96
ter eines fremden Vermögens“, sondern als oberstes Willensbildungsorgan der Gesellschaft diejenigen, die im Rahmen ihrer Kompetenzen über das Gesellschaftsvermögen frei verfügen dürfen.408
Für die Frage, inwieweit diese Dispositionsbefugnis der Gesellschafter einzuschränken ist, lässt sich aus der Zuordnung des Gesellschaftsvermögens zur GmbH
nichts herleiten. Denn die Problematik resultiert ja gerade erst aus dieser Zuordnung.
Die Schwierigkeiten, die sich für Wilhelm ergeben, wenn er aus der Fremdheit bestimmte Pflichten herleiten will, werden etwa in dem Satz offenbar, das Vermögen
der Gesellschaft sei für die Gesellschafter „im Rahmen der §§ 30 ff GmbHG und der
Vorschriften über eine geordnete Liquidation fremdes Vermögen“.409 Das Gesellschaftsvermögen ist aber sowohl oberhalb als auch unterhalb der Stammkapitalziffer
fremdes, das heißt, der Gesellschaft zugeordnetes Vermögen. Der maßgebliche Unterschied besteht darin, dass das Vermögen unterhalb der Stammkapitalziffer im
Gegensatz zum übrigen Vermögen der Disposition der Gesellschafter entzogen ist.
Es geht damit bei der Frage, ob es für die Gesellschafter eine Pflicht zur Wahrung
der Existenz der Gesellschaft gibt, um die Bestimmung der Grenzen der Dispositionsbefugnis der Gesellschafter über das Gesellschaftervermögen. Erkennt man das,
gibt es auch kein eigenständiges Verzichtsproblem mehr. Wenn nämlich ein existenzvernichtender Eingriff in das Gesellschaftsvermögen außerhalb der Kompetenz
der Gesellschafter liegt und deshalb eine Verletzung der Sonderbeziehung zur Gesellschaft darstellt, liegt auch ein Verzicht auf diese Haftung außerhalb ihrer
Kompetenz. Die Haftung ist dann, ohne dass es noch eines besonderen Kunstgriffs
bedarf, unverzichtbar.
IV. Zwischenergebnis
Die Organhaftungslehre Wilhelms und die daran anknüpfende Lehre Altmeppens
sind abzulehnen. Ein GmbH-Gesellschafter ist nicht, wie ein Geschäftsführer oder
ein Aufsichtsrat, ein für jede Sorgfaltsverletzung haftendes Gesellschaftsorgan. Die
Pflichtenbindungen der Gesellschafter ergeben sich vielmehr allein aus ihrer
mitgliedschaftlichen Stellung. Zu untersuchen ist daher, ob sich die Pflicht, existenzvernichtende Eingriffe zu unterlassen, als mitgliedschaftliche Pflicht begründen
lässt.
408 Vonnemann, BB 1990, 217, 218; Drygala, Der Gläubigerschutz bei der typischen Betriebsaufspaltung (1991), S. 109; ausführlich dazu etwa Falkenstein, Die Grenzen für die
Entnahmerechte der GmbH-Gesellschafter (1992) S. 6 ff, 64 ff, 123 ff.
409 Wilhelm, NJW 2003, 175, 179.
97
D. Mitgliedschaftsverhältnis
Aus der Mitgliedschaft ergeben sich für die Gesellschafter Rechte und Pflichten
gegenüber der Gesellschaft. Diese Pflichten haben ihre Grundlage zum Teil in der
Satzung, zum Teil unmittelbar im Gesetz. Unter Mitgliedschaft wird dabei zum
einen die Rechtsposition des Gesellschafters im Verband verstanden.410 Daneben
wird gewöhnlich auch die Gesamtheit der Rechtsbeziehungen zwischen Verband
und Mitglied - also das Rechtsverhältnis - als Mitgliedschaft bezeichnet.411 Zur
Kennzeichnung dieses Rechts-verhältnisses wird hier der Begriff Mitgliedschaftsverhältnis verwendet.412 In Rechtsprechung und Schrifttum zum GmbH-Recht wird
mit dem Begriff des Mitgliedschaftsverhältnisses selbst wenig gearbeitet.413 Überwiegend wird die Treuepflicht als Grundlage bestimmter Bindungen und Pflichten
der Gesellschafter herangezogen, wobei die Treuepflicht dabei teilweise auch als
Umschreibung des Mitgliedschaftsverhältnisses verstanden wird.414 K. Schmidt 415
hingegen will aus dem Mitgliedschaftsverhältnis selbst eine verhaltensbezogene
Verschuldenshaftung der GmbH-Gesellschafter herleiten.
I. Mitgliedschaftsverhältnis als Sonderrechtsbeziehung
Anknüpfend an die Regeln des Allgemeinen Schuldrechts beschreibt K. Schmidt
sein Haftungskonzept als eine Haftung des Gesellschafters aus positiver Forderungsverletzung wegen Verletzung der ihm gegenüber der Gesellschaft obliegenden
Schutzpflichten.416 Aus jeder Sonderrechtsbeziehung folgten Nebenpflichten, deren
schuldhafte Verletzung durch den Gesellschafter eine Schadensersatzpflicht gegen-
über der Gesellschaft zur Folge habe.417 Daraus ergebe sich allerdings keine umfas-
410 Lutter, AcP 180 (1980), 84, 99 ff; Helms, Schadensersatzansprüche wegen Beeinträchtigung der Vereinsmitgliedschaft (1998), S. 4.
411 Lutter, AcP 180 (1980), 84, 97 ff; Roth/ Altmeppen- Altmeppen, GmbHG 4. A. (2003), §
14 Rn. 13; Edenfeld, Die Rechtsbeziehungen des bürgerlich-rechtlichen Vereins zu Nichtmitgliedern (1996), S. 41; Heinsheimer, Mitgliedschaft und Ausschließung in der Praxis
des Reichsgerichts (1913), S. 18 ff; ausführlich Flume, Die Juristische Person (1983), S.
258 ff.
412 Diese Terminologie verwenden etwa auch Helms, Schadensersatzansprüche wegen Beeinträchtigung der Vereinsmitgliedschaft (1998), S. 5 ff; Heinsheimer, Mitgliedschaft und
Ausschließung in der Praxis des Reichsgerichts (1913), S. 19 ff; ähnlich K. Schmidt, Gesellschaftsrecht 4. A. (2002), § 19 III 1, S. 552 ff „mitgliedschaftliches (Sonder-) Rechtsverhältnis“.
413 Siehe aber zum Vereinsrecht K. Schmidt, JZ 1991, 157, 157 ff; ausführlich Helms, Schadensersatzansprüche wegen Beeinträchtigung der Vereinsmitgliedschaft (1998), S. 18 ff.
414 So etwa Winter, ZGR 1994, 570, 581.
415 Insbes. ZIP 1986, 146, 148 f und ZIP 1988, 1497, 1505 ff.
416 K. Schmidt, ZIP 1988, 1497, 1505.
417 K. Schmidt, ZIP 1988, 1497, 1505.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Seit dem „Bremer Vulkan“-Urteil des BGH vom 17.09.2001 ist die Frage nach einer Gesellschafterhaftung für existenzvernichtende Eingriffe eines der meist diskutierten Probleme im GmbH-Recht. Während in den Stellungnahmen zu diesem Problemkreis zumeist ohne weiteres davon ausgegangen wird, dass das gesetzliche Schutzinstrumentarium zur Bewältigung der Folgen existenzvernichtender Eingriffe nicht ausreichend sei, setzt sich der Autor ausführlich mit diesen Instrumenten, insbesondere den Möglichkeiten des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts, auseinander; er untersucht eingehend, ob die für die rechtsfortbildende Entwicklung einer solchen Haftung erforderliche planwidrige Gesetzeslücke vorliegt. Im Ergebnis hält er – ebenso wie die Rechtsprechung und die meisten Literaturstimmen – die Etablierung einer Existenzvernichtungshaftung für methodologisch zulässig und rechtspolitisch sinnvoll. Anders als der BGH, der die Existenzvernichtungshaftung zunächst als Durchgriffshaftung und später als besondere Fallgruppe des § 826 BGB eingeordnet hat, sieht der Verfasser die dogmatische Grundlage der Haftung aber in der mitgliedschaftlichen Sonderverbindung des Gesellschafters zur GmbH.