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wohl als zumutbar erachtet wird. Es ist nicht einzusehen, warum das Zurechtfinden
in zivilrechtlichen Vorschriften einer fremden Rechtsordnung im Rahmen des Internationalen Privatrechts als vertretbar beurteilt wird, die Anwendung gegebenenfalls
derselben zivilrechtlichen Vorschriften zur Ausfüllung von strafrechtlichen Blankettvorschriften jedoch als unüberwindbares Hindernis in der Praxis qualifiziert
werden soll. Auch ist das ausländische Recht in beiden Fällen von Amts wegen zu
ermitteln und nicht von den Parteien beizubringen.380 Es ist zwar richtig, dass im Bereich des Kriminalstrafrechts die Folgen einer falschen Rechtsanwendung gegenüber
dem Privatrecht ungleich schwerer sein können, jedoch kann dies nicht zu einem
völligen Fremdrechtsausschluss im Strafrecht führen. Vielmehr ist auf eine gründliche Prüfung der anwendbaren Vorschriften fremder Rechtsordnungen, auch unter
Zuhilfenahme von Rechtsgutachten, Wert zu legen. Im vorliegenden Fall kann das
praktische Argument weiterhin mit der vorgerückten Harmonisierung der die §§
283, 283 b StGB ausfüllenden Rechnungslegungs- und Publizitätsvorschriften auf
Mitgliedstaatenebene entkräftet werden.
dd) Fazit
Die grundsätzlich gegen eine Fremdrechtsanwendung im Strafrecht vorhandenen
Vorbehalte konnten in Bezug auf die Anwendung englischer handelsrechtlicher
Vorschriften im Rahmen der §§ 283 I Nr. 5-7, 283 b I Nr. 1-3 StGB entkräftet werden, so dass eine Strafbarkeit nach den genannten deutschen Strafrechtsvorschriften
möglich ist, soweit bezüglich der nach englischem Recht vorzunehmenden Unterlagen der Rechnungslegung der director die einschlägigen Tathandlungen bzw. unterlassungen begeht.
III. Insolvenzakzessorietät: § 283 VI StGB und § 283 I Nr. 1 StGB
Hinsichtlich der Bedingung der Strafbarkeit gem. § 283 VI StGB, die für die Tatbestände der §§ 283 a, b, c, d StGB anhand dortiger Verweisungen entsprechend
gilt, ist erforderlich, dass der director die Zahlungen der Limited eingestellt hat oder
über das Vermögen der Limited das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist. Aber auch in § 283 I StGB
bzw. § 283 I Nr. 1 Alt. 1 StGB finden sich insolvenzakzessorische Begriffe.381 Es
stellt sich die Frage, ob diese Merkmale nach dem Zuzugsrecht382 oder nach dem
380 Vgl. § 293 Satz 2 ZPO.
381 Vgl. „Überschuldung“ bzw. „Zahlungsunfähigkeit“ gem. § 283 I StGB und „im Falle der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehören“ gem. § 283 I Nr. 1 StGB.
382 Vgl. § 27 InsO bezüglich der Eröffnung des Verfahrens, § 26 InsO bezüglich der Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse.
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Gründungsrecht auszulegen sind.383 Bei einer Limited als europäischer Auslandsgesellschaft könnte vorrangig der Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr.
1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren vom 29. Mai 2000384 (EuInsVO) greifen. Ziel der Verordnung ist die Koordination grenzüberschreitender Insolvenzen.385
Daneben soll aber auch das Verbringen von Vermögensgegenständen in einen anderen Mitgliedstaat im Rahmen eines Insolvenzverfahrens verhindert werden.386
Zur Eröffnung des Anwendungsbereichs der Verordnung bedarf es eines grenz-
überschreitenden Bezuges. Bei einer Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland
ergibt sich der grenzüberschreitende Bezug schon aus dem Erfordernis der Mitteilung der Insolvenz gegenüber dem Register des Gründungsstaates und der späteren
Löschung hieraus,387 selbst wenn die Limited in England keiner Geschäftstätigkeit
(mehr) nachgeht. Nach Art. 3 I i.V.m. 4 I EuInsVO gilt für das Insolvenzverfahren
und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet der
Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Die Formulierung
„Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ ist dabei im Rahmen einer einheitlichen Rechtsanwendung autonom, also für die gesamte Gemeinschaft einheitlich
auszulegen.388 Unter diesem Mittelpunkt ist das Zentrum zu verstehen, an dem die
Gesellschaft üblicherweise und für Dritte erkennbar ihrer Interessenausübung
schwerpunktmäßig nachkommt.389 Dabei wird gem. Art. 3 I EuInsVO bei Gesellschaften vermutet, dass dieser Mittelpunkt der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist,
wobei diese Vermutung nach den Umständen des konkreten Einzelfalles widerlegt
werden kann.390
Bei einer in England gegründeten Limited, die ihren Verwaltungssitz mit ihrer
hauptsächlichen Tätigkeit in Deutschland hat, ist die Widerlegung dieser Vermutung
die Regel.391 Sodann sind damit deutsche Gerichte für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens einer insolventen Limited international zuständig, es wird deutsches Insolvenzrecht (lex fori concursus) angewendet.392 Die insolvenzakzessorischen
Merkmale des § 283 I, VI StGB sind somit nach der deutschen Insolvenzordnung
auszulegen, das Insolvenzstatut und das Gesellschaftsstatut fallen damit auseinander.
383 Vgl. Rönnau, ZGR 2005, 832, 852.
384 Abl. EG Nr. L 160, S.1; die Vorschriften der §§ 335 ff. InsO finden demgegenüber Anwendung bei Fällen von Insolfenz ohne EU-Auslandsberührung.
385 2. u. 3. Erwägungsgrund der EuInsVO.
386 Sog. forum shopping, vgl. 4. Erwägungsgrund der EuInsO.
387 Vgl. Sec. 201 I, II Insolvency Act 1986.
388 Vallender, ZGR 2006, 425, 429 m.w.N.; Wachter, BB 2006, 1463, 1464.
389 13. Erwägungsgrund der EuInsVO.
390 Wachter, BB 2006, 1463, 1464 m.w.N.
391 Eidenmüller, NJW 2005, 1618, 1621; Mincke, in: Römermann, Private Limited Company
in Deutschland, L Rn. 7 f.; MüKo-Kindler, IntGesR, Rn. 688; Vallender, ZGR 2006, 425,
429.
392 LG Kiel, DB 2006, 1314, 1315; Spindler / Berner, RIW 2004 4, 11; Eidenmüller, NJW
2005, 1618, 1621; Mincke, in: Römermann, Private Limited Company in Deutschland, L
Rn. 12 f; Gross / Schork, NZI 2006, 10, 13; Vallender, ZGR 2006, 425, 429.
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Soweit die Vorschrift des § 283 StGB in der Einleitung des § 283 I StGB, in §
283 I Nr. 1 StGB und in § 283 VI StGB auf insolvenzrechtliche Begrifflichkeiten
verweist, ist insoweit auf die Vorschriften des deutschen Insolvenzrechts zurückzugreifen. Englisches Insolvenzrecht ist nicht heranzuziehen.
IV. Exkurs: Geltungsbereich des deutschen Strafrechts bei Auslandstaten
Aus dem oben Gesagten ist somit ein tatbestandsmäßiges Verhalten des directors
einer Limited gem. §§ 283 ff. StGB möglich, wenn er in Deutschland einen Verstoß
gegen englische Rechnungslegungs- und Publizitätsvorschriften begeht. Es ist jedoch der Fall denkbar, dass der director einer in Deutschland mit ihrem Verwaltungssitz ansässigen Limited den Anforderungen der englischen Rechnungslegungsund Publizitätsvorschriften in England nicht vorschriftsmäßig nachkommt und damit
die Bankrotthandlung selbst im Ausland vorgenommen wird. An diesem Punkt stellt
sich die Frage nach dem Geltungsbereich des deutschen Strafrechts.393
1. Anwendung deutschen Rechts bei Tatbegehung im Ausland
Die Geltung deutschen Strafrechts für Auslandstaten regelt insbesondere die Vorschrift des § 7 II Nr. 1 StGB. Danach „gilt das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am
Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn
der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist“. Eine
Anwendung des § 7 II Nr. 1 StGB kommt namentlich in Betracht, wenn ein director
einer Limited, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, die Rechnungslegungspflicht in England verletzt. Soweit die Tat hingegen wenigstens teilweise in
Deutschland begangen wird, so ist sie nach § 9 StGB als Inlandstat nach der in § 3
StGB inkorporierten Ubiquitätstheorie394 zu behandeln. Eine solche Konstellation
mit der Folge der Eröffnung des Anwendungsbereichs des deutschen Strafrechts
gem. § 7 StGB ist insbesondere bei Scheinauslandsgesellschaften denkbar, da dort
zumindest entweder der Tätigkeits- bzw. Unterlassungsort oder der Erfolgsort oftmals im Inland liegen.
2. Anknüpfung an objektive Strafbarkeitsbedingung
Bei den zu untersuchenden Vorschriften der §§ 283 I Nr. 5-8 und 283 b StGB
wird das wirtschaftlich verantwortungslose Handeln im Interesse der Gläubiger und
393 Rönnau, ZGR 2005, 832, 847.
394 Sie vereinigt die früher vertretene Tätigkeits- und Erfolgstheorie, vgl. Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 241 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Das Werk befasst sich mit Fragen zur möglichen Strafbarkeit des directors einer englischen Limited nach deutschem Strafrecht und damit mit einem ebenso aktuellen wie vielschichtigen Problem, dessen praktische Relevanz und Zukunftsorientierung nicht genug betont werden kann. Anstoß der Überlegungen sind die Urteile des EuGH in den Rechtssachen „Centros“, „Überseering“ und „Inspire Art“, in denen die Bedeutung der Niederlassungsfreiheit insbesondere in Bezug auf die inländische Anerkennung von sog. Scheinauslandsgesellschaften behandelt werden. Die Autorin analysiert die Auswirkungen dieser viel beachteten Rechtsprechung auf das deutsche Strafrecht. Im Zuge dessen werden ausgewählte deutsche Strafnormen auf ihre Relevanz im Lichte der EuGH-Rechtsprechung näher untersucht. Ferner gibt sie einen Überblick über die Haftungsmöglichkeiten eines directors einer Limited nach englischem Gesellschaftsrecht und untersucht intensiv verschiedene Haftungsvorschriften nach englischem Strafrecht. Schließlich geht das Buch auf die Reform des GmbH-Gesetzes ein und schließt mit einer Stellungnahme zu den relevanten geplanten Änderungen.