sollen sie, wenn ihnen eine Alternative in Gestalt eines Verkaufs der Forderung nicht zur Verfügung steht, Einfluss nehmen können.
1196 Siehe oben S. 21 ff.
1197 Für einen internationalen Vergleich Hansmann/Kraakman, in: Kraakman, The anatomy of
corporate law, S. 46.
1198 Hansmann/Kraakman, in: Kraakman, The anatomy of corporate law, S. 46.
1199 Für das Aktienrecht vgl. Hansmann/Kraakman, in: Kraakman, The anatomy of corporate law,
S. 46.
1200 Vgl. Gessner et al., Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 198.
1201 Kübler/Prütting (Hrsg.), InsO, § 69 RN 3: „In den letzten 30 Jahren hat das Verfahrensorgan
„Gläubigerausschuss“ erheblich an Bedeutung gewonnen. Spektakuläre Großinsolvenzen wie
z.B. die Verfahren Bankhaus Herstatt KGaA (1974), AEG (1982), oder auch der Vulkan-
Konkurs in Bremen (1996) haben neben dem Verwalter den Gläubigerausschuss ins Blickfeld
der Öffentlichkeit treten lassen. Für den Insolvenzverwalter ist es vielfach hilfreich, unpopuläre Maßnahmen, z.B. einen im Rahmen einer Betriebsfortführung notwendigen weiteren
Personalabbau, mit dem unterstützenden Votum des Gläubigerausschusses auf eine weitere
Legitimationsbasis stellen zu können.“.
1202 In der Begrifflichkeit der Ökonomie steht ihnen also keine exit-Strategie zur Verfügung, vgl.
dazu allgemein Förster, Festschrift Kirchhof, S. 93; Hansmann/Kraakman, in: Kraakman, The
anatomy of corporate law, S. 24 ff.
218
Ferner mag sich der Umstand einer erhöhten Zahl von Zustimmungserfordernissen daraus erklären, dass der Insolvenzverwalter im Gegensatz zu dem pluralistischen Gremium Vorstand als Einzelorgan konzipiert ist. Das ist auch grundsätzlich
sinnvoll, denn bei der Verwaltung besonders kleiner Massen wäre es kontraproduktiv, einen großen Stab von Verwaltern zu beschäftigen. Eine einzelne Person erliegt
aber häufig dem Phänomen, dass sie sich und ihre eigenen Fähigkeiten überschätzt.1203 Um die dadurch entstehende Gefahr einer suboptimalen Verwaltung der
Insolvenzmasse zu vermeiden, bedarf es einer Kontrolle durch Dritte. Der durch die
Gläubigerbeteiligung erforderliche Abstimmungsbedarf erhöht den Rechtfertigungsdruck, Beschlussvorlagen rational zu begründen und verringert damit die Gefahr einer Selbstüberschätzung des Insolvenzverwalters.1204 Diese Kontrolle soll aber nur
dann stattfinden, wenn sie sich lohnt. Das sind solche Fälle, in denen die Gläubiger
den Nutzen ihrer Beteiligung höher einschätzen als die durch die Beteiligung entstehenden Transaktionskosten. Die Gläubigerbeteiligung kann man insofern – etwas
vereinfacht und plakativ – als einen sich selbst regulierenden Vorstandsersatz bezeichnen.1205 Im italienischen Recht wird diese Funktion dadurch betont, dass die
Ausschussmitglieder bei Vernachlässigung ihrer Kontrollpflichten von ihrer Haftung
befreit sind.1206
aaa) Erster Teil des Verfahrens
Betrachtet man die Fälle, in denen eine Zustimmung der Gläubigerorgane erforderlich ist, scheinen die Gläubiger in Italien gegenüber dem Insolvenzverwalter auf
den ersten Blick eine dominierendere Rolle einzunehmen. Denn Art. 35 Abs. 1 LF
sieht eine Zustimmung des Gläubigerausschusses auch für den Fall der Freigabe von
Gegenständen, die zur Masse gehören, oder für den Fall der Anerkennung Rechte
Dritter vor. Demgegenüber sind in Deutschland nur besonders bedeutsame Rechtshandlungen nach § 160 Abs. 1, 2 InsO zustimmungsbedürftig. Versteht man den
Begriff der besonders bedeutsamen Rechtshandlung mit der wohl herrschenden Auffassung nicht rein quantitativ1207 und fasst unter diesen Begriff auch die Fälle, die
nicht zu einer normalen Verwertung gehören, nähern sich Art. 35 Abs. 1 LF und
§ 160 Abs. 1, 2 InsO insoweit an.
Auch bei der Anlegung von Wertgegenständen und Geld ähneln sich die beiden
Rechtsgebiete. In Deutschland kann der Gläubigerausschuss initiativ über die Anle-
1203 Sog. Overconfidence bias, vgl. dazu etwa Fleischer, Immenga-Festschrift, 575 (580 f.); siehe
auch Eisenberg, Washington University Law Quaterly, 979 (982).
1204 Vgl. zu dem parallelen Aspekt im Aktienrecht Fleischer, Immenga-Festschrift, 575 (580 f.).
1205 Aus diesem Grund greift der angeführte Vergleich zwischen Aufsichtsrat und Gläubigerausschuss zu kurz, siehe BGHZ 124, 86 (91); Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 67 RN 4; Pape, ZInsO 1999b, 305; Vallender, WM 2002, 2040 (2044).
1206 Siehe oben S. 187 ff.
1207 Vgl. etwa Flessner, in: Eickmann et al. (Hrsg.), HK-InsO, § 160 RN 2; Uhlenbruck, InsO,
§ 160 RN 12 ff.
219
gung von Wertgegenständen entscheiden, während in Italien darüber grundsätzlich
der Verwalter mit Zustimmung des Comitato dei Creditori bestimmt.
Trotzdem ist das Netz der Zustimmungserfordernisse im italienischen Recht in
den ersten Phasen engmaschiger. So sind Zustimmungen des Comitato dei Creditori
erforderlich, wenn der Insolvenzverwalter in einen Vertrag eintreten will, wenn dieser sich Hilfspersonen bedienen will oder wenn er auf den Erwerb von Gegenständen verzichten will. In Deutschland überlässt man diese Entscheidungen dem Verwalter, sofern kein Fall der besonders bedeutsamen Rechtshandlung vorliegt. Soweit
das deutsche Recht also nur wenige Zustimmungskompetenzen der Gläubiger und
eine stärkere Position des Verwalters vorsieht, wird es dadurch flexibler.1208
bbb) Verwertungsphase
Im italienischen Recht, das den Gläubigern keine Mitwirkungsbefugnisse bei einzelnen Verwertungshandlungen einräumt (so etwa im Fall des Unternehmensverkaufs nach Art. 105 LF), wird die Zustimmung der Gläubiger zu der Art der Verwertung über den Liquidationsplan sichergestellt und über diesen gebündelt.
Das deutsche Recht kennt zwar ebenfalls generelle Zustimmungen bzw. Rahmenzustimmungen, mit welchen die Zustimmungserfordernisse der Gläubiger konzentriert werden. Freilich geht das Gesetz davon aus, dass sich die Gläubiger mit den
Verwaltungsvorhaben jeweils einzeln befassen (vgl. § 160 InsO). Ist nach deutschem Recht ein Gläubigerausschuss eingesetzt, begegnet man solchen Rahmenzustimmungen sogar mit einer großen Skepsis. Die Abgabe einer generellen Zustimmung sei mit den Überwachungspflichten des Ausschusses nicht vereinbar und sie
begründe im Haftungsfall sogar den Anscheinsbeweis dafür, dass die schädigende
Rechtshandlung bei Notwendigkeit einer ordnungsgemäßen Zustimmung unterblieben wäre.1209
Ein Unterschied zwischen der Zustimmungskonzentration über den Liquidationsplan der Legge fallimentare und der generellen Zustimmung nach deutschem Recht
ist, dass an die Detailgenauigkeit der anvisierten Vorhaben im italienischen Recht
höhere Anforderungen gestellt werden. So müssen im Liquidationsprogramm zwingend die Verkaufskonditionen von einzelnen Ertragsquellen genannt werden,
Art. 104-ter Abs. 2 lit. e LF. Eine Rahmenzustimmung kann den Insolvenzverwalter
demgegenüber auch dazu ermächtigen, alle Gegenstände mit einem Wert bis zu einem bestimmten Betrag ohne weitere Rücksprache zu verkaufen. Daher muss man
einem direkten Vergleich von Liquidationsplan und genereller Zustimmung mit einer gewissen Vorsicht begegnen.
Trotzdem bleiben aber Unterschiede bestehen. Der Hauptgrund wird darin liegen,
dass man durch die Reform in Italien bestrebt war, dass Verfahren zu beschleunigen.
1208 Siehe zu diesem Aspekt Häsemeyer, Insolvenzrecht, RN 2.08.
1209 BGHZ 49, 121 (123 f.); 124, 86 (96); Balthasar, in: Nerlich/Römermann (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 160 RN 18; Uhlenbruck, InsO, § 160 RN 6.
220
Zum einen empfand man die Gläubigerbeteiligung in Italien von jeher in der Verwertungsphase als störend.1210 Zum anderen ist man sich unter der Geltung der Legge fallimentare von 1942 allgemein darüber klar geworden, dass eine Vielzahl von
Zustimmungserfordernissen den Verfahrensablauf hemmen könnte.1211 Demgegen-
über kann man es sich in Deutschland angesichts der vergleichsweise kurzen Verfahrensdauer erlauben, etwas mehr Aufwand bei der Mitwirkung bei den einzelnen
Verwertungshandlungen zu fordern.
Darüber hinaus muss man sich auch vergegenwärtigen, dass die Verfahren, in denen ein Gläubigerausschuss in Deutschland überhaupt eingesetzt wird (und eine hohe Sorgfalt des Ausschusses gefordert wird), in der Regel größere Verfahren
sind.1212 Daher werden auch die anstehenden Verwertungshandlungen von gewichtigerer Bedeutung sein und einen erhöhten Aufwand rechtfertigen. Demgegenüber
gelten die Regelungen zu dem Liquidationsplan in Italien für alle Verfahren, insbesondere die kleinen und mittleren Verfahren, während die großen Verfahren im Falle
der Sanierungsfähigkeit gesondert über die amministrazione straordinaria geregelt
werden. Dieser Unterschied macht sich auch in der Vergütung des Ausschusses bemerkbar.1213 Während man in Italien eine Vergütung bei entsprechender Entscheidung der Gläubigerversammlung, die dann auch nur sehr gering ausfällt, erhält,
werden die Ausschussmitglieder in Deutschland immer entsprechend der Komplexität der von ihnen zu bewältigenden Aufgaben entlohnt. Daher kann auch ein unterschiedlicher Sorgfaltsmaßstab angesetzt werden.
In einem Punkt sind sich die beiden Rechtsordnungen jedoch sehr ähnlich. Die
Kontrolle der einzelnen, konkreten Verwertungshandlung ist auf ihre wirtschaftliche
Vorteilhaftigkeit gerichtlich nachprüfbar. In Deutschland kann dies mit einem aufwendigen Prozess und dem Erfordernis einer bestimmten Mehrheit verbunden sein,
wenn der Gläubigerausschuss eine Zustimmung erteilt hat. Sie kann über § 161 InsO
von der Gläubigerversammlung ersetzt werden, wenn die vorgeschriebene Mehrheit
vorhanden ist. Entscheidet die Gläubigerversammlung wie bereits zuvor der Gläubigerausschuss, kann ihre Entscheidung über § 78 InsO überprüft werden. In Italien
kann die einzelne Verwertungshandlung des Insolvenzverwalters direkt nach
Art. 108 LF angegriffen werden.1214 Unterschiedlich ist insoweit das Bestreben in
Deutschland, eine Entscheidung auf der Ebene der Gläubiger herbeizuführen und
eine gerichtliche Entscheidung nur als ultima ratio zuzulassen. Zu dem auf Beschleunigung bedachten Modell der Legge fallimentare würde eine solche Regelung,
bei der unter Umständen bis zu vier Entscheidungsträger beteiligt werden (Insolvenzverwalter, Gläubigerausschuss, Gläubigerversammlung, Gericht), nicht passen.
1210 Siehe dazu oben S. 121 ff.
1211 Siehe dazu oben S. 124 ff.
1212 Siehe dazu ausführlich unten S. 230.
1213 Zu der Vergütung des Ausschusses siehe unten S. 244.
1214 Siehe dazu oben S. 171.
221
dd) Wirkung eines Beschlusses
Weicht der Insolvenzverwalter von Beschlüssen der Gläubigergremien ab, hat dies
sowohl im deutschen als auch im italienischen Recht vor allen Dingen im Innenverhältnis Folgen (dazu bbb.). Insbesondere in Italien können sich die Beschlüsse aber
auch im Außenverhältnis gegenüber Dritten auswirken (dazu aaa.).
aaa) Auswirkung auf das Außenverhältnis
In Deutschland haben die Entscheidungen der Gläubigerorgane jedenfalls nach
bisher herrschender Meinung wegen § 164 InsO keinen Einfluss im Außenverhältnis.1215 In Italien ist hingegen nach der sich bisher abzeichnenden herrschenden Lehre eine Handlung des Insolvenzverwalters, die ohne die erforderliche Zustimmung
des Ausschusses vorgenommen wird, nach Art. 36 LF anfechtbar.1216 Wird die
Handlung des Insolvenzverwalters mit Erfolg angefochten, hat dies deren Unwirksamkeit zur Folge. Damit gelangen das deutsche und das italienische Recht auf den
ersten Blick zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Die deutsche Regelung scheint
einen höheren Wert auf Verkehrsschutzerwägungen zu legen, während die italienische Regelung den Gläubigern einen größeren Einfluss verleiht.
Trotz dieses äußerlich unterschiedlichen Befundes nähern sich die beiden Rechtsordnungen in diesem Punkt an. Auch in Deutschland trägt man den Interessen der
Gläubiger Rechnung, soweit sich dies mit den Verkehrsschutzinteressen verträgt.
Daher gilt § 164 InsO nicht, wenn der Insolvenzverwalter eine insolvenzzweckwidrige Handlung vornimmt und richtigerweise auch dann nicht, wenn der Dritte von
einem entgegenstehenden Beschluss der Gläubiger Kenntnis hat.1217 Umgekehrt versucht man in Italien einen gewissen Verkehrsschutz zum einen dadurch zu erreichen,
dass man zugunsten des Dritten, der mit dem Insolvenzverwalter kontrahiert hat, die
Regeln über den gutgläubigen Erwerb anwendet. Zum anderen bewirkt auch die äu-
ßerst kurz bemessene Anfechtungsfrist von nur acht Tagen (die allerdings erst ab
subjektiver Kenntnis von der von dem Insolvenzverwalter vorgenommenen Handlung zu laufen beginnt), dass vergleichweise schnell Rechtssicherheit eintritt.
Im Übrigen bleiben Unterschiede bestehen. Dass sich die bestehende Kluft damit
erklären lässt, dass das italienische Regelinsolvenzverfahren in der Regel von einer
fehlenden Sanierungsfähigkeit ausgeht1218 und daher in geringerem Umfang auf
schnelle und sichere Transaktionen angewiesen ist, erscheint als These wenig plausibel. Denn auch wenn das Unternehmen nicht selbst durch die Gläubiger saniert,
sondern der Betrieb nur zeitweilig fortgeführt werden soll, bedarf es für diese Be-
1215 Siehe dazu oben S. 48 ff.
1216 Siehe dazu den Abschnitt über die Auswirkungen einer fehlerhaften Mitwirkung auf
S. 173 ff.
1217 Siehe oben S. 48 f.
1218 Siehe oben S. 203.
222
triebsfortführung schneller und sicherer Transaktionen. Würde über einen Lebensmittelkonzern wie Parmalat je das Regelinsolvenzverfahren eröffnet, bedürfte es
auch schneller Transaktionen, um die verderblichen Produkte auf den Markt zu
bringen.
Vielmehr ist der Grund für den bestehenden Unterschied darin zu suchen, dass
das italienische Recht nicht die Möglichkeit kennt, den Insolvenzverwalter durch
aufsichtsrechtliche Maßnahmen (insbesondere die Festsetzung eines Zwangsgeldes)
zu der Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. Die Möglichkeit, gegen den Insolvenzverwalter, der die Beschlüsse der Gläubiger missachtet, mit aufsichtsrechtlichen
Mitteln vorzugehen, war aber für den deutschen Gesetzgeber ein entscheidender Gesichtspunkt für die Regelung des § 164 InsO.1219
Ferner ist auch denkbar, dass die Regelung auch darauf basiert, dass das italienische Recht aufgrund von negativen Erfahrungen in der Vergangenheit dem Insolvenzverwalter insgesamt ein geringeres Vertrauen entgegenbringt.1220
Damit tragen in Italien Dritte, die mit dem Insolvenzverwalter kontrahieren, ein
höheres Risiko. Das deutsche Recht bürdet den Gläubigern die Gefahr eines opportunistischen Verhaltens des Insolvenzverwalters auf. Freilich werden Geschäfte de
facto ähnlich ablaufen. In beiden Ländern wird der Insolvenzverwalter Geschäfte
mit Dritten unter der aufschiebenden Bedingung der Zustimmung des zuständigen
Gläubigergremiums abschließen. Denkbar ist auch, dass dem Bedürfnis nach
Rechtssicherheit in Italien dadurch Rechnung getragen wird, dass bei Geschäftsabschluss bereits ein entsprechender Beschluss des Gläubigergremiums nachgewiesen
wird.
bbb) Wirkung im Innenverhältnis
Handelt der Insolvenzverwalter ohne oder sogar gegen einen Beschluss der Gläubigergremien, hat dies in beiden Ländern im Innenverhältnis gravierende Rechtsfolgen.
(1) Aufsichtsrechtliche Maßnahmen nach §§ 58 f. InsO und Verfahren nach
Art. 36 f. LF
In Deutschland kann der Insolvenzverwalter über die aufsichtsrechtlichen Maßnahmen nach §§ 58 f. InsO dazu gezwungen werden, sich konform zu den Entscheidungen der Gläubiger zu verhalten. Die Möglichkeit, den Verwalter zu entlassen oder gegen ihn ein Zwangsgeld festzusetzen, wenn er eine Entscheidung der Gläubi-
1219 Vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 175: „Bei einem Verstoß des Verwalters gegen diese Vorschriften [die über die Zustimmung zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen] kommen aufsichtsrechtliche Maßnahmen […] und haftungsrechtliche Folgen […] in Betracht.“.
1220 Siehe oben S. 121 ff.
223
gerversammlung nicht beachtet, ist deswegen erforderlich, weil die Entscheidungen
der Gläubiger sich grundsätzlich nicht im Außenverhältnis bemerkbar machen. Solche aufsichtsrechtlichen Maßnahmen sind zwar sehr selten.1221 Gleichwohl dürfte
den gerichtlichen Befugnissen aber eine gewisse präventive Wirkung zukommen.
In Italien besteht die Möglichkeit, den Insolvenzverwalter über Art. 36 LF zu einer Handlung anzuhalten, die er nach dem Beschluss der Gläubiger auszuführen hatte. Verhält der Insolvenzverwalter sich nicht gemäß der Entscheidung des beauftragten Richters, kann dies einen Grund für seine Entlassung darstellen oder die Quelle
für eine Haftung sein.1222
Das deutsche Recht sieht damit durch die zusätzliche Möglichkeit der Zwangsgeldfestsetzung etwas empfindlichere Rechtsfolgen im Innenverhältnis vor.
(2) Entlastung
Weder in Deutschland noch in Italien ist die Frage, unter welchen Umständen der
Insolvenzverwalter durch einen Beschluss der Gläubigergremien entlastet wird, abschließend geklärt.
Die Entscheidung dieser Frage setzt voraus, dass es gelingt, das Spannungsverhältnis zwischen Minderheitenschutz und Gläubigerautonomie aufzulösen. Das
deutsche wie auch das italienische Recht eröffnen zwar die Möglichkeit, diese Interessen teilweise zum Ausgleich zu bringen.1223 Die in beiden Rechtsordnungen zu
diesem Thema bestehende Meinungsvielfalt bedingt aber eine starke Rechtsunsicherheit, die sich durch eine klare gesetzliche Regelung vermeiden ließe.
ee) Bindung an das Interesse der Gläubiger außerhalb von gesetzlichen Zustimmungskompetenzen
Die Zustimmungs- und Stellungnahmekompetenzen der Gläubiger umfassen nicht
jede einzelne Rechtshandlung. Über die Frage, ob ein kleiner Anfechtungsprozess
geführt wird, hat der Insolvenzverwalter autonom zu entscheiden. In Deutschland
erhält die Bindung des Insolvenzverwalters an das Interesse der Gläubiger darüber
hinaus in den Fällen Bedeutung, in denen die Gläubiger ihre Mitwirkungsbefugnisse
nicht wahrnehmen. Denn während in Italien in solchen Fällen der beauftragte Richter anstelle des Ausschusses entscheidet, kann der Insolvenzverwalter in Deutschland allein bestimmen, welche Alternative er wählt.
1221 Vgl. Gessner et al., Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 225; siehe auch Uhlenbruck, KTS
1989, 229 (243).
1222 Abete, in: Jorio/Fabiani (Hrsg.), Il nuovo diritto fallimentare, I, S. 613 f.
1223 Siehe dazu oben S. 52 ff. und S. 102 ff. und S. 181 ff.
224
Das Insolvenzrecht stellt in beiden Ländern verschiedene Instrumente bereit, um
sicherzustellen, dass sich der Insolvenzverwalter auch gemäß dem Interesse der
Gläubiger verhält.
aaa) Haftung
Die Interessen der Gläubiger muss der Insolvenzverwalter sowohl in Deutschland
als auch in Italien wegen der ihm auferlegten Haftung berücksichtigen. Damit besteht im Grundsatz eine effektive Bindung an die Interessen der Gläubiger. Diese
Haftung ist aber ihrerseits überspitzt und ineffizient, wenn sie verhindert, dass der
Insolvenzverwalter auch vernünftige Risiken nicht eingeht.
In Deutschland wird diese Haftung von den Insolvenzverwaltern subjektiv als
sehr bedrohlich eingestuft.1224 Dabei sind die Wahrscheinlichkeit eines Haftungsfalles und in der Regel auch die Haftungssummen tatsächlich sehr gering.1225 Daraus
kann man ableiten, dass die Insolvenzverwalter ihre eigene Haftung überproportional wahrnehmen.1226 Diese Schlussfolgerung ist aber nicht zwingend. Denkbar ist
auch, dass ein Insolvenzverwalter sein Haftungsrisiko realistisch einschätzen kann
und er die risikoreichen Handlungsalternativen (eben wegen ihrer Bedrohlichkeit)
meidet. Wer in der Rush-hour einer italienischen Großstadt mit dem Fahrrad unterwegs ist, kann die Bedrohung, die von rasanten Verkehrskombattanten ausgeht,
durchaus realistisch einschätzen und trotzdem unzufrieden über den Umweg sein,
den er durch die verwinkelten Gassen und über die verkehrsberuhigten, aber touristenüberfüllten Plätze nehmen muss.
Eine solche auf Sicherheit bedachte Verwaltung würde durch zwei weitere Umstände gefördert. Zum einen unterliegen Insolvenzverwalter ebenso wie andere Berufsgruppen (wie etwa Anwälte1227) auch unabhängig von ihrer eigenen Haftung
dem sog. framing-Effekt,1228 so dass sie sie Entscheidungsvariante bevorzugen, die
mit einem geringeren Risiko verbunden ist.
Zum anderen drohen wie bei der Haftung des Gläubigerausschusses auch hier bei
einer späteren Beurteilung durch den Richter hindsight bias.1229 Der Insolvenzverwalter der das antizipiert, wird daher die risikoärmere Entscheidung wählen, obwohl
die riskantere Alternative (etwa wegen besonders hoher Gewinnaussichten) u.U.
sinnvoller sein könnte.1230 Diese Faktoren sorgen zusammen dafür, dass die Insolvenzverwalter risikoreiche Entscheidungen meiden.
1224 Gessner et al., Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 216 f.
1225 Gessner et al., Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 217; vgl. auch Pape, ZInsO 2005, 953.
1226 So in ihrer Einschätzung Gessner et al., Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 217.
1227 Babcock et al., International Review of Law and Economics 1995, 289 (300).
1228 Rachlinsky/Guthrie/Wistrich, JITE 163 (2007), 167 ff.
1229 Siehe dazu ausführlich unten S. 221.
1230 Vgl. Fleischer, Immenga-Festschrift, 575 (579).
225
Insgesamt lässt sich daher weiterhin feststellen, dass diese Rechtslage das Verhalten des Verwalters sehr stark beeinflusst und ihn daran hindert, eventuell bestehende
Spielräume zu unternehmerischem Handeln zu nutzen.1231
So notwendig die Bindung an die Interessen der Gläubiger über eine Haftung des
Insolvenzverwalters ist, so wichtig erscheint zugleich auch die Schaffung eines
Spielraums für unternehmerische Entscheidungen für den Insolvenzverwalter. Ein
solcher Spielraum könnte durch die Einführung einer business judgment rule geschaffen werden.1232 Auch dann kommt eine Haftungsprivilegierung nur dann in Betracht, wenn der Insolvenzverwalter ausreichend informiert ist, seine Handlungen an
dem Insolvenzzweck orientiert und er frei von Interessenkonflikten handelt; in den
Fällen der notwendigen Mitwirkung der Gläubigergremien darf der Insolvenzverwalter nicht ohne oder gegen den Willen der Gläubiger handeln.1233
bbb) Vergütung
In Deutschland hat der Insolvenzverwalter darüber hinaus einen starken Anreiz,
sich entsprechend dem Interesse der Gläubiger zu verhalten, weil sich seine Vergütung nach § 1 InsVV nach dem Wert der Insolvenzmasse bestimmt, auf die sich die
Schlussrechnung bezieht. Der Insolvenzverwalter wird daher in der Regel versuchen, die anfangs vorhandene Masse mit dem größtmöglichen Gewinn zu veräußern.
Gleichwohl bleibt eine gewisse Restgefahr, dass sich der Verwalter opportunistisch
verhält, vorhanden.
Die Vergütung des Insolvenzverwalters in Italien wird gemäß Art. 39 LF und dem
Decreto ministeriale 28 luglio 1992, n. 570 bestimmt. Danach erhält der Verwalter
eine von der realisierten Aktivmasse abhängige Vergütung. Die Mechanismen ähneln sich insoweit also und es besteht in beiden Ländern auch durch die Vergütung
eine Bindung an das Interesse der Gläubiger.
ccc) Wiederwahl
Die Loyalität des Insolvenzverwalters gegenüber den Interessen der Gläubiger
wird nicht zuletzt durch die Wahlmöglichkeit der Gläubiger sichergestellt. Die Abwahlmöglichkeit des gerichtlich bestellten Insolvenzverwalters oder die Wahl in einem späteren Verfahren dürften einen starken Anreiz auf den Verwalter ausüben,
sich an dem Interesse der Gläubiger zu orientieren. Das gilt jedenfalls in Deutschland. In Italien hegte man bis zu der Reform durch das Decreto legislativo 12 settembre 2007, n. 169 ähnliche Hoffnungen.1234 Durch das Erfordernis von Gründen
1231 Gessner et al., Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 217.
1232 So jetzt auch Berger/Frege, ZIP 2008, 204 ff.
1233 Im Einzelnen Berger/Frege, ZIP 2008, 204 (208).
1234 Stanghellini, Il fallimento 2006, 377 (384).
226
für die Wahl eines neuen Insolvenzverwalters und die gerichtliche Überprüfbarkeit
der Wahl ist dieser Mechanismus insoweit etwas in Frage gestellt worden. Reichen
allein Vertrauensgesichtspunkte oder der Ruf eines Verwalters für seine Neuwahl
nicht aus, bleibt der Anreiz für den Insolvenzverwalter nur insoweit erhalten, als
diese Orientierung auch die Anerkennung durch das Gericht findet, das den Verwalter jedenfalls zu Beginn des Verfahrens bestellt.
Findet die interessengerechte Verwaltung auch die Anerkennung durch das Gericht, kann man erwarten, dass sich die Möglichkeit einer erneuten Bestellung in einer erhöhten Professionalität des Verwalters bemerkbar machen wird.1235 Demgegenüber birgt eine Wahl durch die Gläubiger immer auch die Gefahr, dass der Verwalter in besonderer Weise auf die Interessen der größten Gläubiger Rücksicht
nimmt, die voraussichtlich auch in zukünftigen Verfahren beteiligt sein werden.
c) Verhältnis zu den gerichtlichen Organen
aa) Allgemeines
Im italienischen Recht sind die gerichtlichen Organe präsenter als in der deutschen
Rechtsordnung. Insbesondere trifft nicht der Insolvenzverwalter die Entscheidungen,
wenn die Gläubiger ihre Rechte nicht wahrnehmen. Vielmehr entscheidet gemäß
Art. 41 Abs. 5 LF der beauftragte Richter statt des Gläubigerausschusses. Durch diese richterliche Kompetenz, die in der Diskussion um die Delegierungsbefugnis der
Gläubiger an das Gericht in Deutschland ihre Entsprechung findet, werden die Beteiligungsrechte der Gläubiger nicht beeinträchtigt. Denn sie haben es ja in der
Hand, selbst eine Entscheidung zu treffen. In diesen Fällen übernimmt das Gericht
vielmehr nur eine Kontrolle des Verwalters, die die Gläubiger nicht wahrnehmen
wollen.1236
Eine Einschränkung der Gläubigerautonomie findet aber statt, wenn das gerichtliche Organ den Verfahrenslauf möglicherweise sogar entgegen des von den Gläubigern gesetzten Willens beeinflussen kann. Die grundlegenden Züge sind in Deutschland und Italien ähnlich: In beiden Ländern kann ein unparteiisches1237 und nur ein-
1235 So für Italien Stanghellini, Il fallimento 2006, 377 (385).
1236 Die unterschiedliche Beteiligungsintensität des Gerichts in Deutschland und Italien mag auch
historisch-kulturelle Gründe haben. In Italien hat man nicht nur unter dem bisher geltenden
Konkursrecht, sondern auch vor den Reformen der 30er und 40er Jahre eher schlechte Erfahrungen mit dem Insolvenzverwalter oder der Beteiligung der Gläubiger gemacht. Dort scheint
es auch in „einigen Regionen […], in denen die Präsenz von und die Beeinträchtigung durch
Kriminalität groß ist“ auch ein großes Bedürfnis für eine erhöhte zusätzliche Kontrolle zu geben, Minutoli, Il fallimento 2005, 1460 (1468); ähnlich Nardecchia, Informazione prevedenziale 2006, 1 (9); Stanghellini, Il fallimento 2006, 377 (380).
1237 Corte di Cassazione 28.02.2005, n. 13919 m. Anm. Palamara, Cassazione Penale 2006, S.
2140 ff.; Minutoli, Il fallimento 2005, 1460 ff.
227
geschränkt haftendes1238 gerichtliches Organ eine Entscheidung treffen, die die Entscheidung der Gläubiger aufhebt oder ändert. Allerdings sind die Fälle, in denen das
Gericht auf das Verfahren einwirken kann, nicht deckungsgleich.
In Deutschland findet eine Korrektur einer Gläubigerentscheidung auf Antrag eines einzelnen Gläubigers gemäß § 78 InsO statt.1239 Eine ähnliche Wirkung versucht
man in Italien durch das Institut des abuso di potere zu erreichen. Denn mit dieser
Rechtsfigur sollen diejenigen Entscheidungen einer Anfechtung nach Art. 36 LF zugänglich gemacht werden, in denen die Gläubigermehrheit Sonderinteressen verfolgt.1240 Ob sich neben der Haftung der Ausschussmitglieder1241 diese Kontrolle
durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Unumstritten kann aber in Italien der mehrheitliche Gläubigerwille im Falle der Betriebsfortführung durch das Gericht geändert
werden.
bb) Einfluss der gerichtlichen Organe
Die Rolle der gerichtlichen Organe ist im italienischen Recht besonders ausgeprägt
bei der Entscheidung über die Betriebsfortführung. Während im deutschen Recht
das Gericht nur im Eröffnungsbeschluss und anschließend die Gläubigerversammlung über die Betriebsfortführung entscheidet, § 158 InsO, können das Gericht und
der beauftragte Richter im italienischen Recht an verschiedenen Stellen den Entscheidungsprozess beeinflussen.1242 So entscheidet das Gericht im Eröffnungsbeschluss über die Betriebsfortführung. Dabei richtet es sich aber nicht allein nach den
Interessen der Gläubiger, sondern muss ebenfalls auch die Interessen Dritter in seine
Entscheidung einbeziehen, Art. 104 Abs. 1 LF.1243 Ob der beauftragte Richter anschließend, wenn die Betriebsfortführung von dem Insolvenzverwalter vorgeschlagen und ihr durch den Gläubigerausschuss zugestimmt wurde, ebenfalls einen Entscheidungsspielraum hat, ist zwar streitig.1244 Jedenfalls kann aber das Gericht (ebenso wie der Gläubigerausschuss) jederzeit die Einstellung der Betriebsfortführung
beschließen, Art. 104 Abs. 6 LF.
Abgesehen von dem massiven Einfluss der gerichtlichen Organe fällt auf, dass
die Stilllegung rechtlich wie tatsächlich überproportional begünstigt wird. Denn zum
1238 Nach Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Haftung von magistrati (legge 13.04.1988, n. 117)
kann derjenige vom Staat Schadensersatz verlangen, der unrechtmäßig einen Schaden durch
die Maßnahme oder eine richterliche Entscheidung erlitten hat, wenn diese in Ausübung des
Amtes durch einen magistrato vorgenommen wurde und der Schaden vorsätzlich oder grob
fahrlässig verursacht wurde. Diese Regelung findet auch auf die Handlungen des beauftragten
Richters Anwendung (vgl. dazu Minutoli, in: Ferro, La legge fallimentare, S. 177 und 209).
1239 Dazu ausführlicher unten S. 66 ff.
1240 Siehe oben S. 192 f.
1241 Siehe dazu unten S. 238 ff.
1242 Siehe dazu im Besonderen S. 166 ff.
1243 Dazu im Besonderen oben S. 166 ff. und S. 205 ff.
1244 Siehe dazu oben S. 166.
228
einen werden die Beteiligten und namentlich auch das Gericht in der Regel von
mehreren Alternativen diejenige auswählen, die mit dem geringsten Risiko verbunden ist.1245 Zum anderen kann die Betriebsfortführung nur durch ein Zusammenwirken von Insolvenzverwalter, Gläubigerausschuss und beauftragtem Richter erreicht
werden, während sowohl Gläubigerausschuss als auch das Gericht unabhängig voneinander eine Stilllegung durchsetzen können. Wie lassen sich der gerichtliche Einfluss und die starke Favorisierung einer Betriebsstilllegung erklären? Das Problem
verschärft sich, wenn man sich vor Augen hält, dass die Begünstigung der Betriebsstilllegung auch einen Widerspruch zu der Regelung des Art. 104 Abs. 1 LF darzustellen scheint, die in dem Bestreben, die Dritt- und die Gläubigerinteressen auf ihren größtmöglichen Nenner zu bringen, eine Betriebsfortführung begünstigt, wenn
dies nicht zum Nachteil der Gläubiger gereicht.1246 Denn den Drittinteressen ist
kaum gedient, wenn die Einstellung der Betriebstätigkeit von praktisch jedem einzelnen Organ angeordnet werden kann, die Fortführung aber nur durch Zusammenwirken aller.
Die Entscheidungsbefugnis des Gerichts nach Art. 104 Abs. 6 LF lässt sich wohl
kaum mit den Erwägungen begründen, aus denen man in Deutschland eine Delegierung der Entscheidung der Versammlung an das Gericht namentlich für den Fall der
Betriebsfortführung vorschlägt. Denn die Diskussion in Deutschland kreist um das
Problem, wie zur Verhütung eines Schadens ein anderer schnellerer und flexiblerer
Entscheidungsträger gefunden werden soll. In Italien ist aber bis zu einer Entscheidung des Gerichts noch die Anhörung des Verwalters und des Gläubigerausschusses
erforderlich, so dass die Entscheidung des Gerichts nicht schneller und flexibler sein
kann als eine des Gläubigerausschusses.
Die Gründe für das bestehende Regelungsregime liegen wohl eher darin, dass das
italienische Recht ein tief verwurzeltes1247 Misstrauen gegenüber der als risikoreich
und missbrauchsanfällig empfundenen Betriebsfortführung hegt.1248 Zu diesem
Misstrauen gesellt sich die Befürchtung, dass die Mehrheit der Mitglieder des Gläubigerausschusses mit der Betriebsfortführung Partikularinteressen verfolgen könnte,
1245 Vgl. zu dem sog. framing-Effekt speziell bei Insolvenzrichtern Rachlinsky/Guthrie/Wistrich,
JITE 163 (2007), 167 (173 ff.); in Bezug auf Richter im Allgemeinen vgl. Guthrie/Rachlinsky/Wistrich, Cornell Law Review 86 (2001), 777 (794 ff.).
1246 Siehe dazu oben S. 205 ff.
1247 Vor der Reform des Codice Civile von 1882 durch das Gesetz 10.07.1930, Nr. 995 hatte man
schlechte Erfahrungen mit (nach damaligem Recht noch nicht haftenden) Insolvenzverwaltern
gemacht, die das Institut der vorläufigen Betriebsfortführung zum Zwecke eigener Spekulationen missbrauchten. Um Verluste für die Gläubiger zu vermeiden, führte man die Regelung
ein, dass von dem Gericht eine Betriebsfortführung nur dann angeordnet werden durfte, wenn
ansonsten ein schwerer Schaden für die Gläubiger entstünde (Relazione ministeriale al Re,
Gazzetta Ufficiale 06.04.1942, Nr. 81, S. 10). Diese Regelung wurde vom Gesetzgeber von
1942 übernommen (Relazione ministeriale al Re, Gazzetta Ufficiale 06.04.1942, Nr. 81, S.
10).
1248 Meoli, Il fallimento 2005, 1042 (1043 f.); vgl. aber Liconti, in: S. 398.
229
die den Interessen der gesamten Gläubigerschaft widersprechen.1249 Danach stellt die
Entscheidungskompetenz des Gerichts nach Art. 104 Abs. 6 LF also einen Gegenpol
zu der Befugnis des Gläubigerausschusses nach Art. 104 Abs. 2 LF dar, nach der der
Ausschuss den beauftragten Richter zu der Fortführung des Betriebs anweisen
kann.1250
Dieses Konzept mag aus deutscher Sicht verwundern, assoziiert man die Entscheidung über die Betriebsfortführung doch in der Regel mit dem Konflikt zwischen ungesicherten und gesicherten Gläubigern, wobei man davon ausgeht, dass
Letztere eine Stilllegung wegen ihrer erhöhten Präsenz und Stimmmacht ohnehin
durchsetzen, um möglichst schnell an ihr Sicherungsgut zu kommen.
Ein Teil dieser Prämissen trifft zwar auch für das italienische Recht zu. Das gilt
bis zu einem gewissen Grad für den Interessengegensatz der gesicherten (die wie in
Deutschland häufig Banken sind)1251 und ungesicherten Gläubiger1252 ebenso wie für
ihre Macht in dem Gläubigerausschuss.1253
Andererseits unterscheiden sich aber einige Faktoren doch stark von der deutschen Situation. Während nämlich die gesicherten Gläubiger in Deutschland wegen
Befriedigungsquoten von ca. 70 % bis 80 %1254 an den möglichen Gewinnen einer
Betriebsfortführung nur eingeschränkt partizipieren,1255 mag es aus der Sicht eines
gesicherten Gläubigers in Italien, der in der Regel nur eine Befriedigungsquote von
30 % bis 40 % erhält,1256 viel aussichtsreicher sein, auf den Erfolg einer Betriebsfortführung zu spekulieren. Denn durch die unterschiedlichen Privilegien wird das
Risiko auf eine breitere Masse von Gläubigern gestreut und der maximale Gewinn
beträgt durchschnittlich nicht 20 % bis 30 %, sondern 60 % des Nennbetrags der
Forderung.
Zum anderen mag es durchaus Fälle geben, in denen die Gläubiger mit hoher Absicherung in der Minderheit sind und sich die ungesicherten Gläubiger (und die gesicherten Gläubiger mit einer wegen Ihres Rangs verhältnismäßig schlechten Absicherung) auch bei hohem Risiko und auf Kosten der Gläubiger mit hoher Absicherung für eine Betriebsfortführung entscheiden. In solchen Fällen soll das Gericht
einschreiten können, weil die ungesicherten Gläubiger die möglichen Verluste, die
sie mangels einer zu § 172 InsO vergleichbaren Regelung im italienischen Recht,
1249 Fimmanò, in: Jorio/Fabiani (Hrsg.), Il nuovo diritto fallimentare, II, S. 1617; Meoli, Il fallimento 2005, 1042 (1047).
1250 Abete, Il diritto fallimentare e delle società commerciali 2005, 659 (666 f.).
1251 Vgl. dazu den Abschnitt über das Bankenprivileg S. 131 f.
1252 Vgl. dazu im Besonderen Meoli, Il fallimento 2005, 1042; siehe zu dem Konflikt von gesicherten und ungesicherten Gläubigern im italienischen Insolvenzrecht im Allgemeinen Inzitari, Il diritto fallimentare e delle società commerciali 2007, 306 (318 f.).
1253 Vgl. dazu den Abschnitt über die Zusammensetzung des Gläubigerausschusses oben S. 150.
1254 Pape, Gläubigerbeteiligung, RN 124; vgl. auch Gessner et al., Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 45.
1255 Vgl. das Beispiel in der Einleitung (FN 26), das entsprechend auch für die Betriebsfortführung gilt.
1256 Siehe dazu oben S. 124 ff.
230
nicht in ihr Entscheidungskalkül aufnehmen müssen und damit aus Sicht der gesamten Gläubigerschaft nachteilige Entscheidungen treffen können.
2. Die Rollenverteilung zwischen den beiden Organen
Einer der augenfälligsten Unterschiede des deutschen und des italienischen Rechts
ist die Verteilung der Entscheidungszuständigkeit auf die unterschiedlichen Gläubigergremien bzw. die Organisation des Entscheidungsprozesses innerhalb dieser
Gremien. Der deutschen Dichotomie von Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss setzt das italienische Recht ein einheitliches Organ – das Comitato dei Creditori – gegenüber. In Deutschland ist das Hauptorgan die Gläubigerversammlung. Sie
entscheidet in aller Regel über alle maßgeblichen Fragen, da ein Gläubigerausschuss
nur in ca. 20 % aller Fälle eingesetzt wird.1257 Selbst dann entscheidet sie zwingend
über die Betriebsfortführung (§ 157 InsO) und im Fall einer Betriebsveräußerung an
besonders Interessierte (§ 162 InsO). Sie kann darüber hinaus einen Großteil der
Entscheidungen des Gläubigerausschusses ersetzen.1258 In kritischen Fällen wie dem
der Betriebsveräußerung an besonders Interessierte ist ihre Zustimmung ebenfalls
zwingend erforderlich. In Italien bestimmt grundsätzlich der Gläubigerausschuss, ob
das Unternehmen vorläufig fortgeführt oder stillgelegt werden soll. Auch über besonders bedeutsame Rechthandlungen entscheidet allein der Ausschuss, ohne dass
diese Entscheidung durch die Gesamtheit der Gläubiger ersetzt werden könnte.
Während also in Deutschland daher das Basisorgan für Sachentscheidungen die
Gläubigerversammlung ist, ist dies in Italien der Gläubigerausschuss. Daher sind
auch vornehmlich die Grundstrukturen und die Funktionsweise dieser beiden Organe einander gegenüberzustellen (unten 3.). Der Vergleich von den sich zwar namentlich entsprechenden, in der tatsächlichen Aufgabenwahrnehmung jedoch verschiedenen Organen Gläubigerausschuss und Comitato dei Creditori soll auf einige wesentliche Punkte beschränkt werden (unten 4.).
3. Vergleich von Gläubigerversammlung und Comitato dei Creditori
a) Grundlegende Aspekte der Entscheidungszuweisung
Die Gläubigerversammlung und das Comitato dei Creditori unterscheiden sich in
mehreren grundlegenden Aspekten. Erstens entscheidet in der Gläubigerversammlung grundsätzlich die Gesamtheit der Gläubiger als Prinzipal selbst, während der
Ausschuss ein die Gläubigergesamtheit vertretendes Organ ist (unten aa.). Zweitens
1257 Siehe oben S. 88; vgl. auch Gessner et al., Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 200; Kübler, in: Kübler/Prütting (Hrsg.), InsO, § 67 RN 3 ff.; Pape, Gläubigerbeteiligung, S. 126.]
1258 Siehe oben S. 37 ff.
231
ist die Gläubigerversammlung darauf ausgelegt, dass eine Entscheidung von einer
Vielzahl von Individuen getroffen wird, während bei dem Gläubigerausschuss ein
kleineres Gremium entscheidet (unten bb.). Die Gläubigerversammlung und das
Comitato dei Creditori unterscheiden sich in tatsächlicher Hinsicht auch dadurch,
dass unterschiedliche Gläubigerinteressen repräsentiert werden (unten cc.). Ferner
muss man auch berücksichtigen, dass die Beteiligung der Gläubiger, die ihren Sachverstand im Rahmen der Gläubigerversammlung einbringen, ohne Kosten für die
sich nicht beteiligenden Gläubiger ist (unten dd.). Schließlich ist der Einsatz eines
kleineren Gremiums, bei dem sich nur eine kleine Anzahl von Gläubigern beteiligt,
mit geringeren Transaktionskosten verbunden (unten ee.).
aa) Entscheidung durch den wirtschaftlich Betroffenen
Bei manchen Entscheidungen lässt sich auch im Nachhinein nur schwer sagen, ob
die bessere von mehreren Alternativen gewählt worden ist. Denn es fehlt regelmäßig
ein Vergleichsmaßstab, der es Außenstehenden oder den Beteiligten selbst erlauben
würde, ein Urteil über die Richtigkeit der Entscheidung zu fällen.1259 So mag auch
später eine Beurteilung schwierig sein, ob es günstiger gewesen wäre, den Betrieb
fortzuführen oder ihn stillzulegen. In solchen Fällen stellt sich gar nicht erst die Frage, auf welche Weise man sicherstellen kann, dass das Vertretungsorgan im Sinne
der Gläubiger handelt, denn keiner der Beteiligten verfügt über die Erkenntnis, wie
die Entscheidung auszusehen hätte. Daraus lässt sich aber nicht im Umkehrschluss
folgern, dass es gleich wäre, wer die Entscheidung trifft.
Die Gläubiger treffen die Folgen der jeweiligen Entscheidungen immer. Sie profitieren von positiven Entscheidungen und erleiden Einbußen bei negativen Entscheidungen. Treffen die Gläubiger die Entscheidung selbst, erleiden diejenigen, die besonders häufig schlechte Entscheidungen treffen, auf längere Sicht einen Wettbewerbsnachteil. Das wird bei einem Rohstoffhändler, dessen Lieferant als einer unter
mehreren ausfällt (und der sich auch nur in Ausnahmefällen mit einer Insolvenz beschäftigt) nicht stark ins Gewicht fallen. Ist die Realisierung einer möglichst hohen
Quote jedoch der Kern des Geschäfts – man denke an eine Bank oder einen Kreditversicherer – wird es sich früher oder später bemerkbar machen, wenn wiederkehrend falsche Entscheidungen im Insolvenzverfahren getroffen werden. Das kann
derart weit gehen, dass diese Nachteile die Konditionen beeinflussen, zu denen man
das eigene Produkt am Markt anbieten kann (etwa die Zinsen, zu denen Kredite vergeben werden); seltener wird es deswegen zu einer vollständigen Verdrängung vom
Markt kommen. Immerhin werden sich langfristig unter diesen Gläubigern diejenigen als Entscheidungsträger durchsetzen, die das bessere Gespür haben. Daher kann
es sinnvoll sein, Entscheidungen mit stark spekulativem Charakter in die Hand der
unmittelbar wirtschaftlich betroffenen Gläubiger zu legen.
1259 Siehe auch De Alessi/Staaf, JITE 145 (1989), 561 (573).
232
Dieser Gedanke mag dafür maßgeblich gewesen sein, dass nach der deutschen Insolvenzordnung über die Betriebsfortführung die Gläubigerversammlung entscheidet. Diese Idee steht vielleicht auch hinter den Regelungen der Legge fallimentare,
die vorsieht, dass nur Gläubiger Mitglieder des Ausschusses werden können. Besonders deutlich bringt das italienische Recht dies mit dem Kriterium zum Ausdruck,
dass die Mitglieder des Gläubigerausschusses auch mit Bezug auf die Befriedigungsmöglichkeiten ausgewählt werden müssen. Die Gesamtheit der Ausschussmitglieder internalisieren in ihrer Stellung als Gläubiger aber nur die Vor- und Nachteile ihrer eigenen Forderungen, die nur einen mehr oder minder großen Bruchteil der
Forderungsgesamtheit ausmachen. Die Haftung, die einen Ausgleich für die überschießende Verfügungsgewalt darstellt, eignet sich demgegenüber nicht, um bei den
beschriebenen spekulativen Entscheidungen alle negativen Folgen für den Entscheidungsträger spürbar zu machen, wenn die Nachteilhaftigkeit einer Entscheidung
nicht feststeht oder nicht beweisbar ist.1260
bb) Pluralitätsaspekt
Hinter der Zuweisung einer Entscheidungsbefugnis an einen größeren Personenkreis
mag auch die Idee stehen, dass die Qualität einer Entscheidung durch die Anzahl der
Personen, die diese Entscheidung treffen, beeinflusst wird. Der Gedanke, dass eine
höhere Anzahl von Entscheidungsträgern auch eine höhere Richtigkeitsgewähr bietet, findet sich auch in anderen Lebensbereichen. So spricht einiges dafür, dass ein
Aktienmarkt, an dem eine Vielzahl von Akteuren agiert, besser den Wert eines Unternehmens einschätzen kann als ein einzelner Gutachter. Auch die Besetzung von
höheren Gerichtsinstanzen durch mehrere Richter beruht auf diesem Gedanken.
Die Qualität einer Entscheidung wird allerdings nicht nur durch die absolute Anzahl der Beteiligten beeinflusst. Vielmehr wird auch die Information des einzelnen
Entscheidungsträgers eine Rolle bei der Qualität der Entscheidung spielen.1261 Je
größer aber das Meer der Gläubiger ist, desto größer ist auch die Chance, dass sich
dort Inseln des Wissens befinden. Mit anderen Worten haben die Gläubiger kein
einheitliches Informationsniveau. Vielmehr werden einige von ihnen bereits von
sich aus mehr wissen als andere und auch der Aufwand, den sie zur Vorbereitung
auf eine bestimmte Entscheidung betreiben, wird variieren. Die Zahl von sachverständigen und zugleich gut informierten Gläubigern wird mit auch mit der Menge
der sich insgesamt beteiligenden Gläubiger zunehmen.
Der von den Gläubigern betriebene Informationsaufwand und das Beteiligungsniveau hängen auch von der Bedeutung der Entscheidung ab. Wichtige Entscheidungen (wie etwa Gesetze, die durch ein Parlament entschieden werden oder wesentliche Grundentscheidungen bei einer Aktiengesellschaft, die von der Hauptversammlung statt von dem Vorstand entschieden werden), werden von einer größeren Zahl
1260 Vgl. hierzu Wagner, AcP 206 (2006), 352 (459 f.); siehe auch unten S. 238.
1261 Siehe dazu bereits oben S. 216 f.
233
von Personen getroffen. Das ist gemessen an den Folgewirkungen solcher Entscheidungen auch sinnvoll. So mag sich erklären, dass im deutschen Insolvenzrecht über
die zentrale Frage der Betriebsfortführung zwingend die Gläubigerversammlung
entscheiden muss, während andere Entscheidungen dem Gläubigerausschuss als
kleinerem Gremium zugewiesen sind, wenn ein solcher eingesetzt ist. Um optimale
Ergebnisse zu erzielen, muss man also die Wichtigkeit der Entscheidung in Beziehung zu dem zu betreibenden Aufwand setzen. Daher erscheint es plausibel, je nach
den unterschiedlichen Auswirkungen, die eine Entscheidung haben kann, die Zahl
der Beteiligten zu staffeln.
cc) Repräsentation
Die Gläubigerversammlung der InsO und das Comitato dei Creditori der Legge fallimentare unterscheiden sich auch insoweit als sie im Verhältnis eine unterschiedliche Beteiligung der einzelnen Gläubigergruppen in ihrem Verhältnis zueinander sicherstellen. Eine angemessene Repräsentation bietet Minderheiten die Möglichkeit,
ihre Interessen zu artikulieren und Einfluss auf das Verfahren zu nehmen.1262 Damit
hat eine ausgewogene Repräsentation eine Verteilungsgerechtigkeitskomponente.
Eine angemessene Repräsentation ist aber auch sinnvoll, um eine Gleichschaltung
von Verfügungsgewalt und möglichem Ausfall bzw. Gewinn zu erreichen. Der Verfügungsberechtigte soll im Idealfall alle positiven bzw. negativen Effekte internalisieren können.1263
Freilich unterstellt eine solche Sichtweise, dass sowohl Inhaber großer Forderungen als auch Inhaber geringerer Forderungen bei gleichem Kenntnisstand auch
gleich geeignet sind, wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen. Das wird in der Regel aber nicht der Fall sein. Denn es spricht viel für die Annahme, dass Vertreter von
Banken oder Kreditversicherern über eine höhere Sachkenntnis1264 und eine bessere
Infrastruktur verfügen als der typische Inhaber einer geringeren Forderung.
Zwar werden formal die Interessen der unterschiedlichen Gläubigergruppen sowohl von der Insolvenzordnung als auch von der Legge fallimentare in gleicher
Weise berücksichtigt. Denn während die Gläubiger nach der Insolvenzordnung in
der Gläubigerversammlung in der Proportion zu den jeweiligen Forderungen die
gleichen Stimmrechte erhalten, werden sie im streng repräsentativ1265 besetzten Comitato dei Creditori im gleichen Verhältnis von den Ausschussmitgliedern repräsentiert. Trotz dieser formal angemessenen Repräsentation der Gläubigerinteressen wird
1262 Vgl. Hansmann/Kraakman, in: Kraakman, The anatomy of corporate law, S. 54.
1263 Vgl. dazu allgemein Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 109 ff.
1264 Schmidt, La riforma del diritto concorsuale italiano, 123 (127); Westphal/Janjuah, ZIP Beilage 2008, 1 (11); siehe zu diesem Aspekt auch Kübler, in: Kübler/Prütting (Hrsg.), InsO, § 67 RN 3, der darauf hinweist, dass die häufig beteiligten Kreditversicherer sehr gut über
das Insolvenzgeschehen bescheid wissen.
1265 Vgl. dazu oben 150 ff.
234
das Bild in der Praxis im Fall der Gläubigerversammlung in der Regel anders aussehen, weil sich eine Beteiligung für die Inhaber geringerer Forderungen weniger
lohnt als für die Inhaber mit größeren Forderungsbeträgen. Je größer der Anteil der
Inhaber von kleineren Forderungen an dem summierten Forderungsbetrag insgesamt
ist und je geringer die Relevanz der jeweiligen Entscheidung für den einzelnen
Gläubiger im Verhältnis zum Aufwand ist, umso verzerrter ist auch die Entscheidung der in der Versammlung teilnehmenden Gläubiger.1266 Diesem Problem versucht das italienische Insolvenzrecht gerecht zu werden, wenn es nahezu alle wichtigen Sachentscheidungen einem repräsentativ besetzten Ausschuss zuweist.
Freilich ist auch der italienische Gläubigerausschuss nicht vor dem rationalen
Desinteresse der Inhaber kleinerer Forderungen und einer angemessen Repräsentation gefeit. Denn in dem Bestreben, Verfahren mit geringen Massen nicht noch weiter
auszumergeln (und damit aus einer ähnlichen Erwägung heraus, die in Deutschland
zu der Fakultativität des Ausschusses überhaupt geführt hat), hat der Gesetzgeber
die Vergütung der Ausschussmitglieder einer Entscheidung der Gläubiger überlassen (Art. 37-bis LF). Immerhin erhalten aber die Ausschussmitglieder einen Aufwendungsersatz. Auch der Abstimmungsmodus zu der Vergütung erleichtert es den
Inhabern geringerer Forderungen, eine Vergütung der Ausschussmitglieder zu beschließen, um auf diese Weise Vertreter aus ihren Reihen für die Arbeit im Ausschuss weiter zu motivieren. Damit trägt das italienische Insolvenzrecht einer ausgewogenen Berücksichtigung der unterschiedlichen Gläubigerinteressen eher Rechnung als das deutsche Insolvenzrecht.
dd) Positive externe Effekte
Durch die Abhaltung von Gläubigerversammlungen, bei denen die teilnehmenden
Gläubiger die ihnen entstehenden Kosten selbst tragen, entstehen auch sogenannte
positive externe Effekte. Von positiven externen Effekten spricht man, wenn durch
die Aktivität eines Akteurs anderen ein Vorteil entsteht, ohne dass ein Markt dies
mit einem Preis belegt.1267 Die Beteiligung eines Gläubigers im Insolvenzverfahren
trägt – im Idealfall – dazu bei, dass die Masse einer besseren Verwertung zugeführt
1266 Das sei an folgendem, bewusst extrem gewählten Beispiel verdeutlicht: G1-100 haben eine
Forderung i.H.v. 1. Ihr Nutzen durch eine Teilnahme am Verfahren ist 0,1. Insgesamt haben
sie einen potentiellen Nutzen von 10, an dem Verfahren teilzunehmen. Die Kosten für jeden
einzelnen betragen aber 0,2. Daher wird keiner von ihnen an dem Verfahren teilnehmen. Der
Großgläubiger Gx hat eine Forderung i.H.v. 10 und einen Nutzen, an dem Verfahren teilzunehmen, von 1. Auch für ihn betragen die Kosten 0,2. In Deutschland würde in dieser Situation die Betriebsfortführung von der Versammlung entschieden, an der nur Gx teilnimmt. In Italien würde über die Betriebsfortführung ein Ausschuss entscheiden, der möglicherweise aus
G1 und G2 als Vertreter von G1-100 und Gx bestünde. Widersprechen sich die Interessen
von G1-100 auf der einen und die von Gx auf der anderen Seite, kommt man durch die unterschiedliche Teilnahme und das unterschiedliche Stimmgewicht zu ganz anderen Ergebnissen.
1267 Weimann, WISU 2002, 249 (251).
235
wird. An diesen Vorteilen partizipieren die nicht teilnehmenden Gläubiger, ohne
dass sie auch nur einen Teil des bei dem sich beteiligenden Gläubiger entstehenden
Aufwands tragen müssen. Diese positiven externen Effekte sind deswegen problematisch, weil sie zur Folge haben, dass zu wenig von der positiven Aktivität entfaltet wird, weil eben nicht alle die Vorteile den Akteur erreichen, der auch mit den
Nachteilen belastet ist.
Dieses unerwünschte Ergebnis vermeidet das italienische Insolvenzrecht bis zu
einem gewissen Grad, indem es zumindest einen Teil der Kosten, die bei den sich im
Gläubigerausschuss beteiligenden Gläubiger entstehen, aus der Masse erstattet und
damit auf alle profitierenden Gläubiger umlegt.
ee) Geringere Transaktionskosten
Ein kleineres Gremium verringert die Transaktionskosten nicht allein dadurch, dass
statt einhundert Gläubigern nur drei oder fünf eingeladen werden müssen und auch
nur diese Zeit investieren müssen. Vielmehr erlaubt sie auch eine vereinfachte Abstimmung der Mitglieder untereinander, die sich sogar selbst organisieren können.
Das Verfahren für Abstimmungen ist flexibler. Mit anderen Worten wird also nicht
nur das Treffen selbst stark verbilligt, sondern auch der Entscheidungsfindungsprozess. Es ist erheblich leichter, mit wenigen Gläubigern Argumente auszutauschen als
mit einer Vielzahl von sich möglicherweise auch noch taktisch verhaltenden Gläubigern.
ff) Tragweite und Relevanz der Aspekte
Diese Aspekte haben in den beiden Rechtsordnungen je nach Größe des Verfahrens
aber eine unterschiedliche Tragweite.
Die Entscheidungen durch die Gläubiger nähern sich im Wesentlichen an, wenn
die Befriedigungsaussichten so gering sind, dass für keinen Gläubiger eine Beteiligung sinnvoll ist. In diesen Fällen werden Entscheidungen in Deutschland durch den
Insolvenzverwalter getroffen, während in Italien die Entscheidungen durch den beauftragten Richter und den Insolvenzverwalter getroffen werden.
Sind die Aussichten so gering, dass sich aus eigenem Antrieb, also ohne einen
entsprechenden Aufwendungsersatz nur eine kleine Gruppe beteiligen würde, entstehen allerdings größere Unterschiede. In Deutschland würden sich in der Regel nur
die Inhaber der größten Forderungen beteiligen, während sich in Italien Vorteile
(insbesondere die Vorteile einer Internalisierung der negativen und positiven externen Effekte) des repräsentativ besetzen Ausschusses bemerkbar machen.
236
Auch bei großen Insolvenzen, wo sich die Beteiligung für viele Gläubiger
lohnt,1268 können Unterschiede zwischen den beiden Rechtsordnungen auftreten.
Größere Verfahren, in denen viele Entscheidungen von großer Tragweite getroffen
werden, machen eine Beteiligung auch für Inhaber geringerer Forderungen attraktiver, so dass sich das oben beschriebene Problem zumindest relativiert. Gleichzeitig
kommen die Vorteile einer Entscheidung durch eine Vielzahl von Gläubigern1269 zu
ihrer vollen Geltung. Soweit die Legge fallimentare in diesen Fällen zur Anwendung
kommt, entbehrt sie die Vorteile der deutschen Regelungen. Es ist aber zu beachten,
dass Verfahren, in denen auch relativ viele Gläubiger mitwirken werden, in der Regel eine große Masse voraussetzen. Eine solche Masse wird vor allen Dingen bei
großen Unternehmen gegeben sein. In Italien werden aber solche Unternehmen in
einem besonderen Verfahren auf ihre Sanierungsfähigkeit überprüft. Wird die Sanierungsfähigkeit negativ beurteilt, wird es in den seltensten Fällen zu einer weiteren
Betriebsfortführung kommen. Dann wird es ohnehin zu einer Zerschlagung des Unternehmens und einer Verwertung der einzelnen assets kommen. In allen übrigen
Rechtsfragen ist bei größeren Verfahren (bei denen dann auch davon auszugehen ist,
dass ein Gläubigerausschuss eingesetzt wird) ja nach beiden Rechtsordnungen der
Gläubigerausschuss zuständig. Zu Unterschieden bei der Entscheidung über die Betriebsfortführung kommt es im Regelinsolvenzverfahren wahrscheinlich also nur in
den Fällen, in denen die Masse so groß ist, dass sich nach der deutschen Insolvenzordnung mehr als fünf Gläubiger beteiligen, die aber andererseits ein Unternehmen
betreffen, das nicht mehr unter die amministrazione straordinaria fällt.
b) Innen- und Verfahrensrecht
Bedingt durch die Größe der Gläubigerversammlung sind die Verfahrensregeln
deutlich formalistischer als bei dem Comitato dei Creditori. Das belegt nicht nur die
Form, in der Beschlüsse gefasst werden können (Beschlüsse des Comitato dei Creditori können auch im Umlaufverfahren gefasst werden),1270 sondern auch die Formalia hinsichtlich der Einberufung der Gläubigerversammlung im deutschen Recht.1271
1268 Ein Beispielsfall aus der Tagespresse ist etwa der des Möbelherstellers Schieder, bei dem
fünfzig unterschiedliche Banken und Hedgefonds Kredite halten (FAZ vom 06.06.2007,
Wirtschaftsteil S. 1).
1269 Siehe oben S. 232 f.
1270 Siehe oben S. 158.
1271 Siehe oben S. 32.
237
c) Mehrheiten und Stimmrecht, Stimmverbote
aa) Mehrheiten und Stimmrecht
Würden sich in der deutschen Gläubigerversammlung alle Gläubiger beteiligen,
würde das Abstimmungsergebnis ein sehr differenziertes Bild widerspiegeln. Das
liegt zum einen daran, dass das deutsche Recht bei der Zuweisung des Stimmrechts
differenzieren kann.1272 Zum anderen liegt dies daran, dass jeder Gläubiger mit seiner Stimme auch nur für sich selbst abstimmt. Das italienische Recht verfährt demgegenüber (in dem Bestreben, das Verfahren zu vereinfachen) etwas pauschaler.
Zum einen werden in der Regel nur solche Gläubiger Mitglieder des Gläubigerausschusses sein, deren Forderung bereits zugelassen worden sind. Inhaber von Forderungen, die bestritten worden sind, die aber eine hohe Wahrscheinlichkeit haben,
später zur Tabelle zugelassen zu werden, haben demgegenüber keine Chance, in
dem Gläubigerausschuss vertreten zu sein. Sind sie der einzige Vertreter ihrer Gläubigergruppe, können ihre Interessen nur nachträglich (nach Abschluss des Prozesses) über die Ersetzungskompetenz des beauftragten Richters in den Ausschuss finden.
Zum anderen wird zwar jedes Mitglied des repräsentativ besetzten Ausschusses
auch die Interessen der Gruppe vertreten, der es zugehört. Es ist aber unwahrscheinlich, dass die fünf Mitglieder, aus denen das Comitato dei Creditori höchstens bestehen kann, alle unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Gläubigergruppen
berücksichtigen können.
bb) Stimmverbote
Sowohl die Regelungen zur Gläubigerversammlung im deutschen Recht als auch die
Regelungen zu dem Gläubigerausschuss im italienischen Recht sehen Stimmverbote
vor.
aaa) Abstimmung über Anfechtungsklage
Der Fall, dass in den Gläubigergremien über eine Anfechtungsklage gegen einen
mit entscheidenden Gläubiger entschieden wird, wird praktisch gleich gelöst. Beide
Rechtsordnungen schließen den Gläubiger, der hier zum Richter in eigener Sache
wird, von der Abstimmung mittels Stimmverboten aus.
1272 Dazu bereits oben S. 213.
238
bbb) Insichgeschäft
Während man in Deutschland Stimmverbote bei Insichgeschäften heiß diskutiert
werden, wird diese Problemgruppe in Italien kaum erwähnt. Das ist deswegen wenig
verwunderlich, weil die Gläubiger in der Liquidationsphase kaum beteiligt werden
und daher etwa die Problematik des Unternehmenskaufs durch einen Großgläubiger
kaum auftritt.
ccc) Unterschiede in den Rechtsfolgen
Greift ein Stimmverbot ein, sind die Rechtsfolgen unterschiedlich. Das deutsche
Recht wertet die Stimmen der befangenen Mitglieder einfach nicht mit und kalkuliert die Mehrheiten allein nach den Stimmen derer, die keinem Stimmverbot unterlagen. Damit kann sich der Beschluss inhaltlich ändern. Ein unter Mitwirkung eines
befangenen Mitglieds zustande gekommener Beschluss, der eine Anfechtungsklage
ablehnt, ist tatsächlich eine Zustimmung, wenn die nicht befangenen Mitglieder dafür gestimmt haben.
Das italienische Recht belässt es bis zur Anfechtung bei der Wirksamkeit des unter Verstoß gegen das Stimmverbot zustande gekommenen Beschlusses. Der Umstand, dass zwischen Rechtsverstoß und Unwirksamkeitsfolge noch ein gestaltender
richterlicher Akt geschoben wird, erlaubt es auch, den Tatbestand des Interessenkonflikts weit zu fassen.
Würde man Stimmverbote im deutschen Recht tatbestandsmäßig ähnlich weit wie
im italienischen Recht fassen, käme es zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit,
wenn man nicht zugleich die Rechtsfolge anpassen würde. Welche Form man als
sinnvoller beurteilt, hängt davon ab, wie groß man etwa die Gefahr durch Vetternwirtschaft (also solche Konstellationen, bei denen ein Rechtsgeschäft mit einem
Verwandten eines Gläubigers abgeschlossen wird) einschätzt. Denn der verbesserten
Kontrolle, die auch eine Anwendung von Stimmverboten jenseits der Fallgruppen
des Insichgeschäfts und des Richtens in eigener Sache erlaubt, steht ein erhöhter
Aufwand gegenüber. So muss das Stimmverbot nicht nur von Fall zu Fall festgestellt und gegebenenfalls eine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden.
Vielmehr bedarf es auch der Herausbildung einer ausgefeilten Kasuistik.
d) § 78 InsO und Haftung des Comitato dei Creditori
Bereits zuvor wurde dargelegt, dass Entscheidungen, bei denen auch ex post nur
schwer zu beurteilen ist, ob diese wirtschaftlich sinnvoll sind, am besten von demjenigen getroffen werden, der durch die Entscheidung unmittelbar betroffen ist.1273
1273 Siehe oben S. 231 ff.
239
Freilich gibt es auch eine Vielzahl von Entscheidungen, bei denen man bereits zu
dem Entscheidungszeitpunkt oder unmittelbar danach mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sagen kann, welche Entscheidungsalternative die günstigere war.
Die beiden Grundorgane, die Gläubigerversammlung nach der Insolvenzordnung
und das Comitato dei Creditori, sehen unterschiedliche Mechanismen vor, um eine
optimale Entscheidung durch die Mitwirkenden sicherzustellen.1274 So bezwecken
zwar sowohl § 78 InsO als auch die Haftung gemäß Art. 40 Abs. 7 LF, Entscheidungen zum Nachteil der Gläubigergesamtheit zu vermeiden. Während aber § 78 InsO
ermöglicht, eine falsche Entscheidung aufzuheben, haben die benachteiligten Gläubiger nach der Legge fallimentare in der Regel nur die Möglichkeit, Schadensersatz
zu verlangen. Welche Regelung ist nun sinnvoller, wenn man mit möglichst geringem Aufwand möglichst viele richtige Entscheidungen herbeiführen will?
aa) Die Gemeinsamkeit: Wirkungslosigkeit bei unsicheren Entscheidungen
Sowohl § 78 InsO als auch die Haftung der Mitglieder des Comitato dei Creditori
leiden unter demselben Defizit, dass sie die Nachteilhaftigkeit einer Entscheidung
nicht spürbar machen, wenn die richtige Entscheidung unsicher oder der entstandene
Schaden gegenüber dem Gericht nicht beweisbar ist.1275 Dabei ist in der Regel die
gerichtliche Bewertung einer wirtschaftlichen Entscheidung schwierig und wird in
Grenzfällen auch mitunter zu Fehlern führen.1276 Dessen sind sich auch die Gerichte
bewusst und werden daher eine gewisse Zurückhaltung bei der Anwendung der beiden Instrumente an den Tag legen. Bei Unsicherheit über die richtige Entscheidung
sind beide Instrumente gleichermaßen ungeeignet.
bb) Die Unterschiede
Die beiden Mechanismen unterscheiden sich in verschiedenen Aspekten.
aaa) Schnelleres Verfahren
Ein erster Vorteil des Haftungsinstruments gegenüber der Aufhebungsmöglichkeit nach § 78 InsO ist, dass es Streitigkeiten über die richtige Entscheidungen auf
den anschließenden Haftungsprozess verlagert und damit eine schnellere Abwicklung des Insolvenzverfahrens zulässt.
1274 Das deutsche Recht würde sich an das italienische insoweit dann annähern, wenn sich Anerkennung von Treuepflichten durchsetzte, die im Fall einer missbräuchlichen Abstimmung
auch Schadensersatzverflichtungen gegenüber Minderheit auslösen würde.
1275 Dazu bereits oben S. 231 ff.
1276 Hansmann/Kraakman, in: Kraakman, The anatomy of corporate law, S. 52.
240
bbb) Prävention
Wirkt eine Norm präventiv, so bedarf es eines nur geringen Verwaltungsaufwands, um die in ihr enthaltene Regel durchzusetzen. Sowohl der Haftung der Mitglieder des Gläubigerausschusses als auch der Aufhebungsmöglichkeit nach
§ 78 InsO wird eine solche Präventionswirkung zugeschrieben, die verhindern soll,
dass keine Entscheidungen wider das gemeinsame Interesse der Gläubiger getroffen
werden. Im Fall des § 78 InsO ist allerdings nicht ganz offensichtlich, wie die vom
Gesetzgeber intendierte Präventionswirkung1277 zustande kommen soll, wenn die
benachteiligten Gläubiger nicht anwesend sind. Bei Entscheidungen, die offenkundig zum Nachteil der Insolvenzgläubiger ausfallen, hilft zwar die Haftung des Insolvenzverwalters. Denn er muss als „Wahrer der Interessen aller Gläubiger“ gegen
solche Entscheidungen einen Antrag nach § 78 InsO stellen, um der eigenen Haftung zu entgehen.1278 Weiß der Insolvenzverwalter aber nichts von der Nachteilhaftigkeit der Entscheidung, hilft seine Haftung wenig. Gerade in den Fällen von Informationsasymmetrien mögen die dominierenden Gläubiger versucht sein, probehalber einen Beschluss zu fassen, der einseitig ihren Sonderinteressen dient – es kostet sie ja nichts. Die Präventionswirkung läuft in diesen Fällen leer. Die Instrumente,
die den Handelnden wie eine Haftung persönlich treffen, sind demgegenüber effektiver. Denn wer kann schon sicher sein, dass sich nicht im Nachhinein das Informationsgefälle doch noch nivelliert?
Das mag auch ein Grund sein, warum man in Deutschland über Treuepflichten
nachdenkt. Denn anders als ihr ebenfalls aus dem Gesellschaftsrecht stammender
italienischer Verwandter, die Rechtsfigur des abuso di potere,1279 sollen sie im Insolvenzrecht auch Schadensersatzpflichten auslösen können.1280
ccc) Nachteile einer Haftung
Eine Haftung hat demgegenüber auch verschiedene Nachteile. Zum einen kann
sie die Bereitschaft hemmen, die mit dem Haftungsrisiko verbundene Tätigkeit auszuüben. Und zum anderen verhindert sie unter Umständen, dass vernünftige Risiken
eingegangen werden. Die Diskussion um die durch das Decreto legislativo 9 gennaio 2006, n. 5 eingeführte Haftung der Mitglieder des Comitato dei Creditori hat
gezeigt, dass das Haftungsrisiko die Bereitschaft der Gläubiger hemmen kann, im
Ausschuss mitzuwirken. Diese Bereitschaft wird nicht nur durch die Haftung überhaupt, sondern auch durch die Haftungsintensität beeinflusst. Das Decreto legislativo 12 settembre 2007, n. 169 hat die Haftung der Ausschussmitglieder einschränkt,
um die Mitwirkung im Ausschuss attraktiver zu gestalten.
1277 Vgl. noch einmal BT-Drucks. 12/2443, S. 134.
1278 Siehe dazu oben S. 57 f.
1279 Siehe dazu oben S. 192.
1280 Siehe dazu oben S. 105 ff.
241
Damit ein Gläubiger auch ein nur geringfügiges Haftungsrisiko nimmt, bedarf es
zudem eines finanziellen Vorteils, der auch die übrigen Aufwendungen abdeckt, die
mit der Tätigkeit im Ausschuss verbunden sind. Der finanzielle Ausgleich, den eine
Person für die Arbeit im Ausschuss erwartet, wird daher nicht nur von seinen Aufwendungen und dem Vorteil abhängen, den er sich unabhängig von seiner Vergütung erhofft (höhere Quote, Informationsvorteil, bessere Reputation). Vielmehr wird
man auch umso mehr die Höhe der Vergütung im Blick haben, je schärfer das Haftungsschwert gewetzt ist. Ein effektives Haftungsinstrument ist daher für die Gläubigerschaft nicht kostenlos. Dieser Gedanke liegt auch der Insolvenzordnung
zugrunde, die eine Haftung erst bei einer Entscheidung des vergüteten Ausschusses
vorsieht.1281
Auch wenn sich Gläubiger zu der Mitwirkung bereit erklären, hat eine Haftung
überdies den Nachteil, dass unternehmerische Entscheidungen gehemmt werden.
Ohnehin besteht bereits eine psychologische Tendenz, von mehreren Entscheidungsalternativen diejenige zu wählen, die mit einem geringeren Risiko verbunden
ist.1282 Eine Haftung mag eine solche Risikoaversion noch erhöhen.1283 Ein weiteres
Problem stellt die Tendenz von Richtern dar, bei einem ex post zu beurteilenden
Schadensverlauf die Schadensneigung eines bestimmten Verhaltens höher einzuschätzen als sie tatsächlich ist.1284 Diese verzerrte Perspektive droht die in der Hand
der Zivilgerichte liegende Steuerungsleistung des Haftungsrechts zu unterlaufen1285
und verleitet den Entscheidungsträger, der dies antizipiert, die Eingehung auch vernünftiger Risiken zu meiden.1286 Die Zögerlichkeit institutioneller Großgläubiger,
persönlich ein Amt in dem Ausschuss zu übernehmen,1287 mag sich auch aus diesem
Umstand erklären.
Die Bereitschaft, im Ausschuss mitzuwirken und höhere Risiken einzugehen,
könnte man dadurch fördern, dass man die Haftungsintensität reduziert. Der Weg,
den der italienische Gesetzgeber mit der Reform des Decreto legislativo 12 settembre 2007, n. 169 gegangen ist, fördert nur die Bereitschaft überhaupt im Ausschuss mitzuwirken oder gibt jede Kontrolle der Ausschussmitglieder preis.1288
Denn abhängig von der Interpretation des neu gefassten Verweises in
Art. 40 Abs. 7 LF wird die Haftung entweder auch für Beschlüsse, mit denen der
1281 Vgl. auch FN 1274.
1282 Sog. framing-Effekt, vgl. die Nachweise in den FN 1227, 1228 und 1245.
1283 Vgl. zum Gesellschaftsrecht Hansmann/Kraakman, in: Kraakman, The anatomy of corporate
law, S. 52.
1284 Sog. hindsight bias, vgl. dazu Fleischer, Festschrift Wiedemann, 827 (832); Fleischer, Immenga-Festschrift, 575 (580); Guthrie/Rachlinsky/Wistrich, Cornell Law Review 86 (2001),
777 (799 ff.); Lüdemann, Die Grenzen des homo oeconomicus und die Rechtswissenschaft,
S. 17; zu hindsight bias siehe auch Ben-Shahar, JITE 151 (1995), 613 ff.
1285 Lüdemann, Die Grenzen des homo oeconomicus und die Rechtswissenschaft, 17.
1286 Fleischer, Immenga-Festschrift, 575 (580).
1287 Vgl. Kübler, in: Kübler/Prütting (Hrsg.), InsO, § 68 RN 22: „Bemerkenswert ist, dass institutionelle Großgläubiger des privaten Rechts (z.B. Banken, Kreditversicherer) in der Praxis nur
äußerst selten Wert darauf legen, als jurstische Personen im Ausschuss vertreten zu sein.“.
1288 Siehe dazu bereits oben S. 187 ff.
242
Ausschuss seine Mitwirkungsbefugnisse wahrnimmt, ausgeschlossen (womit jede
Kontrolle entfiele) oder von der Haftung werden nur Verletzungen der Überwachungspflicht ausgenommen (dann aber besteht das Hemmnis, vernünftige Risiken
einzugehen, fort).
Die Begünstigung von unternehmerischen Entscheidungen kann unter Beibehaltung einer gewissen Kontrolle dadurch begünstigt werden, dass den Entscheidungsträgern entsprechend einem Vorschlag in der italienischen Literatur1289 ein Ermessen
(business judgment rule) bei unternehmerischen Entscheidungen eingeräumt
wird.1290 Diese Privilegierung würde ebenso wie im Fall des Insolvenzverwalters
selbstverständlich dann nicht eingreifen, wenn die Ausschussmitglieder auf einer
ausreichenden Inrmationsgrundlage entscheiden und mit ihrer Entscheidung Sonderinteressen verfolgen.1291 Folgt man der Einordnung des Gläubigerausschusses als
sich selbst regulierender Vorstandsersatz,1292 drängt sich die Einführung einer solchen Regelung gerade zu auf.
cc) Zwischenergebnis
Ein richtig gestaltetes Haftungsinstrument ist wegen seiner weiter reichenden präventiven Wirkung daher in der Regel wirksamer als die Möglichkeit, nachteilige
Entscheidungen aufzuheben.
e) Zusammenfassung
Insgesamt erscheinen die Regelungen der Legge fallimentare insbesondere in den
Verfahren besonders überzeugend, in denen es zu einer geringen Beteiligung der
Gläubiger kommt. Die Legge fallimentare hat in solchen Verfahren gegenüber dem
deutschen Recht gleich zwei Vorteile. Es stellt eine angemessene Berücksichtigung
der Gläubigergruppen durch einen repräsentativ besetzten Ausschuss sicher und
vermeidet auf diese Weise Externalitäten. Darüber hinaus wird der Gefahr der Verfolgung von Sondervorteilen durch Großgläubiger, die gerade in solchen Verfahren
gegeben ist, da § 78 InsO einen nur geringen Schutz bietet, wirksam durch das Haftungsinstrument begegnet.
1289 Siehe oben S. 191.
1290 Siehe dazu Fleischer, Festschrift Wiedemann, 827 (829 ff.); Lüdemann, Die Grenzen des homo oeconomicus und die Rechtswissenschaft, S. 17.
1291 Siehe dazu bereits oben S. 224 f.
1292 Siehe dazu S. 216 f.
243
4. Gläubigerausschuss und Comitato dei Creditori
In kleinen bis mittelgroßen Verfahren sind die Basisorgane Gläubigerversammlung
und Comitato dei Creditori funktional miteinander vergleichbar. In großen Verfahren kann es aber auch zu einer Parallelität von Gläubigerausschuss und Comitato dei
Creditori kommen. Denn in solchen Verfahren wird in der Regel in Deutschland ein
Gläubigerausschuss eingesetzt, der wie das Comitato dei Creditori alle wesentlichen
Sachentscheidungen anstelle der Gläubigerversammlung trifft.
a) Wahl, Besetzung und Entlassung
Grundsätzlich ähneln sich Gläubigerausschuss und Comitato dei Creditori. Dieser
Befund vermag kaum zu überraschen, hat das Comitato dei Creditori doch seine
Wurzeln in der Delegazione dei creditori, die ihrerseits durch das deutsche Recht
inspiriert war.1293
In beiden Ländern bestimmt in der Regel zunächst das Gericht die Besetzung des
Ausschusses, während die Gläubiger einen neuen Ausschuss bestimmen können. Bei
dieser Wahl ist der Forderungsbetrag für das Stimmgewicht des einzelnen Gläubigers maßgeblich.
Der Ausschuss soll in beiden Ländern auch repräsentativ besetzt sein. In Deutschland ist dieses Prinzip allerdings nur über § 78 InsO durchsetzbar. Bemerkenswert
ist die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern in diesen beiden Ländern.
Während in Deutschland nach § 67 Abs. 2 S. 1 InsO dem Ausschuss ein Vertreter
der Arbeitnehmer angehören soll, können Arbeitnehmer in Italien nicht Mitglieder
des Gläubigerausschusses sein.1294 Freilich wird dies an der unterschiedlichen Absicherung der Arbeitnehmer in den beiden Ländern liegen. In Deutschland soll ein
Arbeitnehmervertreter auch nicht wegen des Interesses der Arbeitnehmer an dem
Fortbestand des Unternehmens beteiligt werden, sondern nur, wenn die Arbeitnehmer als Insolvenzgläubiger mit nicht unerheblichen Forderungen am Insolvenzverfahren beteiligt sind. In Italien sind die Arbeitnehmer hingegen über den Lohnausgleichsfond weitgehend abgesichert.1295
Ebenso wie bei dem Insolvenzverwalter ist festzustellen, dass die Stellung der
Ausschussmitglieder im deutschen Recht etwas gefestigter ist. So können Ausschussmitglieder nach der Insolvenzordnung nur bei Vorliegen eines wichtigen
Grundes entlassen werden, während die Legge fallimentare bereits einfache berechtigte Gründe für eine Ersetzung ausreichen lässt.
1293 Vgl. dazu oben S. 121 f.
1294 Siehe dazu oben S. 150 f.
1295 Siehe dazu oben S. 150 f.
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b) Aufwandsentschädigung und Vergütung
Betrachtet man die Aufwandsentschädigung und die Vergütung der Mitglieder des
Gläubigerausschusses, fällt formal der Unterschied auf, dass die Mitglieder des Comitato dei Creditori, anders als die Mitglieder des Gläubigerausschusses, nur für ihren Aufwand entschädigt werden und eine darüber hinaus gehende Vergütung von
einem entsprechenden Beschluss der Gläubiger abhängig ist. Dabei ist allerdings zu
beachten, dass diese Aufwandsentschädigung sich in dem Maße einer Vergütung
annähert, in dem auch ein Ausgleich für Zeitverlust und Haftungsrisiken gewährt
wird. Setzt sich etwa die Auffassung durch, die den Aufwand für einen Vertreter des
Mitglieds des Comitato dei Creditori für ersatzfähig hält, ist ein Unterschied zwischen der im deutschen Recht gezahlten Vergütung und der im italienischen Recht
gezahlten Aufwandsentschädigung in erster Linie von terminologischer Art.
Soweit diese Strömung sich aber nicht durchsetzt, ist zu beachten, dass die Höhe
der Vergütung ebenso wie die Haftungsintensität die Bereitschaft beeinflussen kann,
im Ausschuss mitzuwirken. Während die Haftung die Mitglieder dazu anhält, ihre
Aufgaben möglichst sorgfältig zu erledigen, mag nicht selten die Qualität der Arbeit
des Ausschusses von der Höhe der Vergütung abhängen. Denn mit einer hohen Vergütung kann man nicht nur qualifizierte Mitglieder anwerben. Darüber hinaus kann
man es den Mitgliedern auch eher zumuten, sich eingehender mit den aufkommenden Fragen zu beschäftigen.
c) Höchstpersönlichkeit
Auch die Wahrnehmung des Amtes durch den Gewählten selbst wird unterschiedlich geregelt. In Italien ist die Möglichkeit, sich im Ausschuss vertreten lassen zu
können, beinahe zwingend, weil einerseits nur Gläubiger als Mitglieder des Ausschusses gewählt werden können und andererseits ein dringendes Bedürfnis gegeben
ist, das aktuelle Tagesgeschäft des Ausschusses durch Dritte abwickeln zu lassen
und Fachkräfte für die Arbeit im Ausschuss zu gewinnen.
d) Verfahrensregeln
Hinsichtlich der Verfahrensregeln variieren die beiden Rechtsordnungen nur geringfügig. Das deutsche Recht überlässt dem Ausschuss seine eigene Organisation und
gibt nur Regeln zu der Beschlussfähigkeit und zu den zu erreichenden Mehrheiten
vor. Die Legge fallimentare sieht zwar auch ein recht flexibles System vor, enthält
aber immerhin Regeln zu der Einberufung und zur Wahl des Vorsitzenden. Die unterschiedliche Regelungsdichte lässt sich zum einen aus den unterschiedlichen
Rechtsfolgen erklären, die der jeweilige Gesetzgeber im Falle eines Verfahrensverstoßes beabsichtigt hatte: In Deutschland sollte ein Verstoß gegen Verfahrensregeln
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unbeachtlich sein, während dies in Italien die Anfechtbarkeit des Beschlusses nach
sich ziehen soll.
Zum anderen hatte man in Italien bei der Reform augenscheinlich die vielen Ausschüsse in kleineren Verfahren vor Augen, deren Mitglieder unvorbereitet und desinteressiert waren, während der deutsche Gesetzgeber offenbar von Ausschüssen
ausging, die in größeren Verfahren eingesetzt würden, denen man eine Selbstorganisation durchaus zumuten konnte.
e) Haftung
Die Regelungen zu der Haftung des Ausschusses unterscheiden sich im Wesentlichen dadurch, dass die jüngste italienische Reform die Haftung für die Verletzung
von Überwachungspflichten abgeschafft hat. Außerdem werden diverse Haftungsprivilegierungen diskutiert. Auch dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass man
der geringen Vergütung zum Trotz in möglichst vielen Verfahren versucht, eine
Gläubigerbeteiligung zu erreichen.
II. Übertragbarkeit von einzelnen Regelungen
Während im vorhergehenden Abschnitt die Regelungen des deutschen und italienischen Rechts zusammen mit ihrer jeweiligen Geschichte, ihrem Regelungskontext
und ihrer ratio einander gegenübergestellt wurden, sollen im Folgenden ausgewählte
Regelungen auf ihren Nutzen und eine mögliche Übertragbarkeit in das deutsche
Recht untersucht werden.
In den vorhergehenden Teilen hat sich gezeigt, dass die mangelnde Gläubigerbeteiligung und die Verfolgung von Partikularinteressen durch verfahrensbeherrschende Gläubiger miteinander zusammenhängende Probleme sind. Dem ist sowohl im
Verhältnis der Gläubigerorgane zum Insolvenzverwalter (unten a.) als auch bei der
Binnenorganisation (unten b.) Rechnung zu tragen.
1. Verhältnis der Gläubigerorgane zum Insolvenzverwalter
a) Wahl des Insolvenzverwalters
Die Wahl des Insolvenzverwalters durch die Gläubiger ist eines der umfochtensten
Themen im Rahmen der Gläubigerbeteiligung – sowohl in Deutschland als auch in
Italien. Die Lösungen, die dabei ins Spiel gebracht wurden, unterscheiden sich nur
im Detail. In beiden Ländern gab es eine Diskussion um erhöhte Mehrheiten,1296 ei-
1296 Siehe dazu im Einzelnen oben S. 43 f. und S. 198.
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References
Zusammenfassung
Die umfassende Gläubigerbeteiligung hat eine lange Tradition im deutschen Insolvenzrecht. In der Praxis beteiligen sich die Gläubiger jedoch häufig nicht. Dieser Umstand und unausgewogene Entscheidungen der Gläubiger können das Verfahrensziel, die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger, gefährden. Die Untersuchung vergleicht die Gläubigerbeteiligung nach der deutschen Insolvenzordnung mit der durch das decreto legislativo 9 gennaio 2006, n. 5 und das decreto legislativo 12 Settembre 2007, n. 169 reformierten legge fallimentare. Die Arbeit erörtert umfassend aktuelle juristische Fragen. Der rechtsvergleichende Teil bezieht Ansätze der ökonomischen Analyse des Rechts und der Verhaltensökonomik ein, um konkrete Änderungsvorschläge zu erarbeiten.