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II. Die Entstehung des Pragmatismus. Charles Saunders Peirce und der Metaphysical Club in Cambridge
Die Entstehung des Pragmatismus ist untrennbar mit einem kleinen Zirkel verbunden, der Anfang der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts von Charles Saunders Peirce in
Cambridge, Massachusetts, ins Leben gerufen wurde, und der sich selbst den Namen
„Metaphysical Club“ gab18. Die Mitglieder des Clubs waren von ihrem wissenschaftlichen Hintergrund her keine Philosophen, sondern entstammten ganz unterschiedlichen akademischen Fachrichtungen. Peirce selbst war studierter Chemiker
und arbeite als Geodät für das US Coast Survey und das Harvard Observatory.
Chauncey Wright war Mathematiker, William James Mediziner. Mit Oliver Wendell
Holmes und Nicholas St. John Green gehörten dem Club auch zwei Juristen an.
Gemeinsam war ihnen allen ein großes Interesse an naturwissenschaftlichen Methoden und Entdeckungen, auch dann, wenn sie wie Holmes und St. John Green selbst
keine Naturwissenschaftler waren. Der „Metaphysical Club“ traf sich in unregelmä-
ßigen Abständen in den Privatwohnungen von Peirce und James, wo die Mitglieder
Vorträge hielten, über die anschließend diskutiert wurde. Gegenstand der Gespräche
waren dabei vor allem Probleme der Wissenschaftstheorie und Erkenntnisphilosophie.
1. Semiotische Erkenntnistheorie
Bereits bevor er den „Metaphysical Club“ ins Leben rief, hatte Peirce sich in zahlreichen Aufsätzen mit der Frage beschäftigt, wie der Erkenntnisvorgang adäquat zu
begreifen ist und was überhaupt sein Gegenstand sein kann. Die dabei entwickelte
semiotische Erkenntnistheorie und der daraus resultierende Realitätsbegriff lieferten
dabei bereits entscheidende Weichenstellungen für den späteren Pragmatismus.
Peirce entwickelte seine Position in Abgrenzung zu Descartes und Kant. War für
Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“ noch die entscheidende Frage gewesen, wie
synthetische Urteile a priori möglich sind, setzte Peirce noch grundsätzlicher an und
stellte bereits die Frage, wie synthetische Urteile überhaupt möglich sind19.
a) Kritik am cartesianischen Rationalismus
Peirce entwickelte seine Position dabei insbesondere in einer Reihe von Aufsätzen,
die er 1868 im „Journal of Speculative Philosophy“ veröffentlichte. Im ersten dieser
Beiträge, der unter dem Titel „Fragen hinsichtlich gewisser Vermögen, die man für
18 Siehe zum „Metaphysical Club“ auch Peirce CP 5.12, Schulz (1988) S. 89 ff. und Fisch
(1964) mit weiteren Nachweisen sowie umfassend Menand (2001).
19 Peirce (1967) S. 241 / CP 5.348: „Das ist das Schloß vor dem Eingang der Philosophie“
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den Menschen in Anspruch nimmt“ erschien, kam er zu dem Ergebnis, dass sich die
Erkenntnisfähigkeit des Menschen vor allem durch vier Unvermögen auszeichnet20:
1. Wir haben kein Vermögen der Introspektion.
2. Wir haben kein Vermögen der Intuition.
3. Wir haben kein Vermögen, ohne Zeichen zu denken.
4. Wir haben keinen Begriff von einem absolut Unerkennbaren.
Die beiden ersten Thesen richten sich gegen die rationalistische Philosophie von
René Descartes. Descartes war davon ausgegangen, dass die menschliche Vernunft
das oberste Erkenntnisorgan war. Als gesicherte Erkenntnis konnte ihm daher nur
das gelten, was vor den kritischen Ansprüchen der Vernunft bestehen konnte, d.h.
nur das, woran sich nicht mehr vernünftig zweifeln ließ. Damit brach Descartes mit
der scholastischen Lehre des Mittelalters, dass die elementarsten Erkenntnisse letztlich durch die Berufung auf Autoritäten wie die Kirchenväter oder die Offenbarung
durch die heilige Schrift zu „begründen“ seien. Die Methode Descartes’ bestand
demgegenüber darin, zunächst alle vorgegebenen Gewissheiten in Zweifel zu ziehen. Dieser radikale Zweifel führte ihn schließlich zu der Überzeugung, dass die
einzige Gewissheit die der eigenen Existenz als eines denkenden Wesens ist („cogito
ergo sum“). Gesicherte Wahrheiten können daher nur solche sein, die bereits klar
und deutlich („clare et distincte“) im Selbstbewusstsein aufzufinden sind und durch
ihre Evidenz jedem Zweifel standhalten. Diese „angeborenen Ideen“ sollen unabhängig von jeder Erfahrung existieren und daher unverfälscht sein. Denn an allem,
was durch die Sinneswahrnehmung vermittelt wurde, lässt sich ja noch begründet
bezweifeln, ob diese Wahrnehmung nicht durch Sinnestäuschungen verfälscht wurde. Descartes sah wie alle Rationalisten das wissenschaftliche Ideal in der Mathematik verkörpert, und er versuchte dementsprechend, ausgehend von den angeborenen
Ideen, die er wie mathematische Axiome behandelte, gesicherte Erkenntnis durch
die schlüssige Deduktion aus diesen Ideen zu erlangen.
Peirce kritisierte indes bereits den Ausgangspunkt des Rationalismus, den radikalen Zweifel an jeglicher Gewissheit, als sinnlos:
„Wir können nicht mit völligem Zweifel beginnen. Wir müssen mit all den Vorurteilen beginnen, die wir wirklich haben, wenn wir mit dem Studium der Philosophie anfangen.“21. Die
menschlichen Überzeugungen erst durch radikalen Zweifel zu dekonstruieren um sie anschlie-
ßend wieder aus den angeborenen Ideen zu deduzieren, sei ebenso sinnlos, wie zuerst „zum
Nordpol zu reisen, um nach Konstantinopel zu kommen“22.
Zwar ist auch für Peirce der Zweifel der Ausgangspunkt jeglicher Philosophie wie
auch der wissenschaftlichen Forschung überhaupt, doch ist es nicht wie bei Descartes ein abstrakter Zweifel als Konsequenz einer epistemologischen Maxime, son-
20 Peirce CP 5.265
21 Peirce CP 5.264
22 Peirce CP 5.265
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dern ein konkreter Zweifel, wie er sich anhand realer Handlungsprobleme einstellt23.
Der radikale philosophische Skeptizismus stellt für Peirce demnach keine sinnvolle
Position dar. Seiner Ansicht nach brauchen wir nicht für alle unsere Überzeugungen
ständig eine Rechtfertigung parat zu haben, vielmehr trifft die Beweislast zuerst den
Skeptiker: Er ist derjenige, der begründen können muss, warum eine Überzeugung
nicht mehr gültig sein soll24.
Descartes’ rationalistische Methode, die in der bloßen Analyse der Begriffe der
angeborenen Ideen besteht, ist nach Peirces Auffassung zudem nicht geeignet, wirklich neue Überzeugungen hervorzubringen. Sie könne lediglich die bereits vorhandenen Überzeugungen in eine Ordnung bringen und so einen Beitrag zur geistigen
Ökonomie leisten.
Zudem setzt das rationalistische Erkenntnisverfahren Descartes’ zwei geistige
Fähigkeiten voraus, die nach Peirce durchaus zweifelhaft sind. Nämlich die Fähigkeit zur Introspektion und zur Intuition. Intuition meint dabei das Vermögen, eine
Idee oder einen Gegenstand unmittelbar als solchen zu erkennen, ohne dass diese
Erkenntnis durch eine vorhergehende bestimmt wurde. Eine Intuition entspricht daher „einer Prämisse, die selbst keine Konklusion ist“25. Dagegen ist unter Introspektion die Fähigkeit zu verstehen, sogenannte „innere Tatsachen“, z.B. Gefühle, bei
sich wahrzunehmen, ohne dabei auf „äußere Tatsachen“ zurückzugreifen.
Peirce weist nach, dass es keinen Anlass gibt, eine Fähigkeit zur Introspektion zu
unterstellen, weil jede Erkenntnis, auch solche psychologischer Natur, sich stets auf
eine Schlussfolgerung aus Fakten der Außenwelt zurückführen lasse26.
In Bezug auf ein Intuitionsvermögen kommt er zu dem Ergebnis, dass selbst das
eigene Selbstbewusstsein nicht intuitiv erkannt wird, sondern gleichfalls das Ergebnis von Schlussfolgerungen ist, die jeder Mensch in seiner Kindheit infolge der Erfahrungen von Irrtum und Unwissenheit treffen muss. Damit ist auch der archimedische Punkt in Descartes Philosophie ausgehebelt, denn Descartes ging ja gerade von
einer voraussetzungslosen Selbstevidenz des eigenen Selbstbewusstseins aus. Für
ein Vermögen der Intuition scheint zwar zu sprechen, dass der Erkenntnisprozess
irgendwann einmal einen Beginn in der Zeit gehabt haben muss, d.h. dass es zumindest eine einzige erste Erkenntnis geben muss, die nicht durch eine vorhergehende,
sondern durch den Gegenstand der Erkenntnis selbst bestimmt wurde. Peirce vergleicht dieses Problem mit einem Dreieck, das mit der Spitze in ein Wasserbecken
getaucht wird27. Die Spitze des Dreiecks steht dabei für den Gegenstand, der den Erkenntnisvorgang auslöst, während die Schnittkante mit dem Wasser jeweils die Erkenntniszustände über diesen Gegenstand repräsentiert, wobei sie jeweils durch die
vorhergehenden Schnittkanten bestimmt wird. Die Pointe besteht nun darin, dass
sich – gleichgültig wie weit das Dreieck ins Wasser eingetaucht wurde - immer eine
23 Dazu auch Joas (1992) S. 29 f.
24 Zu Peirces Kritik am Skeptizismus vgl. auch Olsson (2005) S. 258 ff.
25 Peirce CP 5.213
26 Peirce CP 5.244
27 Peirce CP 5.263
27
unendliche Anzahl von weiteren möglichen Schnittlinien zwischen der Spitze des
Dreiecks und der aktuellen Schnittkante denken lässt. Übertragen auf den Erkenntnisprozess bedeutet dies, dass dieser als psychologischer Vorgang zwar einen Anfang und Ende in der Zeit hat, sich reflexiv aber als ein Kontinuum unendlich vieler
vermittelter Erkenntnisvorgänge darstellen lässt, so wie sich auch eine beliebige
endliche Strecke gedanklich in unendlich viele Teilstrecken unterteilen lässt, obwohl
sie eindeutig eine endliche Länge hat, so dass die Annahme einer ersten – und damit
intuitiven – Erkenntnis entbehrlich ist, wenn sich der Erkenntnisvorgang gedanklich
als unendlich vermitteltes Kontinuum begreifen lässt, auch wenn er empirisch einen
Anfang und ein Ende in der Zeit hat28.
b) Kritik an der kantischen Erkenntnistheorie
Die Feststellung, es gebe kein Vermögen, ohne Zeichen zu denken, ist letztlich eine
Konsequenz der beiden vorherigen Unvermögen. Das Denken selbst kann nicht unmittelbar intuitiv dadurch erkannt werden, dass wir im Wege der Introspektion in
uns hineinschauen, vielmehr kann es nur erkannt werden, indem wir Schlussfolgerungen aus den äußeren Tatsachen treffen, die das Denken hinterlässt. Das Denken
wird nach außen hin aber nur in Form von Zeichen, z.B. Wörtern, erkennbar. „Das
einzige Denken, das also möglicherweise erkannt wird, ist Denken in Zeichen. Aber
Denken, das nicht erkannt werden kann, existiert nicht. Alles Denken muss daher
ein Denken in Zeichen sein.“29. In der Aussage, nicht erkennbares Denken existiere
auch nicht, nimmt Peirce bereits die vierte These, wonach wir keinen Begriff von
einem absolut Unerkennbaren haben, vorweg.
Diese These richtet sich gegen Kant und dessen Konzept vom unerkennbaren
„Ding an sich“. Kant hatte in der „Kritik der reinen Vernunft“ den Erkenntnisvorgang dergestalt erklärt, dass das rohe Material, das uns die sinnliche Anschauung
liefert, vom Verstand vermittels der Kategorien geformt wird, die bereits apriori
vorgegeben und von der sinnlichen Anschauung selbst unabhängig sind.
Nach der klassischen, auch noch Kants Kritik der reinen Vernunft zugrunde liegenden, Vorstellung lag dem Erkenntnisvorgang folgendes Muster zugrunde: Es gab
die Gegenstände der Erkenntnis, die vermittels des sinnlichen Wahrnehmungsapparates das Bewusstsein der erkennenden Subjekte affizierten. Diesen waren somit nur
die Wirkungen der Dinge im Bewusstsein zugänglich, die Erscheinungen oder Phainomena, nicht aber die Dinge „an sich“, die Noumena, die zwangsläufig unerkennbar bleiben mussten. Menschliche Erkenntnis konnte somit nur zu einer Vorstellung
der Realität gelangen, die Realität selbst als deren Ursache musste dagegen im Verborgenen bleiben.
Nach Peirce war dieses Konzept hingegen von Grund auf verfehlt, da es die Erkenntnis mit den Eindrücken identifizierte, die die Gegenstände der Erkenntnis im
28 Vgl. hierzu auch Apel (1975) S. 90 ff.
29 Peirce CP 5.251
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Bewusstsein hinterließen. Peirce setzt dem einen komplexeren Erkenntnisbegriff
entgegen. Zwar geht auch er davon aus, dass die Dinge das Bewusstsein affizieren,
doch ist diese Affektion noch nicht die Erkenntnis selbst. Die bloße Affektion stellt
vielmehr lediglich ein Zeichen dar, und erst in der Interpretation dieses Zeichens besteht die eigentliche Erkenntnisleistung, wobei die Interpretation die Form einer
Hypothesenbildung (Abduktion30) hat, in der der Gegenstand als etwas gedacht , d.h.
mit Hilfe eines interpretierenden Symbols (Prädikat) ein konsistenter Satz über den
Gegenstand gebildet wird31.
Im Ergebnis hatte Peirce somit Kants transzendentale Synthesis der Apperzeption
uminterpretiert als einen zeichenvermittelten Schlussprozess32. Legt man diese Konzeption zugrunde, so verliert der Begriff eines unerkennbaren „Dinges an sich“, das
ohne jegliche Relation auf einen erkennenden Verstand hin existieren soll, seinen
Sinn. Kant konnte noch behaupten, ein „Ding an sich“ sei zwar nicht vorstell- aber
doch immerhin denkbar, lasse sich der Begriff doch logisch widerspruchsfrei bilden33. Nach Peirce ist indes nicht einmal das möglich. Denn denken bzw. erkennen
ist für ihn gleichbedeutend mit dem Interpretieren von Zeichen. Diese Zeichen sind
letzten Endes aber immer zurückzuführen auf bereits Erfahrenes34, so dass eine Relation zum erkennenden Subjekt immer bereits gegeben sein muss, bevor Erkenntnis
überhaupt stattfinden kann. Ein „Ding an sich“ als das, was keine Relation zu einem
erkennenden Verstand hat, wäre somit der selbstwidersprüchliche Begriff für einen
Gegenstand, über den sich per definitionem kein Begriff bilden lässt (Ein Zeichen
für das, wofür sich kein Zeichen bilden lässt). Daraus folgt, dass sich – anders als
Kant meinte – die wahrgenommene Welt der Phainomena nicht gegen eine zwar
denk- aber nicht erkennbare Welt der Noumena ausspielen läßt35, vielmehr ist „die
30 Die Abduktion war für Peirce neben der Deduktion und der Induktion die dritte Form des
Schließens, vgl. dazu Misak (1991) S. 96 ff.; Schulz (1988) S. 244 ff.
31 In diesem Konzept spiegelt sich bereits jene aus der Logik der Relationen abgeleitete Kategorienspekulation wieder, die Peirce erst 1885 in „One, Two, Three. Fundamental Categories of Thought and of Nature“ (CP 1.369-72 und 1.376-78) ausformulierte. Danach bildet
das bloße Sosein der Tatsachen (der „brute facts“) die erste Kategorie („Firstness“). Die
zweite Kategorie besteht in der Beziehung von Subjekt und Objekt („Secondness“), die
dritte Kategorie besteht in der Repräsentation einer Tatsache in einem interpretierenden
Bewusstsein („Thirdness“), vgl. hierzu auch Apel 1975, S. 47.
32 Vgl. Apel (1975) S. 52. Peirce bezeichnete Kant, dessen „Kritik der reinen Vernunft“ für
ihn die „Muttermilch der Philosophie“ gewesen sei, in einem späten Aufsatz als „einen etwas verwirrten Pragmatisten“ (Peirce CP 5.525. Peirce sah seine Arbeit daher weniger als
Gegenentwurf, sondern vielmehr als eine klärende Interpretation zu Kants Werk.
33 Kant AA III, 17
34 „Andererseits sind alle unsere Begriffe durch Abstraktion und Kombinationen von Erkenntnissen gewonnen, die zuerst in Erfahrungsurteilen vorkamen. Entsprechend kann es
keinen Begriff des absolut Unerkennbaren geben, da nichts dieser Art in der Erfahrung vorkommt.“ Peirce CP 5.255
35 Peirces Argumentation gegen das „Ding an sich“ ähnelt damit im Ergebnis der von Fichte
in der Wissenschaftslehre, wonach das Ich zugleich immer auch das Nicht-Ich hervorbringt,
weshalb es keine Dinge außerhalb des Ichs gibt, die dieses wie auch immer affizieren könn-
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phänomenale Manifestation einer Substanz die Substanz selbst“36, weil sich von etwas, das nicht in irgendeiner Weise phänomenal manifestiert ist, bereits kein sinnvoller Begriff bilden lässt: „Über jede Erkenntnis hinaus gibt es nur das Selbstwidersprüchliche. Kurz, Erkennbarkeit und Sein sind nicht nur metaphysisch dasselbe,
sondern diese Termini sind synonym.“37. Peirce hatte Kants Vernunftkritik somit
nicht widerlegt, sondern noch weiter radikalisiert, indem er nachwies, dass sich die
Welt der Dinge-an-sich nicht nur nicht erkennen, sondern gar nicht erst sinnvoll
denken lässt.
2. Der Begriff der Realität
Was folgt daraus für den Begriff der Realität? Wenn sich die Dinge außerhalb des
Verstandes nicht mehr nur nicht vorstellen, sondern schon gar nicht mehr sinnvoll
denken lassen, ist dann nicht von vornherein jede Hoffnung auf Erkenntnis der
Wirklichkeit aufgegeben?
a) Die Idee des finalen Konsensus
Peirce hält es indes nicht für nötig, den Begriff der Realität preiszugeben, sondern er
interpretiert ihn stattdessen in einer Weise, die mit seinen epistemologischen Prämissen vereinbar ist. Er fragt zunächst, was wir eigentlich damit meinen, wenn wir
sagen, dies oder jenes sei real. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, das Reale sei – im
Gegensatz z.B. zu Träumen, die nur existieren, soweit sie sich jemand aktuell vorstellt – das, was „unbeeinflusst ist von dem, was wir über es denken mögen.“38. Diese Definition trifft nun ohne Zweifel auf den konventionellen Realitätsbegriff zu, bei
dem die Realität die selbst unerkennbare Quelle der Sinneserfahrungen ist. Doch
Peirce glaubt, dass auch noch eine weitere Lesart dieser Definition gerecht wird.
Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass der Irrtum einzelner zwar eine allgegenwärtige Erfahrung ist, die Meinung aller im allgemeinen aber zu einer definiten
Form hin tendiert. Wenn auch bei der Untersuchung einer Frage zunächst einzelne
Forscher jeweils zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen mögen, so werden doch
ihre Ergebnisse, nachdem sie sie miteinander verglichen und daraufhin ihre Methoden überprüft und gegebenenfalls verändert haben, auf lange Sicht hin auf ein bestimmtes Zentrum hin konvergieren, an dem alle Mitglieder der Forschungsgemeinschaft zu demselben Ergebnis gelangen, gewissermaßen einem „consensus catholicus“, wie Peirce ihn gelegentlich bezeichnet hat.
ten, sondern von vornherein nur Dinge, die schon immer Produkt des Ichs waren und deshalb von diesem auch ohne weiteres erkannt werden können.
36 Peirce CP 5.313
37 Peirce CP 5.257
38 Peirce CP 8.12
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Der klassische Pragmatismus steht für einen amerikanischen Sonderweg in die philosophische Moderne. Auch die Entwicklung des amerikanischen Rechtsdenkens wurde durch den Pragmatismus von C.S. Peirce und John Dewey bis heute maßgeblich geprägt. Strömungen wie der "Legal Realism" oder die "Economic Analysis of Law" wären ohne das gedankliche Fundament der pragmatistischen Philosophie nicht denkbar.
Das Buch zeichnet den Einfluss des Pragmatismus auf die amerikanische Rechtstheorie über einen Zeitraum von 150 Jahren von Oliver Wendell Holmes" "The Common Law" bis zum modernen "Legal Pragmatism" eines Richard Posner nach. Der Verfasser veranschaulicht zudem den engen Zusammenhang, der zwischen der pragmatistischen Rechtstheorie und einem deliberativen Demokratieverständnis besteht. Für die Frage, wie das Spannungsverhältnis zwischen dem Willen des demokratischen Gesetzgebers und der Autonomie des Rechtssystems aufzulösen ist, kann der Pragmatismus neue Perspektiven liefern. Deshalb ist es lohnend, sich auch auf dem alten Kontinent mit ihm auseinanderzusetzen.