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II. Betrug
Auch beim Betrugseinwand ist wie beim Missbrauchseinwand der Umgehungsgedanke hinsichtlich des Rechts des Zuzugsstaates beherrschend.985 So könnte auch
hier die Gründung einer EU-Auslandsgesellschaft getrieben von der Absicht, im Zuzugsstaat zumindest einigen Strafrechtsvorschriften nicht zu unterliegen, ein betrügerisches Verhalten darstellen.
Dabei ist ein Hervorrufen einer Fehlvorstellung bei einer anderen Person nicht
Voraussetzung für ein betrügerisches Verhalten.986 Ausreichend hierfür ist bereits
das unredliche Verhalten und die Absicht, dieses gegenüber der anderen Person zu
verheimlichen. Dabei wird das Begehen einzelner Straftaten i.d.R. jedoch nicht ausreichen, um von einem betrügerischen Gebrauchmachen der Niederlassungsfreiheit
sprechen zu können. Es ist vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit vielmehr
erforderlich, dass die EU-Auslandsgesellschaft bereits mit unredlichen Absichten
gegründet wurde. Insofern ist der Anwendungsbereich des Betruges als Rechtfertigungsmittel eng; insbesondere in Anbetracht der Hürde der Beweisbarkeit des subjektiven Elements der Unredlichkeit schon bei Gründung wird eine Rechtfertigung
von nationalen Strafvorschriften anhand des Betrugskriteriums selten greifen.987
Da Fälle von Betrug und Missbrauch jedenfalls nicht generell-abstrakt aufgezeigt
werden können, sondern vielmehr von den Umständen des konkreten Einzelfalles
abhängen,988 ist damit eine Rechtfertigung der Anwendung der genannten Delikte
und Strafzumessungsregeln im konkreten Fall denkbar.
D. Zusammenfassung
Eine Rechtfertigung durch den geschriebenen Rechtfertigungsgrund des Art. 46 I
EG kommt hinsichtlich der die Niederlassungsfreiheit beschränkenden Strafvorschriften schon mangels offener Diskriminierung nicht in Betracht.
Die Straftatbestände der §§ 283 I Nr. 1-4, 8, II i.V.m. I Nr. 1-4, 8, V, 283 b II,
283 c, 288 StGB, die unterschiedslos Anwendung finden, dem Gläubigerinteresse
985 EuGHE 1999, I-1459 – Rs. C-212/97 „Centros“ (Rz. 39).
986 Vgl. EuGHE 1989, 3039 – Rs. C-285/95 „van de Bijl“ (Rz. 25 f.); EuGHE 1992, I-3423 –
Rs. C-45/90 „Paletta I“ (Rz. 28); EuGHE 1996, I-2357 – Rs. C-206/94 „Paletta II“ (Rz. 24
ff.); Fleischer, JZ 2003, 865, 870; Eidenmüller, JZ 2004, 24 ff.; Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 3 Rn. 115 sprechen allgemein von einer Täuschung.
987 Wohl a.A. Reinbach, Gläubigerschutz gegen den Missbrauch einer private limited company, S. 229, die bei Strafrechtsvorschriften wie §§ 263, 266 StGB einen Regelungszweck zur
Sanktionierung betrügerischer bzw. missbräuchlicher Verhaltensweisen erkennt und insofern eine Rechtfertigung bejaht.
988 EuGHE 2003, I-10155 – Rs. C-167/01 „Inspire Art“ (Rz. 105).
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References
Zusammenfassung
Das Werk befasst sich mit Fragen zur möglichen Strafbarkeit des directors einer englischen Limited nach deutschem Strafrecht und damit mit einem ebenso aktuellen wie vielschichtigen Problem, dessen praktische Relevanz und Zukunftsorientierung nicht genug betont werden kann. Anstoß der Überlegungen sind die Urteile des EuGH in den Rechtssachen „Centros“, „Überseering“ und „Inspire Art“, in denen die Bedeutung der Niederlassungsfreiheit insbesondere in Bezug auf die inländische Anerkennung von sog. Scheinauslandsgesellschaften behandelt werden. Die Autorin analysiert die Auswirkungen dieser viel beachteten Rechtsprechung auf das deutsche Strafrecht. Im Zuge dessen werden ausgewählte deutsche Strafnormen auf ihre Relevanz im Lichte der EuGH-Rechtsprechung näher untersucht. Ferner gibt sie einen Überblick über die Haftungsmöglichkeiten eines directors einer Limited nach englischem Gesellschaftsrecht und untersucht intensiv verschiedene Haftungsvorschriften nach englischem Strafrecht. Schließlich geht das Buch auf die Reform des GmbH-Gesetzes ein und schließt mit einer Stellungnahme zu den relevanten geplanten Änderungen.