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würden auch durch die Insolvenzantragspflicht nicht aufgefangen.540 Die in der
Praxis gemachten Erfahrungen zeigten, dass auch die rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags nicht verhindern könne, dass die Gläubiger sich zumeist mit niedrigen Quoten zufrieden geben müssten oder wegen Masselosigkeit mit ihren Forderungen sogar ganz ausfielen.
Dieses Defizit an gesetzlichem Gläubigerschutz sei schließlich auch nicht deswegen hinnehmbar, weil jeder GmbH-Gläubiger für sich selbst entsprechende Risikovorsorge treffen könne. Im Gegensatz zu den großen Kreditgebern hätten wirtschaftlich schwächere Marktteilnehmer typischerweise keine ausreichende Machtposition,
um sich ihre Geschäftspartner frei von Marktzwängen auszusuchen, Risikoprämien
auszuhandeln oder auf der Bestellung von Sicherheiten zu bestehen.541 Dieser Personenkreis könne sich zudem oftmals keine zutreffende Information über die Kreditwürdigkeit der GmbH verschaffen. Weiter mangele es häufig an der notwendigen
Fachkenntnis, um die publizierten Zahlen auszuwerten.542
Ein unangemessen schwacher Gläubigerschutz führe zu einer Flucht der potentiellen Gläubiger vor der GmbH und dann auch der Gesellschafter aus der GmbH
und entwerte die Rechtsform der GmbH damit insgesamt.543 Der mit der Zulassung
der Rechtsform der GmbH erstrebte positive gesamtwirtschaftliche Effekt würde in
sein Gegenteil verkehrt, wenn die durch GmbHs verursachten Schädigungen anderer
Wirtschaftssubjekte Überhand nähmen. Rechtspolitisch lasse sich die Institution der
GmbH nur dann als Mittel legitimer Haftungsbeschränkung rechtfertigen, wenn die
Gesellschafter unter ein freilich kalkulierbares aber strenges Haftungsregime gestellt
würden.544
III. Stellungnahme
Rechtspolitisch erscheint es in der Tat angezeigt, den Gesellschaftern die Ruinierung
der Gesellschaft (durch den Abzug von Vermögen oder Geschäftschancen) generell,
540 Röhricht, FS 50 Jahre BGH (2000), S. 83, 94 f.
541 Wiedemann, Festgabe aus der Wissenschaft 50 Jahre BGH, Band II (2000), S. 337, 361 f;
Röhricht, FS 50 Jahre BGH (2000), S. 83, 99; Eckhold, Materielle Unterkapitalisierung
(2002), S. 160 ff; zur Externalisierung von Risiken auf die Gläubiger ausführlich und differenziert nach Gläubigergruppen Adams, Eigentum, Kontrolle und beschränkte Haftung
(1991), S. 56 ff.
542 Eckhold, Materielle Unterkapitalisierung (2002), S. 161 ff; Strobel, DB 1999, 1025, 1027.
543 Röhricht, FS 50 Jahre BGH (2000), S. 83, 99; Eckhold, Materielle Unterkapitalisierung
(2002), S. 164 f; diese Gefahr erkennt auch Versteegen, Konzernverantwortlichkeit und
Haftungsprivileg (1993), S. 129 f, der sich gleichwohl gegen eine Erweiterung des gesetzlichen Gläubigerschutzes ausspricht.
544 K. Schmidt, BB 1985, 2074, 2074.
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also unabhängig von einem Verstoß gegen die Kapitalsicherungsvorschriften, zu
verbieten und ihnen auf diese Weise ein Mindestmaß an seriösem kaufmännischen
Verhalten im Umgang mit dem Gesellschaftsvermögen abzuverlangen. Eine solchermaßen begrenzte Einschränkung der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter
dürfte kaum einen Unternehmer davon abhalten, für sein Unternehmen die Rechtsform der GmbH zu wählen. Jedenfalls darf sich kein Wirtschaftssubjekt darauf einstellen, seine wirtschaftlichen Vorteile durch die Schädigung Dritter zu erzielen.
Die Etablierung einer Haftung für existenzvernichtende Eingriffe ist dabei auch
dann wünschenswert, wenn man die Möglichkeiten des Anfechtungsrechts in die
Beurteilung der Gläubigerschutzsituation miteinbezieht. Denn es erscheint durchaus
sinnvoll, auch und gerade die Gesellschafter als „Herren der Gesellschaft“ und Veranlasser der Existenzvernichtung einer Haftung zu unterwerfen, um so die Befriedigungsaussichten der Gläubiger zu verbessern. Bei einem schuldhaften Verstoß
gegen dieses Verbot der „Liquidation auf kaltem Wege“ erscheint es zudem angemessen, die Gesellschafter nicht nur zu einer Rückgewähr des übertragenen Vermögenswertes, sondern darüber hinaus zum Ersatz aller durch den Eingriff verursachten
Schäden zu verpflichten.
1. Der gesetzgeberische Plan als entscheidendes Kriterium
Voraussetzung für die Annahme einer planwidrigen Gesetzeslücke und damit Voraussetzung einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung ist indes, dass das Gesetz
gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht unvollständig ist.545 Insoweit reicht es
also nicht aus, darzutun, dass das Gesetz ohne die Anerkennung einer Existenzvernichtungshaftung rechtpolitisch fehlerhaft wäre.546 Die Feststellung einer Lücke
kann dabei nur vom Boden der geltenden Gesetze aus erfolgen.547 Maßstab für das
Vorliegen einer Gesetzeslücke ist demnach die Teleologie des Gesetzes selbst, die
ihm zugrunde liegende Regelungsabsicht, die mit ihm verfolgten Zwecke, der gesetzgeberische Plan.548 Würde es vorliegend an einer solchen planwidrigen Gesetzeslücke fehlen, so käme für die Entwicklung einer Existenzvernichtungshaftung
allenfalls noch der Weg der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung in Be-
545 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft 6. A. (1991), S.370 ff; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz 2. A. (1983), S. 31 ff; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff 2. A. (1991), S. 473 ff; Ehricke, AcP 199 (1999), S. 257, 273.
546 Das wird von einigen, die für die Erweiterung des Gläubigerschutzes um eine Existenzvernichtungshaftung eintreten, nicht hinreichend berücksichtigt; richtig aber etwa Röhricht, FS 50 Jahre BGH (2000), S. 83, 97; eingehend zur Trennung von rechtlicher und
rechtspolitischer Argumentation Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von
Richterrecht (1996), S. 3 ff.
547 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz 2. A. (1983), S. 32 f.
548 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft 6. A. (1991), S. 373 f.
128
tracht.549 Wegen der Rechtsetzungsprärogative des Parlaments und der Bindung des
Richters an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) ist richterliche Rechtsfortbildung, die
sich außerhalb des Plans des Gesetzes bewegt oder ihm gar zuwider läuft nur in
äußerst engen Grenzen zulässig.550 Erforderlich hierfür sind schwerwiegende, spezifisch rechtliche Gründe.551 Angesichts der Reichweite des gegen existenzvernichtende Eingriffe zur Verfügung stehenden rechtlichen Instrumentariums552 ließe sich
ein solch schwerwiegendes Defizit an Gläubigerschutz wohl kaum bejahen.553 Von
einem „rechtlichen Notstand“ kann schwerlich gesprochen werden.554 Es bleibt also
dabei, dass eine planwidrige Regelungslücke darzulegen ist.
2. Die Auslegung des gesetzgeberischen Willens durch Röhricht
Von dieser Problemstellung ausgehend hat nun Röhricht zu zeigen versucht, dass
der Wille des Gesetzgebers darauf gerichtet sei, den Gesellschaftern die Einhaltung
eines Mindeststandards seriösen kaufmännischen Verhaltens abzuverlangen und ihre
Verantwortung nicht mit der Aufbringung des Stammkapitals enden zu lassen:555
Nicht nur die Kapitalsicherungsvorschriften und die durch straf- und zivilrechtliche
549 Nach Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft 6. A. (1991), S. 413 f handelt es sich
bei der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung um eine Rechtsfortbildung „extra legem“, aber nicht „contra legem“; dagegen liegt nach Neuner, Die Rechtsfindung contra
legem (1992), 85 ff und 132 f eine „contra-legem-Entscheidung“ (die er in engen Grenzen
für zulässig hält a.a.O., S. 139 ff) schon dann vor, wenn die Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers missachtet wird, sofern diese Absicht mit dem möglichen Wortsinn
der Gesetzesnorm noch vereinbar ist oder im Wege der Analogie oder Restriktion durchgesetzt werden könnte.
550 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft 6. A. (1991), S. 426 ff; nach BVerfG
Beschl. v. 3. 4. 1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 12 darf der Richter eine vom Gesetzgeber eindeutig getroffene Entscheidung „nicht aufgrund eigener rechtspolitischer
Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament
nicht erreichbar war“.
551 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft 6. A. (1991), S. 426 ff; zur Rechtsfindung
auf der Grundlage allgemeiner Rechtsgrundsätze und zur Rechtfortbildung „contra legem“
auch Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff 2. A. (1991), S. 481 ff und
496 ff; zu den Möglichkeiten und Grenzen der Gesetzesderogation durch den Richter
Neuner, Die Rechtsfindung contra legem (1992), S. 139 ff.
552 Siehe dazu ausführlich oben 1. Kapitel.
553 Anders wohl Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der
GmbH (2006), S. 75 ff 183 ff, der aber etwa die Reichweite des Anfechtungsrechts, insbesondere die des § 133 InsO als erheblich begrenzter beurteilt, als dies hier vertreten wird,
näher dazu oben 1. Kapitel B IV 5.
554 So aber Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person (1981), S. 336,
nach dem sich die Rechtsfigur der GmbH in einem Notstand befindet, der auch eine „gesetzesumbildende“ Rechtsfortbildung rechtfertigen würde.
555 FS 50 Jahre BGH (2000), S. 83, 98 ff; dem folgend Hölzle, ZIP 2003, 1376, 1379; ähnliche Argumentation auch bei Eckhold, Materielle Unterkapitalisierung (2002), S. 114 f.
129
Sanktionen abgesicherte Verpflichtung zur frühestmöglichen Stellung des Insolvenzantrags belegten, dass es dem Gesetzgeber um die Gewährleistung eines nachhaltigen Gläubigerschutzes gegangen sei. Auch der Umstand, dass sich der Gesetzgeber bei der Neuregelung des Insolvenzrechts nicht mit der Überschuldungsdefinition der Rechtsprechung habe abfinden wollen, sondern mit der Regelung des § 19
Abs. 2 Satz 2 InsO auf einer Verschärfung bestanden habe,556 zeige, wie ernst es ihm
mit dem Verkehrsschutz sei. Besonders deutlich sei der gesetzgeberische Wille zu
einer Stärkung des Gläubigerschutzes schließlich auch in der GmbH-Novelle von
1980 zum Ausdruck gekommen, in der das Mindeststammkapital angehoben, die
Sacheinlageregeln verschärft und erstmalig Sondervorschriften für eigenkapitalersetzende Gesellschafterleistungen eingeführt worden seien. All das belege, dass der
Gesetzgeber das Spannungsfeld zwischen der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit
der Gesellschafter einerseits und einem nachhaltigen Gläubigerschutz andererseits
nicht einseitig zugunsten ersterer habe auflösen wollen. Der Gesetzgeber verfolge
vielmehr eine „mittlere Linie“, was die Annahme ausschließe, dass er den Gesellschaftern die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Gesellschaft habe erlauben wollen.557
Diese Argumentation ist indes zweifelhaft. Zwar lassen sich die von Röhricht angeführten Verschärfungen des gesetzlichen Gläubigerschutzes durchaus als Ausdruck des gesetzgeberischen Willens verstehen, für nachhaltigen Gläubigerschutz zu
sorgen. Das Anliegen des Gesetzgebers den Gläubigerschutz zu stärken, lässt aber
noch nicht den Schluss zu, dass dies gerade dadurch verwirklicht werden soll, den
Gesellschaftern ein Existenzvernichtungsverbot aufzuerlegen. Wenn der Gesetzgeber den Gläubigerschutz in bestimmter Weise verschärft, erschöpft sich die Verschärfung in eben jener vom Gesetzgeber getroffenen Regelung. Um aus diesen
Verschärfungen ein Verbot der Existenzvernichtung herzuleiten, müsste dargetan
werden, dass ein solches Verbot als allgemeiner Gedanke diesen oder zumindest
einer dieser Verschärfungen zugrunde lag. Das lässt sich allerdings weder für die
erwähnten Änderungen durch die GmbH-Novelle noch für die Änderung der Überschuldungsdefinition in § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO sagen.
556 Nach der seit BGH Urt. v. 13. 7. 1992 - II ZR 269/91 - BGHZ 119, 201, 214 ff ständigen
Rechtsprechung war Voraussetzung der rechtlichen Überschuldung neben der rechnerischen Überschuldung eine negative Fortbestehensprognose; nach § 19 Abs. 2 S. 2 InsO
kommt der Fortbestehensprognose nur noch insofern Bedeutung zu, als sich nach ihr bemisst, inwieweit statt Liquidationswerten Fortführungswerte anzusetzen sind. Die positive
Fortbestehensprognose allein, soll die Annahme der Überschuldung damit nicht mehr ausschließen, Begründung des Regierungsentwurfs (§ 23 des Regierungsentwurfs), BT-
Drucks 12/ 2443, S. 115.
557 Röhricht, FS 50 Jahre BGH (2000), S. 83, 97 ff.
130
3. Maßgeblichkeit der sich aus den Liquidationsvorschriften ergebenden Wertung
Bei der Ermittlung des gesetzgeberischen Willens kommt der Gesetzesbegründung
maßgebliche Bedeutung zu.558 Insoweit ist zu konstatieren, dass der Gesetzgeber
von 1892 die Interessen der Gläubiger in erster Linie dadurch schützen wollte, dass
die Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals durch die Vorschriften des Gesetzes gesichert wird.559 Nur dieses Vermögen der Gesellschaft sei den Gläubigern
als Grundlage ihres Kredits öffentlich bekannt gemacht und zu ihrer Befriedigung in
Aussicht gestellt.560 Für eine im Gläubigerinteresse bestehende Verhaltenshaftung
der Gesellschafter sah der historische Gesetzgeber in der Tat kein Bedürfnis.
Fraglich ist aber, ob daraus geschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber das
Problem existenzvernichtender Eingriffe allein mit den Kapitalerhaltungsvorschriften (und den übrigen gesetzlich positivierten Gläubigerschutzinstrumenten) bewältigt wissen wollte. Für die Beantwortung dieser Frage spielt zunächst die schon
dargestellte gesetzliche Wertung der Liquidationsvorschriften eine entscheidende
Rolle:561 Der historische Gesetzgeber hat für den Marktaustritt der GmbH lediglich
die Alternativen des Konkursantrags mit anschließendem Konkursverfahren und die
Liquidation nach den Vorgaben der §§ 65 ff GmbHG vorgesehen, wobei für eine
Desinvestition des in der GmbH gebündelten Vermögens allein das Liquidationsverfahren geeignet ist. Für solche zur faktischen Beendigung der GmbH führende Desinvestitionsmaßnahmen sieht das Gesetz ein zwingendes Verfahren vor, das die
vorrangige Befriedigung der Gläubiger gewährleistet. Dies spricht dann aber dafür,
dass der Gesetzgeber eine zur faktischen Beendigung der Gesellschaft führende und
damit existenzvernichtende Desinvestition des eingesetzten Kapitals außerhalb des
Verfahrens nach §§ 65 ff GmbHG nicht zulassen wollte.562 Die Wertung der Liqui-
558 Auf die schwierige Frage, inwieweit der sich aus den Gesetzesmaterialien ergebende
Wille als der Wille des Gesetzgebers zu gelten hat, kann hier nicht ausführlich eingegangen werden; im Ergebnis ist aber diejenige Lösung vorzuziehen, nach der sich die gesetzgebende Körperschaft - sofern sie keinen Widerspruch gegen die Materialien erhebt - denjenigen Sinn und Zweck zu eigen macht, den die wahren Gesetzesverfasser (also in der
Regel bestimmte Ministerialbeamte) vor Augen hatten (oft als „Paktentheorie“ bezeichnet); näher dazu Neuner, Die Rechtsfindung contra legem (1992), S. 103 ff; etwas anders
als hier Larenz/ Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft 3. A. (1995), S. 149 ff,
die in erster Linie die in den Beratungen der gesetzgebenden Körperschaft oder ihrer Ausschüsse zum Ausdruck kommenden Vorstellungen als maßgebend ansehen; dagegen will
Ehricke, Das abhängige Konzernunternehmen in der Insolvenz (1998), S. 390 Fn. 32 einer
Stellungnahme der Bundesregierung nicht mehr Bedeutung beimessen, als einer „bloßen“
Literaturmeinung.
559 Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Amtliche
Ausgabe (1891), S. 38 ff.
560 Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Amtliche
Ausgabe (1891), S. 40
561 Siehe oben 2. Kapitel D IV 2.
562 Siehe zur Wertung der §§ 65 ff GmbHG auch ausführlich oben 2. Kapitel D IV 2.
131
dationsvorschriften weist somit eindeutig in die Richtung, dass das Gesetz hinsichtlich der Behandlung existenzvernichtender Eingriffe seiner eigenen Regelungsabsicht nach unvollständig ist und somit eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt.
Dafür spricht auch, dass die Begründung zum Entwurf des GmbH-Gesetzes unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass in Bezug auf die Behandlung des Gesellschaftsvermögens in erster Linie die Sicherheit der Gesellschaftsgläubiger zu entscheiden habe.563 Eine planwidrige Gesetzeslücke ist somit nur dann noch zu verneinen, wenn der Gesetzgeber die Gefahr existenzvernichtender Desinvestitionsmaßnahmen erkannt und sich gleichwohl dafür entschieden hätte, den Gesellschaftern ihre Dispositionsfreiheit auch insoweit zu belassen, ihnen also auch existenzvernichtende Eingriffe zu erlauben.
Indes spricht aber alles dafür, dass er mit der Gefahr, die Gesellschafter könnten
ihr Weisungsrecht in Geschäftsführungsangelegenheiten dazu nutzen, die Gesellschaft ihrer wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit zu berauben, nicht gerechnet hat:
Mit der neu geschaffenen GmbH sollte dem Wirtschaftsverkehr eine Rechtsform
für solche Unternehmungen zur Verfügung gestellt werden, für die die Bildung einer
AG mit ihren besonderen Kautelen zum Schutze der Anleger nicht geeignet ist, für
die aber gleichwohl ein berechtigtes Interesse an einer Haftungsbeschränkung besteht.564 Dabei stellte sich der Gesetzgeber die GmbH als Trägerin eines zumindest
mittelgroßen Unternehmens mit mehreren Gesellschaftern vor.565 Durch eine Vielzahl von Gesellschaftern wird aber ein weitreichender Gleichlauf der Interessen der
Gesellschaftergesamtheit und der Gesellschaft hergestellt, der mittelbar auch den
Gläubigern zugute kommt.566 Denn hier werden sich die Gesellschafter regelmäßig
gegenseitig daraufhin kontrollieren, dass nicht ein Gesellschafter in Verfolgung
außerhalb der Gesellschaft liegender Interessen zum Nachteil der GmbH handelt.
Schon das von den Gesetzesverfassern zugrunde gelegte Bild der Gesellschafterstruktur legt nahe, dass der Gesetzgeber von einem solchen Interessengleichlauf
ausging567 und gesellschaftsschädigende Maßnahmen der Gesellschafter außerhalb
seiner Vorstellung lagen.
563 Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Amtliche
Ausgabe (1891), S. 38.
564 Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Amtliche
Ausgabe (1891), S. 27 ff; ausführlich zu den Motiven für die Einführung der GmbH Koberg, Die Entstehung der GmbH in Deutschland und Frankreich (1992).
565 Besonders deutlich etwa der Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit
beschränkter Haftung, Amtliche Ausgabe (1891), S. 28; die Gründung einer GmbH durch
nur eine Person war noch bis zur GmbH-Novelle von 1980 unzulässig.
566 Hierauf verweist zu Recht auch Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH (2006), S. 193.
567 So auch (teilweise implizit) Röhricht, FS 50 Jahre BGH (2000), S. 83,102; Ziemons, Die
Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen auf die Geschäftsführung der GmbH
(1996), S. 67; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der
GmbH (2006), S. 191ff; Burgard; WM 1993, 925, 927; Burg, Gesellschafterhaftung bei
132
Darüber hinaus ist aber insbesondere zu sehen, dass der Gesetzgeber mit der
Konzeption der GmbH als neuer Rechtsform insofern Neuland betrat, als er mit ihr
erstmals eine flexible, aber dennoch haftungsbeschränkte Organisationsform zur
Verfügung stellte.568 Die traditionellen Rechtsformen boten für die Gefahr, dass die
Gesellschafter - in Wahrnehmung außerhalb der Gesellschaft liegender Interessen der Gesellschaft existenznotwendiges Vermögen entziehen könnten, kein Anschauungsmaterial.569 Bei der Aktiengesellschaft ist die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter von vornherein sehr viel beschränkter als bei der GmbH570, bei den Personenhandelsgesellschaften besteht für die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter
wegen deren persönlicher Haftung kaum ein Anreiz für solche Vermögensverschiebungen. Dieses Problem der Vermögensentziehung zu Lasten der Gesellschaft trat
also erstmals mit der neu geschaffenen Rechtsform der GmbH in voller Schärfe auf.
Wenn der Gesetzgeber dann aber auf diese Gefahr in der Gesetzesbegründung nicht
eingeht, muss davon ausgegangen werden, dass er sie auch tatsächlich nicht erkannt
hat.
Dass insbesondere in der Krise der GmbH ein erheblicher ökonomischer Anreiz
für die Gesellschafter bestehen könnte, die Gesellschaft auszuplündern, um das
Gesellschaftsvermögen so dem Gläubigerzugriff zu entziehen, hat der Gesetzgeber
demnach nicht vorhergesehen. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass es
dem historischen Gesetzgeber darum ging, die Dispositionsfreiheit der Gesellschafter so weit zu fassen, dass auch existenzvernichtende Desinvestitionsmaßnahmen
erlaubt sein sollten. Für die Beantwortung der Frage, wie er diese Fälle behandelt
wissen wollte, bleibt es also bei der Wertung, die er in den Liquidationsvorschriften
zum Ausdruck gebracht hat: Eine Liquidation auf kaltem Wege soll verboten sein.
Somit wies das GmbHG von 1892 hinsichtlich der Behandlung von zur faktischen Beendigung der GmbH führende Desinvestitionsmaßnahmen von Anfang an
eine planwidrige Gesetzeslücke auf.571 Der Weg für die rechtsfortbildende Entwick-
Existenzvernichtung der Einmann-GmbH (2006), S. 21; Eckhold, Materielle Unterkapitalisierung (2002), S. 115 ff.
568 Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH (2006), S.
193.
569 Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH (2006), S.
193.
570 Hinsichtlich der Einflussmöglichkeiten der Aktionäre auf den Vorstand ist zu berücksichtigen, dass die Unabhängigkeit des Vorstands erst durch das AktG von 1937 eingeführt
wurde, der Vorstand zur Zeit der Entstehung des GmbHG aber noch den Weisungen der
Hauptversammlung unterworfen war, siehe Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne
Einflussnahme im Recht der GmbH (2006), S. 193 in Fußn. 47.
571 Auf Entwicklungen, die die Gefahr existenzvernichtender Eingriffe seit Erlass des
GmbHG erhöht haben, kommt es daher nach der hier vertretenen Herleitung des Existenzvernichtungsverbots aus den Liquidationsvorschriften nicht an; als eine solche Entwicklung zu nennen wäre insoweit etwa, dass die GmbH die ihr (jedenfalls auch) zugedachte
Kapitalsammelfunktion weitgehend verloren hat und sie heute in erster Linie zum Zwecke
133
lung eines Existenzvernichtungsverbotes auf Grundlage der Liquidationsvorschriften
ist damit aber nur dann frei, wenn der Gesetzgeber diese anfängliche Gesetzeslücke
nicht mittlerweile selbst geschlossen hat.
4. Keine Schließung der Gesetzeslücke durch die GmbH-Novelle von 1980
Ein wesentliches Anliegen der Reform von 1980 war die Verstärkung des mittlerweile als unzureichend angesehenen Gläubigerschutzes.572 Dabei kommt aber sowohl in der Begründung des Regierungsentwurfs als auch im Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages zum Ausdruck, dass die mit der Novelle neu geschaffenen
Normen den Weg für eine darüber hinausgehende Rechtsfortbildung nicht allgemein
verstellen sollten.573 So sieht der Regierungsentwurf zwar von der Einführung einer
Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung insbesondere deshalb ab, weil er
deren Voraussetzungen für zu unbestimmt hält. Die Begründung macht aber deutlich, dass eine weitergehende Verstärkung des Gläubigerschutzes grundsätzlich für
durchaus erwägenswert gehalten wurde.574 Im Bericht des Rechtsausschusses
schließlich wird im Zusammenhang mit der Regelung der §§ 32 a, 32 b GmbHG
betont, diese müsse so ausgestaltet werden, dass sie nicht als abschließend verstanden werde, sondern den Weg der Analogie oder einer sonstigen Weiterbildung offen
lasse.575 All das zeigt, dass der Gesetzgeber die rechtsfortbildende Erweiterung des
Gläubigerschutzes um eine im Gesetz selbst angelegte Gesellschafterhaftung mit der
Reform von 1980 nicht ausschließen wollte. Die erforderliche Lücke ist also weiterhin vorhanden.
der Haftungsbeschränkung gegründet wird. So hatten nach einer von Kornblum, GmbHR
1997, 630, 634 am Leonberger Handelsregister durchgeführten rechtstatsächlichen Untersuchung im Jahr 1996 rund 40% aller GmbHs nur einen und weitere rund 40 % nur zwei
Gesellschafter. In den Zweipersonengesellschaften werden die Gesellschafter dabei oftmals verwandtschaftlich oder auf sonstige Weise persönlich verbundenen sein. Bei dieser
Lage ist der vom Gesetzgeber angenommene Gleichlauf der Interessen von GmbH und
Gesellschaftern in vielen Fällen also gerade nicht gewährleistet.
572 Die Verbesserung des Gläubigerschutzes war ein wesentliches Anliegen der Reform, vgl.
etwa den Bericht des Rechtsausschusses zur GmbH-Novelle, BT-Drucksache 8/ 3908, S.
66.
573 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 8/ 1347, S. 38 ff; Bericht des
Rechtsausschusses, BT-Drucksache 8/ 3908, S. 66 ff; hierauf verweist zu Recht auch Falkenstein, Grenzen für die Entnahmerechte der GmbH-Gesellschafter (1992), S. 188.
574 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 8/ 1347, S. 38.
575 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 8/ 3908, S. 67.
134
5. Keine Schließung der Gesetzeslücke durch das MoMiG576
Auch durch das am 26.06.2008 vom Bundestag beschlossene MoMiG wird diese
Gesetzeslücke nicht geschlossen werden, wenn es - voraussichtlich im Oktober/
November 2008 - entsprechend dem vom Bundestag beschlossenen Regierungsentwurf in Kraft treten sollte. In der Begründung des Regierungsentwurfes wird nämlich ausdrücklich klargestellt, dass das MoMiG keine abschließende Regelung der
Existenzvernichtungshaftung beabsichtigt und demgemäß der weiteren Rechtsfortbildung nicht vorgreift.577 Diese Klarstellung spricht vielmehr sogar dafür, dass der
Gesetzgeber selbst578 von einer Lückenhaftigkeit des GmbHG im Hinblick auf die
Behandlung existenzvernichtender Eingriffe ausgeht.
D. Ergebnis 3. Kapitel
Die Entwicklung eines Existenzvernichtungsverbots aus der Wertung der Liquidationsvorschriften der §§ 65 ff GmbHG im Wege der Rechtsfortbildung ist methodologisch zulässig. Weder die Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG noch
das Anfechtungsrecht stellen eine abschließende Regelung dar, die der Entwicklung
einer im Gesetz selbst angelegten Haftung für existenzvernichtende Eingriffe entgegen stünden. Dogmatisch zu verorten ist dieses Verbot der Liquidation auf kaltem
Wege in der mitgliedschaftlichen Sonderverbindung zwischen GmbH und Gesellschafter (siehe dazu das 2. Kapitel).
576 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen.
577 Begründung des Regierungsentwurf v. 23.05.2007, BT-Drucksache 16/ 6140, S. 106
578 Zur Frage, inwieweit der sich aus den Gesetzesmaterialien ergebende Wille als der Wille
des Gesetzgebers angesehen werden kann, bereits oben Fußnote 558.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Seit dem „Bremer Vulkan“-Urteil des BGH vom 17.09.2001 ist die Frage nach einer Gesellschafterhaftung für existenzvernichtende Eingriffe eines der meist diskutierten Probleme im GmbH-Recht. Während in den Stellungnahmen zu diesem Problemkreis zumeist ohne weiteres davon ausgegangen wird, dass das gesetzliche Schutzinstrumentarium zur Bewältigung der Folgen existenzvernichtender Eingriffe nicht ausreichend sei, setzt sich der Autor ausführlich mit diesen Instrumenten, insbesondere den Möglichkeiten des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts, auseinander; er untersucht eingehend, ob die für die rechtsfortbildende Entwicklung einer solchen Haftung erforderliche planwidrige Gesetzeslücke vorliegt. Im Ergebnis hält er – ebenso wie die Rechtsprechung und die meisten Literaturstimmen – die Etablierung einer Existenzvernichtungshaftung für methodologisch zulässig und rechtspolitisch sinnvoll. Anders als der BGH, der die Existenzvernichtungshaftung zunächst als Durchgriffshaftung und später als besondere Fallgruppe des § 826 BGB eingeordnet hat, sieht der Verfasser die dogmatische Grundlage der Haftung aber in der mitgliedschaftlichen Sonderverbindung des Gesellschafters zur GmbH.