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die Möglichkeit der Sanierung ohne Not auch dort ausschließen, wo sie nach den
Interessen der Verfahrensbeteiligten die beste Lösung wäre.631
Die Existenzvernichtungshaftung wird schließlich auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Gesellschaft schon vor dem Eingriff überschuldet und damit
materiell insolvent war. Neben der Insolvenzverursachung kann nämlich auch die
Insolvenzvertiefung haftungsauslösend sein.632 Auch hier greift die Existenzvernichtungshaftung ein, sobald bereits ein vergeblicher Vollstreckungsversuch bei der
GmbH unternommen wurde oder das Insolvenzverfahren eröffnet bzw. die Eröffnung mangels Masse abgelehnt wurde.
F. Kausalität und Beweislast
Der existenzvernichtende Eingriff muss die Insolvenz der Gesellschaft verursacht
haben, bzw. die bereits eingetretene materielle Insolvenz der Gesellschaft vertieft
haben. Mitursächlichkeit reicht dabei aus. Der existenzvernichtende Eingriff muss
also nicht die alleinige Ursache für die Insolvenz bzw. für die Insolvenzvertiefung
gewesen sein. Dabei kann auch ein längerer Zeitraum zwischen Eingriff und Insolvenzeintritt liegen, solange nur die (Mit-) Ursächlichkeit des Eingriffs belegt ist. Der
Nachweis eines konkreten Zusammenhangs wird allerdings umso schwerer werden,
je mehr Zeit seit dem Eingriff des Gesellschafters vergangen ist. Insbesondere auf
die Gesellschaft einwirkende externe Einflüsse - wie vor allem die Entwicklung der
Konjunktur - gewinnen im Lauf der Zeit mehr und mehr an Gewicht. Vor diesem
Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Gesellschaft hinsichtlich der Darlegungsund Beweislast Erleichterungen zu gewähren sind. Ein Teil der Literatur will hier
die Darlegungs- und Beweislastregel aus dem „TBB“-Urteil633 auf die Existenzvernichtungshaftung übertragen.634 Andere sehen die Übertragung der „TBB“-Regel
immerhin dann (aber auch nur dann) als gerechtfertigt an, wenn es sich bei der
GmbH um eine abhängige GmbH handelt.635
Die „TBB“-Regel begründet ausdrücklich keine vollständige Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, sondern gewährt lediglich Erleichterungen hinsichtlich der
631 Zu den Möglichkeiten des Insolvenzplans, der grundsätzlich allen privatautonomen Regelungen offen steht und damit nicht nur der Sanierung, sondern auch der Erleichterung und
Verbesserung der Liquidation dienen kann eingehend Häsemeyer, Insolvenzrecht 3. A.
(2003), Kap. 28, S. 686 ff.
632 Lutter/ Hommelhoff- Lutter/ Hommelhoff, GmbHG 16. A. (2004), § 13 Rn. 18; Lutter/
Banerjea, ZGR 2003, 402, 418; Görner/ Kling, GmbHR 2004, 778, 780.
633 BGH Urt. v. 29. 3. 1992 - II ZR 265/91 - BGHZ 122, 123, 123 ff.
634 Lutter/ Banerjea, ZGR 2003, 402, 417; Keßler, GmbHR 2002, 945, 950 f.
635 Drygala, GmbHR 2003, 729, 737 f.
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Substantiierungslast.636 Übertragen auf die Existenzvernichtungshaftung würde
danach gelten, dass dann, wenn der Kläger die Wahrscheinlichkeit existenzvernichtender Eingriffe der Gesellschafter in schlüssiger Weise nahe legt, die Gesellschafter
substantiiert darzulegen hätten, dass der Zusammenbruch der Gesellschaft nicht auf
ihre Eingriffe zurückzuführen ist. Die Übertragung der „TBB“-Regel hätte damit
weniger auf den Nachweis der Kausalität Auswirkungen, als vielmehr schon auf den
Nachweis der existenzgefährdenden Maßnahme selbst.637 Begründet werden diese
Substantiierungserleichterungen damit, dass der Kläger regelmäßig keinen Einblick
in die Interna der Gesellschaft und der Gesellschafter habe.638
Schon diese Begründung macht deutlich, dass Substantiierungserleichterungen
richtigerweise nur dann in Betracht kommen, wenn der Anspruch außerhalb eines
Insolvenzverfahrens geltend gemacht wird.639 Denn im Insolvenzverfahren hat der
Insolvenzverwalter die Bücher und Geschäftsunterlagen der insolventen GmbH in
Besitz und verfügt damit über alle tatsächlichen Informationen, die er zur Durchsetzung des Haftungsanspruchs benötigt. Für Beweiserleichterungen besteht in diesem
Fall kein Anlass.
Was nun die Geltendmachung des Anspruchs außerhalb eines Insolvenzverfahrens durch einen Gesellschaftsgläubiger angeht,640 sind Erleichterungen der Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf den Kausalitätsnachweis nicht angezeigt. Als
rechtfertigender Grund für solche Beweiserleichterungen käme hier allein die besondere Beweisnähe der Gesellschafter in Betracht. Steht aber fest, dass ein Gesellschafter einen existenzgefährdenden Eingriff vorgenommen hat, so sind die zur
Beantwortung der Kausalitätsfrage notwendigen Tatsachen bekannt.641 Lässt sich
dann nicht feststellen, dass der Eingriff ursächlich für den Zusammenbruch der Gesellschaft war, beruht das nicht darauf, dass der Kläger keinen Einblick in die Interna von Gesellschaft und Gesellschafter hat. Diese Zweifel müssen dann nach den
allgemeinen Beweisregeln zu Lasten des klagenden Gesellschaftsgläubigers gehen.
Anders stellt sich die Lage für den Nachweis des existenzvernichtenden Eingriffs
selbst dar. Diesbezüglich wird es dem klagenden Gesellschaftsgläubiger in der Tat
typischerweise schwer fallen, die maßgeblichen Tatsachen substantiiert darzulegen,
636 BGH Urt. v. 29. 3. 1992 - II ZR 265/91 - BGHZ 122, 123, 132 f; siehe dazu auch Kleindiek, GmbHR 1992, 574, 580 f.
637 Vetter, ZIP 2003, 601, 611.
638 BGH Urt. v. 29. 3. 1992 - II ZR 265/91 - BGHZ 122, 123, 132 f; Lutter/ Banerjea, ZGR
2003, 402, 417.
639 Zutreffend Drygala, GmbH 2003, 729, 737 in Fußnote 106; für die Haftung im qualifiziert
faktischen Konzern zuvor auch schon Kleindiek, GmbHR 1992, 574, 580.
640 Mittels Pfändung des Anspruchs der Gesellschaft (zur Frage eines daneben bestehenden
eigenen Verfolgungsrechts der Gesellschaftsgläubiger bei masseloser Insolvenz der Gesellschaft unten 5. Kapitel B).
641 So auch Wahl, GmbHR 2004, 994, 999.
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während der Gesellschafter die Tatsachen regelmäßig kennt und ihm die Darlegung
auch zumutbar ist.642 Um diese Beweisschwierigkeiten zu kompensieren, gewährt
die Rechtsprechung nicht nur im „TBB-Urteil“ sondern allgemein Erleichterungen
nach den Grundsätzen der „sekundären Behauptungslast“.643 Dem Gegner der (primär) behauptungs- und beweisbelasteten Partei wird allgemein eine gewisse „sekundäre Behauptungslast“ auferlegt, wenn die beweisbelastete Partei von den entscheidenden Tatsachen keine Kenntnis hat und sich diese auch nicht verschaffen
kann, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind.644
Trägt der klagende Gesellschaftsgläubiger Indizien für einen existenzvernichtenden
Eingriff vor, dann obliegt es dem Gesellschafter substantiiert darzulegen, dass kein
existenzvernichtender Eingriff vorlag. Genügt der Gesellschafter diesen Anforderungen der „sekundären Behauptungslast“ nicht, führt das zur Geständnisfiktion des
§ 138 Abs. 3 ZPO.645 Das bedeutet aber wohlgemerkt keine Beweislastumkehr.646
Die Beweislast liegt vielmehr weiterhin beim Kläger, der damit auch das Risiko der
Nichtbeweisbarkeit trägt.647 Hingewiesen sei schließlich noch einmal darauf, dass es
sich bei diesen - auch im „TBB“-Urteil gewährten - Beweiserleichterungen nicht um
eine spezielle, gerade für den Nachweis existenzvernichtender Eingriffe entwickelte
Konstruktion handelt, sondern um die Anwendung allgemeiner prozessualer Regeln.
G. Existenzvernichtungshaftung als ausschließliches Abzugsverbot
In der Literatur finden sich zahlreiche Stimmen, nach denen die Anerkennung einer
Haftung wegen Existenzvernichtung konsequenterweise auch die Anerkennung
einer Haftung wegen (qualifizierter) materieller Unterkapitalisierung nach sich
ziehen müsse.648 Der Fall des Ressourcenabzugs dürfe nicht anders behandelt werden als der Fall der Ressourcenverwehrung.649 Wenn die GmbH-Gesellschafter dem
Haftungsträger nicht die Möglichkeit nehmen dürften, seine Verbindlichkeiten zu
642 Wahl, GmbHR 2004, 994, 999.
643 Ständige Rechtsprechung, siehe etwa BGH Urt. v. 1. 12. 1982 - VIII ZR 279/81 - BGHZ
86, 23, 29; BGH Urt. v. 25. 10. 1089 - VIII ZR 105/88 - BGHZ 109, 139, 149.
644 BGH Urt. v. 8. 5. 1990 - VI ZR 321/89 - NJW 1990, 3151, 3151 f; BGH Urt. v. 1. 12.
1982 - VIII ZR 279/81 - BGHZ 86, 23, 29.
645 BGH Urt. v. 29. 3. 1992 - II ZR 265/91 - BGHZ 122, 123, 133 („TBB“).
646 BGH Urt. v. 25. 10. 1089 - VIII ZR 105/88 - BGHZ 109, 139, 149; Wahl, GmbHR 2004,
994, 998; Kleindiek, GmbHR 1992, 574, 581.
647 Auch nach dem Haftungskonzept des BGH in der „Trihotel“- Entscheidung gilt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast der in § 826 BGB verankerten Haftung, dass grundsätzlich die Gesellschaft als Gläubigerin die Darlegungs- und Beweislast für alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB trägt, BGH, Urt. v. 16.07.2007
II ZR 3/04 - NJW 2007, 2689, 2693, Rz. 41.
648 Lutter/ Banerjea, ZGR 2003, 402, 418 ff; Wiedemann, ZGR 2003, 283, 295 f; Bitter, WM
2001, 2133, 2139; etwas vorsichtiger Henze, NZG 2003, 649, 659.
649 Lutter/ Banerjea, ZGR 2003, 402, 420; Wiedemann, ZGR 2003, 283, 295 f.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Seit dem „Bremer Vulkan“-Urteil des BGH vom 17.09.2001 ist die Frage nach einer Gesellschafterhaftung für existenzvernichtende Eingriffe eines der meist diskutierten Probleme im GmbH-Recht. Während in den Stellungnahmen zu diesem Problemkreis zumeist ohne weiteres davon ausgegangen wird, dass das gesetzliche Schutzinstrumentarium zur Bewältigung der Folgen existenzvernichtender Eingriffe nicht ausreichend sei, setzt sich der Autor ausführlich mit diesen Instrumenten, insbesondere den Möglichkeiten des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts, auseinander; er untersucht eingehend, ob die für die rechtsfortbildende Entwicklung einer solchen Haftung erforderliche planwidrige Gesetzeslücke vorliegt. Im Ergebnis hält er – ebenso wie die Rechtsprechung und die meisten Literaturstimmen – die Etablierung einer Existenzvernichtungshaftung für methodologisch zulässig und rechtspolitisch sinnvoll. Anders als der BGH, der die Existenzvernichtungshaftung zunächst als Durchgriffshaftung und später als besondere Fallgruppe des § 826 BGB eingeordnet hat, sieht der Verfasser die dogmatische Grundlage der Haftung aber in der mitgliedschaftlichen Sonderverbindung des Gesellschafters zur GmbH.