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I. Anwendungsbereich
§ 639 stellt die Konkretisierung der die Gestaltungsfreiheit allgemein begrenzenden §§ 138, 242 für das Werkvertragsrecht dar.435 § 639 ist nicht abdingbar, kann
also vertraglich auch nicht ausgeschlossen werden.436
Der Anwendungsbereich des § 639 ist eröffnet, soweit eine vertragliche Vereinbarung der Parteien, sei es durch individuelle Abrede oder AGB, über eine
Beschränkung oder einen Ausschluss der gesetzlichen Mängelrechte des Bestellers vorliegt.437
Unberührt dagegen bleiben vertragliche Haftungsabreden, die sich auf solche
Mängelrechte beziehen, die dem Besteller über die gesetzlichen Rechte hinaus
eingeräumt worden sind.438 Ebenso werden solche Abreden nicht erfasst, die die
Anforderung an die Beschaffenheit des Werkes reduzieren, da hier bei Erfüllung
dieser reduzierten Anforderungen schon kein Mangel im Sinne der §§ 633 ff. vorliegt.439
II. Rechtsfolgen
Ein Haftungsausschluss oder eine Haftungsbeschränkung für Mängelrechte ist
unwirksam, soweit der Mangel arglistig verschwiegen wurde oder eine Beschaffenheitsgarantie übernommen wurde. Dabei fällt nicht nur die unselbständige,
sondern auch die selbständige Garantie unter § 639.440 Ist eine solche Garantie441
übernommen worden, wird damit eine verschuldensunabhängige Einstands-
434 Der ähnliche § 536 d, wonach sich der Vermieter auf eine vereinbarte Freizeichnung von
der Mängelhaftung bei Arglist nicht berufen kann, dürfte bei FuE-Verträgen in der Regel
nicht einschlägig sein; denkbar wäre ein (im Gesamtgefüge des Vertrages untergeordnetes)
mietrechtliches Element allenfalls dann, wenn Gerätschaften zur Durchführung des Projektes überlassen werden, wobei das Verbot der Berufung auf die Freizeichnung dann aber
auch nur im Zusammenhang mit Mängeln der überlassenen Gerätschaften Wirkung entfaltet. Die Besonderheiten des FuE-Vertrages werden davon aber nicht berührt, so dass an
dieser Stelle auf eine detailliertere Auseinandersetzung mit § 536 d verzichtet wird.
435 MüKo/Busche § 639 Rn. 2, § 639 tritt hier neben die allgemeinen Grenzen der §§ 138, 242.
436 Palandt/Sprau § 639 Rn. 1.
437 MüKo/Busche § 639 Rn. 3; Staudinger/Peters § 639 Rn. 2.
438 MüKo/Busche § 639 Rn. 3; Palandt/Sprau § 639 Rn. 5.
439 MüKo/Busche § 639 Rn. 7; Staudinger/Peters § 639 Rn. 3.
440 Palandt/Sprau § 639 Rn. 5; a.A. Staudinger/Peters § 639 Rn. 17.
441 Emmert NJW 2006, 1765, 1768 sieht seit In-Kraft-Treten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes eine weitere Fallgruppe als entstanden an, nämlich die der verbindlichen
Vereinbarung über die Beschaffenheit der Kaufsache ohne Garantiecharakter, die nach seiner Ansicht nicht unter § 444 fällt und eine Berufung des Verkäufers auf einen Haftungsausschluss in diesem Fall als mit Treu und Glauben vereinbar hält; er verkennt dabei aber
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pflicht für etwaige nachteilige Schadensfolgen begründet.442 In diesen Fällen ist
die Freizeichnung, unabhängig von der Art ihrer Vereinbarung aufgrund Allgemeiner Geschäftsbedingungen oder Individualvertrag, unwirksam.443
Anders liegt dagegen der Fall der limitierten Garantien. Hier wird von vornherein die Garantie nur beschränkt eingeräumt. Die Zulässigkeit solcher
beschränkter Garantien stand eine Zeitlang in Zweifel,444 die Diskussion beruhte
im Wesentlichen auf dem damaligen Wortlaut des § 444 bzw. § 639, wonach die
Berufung auf einen Haftungsausschluss dann nicht zulässig sein sollte, »wenn«
der Unternehmer eine Garantie für die Beschaffenheit eines Werkes übernommen
hat. Spätestens seit der Änderung des Wortlauts durch die Ersetzung des Wortes
»wenn« durch »soweit« durch Artikel 1 Nr. 6 FernAbsÄndG445 ist nun geklärt,
dass ein Haftungsausschluss nur insoweit unwirksam ist, als er mit einer Garantie
im Widerspruch steht, dass aber die Reichweite der Garantie allein dem Parteiwillen zu entnehmen ist.446 Die insbesondere im Bereich des Unternehmenskaufs
üblichen, mit bestimmten Höchstgrenzen limitierten Garantien oder vereinbarten
Haftungsfreigrenzen sind daher zweifellos zulässig.447 Dies gilt in gleichem Maße
auch für Forschungs- und Entwicklungsverträge.
Nach § 639 ist es dem Unternehmer nur verwehrt, sich auf diejenigen Haftungsbegrenzungen oder -ausschlüsse zu berufen, die sich auf arglistig verschwiegene
oder von der Garantie erfasste Mängel beziehen; bezieht sich die Vereinbarung
dagegen auch auf andere Mängel, so bleibt im Hinblick auf diese Mängel die Haftungsvereinbarung von § 639 unberührt, d.h. im Hinblick auf Letztere ist die Haftungsbegrenzung wirksam.448
442 den Umstand, dass der verbindlichen Vereinbarung einer Beschaffenheit kaum je der
Garantiecharakter abgesprochen werden kann, da die Verbindlichkeit einer solchen Vereinbarung in der Regel auch ein starkes Indiz für das Vorliegen des Einstandswillens des
Erklärenden für die bestimmte Beschaffenheit sein dürfte und damit die Bejahung einer
Garantie nicht weit entfernt liegt.
442 v. Westphalen NJW 2002, 12, 18; dies führt bei der unselbständigen Garantie im Ergebnis
zu einer Verschärfung der Haftung aus § 634 für jene Fälle, in denen an sich schuldhaftes
Verhalten vorausgesetzt wird, MüKo/Busche § 634 Rn. 96.
443 v. Westphalen NJW 2002, 12, 18.
444 Siehe zur Problematik Dauner-Lieb/Thiessen ZIP 2002, 108 ff.
445 Das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen vom 02.12.2004, BGBl I S. 3102, in Kraft getreten am 08.12.2004, hat den Wortlaut
sowohl bei § 444 als auch bei § 639 angepasst.
446 So auch schon hinsichtlich der alten Rechtslage vor der Änderung durch Art. 1 Nr. 6 Fern-
AbsÄndG Staudinger/Matusche-Beckmann § 444 Rn. 53; Das neue Schuldrecht/Medicus
Kapitel 3 Rn. 148; Dauner-Lieb/Thyssen ZIP 2002, 108, 114; Lorenz S. NJW 2005, 1889,
1895; a.A. dagegen v. Westphalen BB 2002, 209, 210.
447 Lorenz S. NJW 2005, 1889, 1895; ders. auch in NJW 2007, 1, 2, auch ein ausdrücklicher
Ausschluss einer Garantie stelle keinen Haftungsausschluss, sondern eine tatbestandliche
Vermeidung dar und müsse sich daher nicht am Maßstab einer Haftungsausschlussklausel
messen lassen, sondern wäre selbst in AGB nach § 307 Absatz 3 Satz 1 kontrollfrei.
448 MüKo/Busche § 639 Rn. 10 unter dem Vorbehalt, dass nicht die §§ 305 ff. zu beachten sind.
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D. Sittenwidrigkeit und Treu und Glauben, §§ 138, 242 BGB
Handelt es sich um Haftungsfreizeichnungen in Individualvereinbarungen oder
bestehen gegen Bedingungen Bedenken, die nicht in den Schutzbereich der §§
307 ff. fallen, finden solche vertraglichen Vereinbarungen ihre Grenzen im Wesentlichen in § 138 oder § 242. Die eher selten vorkommenden Individualabreden
sind daher im Hinblick auf enthaltene Freizeichnungsklauseln auf ihre Gültigkeit
durch die Grundsätze von Treu und Glauben nach § 242 und Sittenwidrigkeit nach
§ 138 zu überprüfen.449
Insbesondere relevant sind hier die Fälle, die unter den Begriff der gestörten
Vertragsparität subsumiert werden.
I. Verhältnis von § 242 BGB zu § 138 BGB und §§ 307 ff. BGB
Vor Inkrafttreten des AGBG nahm die Rechtsprechung die Inhaltskontrolle von
Allgemeinen Geschäftsbedingungen unter Heranziehung der Grundsätze aus
§ 242 vor.450 Diese Funktion haben nun die §§ 307 ff. übernommen, die insofern
einer Anwendung des § 242 in diesem Bereich vorgehen.451 Daneben bleibt jedoch § 242 als Grundlage richterlicher Inhaltskontrolle bestehen für solche Klauseln, die vom Anwendungsbereich der §§ 307 gemäß § 310 Absatz 4 augenommen sind452 bzw. für solche, die individualvertraglich vereinbart wurden. Hier ist
insbesondere die Fallgruppe der gestörten Vertragsparität zu erwähnen.
Unterschiedlich wird die Frage nach der Anwendbarkeit von § 138 einerseits und
§ 242 andererseits im Hinblick auf eine Inhaltskontrolle individualvertraglicher
Haftungsfreizeichnungen beantwortet. Während ein Teil der Literatur einzig
§ 138 heranzieht,453 richtet ein anderer Teil die Kontrolle an § 242 aus.454 Die
Rechtsprechung wendet vereinzelt § 138 und § 242 zusammen an. Wenngleich
auch § 242 im Ergebnis über eine gegenüber der Nichtigkeitsfolge aus § 138 flexiblere Rechtsfolge verfügt, sollen im Folgenden § 138 und § 242 gemeinsam dargestellt werden, um die Voraussetzungen der Inhaltskontrolle individualrechtlicher Klauseln, die teils auf § 138, teils auf § 242 gestützt wird, einheitlich darstellen zu können.
449 Deutsch NJW 1983, 1351, 1352; Palandt/Heinrichs Einf v § 145 Rn. 13.
450 MüKo/Roth § 242 Rn. 122; Staudinger/Looschelders/Olzen § 242 Rn. 471.
451 Staudinger/Looschelders/Olzen § 242 Rn. 471.
452 Palandt/Grüneberg Vorb v § 307 Rn. 17.
453 Wackerbarth AcP 200 (2000), 45, 68, 73; Coester-Waltjen AcP 190 (1990), 1, 15; Staudinger/Looschelders/Olzen § 242 Rn. 485, die Funktion des § 242 beschränke sich in den
Fällen gestörter Vertragsparität auf die Verhinderung unzulässiger Rechtsausübung.
454 MüKo/Roth § 242 Rn. 425; Wellenhofer-Klein ZIP 1997, 774, 781.
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References
Zusammenfassung
Im wirtschaftlichen Wettbewerb um innovative Produkte und Verfahren haben Forschungs- und Entwicklungsverträge erhebliche Bedeutung. Diesem besonderen Vertragstyp widmet sich die Arbeit und liefert Antworten und Lösungen auf wichtige Fragen wie die nach der Rechtsnatur von FuE-Verträgen, nach Risiken und ihrer Abfederung sowie insbesondere auf die Frage nach der Wirksamkeit von Haftungsfreizeichnungen. Die Arbeit gibt praktische Empfehlungen für die Vertragsgestaltung sowie wertvolle Hinweise zu den Besonderheiten des FuE-Vertrags. Das Werk ist aus der Tätigkeit der Verfasserin als Syndikusanwältin einer großen Forschungseinrichtung entstanden und eine praktische Hilfe für alle mit FuE-Projekten befassten Mitarbeiter von Unternehmen und Forschungseinrichtungen, Rechtsanwälte und Wirtschaftsjuristen.