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RPflG zudem dann möglich, wenn sich die Festsetzung des Rechtspflegers auf das
Ergebnis der Abstimmung ausgewirkt hat.267
d) Zeitliche Wirkung
Das Stimmrecht, das durch die Einigung oder die gerichtliche Entscheidung gewährt
wurde, muss nicht für jede Sitzung neu festgelegt werden, sondern bleibt grundsätzlich bestehen.268 Dafür sprechen nicht nur Praktikabilitätserwägungen, 269 sondern
auch die Regelung des § 77 Abs. 2 S. 3 InsO, wonach eine Stimmrechtsfestsetzung
durch das Gericht auf Antrag des Verwalters oder eines Gläubigers geändert werden
kann. Soweit eine Einigung der Gläubiger zu dem Stimmrecht geführt hat, bleibt
Letzteres aber nur dann bestehen, wenn die Einigung fortbesteht.270
IX. Instrumente gegen die Verfolgung von Sonderinteressen
1. Einführung
Wie bereits in der Einführung dargestellt, können das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger, die Masse zu maximieren, und verschiedene Sonderinteressen der
einzelnen Gläubiger miteinander in Konflikt treten. Zur Lösung solcher Konflikte,
die innerhalb der Gläubigerversammlung auftreten, sieht die Insolvenzordnung neben bestimmten Abstimmungsmodalitäten271 nur die Aufhebungsmöglichkeit gemäß
§ 78 InsO vor. Weitere Instrumente wie Stimmverbote und Treue- oder Kooperationspflichten werden diskutiert. Ziel dieses Abschnittes ist es, die Voraussetzungen
und Grenzen von § 78 InsO zu bestimmen, um das Bedürfnis für weitere Instrumente zu untersuchen.
Im Aktienrecht hat ein umfangreicher Minderheitenschutz zu verschiedenen
rechtspolitisch bedenklichen Auswüchsen geführt. Dehnt man den Schutz von Minderheiten zu weit aus, besteht auch hier möglicherweise die Gefahr, dass man Missbrauchsmöglichkeiten für Minderheiten eröffnet. Freilich ist die Gefahr deutlich ge-
267 Einzelheiten bei Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 77
RN 25 ff.; Kind, in: Wimmer (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, § 77 RN 22 ff.; Pape, ZIP
1991, 837 (846 ff.); Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.), Insolvenzverwaltung, § 21 RN 225; Wenzel, ZInsO 2007, 751 (753).
268 Zu Einzelheiten Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 77
RN 13; a.A.: Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 77
RN 21.
269 Vgl. Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 77 RN 13 f.
270 Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 77 RN 14.
271 Siehe oben S. 44.
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ringer als im Aktienrecht, da die Gläubigerversammlung, anders als die Hauptversammlung, keine organisatorisch-gestaltenden Entscheidungen trifft.
2. Aufhebung von Beschlüssen, § 78 InsO
§ 78 InsO dient der Korrektur von Entscheidungen der Gläubigerversammlung, die
durch eine Mehrheit beschlossen worden sind, sich aber insgesamt zum Nachteil der
Insolvenzgläubiger auswirken. Zwar kam die Vorgängervorschrift § 99 KO nur selten zur Anwendung.272 In der Insolvenzordnung schreibt man § 78 InsO aber eine
höhere Bedeutung zu, weil sich die Interessengegensätze innerhalb der Versammlung und die Missbrauchsgefahren durch die Einbeziehung der absonderungsberechtigten Gläubiger erhöht haben.273
a) Antragserfordernis
Gemäß § 78 InsO kann der Antrag auf Aufhebung der Entscheidung nur von einem
absonderungsberechtigten Gläubiger, einem nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger
oder dem Insolvenzverwalter in der Gläubigerversammlung gestellt werden. Stellt
ein Gläubiger den Antrag, ist nicht erforderlich, dass er stimmberechtigt war.274 Er
darf aber nicht für den Beschluss gestimmt haben, da es sonst an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlt.275
b) Anwendbarkeit im Falle von Wahlentscheidungen
aa) Wahl der Ausschussmitglieder
Unter der Geltung der Konkursordnung war streitig, ob nach § 99 KO auch solche
Beschlüsse aufgehoben werden konnten, die nicht der Ausführung bedurfte wie etwa
die Einsetzung eines Gläubigerausschusses oder die Wahl von Ausschussmitgliedern.276 Die herrschende Meinung fasst auch heute Wahlentscheidungen unter § 78
272 Uhlenbruck, InsO, § 78 RN 1.
273 Vgl. Goebel, KTS 2002, 615 (629); Uhlenbruck, InsO, § 78 RN 1.
274 Vgl. dazu BT-Drucks. 12/2443, S. 134; Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 78 RN 7; Kind, in: Wimmer (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, § 78 RN 9.
275 Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 78 RN 7; Heukamp, Verfahrensrechtliche Aspekte der Gläubigerautonomie, S. 75 Preß, in: Schmidt (Hrsg.), Hamburger Kommentar-InsO, § 78 RN 5; a.A.: Pape, ZInsO 2000, 469 (475).
276 Vgl. Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 78 RN 12; Pape,
Gläubigerbeteiligung, RN 288.
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InsO;277 nur vereinzelt klammert man Wahlentscheidungen aus dem Anwendungsbereich des § 78 InsO aus.278 Dabei ist zu beachten, dass der Streit sich in erster Linie auf die Wahl des Gläubigerausschusses bezieht, während sich bei der Wahl des
Insolvenzverwalters der Schauplatz etwas verlagert hat.279 Daher ist auch der Wortlaut des § 78 InsO, der sowohl von der einen Seite (von der der Unterschied zu dem
alten § 99 KO betont wird)280 wie der anderen Seite (von der der Unterschied zwischen „Wahl“ und „Beschluss“ herausgestellt wird)281 angeführt wird, zwar ein umkämpftes, aber nicht das zentrale Argument. Letzteres betrifft vielmehr den Hauptanwendungsfall des § 78 InsO. Bei Personalentscheidungen passt die für Sachentscheidungen beanspruchte Auslegung des Widerspruchs zum gemeinsamen Interesse im Sinne des § 78 InsO (also der bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger)282
nur schlecht. Würde man diesen Prüfungsmaßstab anwenden, käme es in den seltensten Fällen bei der Wahl von Ausschussmitgliedern zu einer Aufhebung.283 Eine
Aufhebung der Wahl von Ausschussmitgliedern kommt daher eher dann in Betracht,
wenn gänzlich ungeeignete Personen in den Ausschuss gewählt werden284 oder
wenn die Besetzung des Ausschusses durch die Wahl stark unausgewogen wird.285
Eine stark unausgewogene Entscheidung der Gläubigerversammlung könne aber, so
der zentrale Einwand,286 deswegen nicht aufgehoben werden, weil der Rechtsausschuss des Bundestages287 die Gläubigerautonomie stärken wollte, indem er die Ablehnungsmöglichkeit des Gerichts bei Wahlentscheidungen, die zu einer unausge-
277 Andres, in: Andres/Leithaus/Dahl, Insolvenzordnung, § 78 RN 2; Blersch, in: Breutigam/Blersch/Goetsch, Insolvenzrecht, § 68 RN 4; Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner
(Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 78 RN 12; Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 68 RN 12; Görg, DZWIR 2000, 364 (367); Kesseler, DZWIR 2002, 133;
Kind, in: Wimmer (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, § 68 RN 8; Kübler, in: Kübler/Prütting
(Hrsg.), InsO, § 68 RN 12; Pape, Gläubigerbeteiligung, RN 288; Preß, in: Schmidt (Hrsg.),
Hamburger Kommentar-InsO, § 78 RN 4; Uhlenbruck, InsO, § 78 RN 7; Voigt-Salus/Pape,
in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.), Insolvenzverwaltung, § 21 RN 27.
278 Schmid-Burgk, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 68 RN 9.
279 Siehe dazu unten S. 68.
280 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 78 RN 12.
281 Schmid-Burgk, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 68 RN 9.
282 Dazu ausführlich unten S. 70.
283 Vgl. Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 78 RN 21; Siehe
aber die Fallgruppen bei Blersch, in: Breutigam/Blersch/Goetsch, Insolvenzrecht, § 68 RN 4.
284 So etwa Blersch, in: Breutigam/Blersch/Goetsch, Insolvenzrecht, § 68 RN 4; Kind, in: Wimmer (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, § 78 RN 15.
285 Frind, in: Schmidt (Hrsg.), Hamburger Kommentar-InsO, § 68 RN 3; Hess, in:
Hess/Weis/Wienberg, Insolvenzrecht, § 68 RN 2; Smid, in: Smid (Hrsg.), Insolvenzordnung,
§ 68 RN 5 a.E.; Uhlenbruck, InsO, § 68 RN 10; a.A.: Andres, in: Andres/Leithaus/Dahl, Insolvenzordnung, §§ 67, 68 RN 14; Kind, in: Braun/Bauch (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 68
RN 8; Kind, in: Wimmer (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, § 68 RN 8; wohl auch Vallender,
WM 2002, 2040 (2042); Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.), Insolvenzverwaltung, § 21 RN 290.
286 Schmid-Burgk, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 68 RN 9.
287 BT-Drucks. 12/7302, S. 163.
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wogenen Repräsentation führten, aus dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung288
gestrichen hat. Man mag darüber streiten, ob der Wille des Gesetzgebers, der
§ 67 Abs. 2 InsO weder gestrichen noch ausdrücklich auf die gerichtliche Ernennung beschränkt hat, derart weit geht, dass Repräsentationserwägungen auch im
Rahmen des § 78 InsO nicht zulässig sein sollten.289 Jedenfalls vermeidet ein repräsentativ besetzter Ausschuss eher als ein einseitig besetzter Ausschuss unausgewogene und damit auch ineffiziente Entscheidungen.290 Das hängt damit zusammen,
dass die Vertreter einer bestimmten Gläubigergruppe nachteilige Entscheidungen
nur insoweit vermeiden werden als diese Gläubigergruppe oder sie selbst über die
bestehende Haftung von ihnen betroffen sind. Die Interessen der nicht repräsentierten Gläubiger werden damit unter Umständen nicht internalisiert.291 Ein repräsentativ besetzter Ausschuss fördert daher den Insolvenzzweck. Eine solche Repräsentation lässt sich nur mittels § 78 InsO durchsetzen. Daher ist § 78 InsO auch auf Entscheidungen anwendbar, die die Wahl der Ausschussmitglieder betreffen.
Die Norm des § 78 InsO hat allerdings nicht nur den Makel, dass sie nur dann zur
Anwendung kommt, wenn ein Aufhebungsantrag noch in der Versammlung gestellt
wird. Außerdem gewährt § 78 InsO dem Gericht auch nicht die Möglichkeit, bestimmte Vertreter unterrepräsentierter Gruppen zu benennen.292
bb) Wahl des Insolvenzverwalters
Thematisch verwandt, aber methodisch von der obigen Frage zu unterscheiden ist
die Frage, ob auch die Aufhebung der Wahl des Insolvenzverwalters gemäß § 57
S. 1 InsO nach § 78 InsO möglich ist. Teilweise wurde hier vertreten, dass § 57 InsO
288 Dazu BT-Drucks. 12/2443, S. 23 und 134.
289 Siehe etwa Smid, in: Smid (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 68 RN 5 a.E.
290 Das wird selbst von der Gegenseite zugegeben, Schmid-Burgk, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 68 RN 9; vgl. auch Kübler, in: Kübler/Prütting (Hrsg.), InsO, § 68 RN 13: „[…] Das Aufhebungsrecht [nach § 78 InsO] ist hier
sogar noch von größerer Bedeutung, da die Wahl eines bestimmten Mitgliedes dem gemeinsamen Gläubigerinteresse eher widersprechen kann als die Entscheidung, überhaupt einen
Gläubigerausschuss einzusetzen oder auf die Einsetzung zu verzichten. […]“; siehe aber auch
Delhaes, in: Nerlich/Römermann (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 68 RN 1, dessen Argument,
§ 71 InsO vermeide nachteilhafte Entscheidungen wegen der eingeschränkten Anwendbarkeit
zweifelhaft ist.
291 Zu dem Effizienzargument bei Externalitäten vgl. bereits die S. 24 ff. sowie auch aus rechtsvergleichender Sicht unten S. 233 f.
292 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 37.
69
eine Spezialregelung darstelle,293 während die Gegenauffassung eine parallele Anwendung beider Regelungen befürwortete.294
Diese Frage ist, auch nachdem der BGH295 im Anschluss an die Rechtsprechung
verschiedener Oberlandesgerichte296 entschieden hat, dass § 78 InsO nicht neben
§ 57 InsO anwendbar sei, streitig geblieben.297 Der BGH argumentiert, dass der Gesetzgeber, dem die einschränkende Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bekannt
gewesen sei, mit der Änderung des § 57 S. 2 InsO im Jahr 2001 die parallele Anwendbarkeit von § 78 InsO hätte klarstellen können.298 Freilich hätte der BGH dank
seiner Autorität ebenso überzeugend behaupten können, dass dem Gesetzgeber das
Problem zwar bekannt gewesen sei, die fehlende Klarstellung aber zeige, dass er die
Lösung der Rechtsprechung und der Literatur überlassen wollte. Damit hätte er sich
auch für das Gegenteil entscheiden können. Man ahnt aber, welche Beweggründe
sich hinter dem Schleier dieses Arguments verbergen, wenn das Gericht in seinem
Urteil schreibt, es sei nicht seine Sache, die abstimmenden Gläubiger zu bevormunden, wenn die übrigen Gläubiger ihre Mitwirkungsbefugnisse nicht ausübten.299 Die
Beschränkung des gerichtlichen Einflusses beruht auf der Erwägung, dass die Frage,
in welchem Maße eine Person als Insolvenzverwalter befähigt ist, noch weniger als
Sachentscheidungen gerichtlich nachprüfbar ist. Zwar ist die Befähigung einer Person von der bloßen Geeignetheit zu unterscheiden und als solche auch bis zu einem
gewissen Grad objektiv nachprüfbar.300 Ob eine Person ein besonderes Verhandlungsgeschick oder organisatorische Fähigkeiten hat, lässt sich aber nur bedingt an
erworbenen Titeln und besuchten Fortbildungen ablesen. Davon abgesehen werden
Personalentscheidungen auch durch Vertrauen zu der jeweiligen Person determiniert. Dies alles ist für das Gericht nicht nachvollziehbar und es ist daher richtig, den
293 LG Traunstein, DZWIR 2003, 257 m. Anm. Graeber; OLG Naumburg, NZI 2000, 428; Kesseler, DZWIR 2002, 133 ff.; offen gelassen von OLG Celle DZWIR 2002, 29 m. Anm. Graeber.
294 Görg, DZWIR 2000, 364 (367); Muscheler/Bloch, ZIP 2000, 1474 (1479); Pape, Gläubigerbeteiligung, RN 291; Smid, in: Smid (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 78 RN 11; Smid, InVo
2001, 81 (84 f.); Uhlenbruck, InsO, § 78 RN 12.
295 BGH, BB 2003, 2312; BGH, NJW-RR 2005, 200.
296 Vgl etwa Kammergericht ZIP 2001, 2240; OLG Naumburg, NZI 2000, 428.
297 Weiterhin für eine Anwendbarkeit von § 78 InsO: Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner
(Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 78 RN 14; Eickmann, in: Eickmann et al. (Hrsg.), HK-InsO,
§ 78 RN 9; Häsemeyer, Insolvenzrecht, RN 6.28; Preß, in: Schmidt (Hrsg.), Hamburger
Kommentar-InsO, § 78 RN 6; dem BGH folgend: Andres, in: Andres/Leithaus/Dahl, Insolvenzordnung, § 78 RN 2; Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, §
78 RN 16; Herzig, in: Braun/Bauch (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 78 RN 14; Hess, in:
Hess/Weis/Wienberg, Insolvenzrecht, § 78 RN 6; Kind, in: Wimmer (Hrsg.), Frankfurter
Kommentar, § 78 RN 14; Runkel, in: Runkel (Hrsg.), Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 6
RN 258.
298 BGH, BB 2003, 2312.
299 BGH, BB 2003, 2312.
300 Vgl. Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 78 RN 14, der
entgegen der Kritik von Kesseler, DZWIR 2002, 133 zu Recht darauf hinweist, dass der Prüfungsmaßstab von § 57 InsO und § 78 InsO nicht identisch ist.
70
gerichtlichen Einfluss auf eine in eine Geeignetheitsprüfung gekleidete Überprüfung
der fachlichen Qualifikation und der Unabhängigkeit des Gewählten zu beschränken.
c) Gemeinsames Interesse
aa) Begriff
Das gemeinsame Interesse im Sinne des § 78 InsO ist das der bestmöglichen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger,301 nicht nur der an der Versammlung teilnehmenden Gläubiger. Dabei geht es um das Gesamtinteresse, so dass die Benachteiligung
einzelner Gläubiger irrelevant ist.302 Ein klassischer Anwendungsfall ist der, dass
aufgrund der Stimmenmehrheit einer öffentlichen Behörde die Entscheidung getroffen wird, einen Gegenstand aus der Insolvenzmasse nicht an den Höchstbietenden,
sondern an denjenigen zu verkaufen, der verspricht, die meisten Arbeitsplätze zu erhalten.303
Im Fall der Wahl von Mitgliedern des Gläubigerausschusses kann man einen Widerspruch zum gemeinsamen Interesse dann bejahen, wenn es zu krassen Verstößen
gegen das Repräsentationsprinzip kommt304 oder wenn gänzlich ungeeignete Personen in den Ausschuss gewählt werden.305In letzterem Fall gilt damit letztlich ein
ähnlicher Wertungsmaßstab wie bei § 57 S. 3 InsO, wo auch allein die personelle
Eignung, nicht aber die besondere Qualifikation des Betroffenen überprüfbar ist.
301 BGH, NZI 2008, 490; Blersch, in: Breutigam/Blersch/Goetsch, Insolvenzrecht, § 78 RN 4;
Delhaes, in: Nerlich/Römermann (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 78 RN 5; Eickmann, in:
Eickmann et al. (Hrsg.), HK-InsO, § 78 RN 10; Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner
(Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 78 RN 17; Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 78 RN 13; Goebel, KTS 2002, 615 (628); Hess, in: Hess/Weis/Wienberg,
Insolvenzrecht, § 78 RN 2; Heukamp, Verfahrensrechtliche Aspekte der Gläubigerautonomie,
S. 70 f.; Muscheler/Bloch, ZIP 2000, 1474 (1478); Pape, Gläubigerbeteiligung, RN 286;
Preß, in: Schmidt (Hrsg.), Hamburger Kommentar-InsO, § 78 RN 7 ff.; Voigt-Salus/Pape, in:
Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.), Insolvenzverwaltung, § 21 RN 72; missverständlich
Görg, DZWIR 2000, 364 (365), der die bestmögliche Befriedigung als nur eines von mehreren Kriterien nennt; a.A.: auch Smid, ZZP 114 (2001), 105 (106): Es gehe nicht um die wirtschaftliche Suboptimalität einer Entscheidung. Vielmehr solle § 78 InsO nur die Rechtsstellung der majorisierten Gläubiger schützen. Der Beschluss sei aufzuheben, wenn er entweder
verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sei oder wenn er die Rechte der Insolvenzgläubiger
verletze, weil die ihnen haftungsrechtlich zugewiesene Masse nicht angemessen verwendet
worden sei.
302 Hess, in: Hess/Weis/Wienberg, Insolvenzrecht, § 78 RN 15.
303 Vgl. Görg, DZWIR 2000, 364 (366).
304 Dazu bereits oben S. 66.
305 So etwa auch Herzig, in: Braun/Bauch (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 78 RN 15; Kind, in:
Wimmer (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, § 78 RN 15.
71
bb) Einbeziehung der absonderungsberechtigten Gläubiger?
Ob auch die absonderungsberechtigten Gläubiger in den Schutzbereich des
§ 78 InsO einzubeziehen sind, ist streitig. Überwiegend geht man dem Wortlaut entsprechend davon aus, dass nur Insolvenzgläubiger von § 78 InsO geschützt sind.306
Nur vereinzelt bezieht man auch die absonderungsberechtigten Gläubiger ein.307
Dieser Streit wird etwa dann relevant, wenn eine Entscheidung der Gläubigerversammlung über die Betriebsfortführung aufgehoben werden soll und zwar die Betriebsfortführung voraussichtlich zu einer höheren Quote der Insolvenzgläubiger
führt, gleichzeitig aber zu einem betragsmäßig höheren, nicht durch die §§ 169, 172
InsO auszugleichenden Nachteil (Entgehen einer günstigen Verwertungsmöglichkeit, Veraltung des Sicherungsgutes durch Innovation) bei den absonderungsberechtigten Gläubigern führt.308
Angesichts des Gesetzeswortlauts, der hier ebenso wie auch andere Stellen der
Insolvenzordnung zwischen Insolvenzgläubigern und absonderungsberechtigten
Gläubigern differenziert, ist die Einbeziehung der absonderungsberechtigten Gläubiger wohl nur mittels einer teleologischen Korrektur möglich. Maßgeblich wäre
dann allein, welche Entscheidungsalternative (zunächst unabhängig von der Verteilung im Einzelnen) insgesamt die höchste Befriedigung bedeuten würde. Das könnte
im Einzellfall sogar die Freigabe eines Gegenstandes an den absonderungsberechtigten Gläubiger zur freihändigen Verwertung sein. Hält man dies aus verteilungsethischen Gesichtspunkten für bedenklich, könnte man der Gläubigergruppe, die den
Abstimmungsprozess gewinnt, eine Pflicht auferlegen, Nachteile von überstimmten
Gläubigergruppen auszugleichen.
Für eine solche teleologische Korrektur spricht insbesondere, dass die Auslegung
der herrschenden Meinung zu einer Wertungsdiskrepanz309 von § 78 InsO zu anderen den Entscheidungsprozess regelnden Normen führt.
306 LG Berlin, ZInsO 2000, 519; AG Neubrandenburg, ZInsO 2000, 111 m. Anm. Förster; Andres, in: Andres/Leithaus/Dahl, Insolvenzordnung, § 78 RN 2; Blersch, in: Breutigam/Blersch/Goetsch, Insolvenzrecht, § 78 RN 4; Delhaes, in: Nerlich/Römermann (Hrsg.),
Insolvenzordnung, § 78 RN 5; Eickmann, in: Eickmann et al. (Hrsg.), HK-InsO, § 78 RN 11;
Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 78 RN 18; Gerhardt,
in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 78 RN 11; Goebel, KTS 2002, 615
(628); Herzig, in: Braun/Bauch (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 78 RN 4; Hess, in:
Hess/Weis/Wienberg, Insolvenzrecht, § 78 RN 4; Heukamp, Verfahrensrechtliche Aspekte
der Gläubigerautonomie, S. 71 f.; Kind, in: Wimmer (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, § 78
RN 4; Muscheler/Bloch, ZIP 2000, 1474 (1478); Pape, Gläubigerbeteiligung, RN 287; Pape,
ZInsO 2000, 469 (477).
307 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 22 ff.; Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.), Insolvenzverwaltung, S. 1127; in der Tendenz auch Smid, in:
Smid (Hrsg.), Insolvenzordnung, 78 RN 6.
308 Vgl. etwa den (etwas anders gelagerten) Fall des AG Neubrandenburg ZInsO 2000, 111 m.
Anm. Förster.
309 Vgl. Goebel, KTS 2002, 615 (630); Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), Münch-
Komm-InsO, § 78 RN 18.
72
aaa) Wertungswidersprüche
(1) Der Wertungswiderspruch zwischen § 78 InsO und § 71 InsO
§ 78 InsO und § 71 InsO sollen jeweils die Gläubiger davor schützen, dass ein
Teil der Gläubiger seine Sonderinteressen in einem Gläubigergremium durchsetzen
kann. Beide orientieren sich am gemeinsamen Interesse der Gläubiger. Eine Voraussetzung für die Auslösung einer Rechtsfolge der jeweiligen Norm (Aufhebung oder
Haftung) ist, dass die Bilanz sich für die Gläubiger insgesamt verschlechtert bzw. ob
die Entscheidung mehr Nach- als Vorteile mit sich bringt.
§ 78 InsO und § 71 InsO schützen aber unterschiedliche Gläubigergruppen. Während § 78 InsO nach seinem Wortlaut nur die Insolvenzgläubiger schützt, zieht
§ 71 InsO auch die absonderungsberechtigten Gläubiger in seinen Schutzbereich ein.
Daher kann es mit der Einsetzung eines Gläubigerausschusses, für den die Regelung des § 71 InsO gilt, zu einer Veränderung der Zielvorgaben kommen. Ist etwa
eine von zwei Handlungsalternativen mit geringen Vorteilen für die Insolvenzgläubiger, aber enormen, nicht durch die §§ 169, 172 InsO kompensierten Nachteilen310
für die absonderungsberechtigten Gläubiger verbunden, würde sich bei einer Entscheidung der Gläubigerversammlung wegen des § 78 InsO immer diese Alternative
durchsetzen – unabhängig davon, ob dies aus Sicht der Gesamtgläubigerschaft ineffizient ist.311 Wird der Gläubigerausschuss hingegen mit einer vergleichbaren Ent-
310 Siehe dazu oben S. 60 ff.
311 Beispiel: Von dem zuständigen Gläubigerorgan soll gemäß § 160 InsO über die sofortige
Verwertung des für die Fortführung des Unternehmens notwendigen Betriebsgrundstücks
entschieden werden. Für das mit Grundpfandrechten belastete Betriebsgrundstück interessiert
sich ein Investor, der bereit ist, einen vergleichsweise hohen Preis zu zahlen. Der Nutzen einer sofortigen Verwertung (Entscheidungsalternative A) für die absonderungsberechtigten
Gläubiger, die nicht zugleich Insolvenzgläubiger sind, beträgt daher 1000. Die Entscheidungsalternative A ist für die Insolvenzgläubiger ohne Nutzen. Die Fortführung des Unternehmens ist mit erheblichen Risiken behaftet. Der Nutzen einer erst späteren Verwertung und
der temporären Nutzung zu der bereits beschlossenen Betriebsfortführung (Entscheidungsalternative B) beträgt für die Insolvenzgläubiger daher 10. Wegen des zu erwartenden Wertverfalles des Grundstückes ist der Nutzen der absonderungsberechtigten Gläubiger gleich Null.
Entscheidet die Gläubigerversammlung über die anstehende Frage, wird es unabhängig von
den Stimmverhältnissen zu Entscheidungsalternative B kommen, wenn die Insolvenzgläubiger einen Antrag nach § 78 InsO stellen. Denn das Interesse der absonderungsberechtigten
Gläubiger ist unabhängig von seiner Höhe jedenfalls nach herrschender Auffassung nicht von
§ 78 InsO geschützt. Wird die Entscheidung danach aufgehoben, kann der Insolvenzverwalter
auch nicht selbst entscheiden, welche Maßnahme zu ergreifen ist, so dass über seine Haftung
nach § 60 InsO auch die Interessen der absonderungsberechtigten Gläubiger berücksichtigt
werden. Denn der Insolvenzverwalter bedarf der Zustimmung der Gläubigerversammlung,
ohne die er die jeweilige Maßnahme nicht vornehmen kann.
Ist aber ein Gläubigerausschuss eingesetzt worden, entscheidet dieser nach § 160 InsO, ohne
dass die Aufhebungsmöglichkeit nach § 78 InsO bestünde. Stimmen die Ausschussmitglieder
trotz der hohen Gewinnaussichten von Entscheidungsalternative A und des verschwindend
geringen Interesses der absonderungsberechtigten Gläubiger für Entscheidungsalternative B,
so müssen sie angesichts des Umstandes, dass die absonderungsberechtigten Gläubiger in den
73
scheidungssituation konfrontiert, muss er – um nicht einer Haftung aus § 71 InsO
ausgesetzt zu sein – die Entscheidung treffen, die aus Sicht aller Gläubiger die beste
ist. Birgt nun eine Alternative nur geringe Vorteile für die Insolvenzgläubiger, aber
ganz erhebliche Nachteile für die absonderungsberechtigten Gläubiger, so muss sich
der Ausschuss für die Alternative entscheiden, bei der die Gesamtbilanz für Insolvenzgläubiger und absonderungsberechtigte Gläubiger besser aussieht. Es ist schwer
verständlich, warum mit der Einsetzung eines Gläubigerausschusses zugleich auch
andere Entscheidungen favorisiert werden sollten.
(2) Sinn des Stimmrechts der absonderungsberechtigten Gläubiger und § 78 InsO
Ein ähnliches Problem entsteht, wenn man im Hinblick auf § 78 InsO den Sinn
des § 76 Abs. 3 InsO zu bestimmen versucht. Sieht man durch § 78 InsO allein die
Insolvenzgläubiger geschützt, dient auch das Stimmrecht nach § 76 Abs. 3 InsO
primär den Interessen dieser Gläubigergruppe. Denn es wäre wenig konsequent,
wenn das Gesetz den absonderungsberechtigten Gläubigern Stimmrechte zuwiese,
um ihre von den Interessen der Insolvenzgläubiger abweichenden Sonderinteressen
zu verfolgen, zugleich aber die Möglichkeit eröffnete, diese nach § 78 InsO (sobald
der Widerspruch erkennbar wäre) wieder aufheben zu lassen. Folgt man dieser Logik, ist es in der Tat nicht ersichtlich, warum den absonderungsberechtigten Gläubigern überhaupt ein Stimmrecht zugewiesen ist.312 In einer Welt ohne Transaktionskosten, in der für das Insolvenzgericht immer erkennbar wäre, welches die für die
Insolvenzgläubiger richtige Entscheidung wäre, hätte das Stimmrecht der absonderungsberechtigten Gläubiger nie Bedeutung. Nach dem Verständnis der herrschenden Meinung geben allein das Vorhandensein von Transaktionskosten und die
Nichterkennbarkeit der richtigen Entscheidung im Einzelfall dem Stimmrecht der
absonderungsberechtigten Gläubiger einen Sinn.
bbb) Antragsberechtigung
Neben den aufgezeigten Wertungswidersprüchen spricht die Einbeziehung der
absonderungsberechtigten Gläubiger in den Schutzbereich des § 78 InsO auch der
Umstand, dass diese nach § 78 InsO neben den Insolvenzgläubigern antragsberechtigt sind. Zwar wird versucht, die Antragsberechtigung damit zu erklären, dass die
Schutzbereich des § 71 InsO einbezogen sind, umfassende Haftungsansprüche gewärtigen.
Daher werden sie für Entscheidungsalternative A stimmen.
312 Vgl. Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 24; siehe auch Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 78 RN 18; Kind, in: Wimmer (Hrsg.),
Frankfurter Kommentar, § 78 RN 12; Herzig, in: Braun/Bauch (Hrsg.), Insolvenzordnung, §
78 RN 12.
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absonderungsberechtigten Gläubiger in der Regel auch Insolvenzgläubiger sind.313
Soweit dies zutrifft, sind solche Gläubiger aber bereits durch ihre Stellung als Insolvenzgläubiger antragsberechtigt. Eine gesonderte Antragsberechtigung durch die
absonderungsberechtigten Gläubiger wäre überflüssig.314
ccc) Entstehungsgeschichte
Gegen eine teleologische Korrektur spricht aber die Entstehungsgeschichte. Der
Entwurf der Bundesregierung sah in § 89 Abs. 1 EInsO ursprünglich vor, dass ein
Beschluss, der einen „Teil der Gläubiger“ unangemessen benachteiligte, aufgehoben
werden konnte.315 Die Vorschrift sollte dazu dienen, dem Missbrauch einer Mehrheit
der Gläubigerversammlung entgegenzuwirken.316 Nach dem ursprünglichen Entwurf
ging es also nicht allein um den Schutz der Insolvenzgläubiger. Vielmehr waren in
den Schutzbereich auch die absonderungsberechtigten Gläubiger miteinbezogen.
Der Rechtsausschuss des Bundestages modifizierte die Regelung. Wörtlich heißt
es in der Begründung:317
„Der im Gesetzesentwurf vorgesehene Minderheitenschutz in der Gläubigerversammlung ist
durch den Ausschuss nicht übernommen worden. Ein Beschluss der Gläubigerversammlung
soll nur dann aufgehoben werden können, wenn er dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht. Damit wird zu dem bewährten System des § 99 KO zurückgekehrt. Als
das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger ist das Interesse an der bestmöglichen Befriedigung anzusehen. Dieses Interesse ist maßgeblich, obwohl auch die absonderungsberechtigten Gläubiger Stimmrecht in der Gläubigerversammlung haben. Es soll vermieden werden,
dass die absonderungsberechtigten Gläubiger ihre Sonderinteressen in der Gläubigerversammlung durch Mehrheitsentscheidung durchsetzen können.“
Damit beschränkt der Gesetzgeber den Schutzzweck des § 78 InsO bewusst auf
die Insolvenzgläubiger. Er legt sogar zumindest im Ansatz den Wertungswiderspruch zu dem Stimmrecht der absonderungsberechtigten Gläubiger offen.
ddd) Doppelberücksichtigung
Gegen die Einbeziehung der absonderungsberechtigten Gläubiger spricht auch,
dass ihre Interessen andernfalls in den insolvenzrechtlichen Entscheidungsprozessen
doppelt berücksichtigt werden. Denn zum einen sorgen bereits die §§ 169, 172 InsO
dafür, dass der Entscheidungsträger die Interessen der absonderungsberechtigten
Gläubiger mit einbezieht. Zum anderen sind dieser Gläubigergruppe Stimmrechte
313 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 78 RN 18 a.E.
314 Vgl. auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, RN 6.12 c.
315 BT-Drucks. 12/2443, S. 22.
316 BT-Drucks. 12/2443, S. 136.
317 BT-Drucks. 12/7302, S. 164.
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zugewiesen.318 Durch die Beschränkung des Schutzbereichs des § 78 InsO, die sich
mittelbar auch als eine Beschränkung des Stimmrechts auswirkt, wird – wenn auch
widersprüchlich und mit zweifelhafter Effizienz – das Gleichgewicht zwischen Insolvenzgläubigern und absonderungsberechtigten Gläubigern wieder hergestellt.
eee) Zusammenfassung und Ergebnis
Angesichts dieser Begründung und dem Umstand, dass eine teleologische Korrektur sich an den Entwurf der Bundesregierung annähern würde, von dem sich der
Rechtsausschuss sehenden Auges abgekehrt hat, ist eine teleologische Korrektur
nicht möglich.
cc) Beurteilungszeitpunkt
Für die Beurteilung, ob ein Beschluss dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht, hat man nicht auf die Entscheidungssituation in der Gläubigerversammlung,319 sondern auf den Zeitpunkt der späteren gerichtlichen Entscheidung abzustellen.320 Dafür sprechen insbesondere pragmatische Erwägungen.321 So
führt die Lesart, man müsse auf die Entscheidungssituation in der Gläubigerversammlung abstellen, nicht nur zu dazu, dass die Versammlung selbst ausgedehnt zu
werden droht, damit man eine ausreichende Tatsachengrundlage für einen späteren
Aufhebungsantrag schaffen kann.322 Vielmehr werden die Beteiligten bereits im
Vorfeld gezwungen, möglichst viele Informationen zu sammeln, um später einen
Antrag nach § 78 InsO stellen zu können. Wird später die „richtige“ Entscheidung
getroffen, die kein Gläubiger aufheben will, wurden alle Informationen umsonst gesammelt. Ferner kann die Berücksichtigung des Kenntnisstands zum Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung eine Verfahrensverzögerung vermeiden, wenn man davon ausgeht, dass die klug gewordenen Gläubiger in der nächsten Gläubigerversammlung versuchen, ihre Entscheidung zu korrigieren.323
318 Siehe dazu oben S. 60 ff.
319 So aber KG, DZWIR 2002, 34 (36); Smid, DZWIR 2002, 37; Frege/Keller/Schmidt, Insolvenzrecht, RN 1306; Herzig, in: Braun/Bauch (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 78 RN 13; Hess,
in: Hess/Weis/Wienberg, Insolvenzrecht, § 78 RN 15; Kind, in: Wimmer (Hrsg.), Frankfurter
Kommentar, § 78 RN 13.
320 Heukamp, Verfahrensrechtliche Aspekte der Gläubigerautonomie, S. 72 ff.; Ehricke, in:
Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 78 RN 27; Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 56 f.; Pape, ZInsO 2001, 691 (693 ff.); Uhlenbruck, InsO,
§ 78 RN 11.
321 Vgl. im Einzelnen Pape, ZInsO 2001, 691 (694).
322 Pape, ZInsO 2001, 691 (694).
323 Heukamp, Verfahrensrechtliche Aspekte der Gläubigerautonomie, S. 73 f.
76
Selbst wenn man in § 78 InsO „keinen allgemeinen Rettungsanker bei Fehlentscheidungen“324 und seinen Zweck darin sieht, in erster Linie einem Missbrauch der
dominierenden Gläubiger vorzubeugen, ist die Folgerung nicht zwingend, dass auf
die Tatsachengrundlage in der Gläubigerversammlung abzustellen ist. Denn ein
Missbrauch kann auch bei Informationsasymmetrien gegeben sein. Weiß etwa nur
die Mehrheit der absonderungsberechtigten Gläubiger positiv, dass die Stilllegung
des Betriebs gegenüber der Fortführung die suboptimale Lösung ist, wird sie das in
der Versammlung nicht offen legen, wenn für sie die Stilllegung vorteilhafter ist.
Kann die überstimmte Minderheit, die dies zum Zeitpunkt der Versammlung vermutet und daher den Antrag nach § 78 InsO stellt, diese Informationen aber erst später
in Erfahrung bringen, geht der so verstandene Zweck des § 78 InsO fehl.
Versteht man den § 78 InsO als eine Norm, die die maximale Befriedigung der
Gläubiger sicherstellen soll, ergibt sich von selbst, dass man auf den höheren Kenntnisstand der gerichtlichen Entscheidung abzustellen hat.325 Das Wissensproblem,
welche Verwertungsart die beste ist, löst die Insolvenzordnung, indem sie grundsätzlich den Gläubigern die Entscheidung über die Verwertung zuweist. Davon wird im
Rahmen des § 78 InsO eine Ausnahme gemacht, die zwar wegen der aufgezeigten
Missbrauchsgefahren notwendig, aber deswegen bedenklich ist, weil die Entscheidung durch ein in wirtschaftlichen Fragen wenig versiertes und finanziell nicht betroffenes Gericht getroffen wird. Reduziert man das ohnehin schon beschränkte
Wissen des Gerichts noch weiter auf den Kenntnisstand der Gläubiger zum Zeitpunkt der Versammlung, vergrößert man die Gefahr möglicher Fehlentscheidungen.
Schließlich ist es auch wenig sinnvoll, die Problematik auf die Ebene der Verwalter- oder Amtshaftung zu verlagern, wenn die unzureichenden Informationen durch
den Verwalter oder das Gericht bedingt sind.326 Zwar mag man vertreten, dass die
Gläubiger keinen Nachteil erleiden. Während aber bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nur eine Umverteilung stattfindet, vergibt man sich mit der
Beschränkung des § 78 InsO die Möglichkeit, zusätzliches Vermögen zu realisieren.
Daher kommt es für die Beurteilung, ob eine Entscheidung gegen das gemeinsame Interesse der Gläubigerversammlung verstößt, auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an.
d) Grenzen der Effektivität und Kontrolldichte
aa) Grenze
§ 78 InsO ist kein Wundermittel zur effektiven Lösung von Interessenkonflikten
zwischen den Gläubigern und zur Findung einer optimalen Entscheidung. Wäre ein
324 KG, DZWIR 2002, 34 (36).
325 Heukamp, Verfahrensrechtliche Aspekte der Gläubigerautonomie, S. 74; Pape, ZInsO 2001,
691 (694).
326 Vgl. dazu auch Pape, ZInsO 2001, 691 (694); Uhlenbruck, InsO, § 78 RN 11.
77
Gericht imstande, immer die richtige Entscheidung zu treffen, bräuchte man keine
Gläubigerbeteiligung. Das Grundproblem des § 78 InsO ist, dass die Norm überhaupt nur dann zur Anwendung gelangen kann, wenn ausreichend Informationen
vorhanden sind, anhand derer man die mit verschiedenen Alternativen verbundenen
Chancen und Risiken beurteilen kann.327 Anders als die Gläubiger kann der Richter
keine spekulativen Entscheidungen treffen. Wie soll der Richter etwa beurteilen
können, ob die Betriebsfortführung vorteilhafter ist als die Stilllegung, wenn der zu
erwartende deutlich höhere Gewinn davon abhängt, dass die benötigten Rohstoffe
konstant zu dem bisherigen Preis geliefert werden können, sich die Absatzmärkte
positiv entwickeln, keine technischen Neuerungen auf den Markt kommen, eine
Vereinbarung mit der Belegschaft über einen niedrigeren Lohn getroffen werden
kann und bestimmte Steuervergünstigungen nicht wegfallen – wobei die Wahrscheinlichkeit der unterschiedlichen Faktoren als niedrig, mittel und hoch eingestuft
wird? Selbst wenn aber eine ausreichende Tatsachengrundlage, anhand derer man
die verschiedenen Entscheidungen beurteilen kann, vorhanden ist, ist die Irrtumsgefahr bei einem Richter, der unter erheblicher Arbeitsbelastung steht,328 keinen finanziellen Anreiz hat und über keine besondere wirtschaftliche Sachkenntnis verfügt, in
der Regel größer als bei einer Entscheidung von einer Vielzahl von Gläubigern.329
Bei dem Zusammenspiel von Gläubigerbeteiligung und Aufhebungsmöglichkeit des
Gerichts stehen sich also zwei Entscheidungsträger gegenüber, die aus unterschiedlichen Gründen fehleranfällig sind. Die Gläubiger sind zwar durch ihren Sachverstand und ihre finanzielle Beteiligung eher in der Lage, die wirtschaftlich richtige
Entscheidung zu treffen.330 Bei solchen Beschlüssen besteht aber die Gefahr, dass
sich die in der Versammlung präsente Mehrheit missbräuchlich verhält. Bei dem Gericht ist die Gefahr einer von Eigeninteressen bestimmten Entscheidung hingegen
geringer – es ist aber auch nicht besonders geeignet, wirtschaftliche Entscheidungen
zu treffen.
In Bezug auf die richterliche Entscheidung besteht die Herausforderung also darin, in Abwägung des Risikos einer Fehlentscheidung mit dem, dass ein suboptimaler
Beschluss der Versammlung bestehen bleibt, den richtigen Grad von Gewissheit zu
finden. Je geringer die Gefahr eines missbräuchlichen Verhaltens der den Beschluss
fassenden Gläubiger ist, desto zurückhaltender sollte auch die richterliche Entscheidung ausfallen.
327 Siehe dazu auch KG, DZWIR 2002, 34 (36) „Die Gläubigerversammlung trifft ihre Entscheidungen regelmäßig unter Bedingungen der Unsicherheit; es handelt sich um Risikoentscheidungen, die das Gesetz deshalb der Gläubigerversammlung überträgt, weil sich in ihr mit den
Gläubigern die Personen versammeln können, welche die Folgen der Fehlentscheidung in erster Linie zu tragen haben […]“; siehe ferner Frege/Keller/Schmidt, Insolvenzrecht, RN 1307;
Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 78 RN 12
328 Vgl. etwa Frind, ZInsO 2006, 182.
329 Siehe Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 78 RN 20 „[…]
hat auf Grund der Gläubigerautonomie ein Beschluss der Gläubigerversammlung auch die
„Richtigkeitsvermutung“ für sich […]“; siehe insbesondere auch unten S. 232 f.
330 Siehe oben S. 23 f.
78
bb) Kontrolldichte
aaa) Allgemein
Vor dem Hintergrund der beschriebenen Irrtumsgefahr des Richters und der höheren Richtigkeitsgewähr einer Entscheidung der Gläubiger sind die Bestrebungen zu
verstehen, eine Aufhebung nach § 78 InsO auf Evidenzfälle zu beschränken.331 Die
Gegenauffassung verlangt demgegenüber, dass die Verletzung des gemeinsamen Interesses nur eindeutig und nicht ganz unerheblich ist.332 Ob der terminologischen
Unterscheidung in der praktischen Anwendung eine größere Bedeutung als dem
Selbstverständnis und dem Selbstvertrauen des Gerichts in wirtschaftlichen Angelegenheiten zukommt, kann bezweifelt werden. Der Richter, der von seiner Auffassung überzeugt ist (und die Entscheidung aufheben will), wird einen Widerspruch
als „evident“ einstufen, während ein anderer Richter bei gleicher Entscheidungslage
den Widerspruch zwar als „eindeutig“, aber noch nicht „evident“ beurteilen wird.
bbb) Abstimmungsmehrheit der absonderungsberechtigten Gläubiger
Interessant ist gleichwohl die in diesem Zusammenhang vorgebrachte Idee, dass
eine Entscheidung, die nur durch die absonderungsberechtigten Gläubiger und nicht
zugleich durch die Insolvenzgläubiger getragen werde, ein erhöhtes Risiko einer
wirtschaftlichen Fehlentscheidung in sich berge.333 Damit sei zwar ein Widerspruch
noch nicht indiziert, aber die gerichtliche Kontrolle habe jedenfalls strenger als in
den übrigen Fällen zu sein.334 Das ist, wenn man sich in dem Widerstreit zwischen
den in § 76 InsO und § 78 InsO angelegten Schutzrichtungen für den übergreifenden
Verfahrenszweck, der bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger, entscheidet, ein brauchbares Kriterium, das möglicherweise schon heute in der Praxis
unausgesprochen zur Anwendung kommt. Es hilft in den engen Grenzen des
§ 78 InsO aber nur dort, wo es um die Verfolgung von Sonderinteressen der absonderungsberechtigten Gläubiger geht. Selbst dort beseitigt es die Grenzen des
§ 78 InsO nicht vollständig. In der Praxis ist daher auch festzustellen, dass § 78 InsO
nur mit großer Zurückhaltung angewendet wird.335
331 Vgl. LG Berlin, ZInsO 2000, 519; Herzig, in: Braun/Bauch (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 78
RN 11; Kind, in: Wimmer (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, § 78 RN 10; Preß, in: Schmidt
(Hrsg.), Hamburger Kommentar-InsO, § 78 RN 11; siehe auch Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 78 RN 14; Goebel, KTS 2002, 615 (630
f.); Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 56.
332 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 78 RN 20; Uhlenbruck, InsO, § 78 RN 11.
333 Goebel, KTS 2002, 615 (631 f.).
334 Vgl. Goebel, KTS 2002, 615 (629 ff.).
335 Pape, NZI 2006, 65 (66).
79
cc) Präventivwirkung?
Die zurückhaltende Anwendung von § 78 InsO hat der Gesetzgeber vorausgesehen
und der Norm daher auch eher eine vorbeugende Wirkung zugeschrieben.336 Beschlüsse, die im Widerspruch zu dem gemeinsamen Interesse stünden, würden nach
dieser Idee von vornherein unterbleiben.337 Die Präventivwirkung von § 78 InsO ist
jedoch in den Fällen gefährdet, in denen die Mehrheit antizipiert, dass der Richter
aufgrund von Bewertungsschwierigkeiten dem Aufhebungsantrag nicht stattgeben
wird. Ohne eine entsprechende Haftung des Insolvenzverwalters würde sie in den
Fällen vollständig versagen,338 in denen in der Versammlung kein Gläubiger der benachteiligten Minderheit anwesend ist, der den Antrag nach § 78 InsO stellen könnte.
Unabhängig davon, ob man die Anwendbarkeit von § 78 InsO auf eine reine Evidenzkontrolle beschränkt, wird die Anwendbarkeit in den meisten Fällen bereits
daran scheitern, dass keine ausreichenden Informationen zur Verfügung stehen, um
einen Widerstreit zu den Interessen der Insolvenzgläubiger festzustellen.
e) Rechtsfolge
Ist der Antrag begründet, hebt das Gericht den Beschluss der Versammlung durch
Beschluss auf.339 Das Gericht kann auch, wenn es zu dem Ergebnis kommt, dass der
Beschluss unwirksam ist, die Unwirksamkeit des Beschlusses feststellen.340 Dies
folgt aus einem erst-recht-Schluss zu § 78 InsO.
f) Zusammenfassung
§ 78 InsO erlaubt es, Sachentscheidungen der Gläbigerversammlung auf Antrag aufzuheben, wenn die Entscheidung der bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger, nicht auch der absonderungsberechtigten Gläubiger widerspricht. Bei Personalentscheidungen ist § 78 InsO nur im Fall des Gläubigerausschusses anwendbar.
§ 78 InsO sollte durch das Gericht zurückhaltend angewendet werden, soweit nicht
Indizien für die Verfolgung von Sonderinteressen vorliegen.
336 BT-Drucks. 12/2443, S. 136.
337 Vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 136.
338 Siehe dazu oben S. 52 ff.
339 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 78 RN 31.
340 Kind, in: Wimmer (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, § 68 RN 8; Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 57 f.
80
3. Ausschluss des Stimmrechts
Darf eine Bank, die als Gläubigerin in der Gläubigerversammlung ein Stimmrecht
hat, über die Frage abstimmen, ob der Insolvenzverwalter bei ihr ein großes Darlehen aufnimmt? Darf ein Gläubiger, der zugleich Mitglied des Gläubigerausschusses
ist, mit darüber abstimmen, ob die Gläubigerversammlung einen Antrag auf seine
Entlassung aus wichtigem Grund stellt? Stimmverbote sind in der Insolvenzordnung
nicht geregelt und bezüglich der Gläubigerversammlung umstritten.341 Uneinigkeit
besteht auch darüber, ob ein eventuelles Verbot aus § 77 InsO342 oder aus verbandsrechtlichen Normen343 herzuleiten ist und welche Reichweite das Stimmverbot hat.
a) Berechtigung eines Analogieschlusses
Eine Analogie ist möglich, wenn sie aus teleologischer Sicht gerechtfertigt ist.344 Orientiert am Zweck des Insolvenzverfahrens, der höchstmöglichen Befriedigung der
Gläubiger, ist eine Analogie also möglich, wenn die bestehenden Regelungen nur
unzureichend dazu geeignet sind, die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger zu
erreichen. Im Insolvenzrecht besteht die Gefahr, dass ein Stimmrechtsinhaber durch
ein bestimmtes Abstimmungsverhalten seinen eigenen Vorteil maximiert, während
dies für die Masse ein suboptimales Ergebnis bedeutet.345 Bestünde dieser Interessenkonflikt nicht (bedeutete also der Vorteil des Stimmrechtsinhabers auch den der
Masse) ist das Stimmverbot irrelevant, da bei der entsprechenden Einsicht auch die
nicht ausgeschlossene Mehrheit für den anstehenden Beschluss stimmt.346
341 Die h.M. geht ebenso wie bei dem Gläubigerausschuss auch bei der Gläubigerversammlung
von Stimmverboten aus, Andres, in: Andres/Leithaus/Dahl, Insolvenzordnung,
§§ 76, 77 RN 10; Delhaes, in: Nerlich/Römermann (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 77 RN 8;
Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 77 RN 15; Görg, DZWIR
2000, 364 (365); Eickmann, in: Eickmann et al. (Hrsg.), HK-InsO,, § 76 RN 6; Ehricke, in:
Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 77 RN 35; Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 93 ff.; Pape, Gläubigerbeteiligung, RN 228 ff.; Preß, in:
Schmidt (Hrsg.), Hamburger Kommentar-InsO, § 77 RN 11; Uhlenbruck, InsO, § 77 RN 4;
Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.), Insolvenzverwaltung, § 21
RN 222; a.A.: Goebel, KTS 2002, 615 (622 f.); Grell, NZI 2006, 77 ff.; kritisch auch Smid,
ZZP 114 (2001), 105 (107); Smid, InVo 2001, 81 (82).
342 Dafür etwa Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 77 RN 35.
343 Dafür etwa Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 93 ff.; Pape, Gläubigerbeteiligung, RN 228 ff.
344 Grundlegend Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 140 f.; die Auffassung des
Gesetzgebers ist hingegen nicht entscheidend, so dass der dahin gerichtete Einwand von
Smid, InVo 2001, 81 (82) fehl geht.
345 Vgl. Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 93 f.
346 Vgl. aber für das Gesellschaftsrecht Zöllner, Schranken richterlicher Stimmrechtsmacht, S.
170 f.
81
Dagegen wird eingewendet, dass nicht dieser Interessenkonflikt zu suboptimalen
Ergebnissen führe. Vielmehr gefährde die Einführung von Stimmverboten ihrerseits
den Verfahrenszweck, weil sie die im Insolvenzrecht austarierte Verknüpfung von
Verfügungsgewalt und Haftung durcheinander bringe und selbst zu Nachteilen für
die Masse führe.347 Solche Nachteile können etwa dann entstehen, wenn der Großgläubiger von der Entscheidung ausgeschlossen wird,348 ob ein riskanter Anfechtungsprozess gegen ihn geführt wird, bei dem die Kosten außer Verhältnis zu den
Risiken stehen. 349
Das Problem, inwieweit die Minderheit die Mehrheit wegen Stimmverboten majorisieren kann, ist bereits seit Längerem aus dem Gesellschaftsrecht bekannt und
auch dort nicht vollständig gelöst.350 Im Gesellschaftsrecht wie im Insolvenzrecht
stellen jedoch die Fälle, in denen das Stimmverbot eingreift, obwohl dies nachweislich zum Schaden der Gesellschaft bzw. der Gläubigergesamtheit führt, das geringere Problem dar. Denn in beiden Rechtsmaterien kann bei eindeutiger Lage die nicht
nachteilige Lösung gerichtlich erzwungen werden. Im Insolvenzrecht lassen sich
Entscheidungen der Gläubigerversammlung, die dem gemeinsamen Interesse der
Insolvenzgläubiger widersprechen, über § 78 InsO aufheben. Bei zahlenmäßig eindeutigen Fällen, geht es also allein darum, wem man besser die Last auferlegt, einen
entsprechenden Prozess zu führen.351 Will man optimale Ergebnisse für die Gläubigergesamtheit erreichen, ist diese Obliegenheit besser bei dem Großgläubiger aufgehoben, der wegen seiner finanziell starken Betroffenheit und seiner finanziellen Ressourcen eher als der Inhaber einer geringeren Forderung einen Aufhebungsantrag
nach § 78 InsO stellen wird.
Die entscheidende Bedeutung von Stimmverboten liegt aber in dem Bereich, wo
die wirtschaftlichen Folgen für die Beteiligten nicht absehbar sind oder wo erhebliche Informationsasymmetrien bestehen.352 In der für den Richter nicht erfassbaren
Grauzone einer wirtschaftlichen Zweckmäßigkeits- oder Investitionsentscheidung
stellt sich die Frage, ob es wahrscheinlicher ist, dass sich der selbst betroffene Großgläubiger Sondervorteile auf Kosten der übrigen Gläubiger verschaffen wird oder ob
er sein eigenes Interesse hinter das der anderen stellen wird. Im Gesellschaftsrecht
347 Grell, NZI 2006, 77 (80 f.).
348 Dazu und zu weiteren Beispielen Grell, NZI 2006, 77 (81).
349 Noch deutlicher wird dies durch das folgende Zahlenbeispiel: Gegeben sei Großgläubiger G1.
Dank seiner Sicherungsrechte erwartet er eine Befriedigungsquote von 51. Darüber hinaus
gibt es die Gläubiger G2-10, von denen jeder eine Befriedigungsquote von 1 zu erwarten hat.
Möglicherweise besteht eine Forderung von 200 gegen G1. Der Prozess kostet im Fall der
Niederlage 30. Im Fall des Erfolges erhält die Masse 200. Die Chancen, den Prozess zu gewinnen, betragen 10%. Für die Gläubigergesamtheit wäre ein Prozess unvorteilhaft. Denn der
zu 90% wahrscheinlichen Einbuße von 30 (0,9 x 30 = 27) steht ein zu 10% wahrscheinlicher
Gewinn von 200 (0,1 x 200 = 20) gegenüber. G2-10 drohen aber nur maximal 9 zu verlieren
und dass nur mit einer Chance von 90%. Ihre Rechnung lautet daher:
9 x 0,9 = 8,1 < 0,1 x 200 = 20.
350 Vgl. Zöllner, Schranken richterlicher Stimmrechtsmacht, S. 166 ff., 172, 174.
351 Vgl. für das Gesellschaftsrecht Zöllner, Schranken richterlicher Stimmrechtsmacht, S. 171.
352 Vgl. für das Gesellschaftsrecht Zöllner, Schranken richterlicher Stimmrechtsmacht, S. 171.
82
hat man nur geringes Vertrauen in den Altruismus des Betroffenen und legt ihm ein
– freilich typisierendes – Stimmverbot auf. Es ist nicht ersichtlich, warum diese Situation im Insolvenzrecht anders zu beurteilen sein soll.353
Daher erledigt sich auch das Argument,354 im Insolvenzrecht bestünden mit
§ 78 InsO alternative Mechanismen um einer missbräuchlichen Stimmmacht zu begegnen. Denn § 78 InsO ist ein Instrument von zweifelhafter Effektivität,355 das von
den Gerichten – zu Recht –356 mit großer Zurückhaltung angewendet wird.357 Demgegenüber bieten Stimmverbote, die eine bestimmte Gefahr typisieren und an formale Kriterien anknüpfen, gegenüber dem von vielen Unwägbarkeiten belasteten § 78
InsO eine erhöhte Rechtssicherheit.358
Unzutreffend ist auch das Argument,359 das Verfahrensziel der bestmöglichen
Gläubigerbefriedigung sei auch deswegen nicht gefährdet, weil die Beschlüsse der
Gläubigerversammlung gegenüber dem Insolvenzverwalter nur schwer durchsetzbar
seien und daher noch ein Korrektiv in Gestalt des Ermessens des Insolvenzverwalters bestünde. Denn es beruht auf der falschen Prämisse, dass die Entscheidungen
der Versammlung für den Verwalter nicht bindend seien.360
Schließlich wird geltend gemacht, dass bei vielschichtigen Großverfahren die
Feststellung von Stimmverboten den Insolvenzverwalter und das Insolvenzgericht
überlasten und den Ablauf der Gläubigerversammlung blockieren würden.361 Der
Einwand mag in seiner Allgemeinheit eine gewisse Plausibilität für sich haben. Bedenkt man jedoch, welchen Aufwand Entscheidungen nach § 78 InsO erfordern und
dass Stimmverbote an sehr formale Tatbestände und nicht bereits an das Vorliegen
eines wie auch immer gearteten Interessenkonflikts anknüpfen, verliert dieser Einwand an Bedeutung. Daher ist in Analogie zu gesellschaftsrechtlichen Normen362 ein
Stimmverbot zu bejahen.
353 Vgl. Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 97.
354 Grell, NZI 2006, 77 (78).
355 Kritisch zur Effektivität von § 78 InsO auch Eickmann, in: Eickmann et al. (Hrsg.), HK-InsO,
§ 76 RN 12.
356 Siehe oben S. 76 ff.
357 Pape, NZI 2006, 65 (66).
358 Vgl. Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 97; zur Rechtssicherheit von
Stimmverboten für eine bestimmte Kasuistik siehe auch Zöllner, Schranken richterlicher
Stimmrechtsmacht, S. 161.
359 Grell, NZI 2006, 77 (80).
360 Siehe oben S. 48 ff.
361 Goebel, KTS 2002, 615 (623); Smid, InVo 2001, 81 (82).
362 Für eine Analogie zu gesellschaftsrechtlichen Normen treten etwa ein Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 93 ff.; Pape, Gläubigerbeteiligung, RN 228 ff.; a.A.: etwa
Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 77 RN 35, der eine
Analogie zu § 77 InsO annimmt.
83
b) Anwendungsfälle
Die Analogie zu §§ 34 BGB, 47 Abs. 4 GmbHG, 136 Abs. 1 AktG und
43 Abs. 6 GenG beschränkt das Stimmverbot auf die Fallgruppen des Insichgeschäfts und des Richtens in eigener Sache (dazu aa. und bb.). Nicht ausreichend ist
hingegen, dass sich der der Gläubiger in einem anderweitigen Interessenkonflikt befindet. So lösen etwa Verwandtschaftsverhältnisse zu dem Schuldner oder demjenigen, mit dem das Rechtsgeschäft abzuschließen ist, kein Stimmverbot aus.363
aa) Insichgeschäft
Unter das Verbot des Insichgeschäfts fallen Beschlüsse der Gläubigerversammlung
(und des Gläubigerausschlusses), die die Vornahme eines Rechtsgeschäfts (bzw. einer rechtsgeschäftlichen Handlung) gegenüber (bzw. mit) einem Stimmrechtsträger
betreffen.364 Das gilt insbesondere in dem Fall des § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO, also
wenn das schuldnerische Unternehmen aus der Masse an den Stimmrechtsträger
veräußert werden soll.365 Ein weiterer Anwendungsfall ist die oben skizzierte, unter
§ 160 Abs. 2 Nr. 2 InsO fallende Situation, dass ein größeres Darlehen bei dem
Stimmrechtsträger aufgenommen werden soll.366 Weiterhin greift das Verbot in den
Fällen ein, in denen ein Rechtsgeschäft mit dem stimmberechtigten Gläubiger
durchgeführt wird, das zu einer Befreiung von oder zur Stundung einer Verbindlichkeit gegenüber der Masse führt367 und in denen in der Gläubigerversammlung über
die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits mit dem Stimmberechtigten entschieden wird.368
363 Vgl. Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 77 RN 15; a.A.: AG
Wolfratshausen, ZIP 1990, 597 m. abl. Anm. Pape, EWiR 1990, 597 (598).
364 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 77 RN 36; Oelrichs,
Gläubigermitwirkung und Stimmverbote,, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote im Insolvenzverfahren, S. 105; vgl. auch Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.),
Insolvenzverwaltung, § 21 RN 222.
365 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 77 RN 36.
366 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 77 RN 36; Voigt-
Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.), Insolvenzverwaltung, § 21 RN 222.
367 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 77 RN 36; Oelrichs,
Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 106.
368 AG Kaiserslautern, NZI 2006, 46 (47); Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.),
MünchKomm-InsO, § 77 RN 36; Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 107 f.
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bb) Richten in eigener Sache
aaa) Allgemeines
Das Verbot des Richtens in eigener Sache greift in mehreren Fallgruppen: Es besagt zum einen, dass der Stimmrechtsträger nicht mitstimmen kann, wenn die Gläubigerversammlung über die Billigung oder Missbilligung seines Verhaltens beschließt.369 Dazu zählen weiterhin die Beschlüsse der Gläubigerversammlung, in denen sie über Sanktionen gegen den Stimmrechtsträger entscheidet.370 Ein Beispiel
hierfür ist die erwähnte Abberufung aus dem Gläubigerausschuss.371 Unter das Verbot sind auch die Fälle zu fassen, in denen über eine Maßnahme entschieden werden
soll, durch die die Sanktion erst ermöglicht werden soll (z.B. das Einholen bestimmter Informationen).372 Weiterhin gilt das Verbot, wenn darüber entschieden wird, ob
an den Stimmrechtsträger Zuwendungen fließen.373 Schließlich kann das Verbot bei
bestimmten Verfahrenshandlungen zum Tragen kommen.374 Ein Stimmverbot greift
aber nicht ein, wenn ein Gläubiger für sich selbst als Ausschussmitglied stimmt.375
bbb) Stimmverbot der absonderungsberechtigten Gläubiger
Fraglich ist, ob ein absonderungsberechtigter Gläubiger einem Stimmverbot unterliegt, wenn in der Versammlung über den Gegenstand abgestimmt wird, an dem
sein Absonderungsrecht besteht. Das wird teilweise bejaht,376 vielfach aber auch abgelehnt.377 Gegen ein Stimmverbot spricht insbesondere, dass das den absonderungsberechtigten Gläubigern zugewiesene Stimmrecht andernfalls sinnentleert
würde.378 Denn dann müssten Stimmverbote gerade auch eingreifen, wenn nach
§ 157 InsO über die für das Sicherungsgut maßgebliche Entscheidung über die Stilllegung oder die Betriebsfortführung abgestimmt werde.379 Durch die Zuweisung von
Stimmrechten nimmt die Insolvenzordnung hin, dass die absonderungsberechtigten
369 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 108.
370 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 108 f.
371 Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.), Insolvenzverwaltung, § 21
RN 222.
372 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 77 RN 37.
373 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 109.
374 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 110 f.
375 Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 77 RN 15.
376 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 109.
377 Goebel, KTS 2002, 615 (622 f.); Smid, InVo 2001, 81 (82); Smid, ZZP 114 (2001), 105
(107); siehe jetzt auch BGH, Beschl. v. 12.06.2008 - IX ZB 220/07.
378 Goebel, KTS 2002, 615 (622 f.); Smid, InVo 2001, 81 (82); Smid, ZZP 114 (2001), 105
(107).
379 Smid, InVo 2001, 81 (82); Smid, ZZP 114 (2001), 105 (107); vgl. auch Goebel, KTS 2002,
615 (623).
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Gläubiger bis zu einem gewissen Grad auch Sonderinteressen verfolgen und akzeptiert damit zugleich, dass die §§ 169, 172 InsO das Interesse der absonderungsberechtigten Gläubiger nur pauschalisierend, aber nicht umfassend schützen.380 Durch
die Ablehnung von Stimmverboten für die absonderungsberechtigten Gläubiger
stellt man auch nicht die Institutionalisierung von Stimmverboten überhaupt in Frage. Denn der Unterschied zu der Situation, in der ein dominierender Insolvenzgläubiger der Masse ein Darlehen gewährt oder in der das Schuldnerunternehmen an einen Insolvenzgläubiger verkauft werden soll, ist der: In beiden genannten Situationen wird sich die für die Insolvenzmasse „richtige“ Entscheidung (etwa in dem Fall,
in dem der Insolvenzgläubiger das Darlehen mit den günstigsten Konditionen oder
den höchsten Preis für das zu verkaufende Unternehmen bietet) durchsetzen, auch
wenn der betroffene Insolvenzgläubiger wegen des Stimmverbots von der Entscheidung ausgeschlossen ist. Denn die Interessen der Gläubiger sind insoweit in der Regel gleichgerichtet. Bei der Entscheidung über einen Gegenstand, an dem ein Absonderungsrecht besteht, fehlt es an einer solchen Gleichgerichtetheit. Auch wenn
die Entscheidung, die den Absonderungsberechtigten begünstigt, die effizienteste
Verwertungsentscheidung ist (etwa weil die freihändige Verwertung durch ihn das
Vielfache von dem bringt, was gewonnen wird, wenn der Gegenstand in der Insolvenzmasse bleibt), werden die anderen Gläubiger nicht dafür stimmen, weil sie an
den positiven Wirkungen der Entscheidung nicht partizipieren. Sieht man einmal
von Verhandlungen ab, besteht also keine andere Möglichkeit, die „richtige“ Verwertungsentscheidung durchzusetzen, als das Stimmrecht des absonderungsberechtigten Gläubigers zu erhalten. Ein anderes Ergebnis ließe sich freilich dann vertreten,
wenn man den § 78 InsO in seiner derzeitigen Gestalt, in der allein die Insolvenzgläubiger geschützt werden, einen verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedanken beimisst. Dann könnte man mit dem Argument, dass es in der Insolvenzordnung primär
um die Mehrung der Haftungsmasse und die höchstmögliche Befriedigung der Insolvenzgläubiger geht, ein Stimmverbot begründen. Wie bereits oben dargelegt,
stellt der § 78 InsO in seiner derzeitigen Fassung aber eine problematische Norm
dar, weil er in Widerspruch zu anderen den Entscheidungsprozess lenkenden Normen steht. Daher lässt sich der ihm zugrundeliegende Rechtsgedanke auch nicht
verallgemeinern, um auf diesem Weg ein Stimmverbot für die absonderungsberechtigten Gläubiger anzunehmen.
380 Siehe dazu oben S. 60 ff.
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c) Auswirkungen von Stimmverboten
aa) Allgemeines
Ein Stimmverbot bewirkt den Verlust des Stimmrechts in der konkreten Abstimmung.381 Eine abgegebene Stimme ist nichtig und wird nicht zum Abstimmungsergebnis hinzugerechnet.382 Andere Individualrechte wie etwa Antrags- und Informationsrechte bleiben auch dem befangenen Stimmrechtsträger erhalten.383 Der Verlust
des Stimmrechts kann sich auch auf die Beschlussfähigkeit auswirken.384
bb) Feststellung des Stimmverbots durch das Gericht
Der Stimmrechtausschluss kann von dem Insolvenzgericht durch Beschluss analog
§ 77 Abs. 2 InsO festgestellt werden.385 Ob das Insolvenzgericht tatsächlich auch
verpflichtet ist, den betroffenen Gläubiger auszuschließen,386 erscheint fraglich. Mit
Blick auf die Fehlerfolgen387 wäre es bei rechtlichen Zweifeln ratsamer, den betroffenen Gläubiger unter Vorbehalt mitstimmen zu lassen. Auf diese Weise sichert man
ab, dass auch für den Fall, in dem das Stimmverbot nicht besteht, klar ist, wie der
Betroffene sein Stimmrecht ausgeübt hat, und vermeidet eine Unwirksamkeit des
Beschlusses der Gläubigerversammlung.
Der Beschluss hat aber – anders als der Beschluss nach § 77 InsO – nur eine feststellende und keine gestaltende Wirkung.388
cc) Fehlerhafte Beschlussfassung
Stimmt ein Gläubiger mit, obwohl er in der konkreten Abstimmung einem Stimmverbot unterliegt, wird seine Stimme aus dem Abstimmungsergebnis herausgerechnet.389 Maßgeblich sind allein die Stimmen der Gläubiger, die nicht einem Stimmverbot unterliegen.
381 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 116.
382 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 77 RN 35; Oelrichs,
Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 119.
383 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 116.
384 Einzelheiten bei Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 117 f.
385 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 77 RN 35; Gerhardt,
in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 77 RN 16; Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 117.
386 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 117.
387 Siehe unten S. 86 f.
388 Vgl. Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 77 RN 35; Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 120.
389 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 120.
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Wird ein Gläubiger zu Unrecht von der Versammlung ausgeschlossen, weil er
keinem Stimmverbot unterliegt, ist seine Stimme – soweit noch ermittelbar – in das
Ergebnis mit einzubeziehen. Ist nicht mehr festzustellen, wie der Betroffene abgestimmt hat, ist der Beschluss der Gläubigerversammlung unwirksam, wenn seine
Stimme das Abstimmungsergebnis beeinflussen konnte.390
d) Zusammenfassung
Die Gläubiger unterliegen bei Insichgeschäften und bei Richten in eigener Sache
Stimmverboten. Geht es um die Verwetung eines Gegenstands, an dem ein Absonderungsrecht besteht, ist der absonderungsberechtigte Gläubiger nicht ausgeschlossen.
4. Treuepflichten
Nach teilweise vertretener Ansicht sollen auch unter den Gläubigern konstruierte
Treuepflichten die Verfolgung von Sonderinteressen durch einige Gläubiger verhindern. Dem Gesellschaftsrecht entlehnt und aus in der „Sonderverbindung begründeten wechselseitigen Einwirkungsmöglichkeiten“ hergeleitet391 sollen diese Treuepflichten unter den Insolvenzgläubigern Kooperationspflichten und Schadensersatzverpflichtungen auslösen können.392 Die wohl überwiegende Meinung lehnt solche
Treuepflichten im Insolvenzrecht jedoch ab, da es kein einem Gesellschaftsvertrag
vergleichbares Fundament für solche Treuepflichten gebe und die Gläubiger nur eine Zufallsgemeinschaft darstellten.393 In der Tat ist zweifelhaft, ob man tatsächlich
allein aus den wechselseitigen Einflussmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger Treuepflichten herleiten kann. Die Ablehnung eines allzu lockeren Umgangs mit den
Grundlagen von solchen Treuepflichten ist aber nicht allein Ausdruck dogmatischer
Kleinlichkeit. Vielmehr untergräbt man auch die strengen Voraussetzungen des Deliktsrechts oder anderer Haftungsnormen (nicht zuletzt des § 71 InsO), wenn man
die Verletzung von Treuepflichten mit Schadensersatzfolgen für reine Vermögensschäden bedenkt.
Die Debatte um Treuepflichten ist damit nicht beendet und es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass in Fällen, in denen ein besonders großes Bedürfnis hierfür besteht,
die Institutionalisierung von Treuepflichten auch noch mehr Befürworter findet.
Bisher ist die Diskussion um Treuepflichten aber wahrscheinlich nicht ohne Grund
390 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 120 f.
391 Schulz, Treuepflichten, RN 317.
392 Schulz, Treuepflichten, RN 404.
393 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 74 RN 9; Grell, NZI
2006, 77 (79); Hess, in: Hess/Weis/Wienberg, Insolvenzrecht, § 74 RN 35; siehe auch Gundlach, Frenzel/Strandmann, NZI 2008, 461 (463).
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vergleichsweise stiefmütterlich behandelt worden. Denn ein für eine Rechtsfortbildung erforderliches unabweisbares Bedürfnis für Treuepflichten scheint bisher nicht
gegeben zu sein. Die Fälle, die bisher für die Begründung von Treuepflichten herhalten mussten,394 lassen sich meistens auch mit dem bestehenden Regelungsinstrumentarium lösen. So ist einem opportunistischen395 Verhalten eines Mitglieds des
Gläubigerausschusses396 recht gut durch Stimmverbote und die für die Ausschussmitglieder geltende Haftung zu begegnen. Missbräuchen von verfahrensbeherrschenden Gläubigern397 in der Gläubigerversammlung trägt das Zusammenspiel aus
Haftung des Insolvenzverwalters und § 78 InsO (wenn auch lückenhaft) Rechnung.
Es ist auch kein nennenswerter Vorteil gegenüber den §§ 71, 78 InsO ersichtlich, da
sie in gleichem Maße einer gerichtlichen Feststellung und Durchsetzung bedürfen,
während Stimmverbote sich praktisch selbst durchsetzen.
Insgesamt sind Treuepflichten daher abzulehnen, weil sich für sie weder eine
dogmatische Grundlage noch ein unabweisbares Bedürfnis finden lässt.
5. Zusammenfassung
Das deutsche Recht verhindert die Verfolgung von Sonderinteressen in der Gläubigerversammlung durch die Aufhebungsmöglichkeit von Entscheidungen, die gegen
das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger verstoßen, und Stimmverbote bei
Insichgeschäften und beim Richten in eigener Sache. Treuepflichten bestehen nicht.
D. Der Gläubigerausschuss
I. Allgemeines
Der Gläubigerausschuss dient dazu, den Insolvenzverwalter zu unterstützen und zu
überwachen, § 69 S. 1 InsO. Die Einsetzung eines Gläubigerausschusses ist fakultativ. Vor der ersten Gläubigerversammlung kann das Gericht einen Ausschuss einsetzen. Abschließend entscheidet über die Einsetzung die Gläubigerversammlung. Tatsächlich kommt es nur in etwa 20 % aller eröffneten Verfahren (in der Regel Großverfahren) zu der Einsetzung eines Gläubigerausschusses.398 Der Sinn der Einset-
394 Vgl. Schulz, Treuepflichten, RN 17 ff.
395 Zu dem Begriff des opportunistischen Verhaltens Hansmann/Kraakman, in: Kraakman, The
anatomy of corporate law, S. 21.
396 Vgl. dazu Schulz, Treuepflichten, RN 436 ff.
397 Vgl. dazu Schulz, Treuepflichten, RN 485 ff.
398 Gessner et al., Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 200; Kübler, in: Kübler/Prütting
(Hrsg.), InsO, § 67 RN 3; Pape, Gläubigerbeteiligung, S. 126; Vallender, WM 2002, 2040;
Kind, in: Braun/Bauch (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 67 RN 3 geht davon aus, dass in weniger
als 20 % der Verfahren ein Gläubigerausschuss eingesetzt wird.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die umfassende Gläubigerbeteiligung hat eine lange Tradition im deutschen Insolvenzrecht. In der Praxis beteiligen sich die Gläubiger jedoch häufig nicht. Dieser Umstand und unausgewogene Entscheidungen der Gläubiger können das Verfahrensziel, die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger, gefährden. Die Untersuchung vergleicht die Gläubigerbeteiligung nach der deutschen Insolvenzordnung mit der durch das decreto legislativo 9 gennaio 2006, n. 5 und das decreto legislativo 12 Settembre 2007, n. 169 reformierten legge fallimentare. Die Arbeit erörtert umfassend aktuelle juristische Fragen. Der rechtsvergleichende Teil bezieht Ansätze der ökonomischen Analyse des Rechts und der Verhaltensökonomik ein, um konkrete Änderungsvorschläge zu erarbeiten.