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§ 3 Besondere Haftungsrisiken in Forschung und Entwicklung
Forschungs- und Entwicklungsprojekte zeichnen sich gerade durch den Vorstoß
in unbekannte oder weitestgehend unerschlossene Gebiete von Wissenschaft und
Technik aus. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit der Realisierung von besonderen
Risiken technischer oder kaufmännischer Natur gegenüber anderen Projekten,
deren Verlauf verlässlicher planbar ist, deutlich erhöht.
A. Projektspezifische Risiken
Die Bestimmung der Schadensfälle wirft bei der Untersuchung von Haftungsfällen in Forschung und Entwicklung Schwierigkeiten auf, da Forschung und Entwicklung in so unterschiedlichen Fachdisziplinen erfolgt, dass eine Auflistung aller denkbaren Schadensereignisse nicht möglich ist. Es wird daher im Folgenden
versucht, eine übergreifende Typologie der möglichen Schadensfälle zu erstellen.
Vereinzelt findet man eine Gliederung von Fehlleistungen in der Forschung nach
Fehlleistungen im Bereich der Erkenntnisgewinnung sowie der Erkenntnisverbreitung, wobei dann wiederum differenziert wird nach Außen- und Innenunfällen.135 Diese Aufteilung bezieht sich aber lediglich auf mögliche Personenschäden, berücksichtigt aber nicht Sachschäden oder Schäden vermögensrechtlicher
Natur. Ebenso ist der Bereich der Entwicklung ausgenommen. Dies soll im Folgenden mitberücksichtigt werden. Relevant im Rahmen der Möglichkeiten der
vertraglichen Haftungsfreizeichnung ist nur die Haftung im Außenverhältnis,
also zwischen dem Träger der Forschungseinrichtung oder dem Einzelforscher
und dem Beauftragenden, da in der Regel auch nur zwischen diesen beiden Parteien ein Forschungs- und Entwicklungsvertrag zustande kommt. Die Haftung im
Innenverhältnis, also z.B. die Haftung des angestellten Forschers gegenüber dem
Forschungsträger oder umgekehrt, bleibt dabei außer Betracht, da dies in der Regel nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen zu bewerten sein wird, nicht aber Gegenstand eines Forschungs- und Entwicklungsvertrags ist.
I. Zeitüberschreitung
Gerade im Bereich von Forschung und Entwicklung ist die Abschätzung der
Dauer eines Projektes oft unvorhersehbar. Dennoch müssen im Sinne der Planungssicherheit Angaben zu Liefer- und Leistungsfristen gemacht werden, weil
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der Forschungs- und Entwicklungsbeitrag häufig nur ein Teil eines größeren Projekts ist, welches seinerseits wiederum Fristen und Terminen unterliegt. Daher
werden in Forschungs- und Entwicklungsverträgen meistens verbindliche Meilensteine eingebaut.
1) Risiko des Auftragnehmers
Die Nichteinhaltung von Meilensteinen kann immense Folgen haben, insbesondere wenn auf diesen der Fortgang des Projektes beruht. Das Risiko der Überschreitung des festgelegten Zeitplanes trifft in der Regel den Auftragnehmer. Insbesondere Projekte, die auf eine gewisse Weise zeitabhängig sind, trifft die Überschreitung des geplanten Zeitraumes im Kern. Beispielsweise verfügt ein Auftragnehmer über ein radarbasiertes Sensorsystem, mittels welchem, eingebaut in
ein entsprechendes Forschungsflugzeug, die Erstellung geokodierter Bildprodukte aus der Luft möglich wird. Geschuldet wird nun die Befliegung eines genau
bezeichneten Testgebietes, wobei Messdaten über Bewuchs und Entwicklung von
landwirtschaftlich genutzten Flächen zu ermitteln und auszuwerten sind. Dabei
soll über ein Jahr hinweg jeden Monat ein Flug erfolgen. In den Frühlingsmonaten fällt das Radargerät jedoch aufgrund eines Defektes aus. Die übrigen Daten
haben nun für den Auftraggeber nur noch geringe Aussagekraft, da die Daten aus
entscheidenden Monaten als Vergleichswerte ausfallen. Eine Wiederholung ist
damit nur im Folgejahr möglich. Eventuelle Planungen des Auftraggebers zur Bepflanzung müssen nun um ein Jahr verschoben werden.
Oder der Auftragnehmer verpflichtet sich beispielsweise zum Bau eines neuartigen Telekommunikationssatelliten, der fünf Jahre nach Projektstart (T+05)
seinen Betrieb aufnehmen soll. Aufgrund technischer Schwierigkeiten kann der
Auftragnehmer den Abgabetermin jedoch nicht halten und der geplante Start des
Satelliten und die Inbetriebnahme müssen daher um 6 Monate verschoben werden. Dem Auftraggeber entgehen Einnahmen für sechs Monate, die bei rechtzeitiger Nutzungsmöglichkeit von ihm hätten erzielt werden können. Zudem entstehen Kosten für die Startverschiebung. Der Schaden beläuft sich auf mehrere Millionen Euro.
So kann sich als eine Folge der Verzögerung die Notwendigkeit ergeben, für einen
längeren Zeitraum Personal vorzuhalten, es können Betriebskosten für Anlagen
anfallen, die gedeckt werden müssen, weitere Projekte können dadurch verzögert
werden, die gesamte Kosten- und Personalplanung muss neu ausgerichtet werden.
Neben den eigenen Kosten des Auftragnehmers, die für die längere Bereithaltung
von Personal und Anlagen anfallen, sind häufig auch die Kosten des Auftraggebers (z.B. Produktionsausfallkosten, entgangener Gewinn) unter Schadensersatzaspekten zu tragen. Hinzu kommen häufig noch Vertragsstrafen zur Absicherung der Einhaltung von Meilensteinen, die ebenfalls das Kostenbudget zusätzlich erheblich belasten können. Hierzu kommt das Risiko, dass möglicherweise
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auch Zahlungsmeilensteine eingebaut wurden, die an die Ablieferung bestimmter
Teilarbeitspakete geknüpft sind. Kommt der Auftragnehmer mit letzteren in Verzug, so erhält er dann auch die verabredete Teilvergütung nicht.
Das Risiko der Zeitüberschreitung ist insbesondere bei in Forschung und Entwicklung üblichen Langzeitprojekten besonders ausgeprägt. Vom Vertragsabschluss bis zum Projektabschluss vergehen oft einige Jahre, in manchen Fällen
sogar Jahrzehnte. Abweichungen vom geplanten Zeitfenster ergeben sich dabei
fast zwangsläufig, da technische Änderungen, mit denen man im Zeitpunkt des
Vertragsabschlusses noch nicht rechnen konnte oder das Auftauchen technischer
Schwierigkeiten in aller Regel eine Neuplanung des Projektes in zeitlicher Hinsicht notwendig machen.
Die Absicherung des Auftragnehmers vor der Belastung mit Schadensersatzansprüchen und Vertragsstrafeansprüchen für die Überschreitung von Meilensteinen ist daher für die Vertragsgestaltung von herausragender Bedeutung. Hier
kommt es zu einem Spannungsverhältnis zu den Interessen des Auftraggebers,
der in der Regel die Einschränkung von Schadensersatzansprüchen und Vertragsstrafeansprüchen gerade verhindern will.
2) Risiko des Auftraggebers
Dagegen ist das Haftungsrisiko des Auftraggebers gegenüber dem Auftragnehmer insbesondere in Hinblick auf die Zeitüberschreitung in Forschungs- und Entwicklungsverträgen sehr viel geringer als das des Auftragnehmers, da sich seine
Leistung in der Regel in der Vergütung des Auftragnehmers erschöpft. Eine Haftung des Auftraggebers aufgrund von Fristüberschreitungen ist jedoch auch dort
denkbar, wo er sich zu Beistellungen verpflichtet.
So ist z.B. der Fall denkbar, dass im Rahmen eines Vertrages über die Positionierung und Steuerung von Satelliten dem Auftraggeber die Pflicht zukommt, die
dafür nötige Bodenstation mit den dazu notwendigen Antennen zum Empfang der
Signale, das Gesamtsystem (Rechner, Server, Datenleitungen, Vernetzung der
Komponenten) oder auch die Satelliten selbst zu stellen. Wenn nun der Auftraggeber seiner Mitwirkungspflicht durch rechtzeitige Bereitstellung der Komponenten (z.B. der Satelliten selbst) nicht nachkommt, wird es dem Auftragnehmer
schwerlich möglich sein, seine eigene Leistung, nämlich die Positionierung der
Satelliten in der avisierten Umlaufbahn sowie die sich anschließende Steuerung
im Rahmen des Zeitplanes zu erbringen. Dennoch muss er Anlagen und Personal
vorhalten, so dass hier Mehrkosten auf Auftragnehmerseite entstehen.
Für diesen Fall ist theoretisch eine Haftungsbegrenzung auch für den Auftraggeber sinnvoll. In der Praxis ist diese jedoch eher selten, in der Regel werden stattdessen die Beistellungstermine als nicht verbindlich vereinbart und für die Ver-
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schiebung der Termine eine kostenneutrale Verlängerung vorgesehen. Im Übrigen
sieht die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung die Mitwirkungspflichten des Bestellers in aller Regel lediglich als Obliegenheiten an.136 Allerdings wird davon ausgegangen, dass es sich bei der Mitwirkung dann um eine
Vertragspflicht handelt, wenn durch deren Verweigerung der Vertragszweck gefährdet würde137 oder wenn die Mitwirkungspflicht durch vertragliche Regelungen oder konkludent als Rechtspflicht ausgestaltet wird.138 Im obigen Beispiel
dürfte davon auszugehen sein, dass hier die Mitwirkung des Auftraggebers, zumindest soweit sie in der rechtzeitigen Bereitstellung der Satelliten besteht, nicht
nur eine Obliegenheit, sondern eine Schuldnerpflicht darstellt, da ohne diese die
Durchführung des Vertrages nicht möglich wäre.
Eine vertraglich geregelte Haftungsbegrenzung für den Fall der Verletzung von
Mitwirkungspflichten des Bestellers birgt allerdings ein gewisses Risiko für den
Besteller, denn sie legt den Schluss nahe, dass die Parteien die Mitwirkungspflichten als Rechtspflichten verstanden haben wollten. Denn führt auch die Verletzung von Obliegenheiten zu nachteiligen Folgen, wie z.B. Annahmeverzug und
Entschädigungsanspruch nach § 642, so kann sie mangels Eigenschaft als selbständig geschuldete Vertragspflicht dennoch keinen Schadensersatzanspruch
nach den §§ 280 ff. auslösen. Eine Haftungsbegrenzungsklausel dient aber der Risikobegrenzung in den Fällen, in denen eine Schadenskompensation zu erwarten
ist, es muss mithin zumindest ein Schadensersatzanspruch denkbar sein. Dies ist
allerdings, wie dargestellt, nur dann der Fall, wenn die Mitwirkungspflichten als
Rechtspflichten ausgestaltet sind.
Es dürfte in diesem Fall also im Interesse des Bestellers liegen, gerade keine Haftungsbegrenzung vertraglich zu fixieren, die im Streitfalle zu seinem Nachteil da-
136 Im Grundsatz BGHZ 11, 80, 83; BGHZ 50, 175, 179; Palandt/Sprau § 642 Rn. 2; Staudinger/Peters § 642 Rn. 17; offen gelassen von MüKo/Busche § 642 Rn. 2, der in der Mitwirkungspflicht je nach Auslegung des Vertrages eine Obliegenheit oder eine weitergehende Vertragspflicht sieht; stark einschränkend Nicklisch BB 1979, 533, 541, der eine
bloße Obliegenheit nur bei solchen Mitwirkungspflichten des Bestellers bejaht, die für die
Werkherstellung nicht erforderlich sind; a.A. Erman/Schwenker § 642 Rn. 2, der die Mitwirkungspflichten zu den »echten Schuldnerpflichten« rechnet; zu den in §§ 3, 4 VOB/B
geregelten Mitwirkungspflichten als echte vertragliche Nebenpflichten auch Hofmann, FS
für Craushaar, 219, 222.
137 Palandt/Sprau § 642 Rn. 3 »Kooperationspflicht«.
138 MüKo/Busche § 642 Rn. 22, der eine Vertragspflicht insbesondere bejaht bei Werkverträgen über die Erstellung von größeren Objekten wie Bauwerken und industriellen Anlagen;
vgl. auch Nicklisch BB 1979, 533, 537, dem zufolge insbesondere bei Werkverträgen mit
Langzeitcharakter aufgrund der ihnen eigenen Struktur der Besteller während des Prozesses der Werkherstellung Kooperationspartner des Unternehmers sei und daher im Wege
der Vertragsauslegung eine vertraglich vereinbarte Pflicht zur Mitwirkung anzunehmen
sei, soweit die Mitwirkungspflichten zur Werkherstellung notwendig sind; sich ihm
anschließend auch Hofmann, FS für Craushaar, 219, 225; Hartmann BB 1997, 326; Lachmann BauR 1990, 409, 411; Erman/Schwenker § 642 Rn. 8.
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hingehend ausgelegt werden kann, dass die Parteien den Mitwirkungspflichten
des Bestellers den Status wirklicher Schuldnerpflichten zukommen lassen wollten.
Theoretisch denkbar ist auch die Haftung des Auftraggebers aus Verzug mit der
Vergütungspflicht. Auch hierfür sind in der Regel Haftungsbegrenzungen nicht
zu finden. Begründet liegt dies darin, dass sich der Verzugsschaden für die verzögerte Zahlung der Vergütung bei FuE-Verträgen in der Regel in dem Entstehen
von Verzugszinsen erschöpft, somit für den Auftraggeber also von vornherein
überschaubar ist. Zum anderen wird allgemein nicht davon ausgegangen, dass es
zu einem Zahlungsverzug kommt, der eine entsprechende Schadensersatzpflicht
auslöst, so dass in der Regel auf eine Haftungsbeschränkung für den Auftraggeber
in Forschungs- und Entwicklungsverträgen verzichtet wird.
II. Kostenüberschreitung
Ein nicht zu unterschätzendes Risiko ergibt sich aus der Überschreitung der anfänglich kalkulierten Kosten.
1) Risiko
Genauso schwierig wie die Einschätzung des Zeitumfangs für die Erledigung einer Forschungs- und Entwicklungsaufgabe ist die Einschätzung der zu kalkulierenden Kosten. Häufig ist zu Beginn der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit
der anzusetzende Aufwand noch nicht in allen Aspekten abschätzbar. Gerade bei
Langzeitprojekten sind Konjunkturschwankungen nur durch Preisgleitklauseln
abzufangen. Erhöhte Aufwendungen für die Erreichung des Projektzieles sind dadurch jedoch nicht abgedeckt. Haben die Parteien einen Werkvertrag geschlossen,
so liegt damit das Risiko der Vertragserfüllung zu dem vereinbarten Preis bei dem
Auftragnehmer. Dieser trägt mithin auch das Risiko, das Ergebnis zu erreichen,
auch wenn ihm dies nur bei Kostenüberschreitung gelingt. So können unerwartete
Teuerungen durch Zulieferer oder eine längere Projektdauer als erwartet den Auftragnehmer an den Rand der finanziellen Möglichkeiten bringen. Allenfalls kann
unter engen Voraussetzungen eine Korrektur über das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage erfolgen.139 Eine Anpassung der Vergütung ist hier jedoch nur
in besonderen Einzelfällen zu bejahen.
139 Beaumart in: Nicklisch, Forschungs- und Entwicklungsverträge in Wissenschaft und Technik, S. 49.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im wirtschaftlichen Wettbewerb um innovative Produkte und Verfahren haben Forschungs- und Entwicklungsverträge erhebliche Bedeutung. Diesem besonderen Vertragstyp widmet sich die Arbeit und liefert Antworten und Lösungen auf wichtige Fragen wie die nach der Rechtsnatur von FuE-Verträgen, nach Risiken und ihrer Abfederung sowie insbesondere auf die Frage nach der Wirksamkeit von Haftungsfreizeichnungen. Die Arbeit gibt praktische Empfehlungen für die Vertragsgestaltung sowie wertvolle Hinweise zu den Besonderheiten des FuE-Vertrags. Das Werk ist aus der Tätigkeit der Verfasserin als Syndikusanwältin einer großen Forschungseinrichtung entstanden und eine praktische Hilfe für alle mit FuE-Projekten befassten Mitarbeiter von Unternehmen und Forschungseinrichtungen, Rechtsanwälte und Wirtschaftsjuristen.