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Existenzwahrung unmittelbar gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft, zu denen
der Gesellschafter in keiner rechtlichen Beziehung steht, nicht begründbar. Ein anderes Ergebnis ist auch nicht durch die Anwendung von § 242 BGB erreichbar.348 Es
ist schon äußerst zweifelhaft, ob § 242 BGB außerhalb einer bestehenden Sonderverbindung eine unmittelbar anspruchsbegründende Funktion übernehmen kann.349
Augenscheinlich wäre es jedenfalls unangebracht, einerseits das Bestehen einer
Sonderverbindung der Gesellschafter zur Gesellschaft zu ignorieren und auf der
anderen Seite einen Anspruch der Gläubiger gegen die Gesellschafter auf dogmatisch zweifelhaftem Weg begründen zu wollen.
VI. Zwischenergebnis
Damit steht fest, dass sich mit keiner der Durchgriffsmethoden eine Haftung der
Gesellschafter für existenzvernichtende Eingriffe begründen lässt.350 Der BGH ist
von seinem im „KBV“-Urteil entwickelten Durchgriffsmodell also zu Recht abgerückt. Wenn sich eine Existenzvernichtungshaftung etablieren lässt, dann nur als
eine Haftung, die berücksichtigt, dass der Haftungsverfassung des GmbHG das
Prinzip des mittelbaren Gläubigerschutzes, also das Prinzip der Haftungskanalisierung zu Gunsten des GmbH-Vermögens entspricht. Daher gilt es im Folgenden,
diejenigen Lösungsansätze zu untersuchen, die für existenzvernichtende Eingriffe
eine Innenhaftung, also eine Haftung der Gesellschafter gegenüber der GmbH, etablieren wollen.
348 Das wird immerhin erwogen von Drax, Durchgriffs- und Konzernhaftung der GmbH-
Gesellschafter (1992), S. 17 f; Benne, Haftungsdurchgriff bei der GmbH (1978), S. 29 ff,
die aber selbst die Zweifelhaftigkeit dieses Weges erkennen.
349 Ablehnend etwa BGH Urt. v. 25. 9. 1985 - IVa ZR 22/84 - BGHZ 95, 393, 399; auch
BGH Urt. v. 21. 10. 1983 - V ZR 66/82 - BGHZ 88, 344, 351.
350 Generell für die Lösung von Durchgriffsproblemen ohne eine der Durchgriffsmethoden
Ehricke, AcP 199 (1999), 257, 257 ff insbes. 303; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht 4. A.
(2002), § 9 IV, S. 234; Michalski, GmbHG (2002), § 13 Rn. 336 ff, wohl auch Nissing,
Eigeninteresse der Gesellschaft oder Liquidation auf kaltem Wege? (1993), S. 82 f; Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person (1981), insbes. S.285 ff; gegen
den Durchgriff als Außenhaftung Stimpel, FS Goerdeler (1987), S. 601, 613 ff; speziell
zum Problem der Existenzvernichtung auch Burgard, ZIP 2002, 827, 830.
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B. Das Haftungskonzept der „Trihotel“-Entscheidung
Mit der „Trihotel“-Entscheidung351 hat sich der BGH von seinem bisherigen Durchgriffsmodell verabschiedet und sich gerade wegen des im GmbH-Recht geltenden
Prinzips der Haftungskanalisierung für eine Innenhaftung der Gesellschafter gegen-
über der Gesellschaft entschieden. Diese Innenhaftung für existenzvernichtende
Eingriffe ordnet er nunmehr als eine besondere Fallgruppe der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung in § 826 BGB ein. Dabei knüpft er die Existenzvernichtungshaftung nicht mehr - wie noch in der „KBV“-Entscheidung352 - an den „Missbrauch
der Rechtsform der GmbH“, sondern an die „missbräuchliche Schädigung des im
Gläubigerinteresse gebundenen Gesellschaftsvermögens“. Aufgegeben hat der BGH
auch die für das Durchgriffskonzept angenommene Subsidiarität der Existenzvernichtungshaftung gegenüber Erstattungsansprüchen aus §§ 30, 31 GmbHG. Nach
der „Trihotel“- Entscheidung besteht zwischen den Ansprüchen aus §§ 30, 31
GmbHG und der Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs vielmehr - soweit
sie sich überschneiden- eine freie Anspruchsgrundlagenkonkurrenz. Charakterisiert
wird der existenzvernichtende Eingriff dabei als insolvenzverursachender, planmä-
ßiger Entzug von Gesellschaftsvermögen.
I. Konzept einer Innenhaftung
Die Verankerung einer reinen Innenhaftung in § 826 BGB ist insofern bemerkenswert, als bislang - auch vom BGH selbst353 - angenommen wurde, dass die Haftung
wegen gläubigerschädigenden Gesellschafterverhaltens aus § 826 BGB auch und
gerade für den Fall des existenzvernichtenden Eingriffs eine Einstandspflicht der
GmbH-Gesellschafter (zumindest auch) unmittelbar gegenüber den Gesellschaftsgläubigern begründet.354 Die nunmehrige Ablehnung einer Außenhaftung begründet
er dabei ausdrücklich damit, dass ein Direktanspruch der Gesellschaftsgläubiger im
Widerspruch zu dem in den Kapitalerhaltungsvorschriften verwirklichten Grundsatz
stehe, dass der Gläubigerschutz durch die Gesellschaft mediatisiert bzw. die gläubigerschützende Haftung zugunsten der Gesellschaft kanalisiert werde.355 Nur eine
Ausgestaltung als Innenhaftung sei im Hinblick auf das gesetzliche „Basisschutzkonzept“ der §§ 30, 31 GmbHG systemkonform. Die Haftung aus § 826 BGB sei
Ausgleich für den Eingriff in das Gesellschaftsvermögen und daher sei es selbstverständlich, dass Anspruchsinhaberin die GmbH als unmittelbar Geschädigte sei und
351 BGH, Urt. v. 16.07.2007 II ZR 3/04 - NJW 2007, 2689, 2689 ff.
352 BGH Urt. v. 24. 6. 2002 - II ZR 300/00 - BGHZ 151, 181, 181 ff.
353 BGH Urt. v. 24. 6. 2002 - II ZR 300/00 - BGHZ 151, 181, 181 ff („KBV“); BGH Urt. v.
20. 9. 2004 - II ZR 302/02 - NJW 2005, 145, 145 ff („Klinik“).
354 Altmeppen, ZIP 2002, 1553, 1563; Ulmer JZ 2002, 1049, 1052; Wilhelmi, DZWIR 2003,
45, 50 f; Kleindiek, ZGR 2007, 276, 301 f.
355 BGH, Urt. v. 16.07.2007 II ZR 3/04 - NJW 2007, 2689, 2692 f., Rn. 33.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Seit dem „Bremer Vulkan“-Urteil des BGH vom 17.09.2001 ist die Frage nach einer Gesellschafterhaftung für existenzvernichtende Eingriffe eines der meist diskutierten Probleme im GmbH-Recht. Während in den Stellungnahmen zu diesem Problemkreis zumeist ohne weiteres davon ausgegangen wird, dass das gesetzliche Schutzinstrumentarium zur Bewältigung der Folgen existenzvernichtender Eingriffe nicht ausreichend sei, setzt sich der Autor ausführlich mit diesen Instrumenten, insbesondere den Möglichkeiten des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts, auseinander; er untersucht eingehend, ob die für die rechtsfortbildende Entwicklung einer solchen Haftung erforderliche planwidrige Gesetzeslücke vorliegt. Im Ergebnis hält er – ebenso wie die Rechtsprechung und die meisten Literaturstimmen – die Etablierung einer Existenzvernichtungshaftung für methodologisch zulässig und rechtspolitisch sinnvoll. Anders als der BGH, der die Existenzvernichtungshaftung zunächst als Durchgriffshaftung und später als besondere Fallgruppe des § 826 BGB eingeordnet hat, sieht der Verfasser die dogmatische Grundlage der Haftung aber in der mitgliedschaftlichen Sonderverbindung des Gesellschafters zur GmbH.