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chen These in der Gesetzesbegründung auch nichts.483 Das Erfordernis einer Kopfmehrheit ist allein die notwendige Konsequenz der Gesetzeskonzeption, nach der die
Mitglieder Vertreter aller Gläubiger sind.484
Bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt.485
V. Rechtsfehlerhafte Beschlüsse
Das Gesetz enthält keine Regelung über die Unwirksamkeit von Beschlüssen.
1. Verfahrensmängel
Ungeklärt ist, welche Folge Verfahrensmängel haben. Lässt man die These außen
vor, dass die Anfechtungsregeln in Analogie zu den Regeln über die Fehlerhaftigkeit
einer Entscheidung der Hauptversammlung auf rechtsfehlerhafte Beschlüsse Anwendung finden,486 wegen der Andersartigkeit des entscheidenden Gremiums und
der damit verbundenen verschiedenartigen Qualität der in Rede stehenden Entscheidungen und ihrer potentiellen Wirkung, stehen sich im Wesentlichen zwei Auffassungen gegenüber. Der Gesetzgeber der Konkursordnung ging davon aus, dass Verstöße gegen die von dem Ausschuss selbst aufgestellte Geschäftsordnung unbeachtlich seien und nur ein Verstoß gegen § 72 InsO Einfluss auf die Wirksamkeit haben
könne.487 Dies scheint auch der Auffassung des Gesetzgebers der Insolvenzordnung
zu entsprechen488 und wird daher auch noch heute vertreten.489 Demgegenüber sieht
die herrschende Auffassung einen Beschluss als unwirksam an, wenn er unter Verletzung der Normen zustande gekommen ist, die einer recht- und ordnungsgemäßen
Willensbildung dienen.490 Formfehler sollen aber durch einen einstimmigen Be-
483 Vgl. Hahn, Materialien Konkursordnung, S. 283 ff.; BT-Drucks. 12/2443, S. 132; BT-Drucks.
12/7302, S. 163.
484 Siehe dazu oben S. 88 ff.
485 Hahn, Materialien Konkursordnung, S. 286; Kübler, in: Kübler/Prütting (Hrsg.), InsO, § 72
RN 5.
486 So insbesondere Kind, in: Braun/Bauch (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 72 RN 14; Kind, in:
Wimmer (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, § 72 RN 14 ff.
487 Hahn, Materialien Konkursordnung, S. 286.
488 BT-Drucks. 12/2443, S. 132.
489 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote, S. 90 f.; Uhlenbruck, InsO, § 72 RN 2.
490 Vgl. Blersch, in: Breutigam/Blersch/Goetsch, Insolvenzrecht, § 72 RN 8; Eickmann, in:
Eickmann et al. (Hrsg.), HK-InsO, § 73 RN 5; Frind, in: Schmidt (Hrsg.), Hamburger Kommentar-InsO, § 72 RN 6; Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, §
72 RN 12; Heukamp, Verfahrensrechtliche Aspekte der Gläubigerautonomie, S. 305;
Schmid-Burgk, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 72 RN 5; Pape,
Gläubigerbeteiligung, RN 328; Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.),
Insolvenzverwaltung, § 21 RN 336; vgl. auch Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2005, 304
(307 f.); Runkel, in: Runkel (Hrsg.), Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 6 RN 237.
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schluss aller Mitglieder geheilt werden können.491 Diese im Ergebnis zwar angemessene Auffassung stimmt deswegen bedenklich, weil es (nicht zufällig) an einer konkreten Rechtsnorm fehlt, aus der man die Unwirksamkeitsfolge ableiten könnte. Anders als im Gesellschaftsrecht gibt es keine Normen, die das Verfahren regeln. Eine
unter Umständen nicht einstimmig beschlossene Geschäftsordnung lässt sich nicht
als Vertrag qualifizieren und es fehlt auch an einer Satzungsautonomie, mit der sich
eine Unwirksamkeit eventuell begründen ließe.
Letztlich wird man daher eine Unwirksamkeit von formfehlerbehafteten Beschlüssen aus dem Insolvenzzweck herleiten müssen. Seine Erreichung ist in den
Fällen gefährdet, in denen mangels Quantifizierbarkeit der wirtschaftlichen Folgen
ein missbräuchliches Verhalten eines Teils der Ausschussmitglieder nicht durch die
Haftung gemäß § 71 InsO unterbunden werden kann. Dann besteht die Gefahr, dass
das Repräsentationsprinzip noch weiter durch die schlichte Nichtladung der dissentierenden Ausschussmitglieder untergraben wird.
2. Materielle Fehler
Materielle Fehler – insbesondere Verstöße gegen § 72 InsO – führen zu einer Unwirksamkeit des Beschlusses.
3. Folgen von fehlerhaften Beschlüssen
Formelle wie materielle Fehler können nicht durch das Gericht aufgehoben werden,sondern nur inzident im Rahmen eines Haftungsprozesses492 oder mittels einer
Feststellungsklage geltend gemacht493 oder inzident bei der Entscheidung über aufsichtsrechtliche Maßnahmen durch das Insolvenzgericht überprüft werden.494
491 Schmid-Burgk, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 72 RN 5;
Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.), Insolvenzverwaltung, § 21
RN 336.
492 Schmid-Burgk, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 72 RN 22;
Kübler, in: Kübler/Prütting (Hrsg.), InsO, § 72 RN 14; Pape, Gläubigerbeteiligung, RN 331;
Uhlenbruck, InsO, § 72 RN 10.
493 Kübler, in: Kübler/Prütting (Hrsg.), InsO, § 72 RN 14; nach teilweise vertretener Auffassung
soll die Unwirksamkeit des Beschlusses auch analog § 78 InsO festgestellt werden können,
Vallender, WM 2002, 2040 (2046).
494 Vgl. auch Schmid-Burgk, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 72
RN 22 a.E.: „Bei Verstößen gegen zwingende Formvorschriften, die einen Beschluss nichtig
machen, hat das Gericht eine eigene Prüfung vorzunehmen, und zwar aus seiner Aufgabe heraus, das Verfahren gesetzeskonform abzuwickeln.“.
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VI. Bindungswirkung und Rechtsfolgen
Fraglich ist, ob Beschlüsse des Gläubigerausschusses eine Bindungswirkung für den
Insolvenzverwalter haben. Wie bereits bei der Gläubigerversammlung bedarf es hier
einer Differenzierung nach den unterschiedlichen Rechtsfolgen.495
1. Aufsichtsrechtliche Maßnahmen
Fraglich ist insbesondere, ob eine Nichtbefolgung von Beschlüssen des Gläubigerausschusses die gleichen Konsequenzen wie die Nichtbefolgung eines Beschlusses
der Versammlung (§§ 58, 59 InsO) hat. Relativ unproblematisch ist der Fall, dass
der Ausschuss seine Zustimmung zu einer von dem Insolvenzverwalter vorzunehmenden Handlung erteilt. Ebenso wenig wie eine Zustimmung der Versammlung
den Insolvenzverwalter bindet, die jeweilige Handlung vorzunehmen, so hat auch
die Zustimmung des Ausschusses keine verpflichtende Wirkung.496 Andernfalls
missachtet man den Unterschied zwischen Initiativ- und Zustimmungskompetenzen.
Der Gläubigerausschuss hat insoweit kein Weisungsrecht.497
Aufsichtsrechtliche Maßnahmen kommen im Falle von Zustimmungskompetenzen daher aber dann in Betracht, wenn der Insolvenzverwalter sich anschickt, die
zustimmungsbedürftige Handlung ohne Zustimmung vorzunehmen. Würde man auf
jede Durchsetzbarkeit verzichten, würden die Entscheidungskompetenzen des Ausschusses entwertet.498 Daher kann der Insolvenzverwalter mit aufsichtsrechtlichen
Mitteln dazu gezwungen werden, die erforderliche Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen oder, soweit die Zustimmung versagt wurde, die jeweilige
Handlung nicht auszuführen.499
2. Entlastende Wirkung für den Insolvenzverwalter
Streitig ist auch, ob ein Beschluss des Gläubigerausschusses eine entlastende Wirkung für den Insolvenzverwalter hat.
495 Die Bindungswirkung aber allgemein ablehnend Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 363
(364).
496 Hegmanns, Der Gläubigerausschuss, S. 71.
497 Siehe oben S. 96 f.
498 Siehe oben S. 48 ff.; vgl. zu diesem Problem auch Gundlach/Frenzel/Jahn, ZInsO 2007, 1028
(1029 f.).
499 So auch Hegmanns, Der Gläubigerausschuss, S. 71 und 79.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die umfassende Gläubigerbeteiligung hat eine lange Tradition im deutschen Insolvenzrecht. In der Praxis beteiligen sich die Gläubiger jedoch häufig nicht. Dieser Umstand und unausgewogene Entscheidungen der Gläubiger können das Verfahrensziel, die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger, gefährden. Die Untersuchung vergleicht die Gläubigerbeteiligung nach der deutschen Insolvenzordnung mit der durch das decreto legislativo 9 gennaio 2006, n. 5 und das decreto legislativo 12 Settembre 2007, n. 169 reformierten legge fallimentare. Die Arbeit erörtert umfassend aktuelle juristische Fragen. Der rechtsvergleichende Teil bezieht Ansätze der ökonomischen Analyse des Rechts und der Verhaltensökonomik ein, um konkrete Änderungsvorschläge zu erarbeiten.