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chance der GmbH anzusehen ist, wenn sie in der Sphäre oder mit Mitteln der GmbH
akquiriert wurde.583
Neben dem Geschäftschancenentzug kann aber auch der Entzug von Nutzungsbefugnissen, Steuervorteilen, der Abzug von personellen Ressourcen oder die Einbindung in ein zentrales cash management haftungsauslösend sein.584 In Betracht
kommt letztlich jedweder Entzug von in der Gesellschaft gebündelten Ressourcen.585 Entscheidend ist somit in erster Linie der Desinvestitionscharakter der betreffenden Maßnahme.
Für die Haftung nicht erforderlich ist, dass die existenzvernichtende Maßnahme
einem Gesellschafter oder einer diesem nahestehenden Person zugute kommt.586 Auf
die Eigenschaft des durch die Maßnahme Begünstigten, etwa als nahestehende Person im Sinne des § 138 InsO oder als herrschendes Unternehmen im Sinne des § 17
AktG, kommt es also nicht an.587 Es ist nicht einmal erforderlich, dass überhaupt
jemand durch die Maßnahme unmittelbar begünstigt wird. Denn entscheidend ist
nach der maßgeblichen Wertung der Liquidationsvorschriften allein die regelwidrige
Desinvestition. Anders als beim Anfechtungsrecht geht es nicht um die Rückgängigmachung eines Vermögenstransfers, was eben nicht nur ein „Zuwenig“ beim
Schuldner, sondern auch ein „Zuviel“ beim Anfechtungsgegner voraussetzen würde,
sondern um Ersatzleistung für den aus dem Pflichtenverstoß resultierenden Schaden.
Für die Verpflichtung zum Schadensersatz spielt es aber gerade keine Rolle, ob ein
Dritter durch das schadensstiftende Ereignis begünstigt wird.
II. Keine Einbeziehung von Risikogeschäften
War bislang lediglich vom Abzug von Vermögensgegenständen, Geschäftschancen,
etc. die Rede, so bleibt zu untersuchen, ob neben dem Ressourcenabzug auch andere
gesellschaftsschädigende Maßnahmen haftungsbegründend sein können. Relevant
wird diese Frage in erster Linie für die Fallgruppe so genannter (unvertretbarer)
Risikogeschäfte der Gesellschaft mit Dritten. Insoweit ist zuzugestehen, dass die
Fähigkeit der Gesellschaft zur Bedienung ihrer Verbindlichkeiten durch besonders
riskante Geschäfte mit Dritten in der Tat in gleichem Maße beeinträchtigt werden
583 Roth/ Altmeppen- Altmeppen, GmbHG 4. A. (2003), § 30 Rn. 112; ebenso etwa Bruns,
WM 2003, 815, 819.
584 Roth, NZG 2003, 1081 1082 f; Keßler, GmbHR 2002, 945, 950; Vetter, ZIP 2003,
601, 601.
585 In diese Richtung auch Schön, ZHR 168 (2004), 268, 287; Haas, WM 2003, 1929, 1934;
Hölzle, ZIP 2003, 1376, 1378 f.
586 Haas, WM 2003, 1929, 1936.
587 Wiedemann, ZGR 2003, 283, 294.
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kann, wie durch einen Ressourcenabzug.588 Auch Risikogeschäfte mit Dritten können „Strategien zum Tode“ sein.589
Maßgeblich ist aber auch hier die sich aus den Liquidationsvorschriften ergebende Wertung. Den Liquidationsvorschriften lässt sich lediglich entnehmen, dass der
Gesetzgeber zur faktischen Beendigung führende und damit existenzvernichtende
Desinvestitionsmaßnahmen außerhalb des Verfahrens nach den §§ 65 ff GmbHG
nicht zulassen wollte. Es geht also allein um den regelwidrigen Ressourcenabzug.
Ein darüber hinausgehendes Verbot aller zum wirtschaftlichen Zusammenbruch der
Gesellschaft führender Maßnahmen unabhängig von deren Desinvestitionscharakter
lässt sich mit der hier vertretenen Begründung des Verbots der Liquidation auf kaltem Wege gerade nicht etablieren.590 Abgesehen von diesem Subsumptionsproblem
sähe sich eine Haftung der Gesellschafter für unvertretbare Risikogeschäfte aber
auch aus anderen Gründen durchgreifenden Bedenken ausgesetzt:
Wohl unbestritten vermögen unternehmerische Fehlentscheidungen und schlechtes Management allein eine Haftung der geschäftsleitend tätig werdenden Gesellschafter nicht zu begründen.591 Denn durch eine Gesellschafterhaftung für bloßes
Missmanagement würde das in § 13 Abs. 2 GmbHG gesetzlich verankerte Prinzip
der Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen unterlaufen und entwertet.592 Zu berücksichtigen ist weiter, dass auch risikoreiches unternehmerisches Handeln grundsätzlich erlaubt ist und damit haftungsfrei gestellt werden muss.593 Der
ökonomische Sinn der Haftungsbeschränkung besteht gerade darin, die Risikoaversität der Unternehmer zu überwinden und einen Anreiz auch für solche erfolgsversprechenden Projekte zu schaffen, bei denen eine gewisse Wahrscheinlichkeit des
Totalverlustes besteht.594 Somit sind auch Spekulationen zu Lasten der Gläubiger in
gewissen Grenzen gerade erlaubt, solange die sonstigen vom GmbHG aufgestellten
Spielregeln eingehalten werden. Für die Extremfälle, in denen das Verlustrisiko
völlig außer Verhältnis zu den mit dem Geschäft verbundenen Gewinnchancen steht
und die Gläubiger bewusst geschädigt werden sollen, steht § 826 BGB (auch nach
dessen herkömmlichem Verständnis) als Anspruchsgrundlage bereit.595 Jenseits
588 Roth, NZG 2003, 1081 1082.
589 Lutter/ Banerjea, ZGR 2003, 402, 415.
590 Siehe oben 2. Kapitel D IV 2; anders aber wohl Winter, ZGR 1994, 570, 591 f.
591 Statt aller Drygala, GmbHR 2003, 729, 735 f; Roth, NZG 2003, 1081 1082.
592 Das gilt freilich unabhängig davon, ob man eine solche Haftung als Durchgriffshaftung
oder als Haftung gegenüber der Gesellschaft einführen wollte; dazu auch Priester, ZGR
1993, 512, 524.
593 Das anerkennen zumindest im Grundsatz wohl auch diejenigen, die Risikogeschäfte in den
Tatbestand der Existenzvernichtungshaftung einbeziehen wollen; etwa Lutter/ Banerjea,
ZGR 2003, 402, 415; Drygala, GmbHR 2003, 729, 735 f.
594 Teichmann, NJW 2006, 2444, 2445; Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei
Personengesellschaften (2000), S. 318 f; Wahl, Die Haftung der GmbH-Gesellschafter
wegen Existenzvernichtung (2005), S.37, 109 f.
595 Ehricke, AcP 199 (1999), 257, 302 f; im Ergebnis auch Haas, WM 2003, 1929, 1935.
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dieser durch § 826 BGB abgedeckten Fälle ist eine Haftung für unvertretbare Risikogeschäfte aber abzulehnen.
III. Zwischenergebnis
Richtigerweise sind Risikogeschäfte mit Dritten aus dem Tatbestand der Existenzvernichtungshaftung also auszuklammern. Haftungsauslösend können dagegen, wie
gezeigt, solche Maßnahmen sein, die sich als Entzug von in der Gesellschaft gebündelten Ressourcen einordnen lassen und damit Desinvestitionscharakter haben.
Wurde soeben erörtert, welche Maßnahmen grundsätzlich als existenzvernichtende
Eingriffe in Betracht kommen, gilt es im Folgenden zu beantworten, unter welchen
Voraussetzungen die Vornahme solcher Maßnahmen letztendlich zur Haftung führt.
C. Pflichtverletzung und Verschulden
Wie bereits erwähnt,596 reicht allein die Ursächlichkeit der Maßnahme für den wirtschaftlichen Zusammenbruch für die Haftung nicht aus. Dem Gesellschafter muss
vielmehr eine Pflichtverletzung vorgeworfen werden können. Eine solche
Pflichtverletzung liegt nur dann vor, wenn der Gesellschafter den existenzvernichtenden Eingriff vorgenommen hat, obwohl vorhersehbar war, dass die GmbH
dadurch der Gefahr des wirtschaftlichen Zusammenbruchs ausgesetzt wird.597 Zu
verlangen ist dabei, dass zum Zeitpunkt der Vornahme des Eingriffs eine erhebliche
Gefahr des Zusammenbruchs bestanden hat. Eine abstrakte Gefahr, die sich nur bei
Eintritt unwahrscheinlicher negativer Ereignisse realisiert, reicht also nicht aus.598
Auf der anderen Seite ist aber nicht erforderlich, dass der Zusammenbruch der
Gesellschaft überwiegend wahrscheinlich ist. Denn eine Haftung der Gesellschafter
kommt ja ohnehin nur bei Desinvestitionsmaßnahmen in Betracht. Anders als bei
sonstigen Leitungsentscheidungen ist es den Gesellschaftern in diesen Fällen aber
zuzumuten, bereits dann von der Maßnahme abzusehen, wenn dadurch eine
erhebliche Insolvenzgefahr entstünde.599 Als Alternative zum Verzicht auf den
Abzug bleibt den Gesellschaftern hier selbstverständlich immer die Möglichkeit, die
596 Oben 4. Kapitel A.
597 Ähnlich Drygala, GmbHR 2003, 729, 734; Keßler, GmbHR 2002, 945, 950; dagegen hält
Roth, NZG 2003, 1081 1082 die Vorhersehbarkeit für ein Problem ohne praktische Relevanz.
598 Lutter/ Banerjea, ZGR 2003, 402, 415.
599 Wollte man dagegen auch Risikogeschäfte in den Haftungstatbestand miteinbeziehen,
wäre die Abgrenzung hier schwieriger. Dann müssten den eingegangenen Risiken wohl
auch die möglichen Vorteile der Maßnahme gegenübergestellt werden; so jedenfalls Lutter/ Hommelhoff- Lutter/ Hommelhoff, GmbHG 16. A. (2004), § 13 Rn. 17.
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References
Zusammenfassung
Seit dem „Bremer Vulkan“-Urteil des BGH vom 17.09.2001 ist die Frage nach einer Gesellschafterhaftung für existenzvernichtende Eingriffe eines der meist diskutierten Probleme im GmbH-Recht. Während in den Stellungnahmen zu diesem Problemkreis zumeist ohne weiteres davon ausgegangen wird, dass das gesetzliche Schutzinstrumentarium zur Bewältigung der Folgen existenzvernichtender Eingriffe nicht ausreichend sei, setzt sich der Autor ausführlich mit diesen Instrumenten, insbesondere den Möglichkeiten des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts, auseinander; er untersucht eingehend, ob die für die rechtsfortbildende Entwicklung einer solchen Haftung erforderliche planwidrige Gesetzeslücke vorliegt. Im Ergebnis hält er – ebenso wie die Rechtsprechung und die meisten Literaturstimmen – die Etablierung einer Existenzvernichtungshaftung für methodologisch zulässig und rechtspolitisch sinnvoll. Anders als der BGH, der die Existenzvernichtungshaftung zunächst als Durchgriffshaftung und später als besondere Fallgruppe des § 826 BGB eingeordnet hat, sieht der Verfasser die dogmatische Grundlage der Haftung aber in der mitgliedschaftlichen Sonderverbindung des Gesellschafters zur GmbH.