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aber keine abschließende Aufzählung aller beeinflussungsgeeigneten - eine beherrschende Einflussnahme gewährenden - Tatbestände.193
Ziel der Arbeit ist, die Einflussgrundlagen, die über die Regelbeispiele des § 6 II
EBRG hinausgehen, zu erfassen und zu typisieren und so einen eigenständigen Anwendungsbereich der Generalklausel § 6 I EBRG zu erarbeiten.194 Dazu soll zunächst der Wortlaut des § 6 I EBRG auf allgemeine Anforderungen zu Gegenstand
und Adressaten der Einflussnahme untersucht werden, umso den Rahmen abzustecken. Da die gesetzlich geregelten Beherrschungsgrundlagen in § 6 II EBRG den
„sicheren“ Anwendungsbereich markieren und ihnen eine Vermutungswirkung im
Hinblick auf das Vorliegen einer beherrschenden Einflussnahme im Sinne des § 6 I
EBRG zukommt, sind sie daraufhin zu analysieren, in welcher Form eine Einflussnahme auf das abhängige Unternehmen erfolgen kann und welche Befugnisse dem
herrschenden Unternehmen eine Beeinflussung der Geschäftspolitik des abhängigen
Unternehmens ermöglichen. Die gesetzlich geregelten Einflussgrundlagen in § 6 II
EBRG stellen somit Mindestanforderungen hinsichtlich Intensität und Wirkungsweise auf, mit denen die unter § 6 I EBRG zu fassenden Beherrschungsgrundlagen
vergleichbar sein müssen. Daran anschließend sollen unter Rückgriff auf die Kasuistik der europäischen Fusionskontrolle verschiedene Unternehmensverbindungen auf
ihre Einbeziehungsfähigkeit in den Gruppenbegriff des § 6 EBRG geprüft werden.
B. Rahmen für die beherrschende Einflussnahme aus dem Wortlaut der Generalklausel § 6 I EBRG/Art. 3 I EBR-Richtlinie
Nach § 6 I EBRG ist ein Unternehmen ein herrschendes Unternehmen, wenn es unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen
(abhängiges Unternehmen) ausüben kann. Die Möglichkeit beherrschender Einflussnahme auf ein anderes Unternehmen ist der Anknüpfungspunkt, wenn es darum
geht, zu bestimmen, welche Unternehmen zu einer Gruppe verbunden sind.
Die zentralen Merkmale der Abhängigkeitsbeziehungen innerhalb einer Unternehmensgruppe sind somit eine beherrschende Einflussnahme, deren Potentialität,
193 Ebenso stellt für die parallele Problematik bei § 111 Satz 1 und 3 BetrVG nach zutreffender, wenn auch nicht unumstrittener Auffassung, § 111 Satz 3 keine abschließende Aufzählung dar, so dass mitbestimmungspflichtige Betriebsänderungen denkbar sind, die nicht unter Satz 3, sondern allein über § 111 Satz 1 erfasst werden. Vgl. hierzu: Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, Betriebsverfassungsgesetz, 23. A. 2006, § 111
Rn. 44 m.w.N.; Oetker in: Kraft/Wiese/Kreutz/Oetker/Raab/Weber/Franzen, Betriebsverfassungsgesetz Gemeinschaftskommentar, 8. A. 2005, § 111 Rn. 35 f. m.w.N.
194 Das BAG hat in seiner Bofrost-Entscheidung erstmals einen Sachverhalt vorgelegt bekommen, bei dem die Bildung der Unternehmensgruppe nicht auf einen in den Regelbeispielen § 6 II EBRG fixierten Beherrschungstatbestand gestützt werden konnte, sondern
unter die Generalklausel des § 6 I EBRG subsumiert wurde; BAG v. 30.03.2004 – 1 ABR
61/01- NZA 2004, S. 863, 868.
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als Adressat der Einflussnahme ein anderes – rechtlich selbständiges – Unternehmen, als deren Gegenstand die Geschäftstätigkeit des anderen Unternehmens.
Diese Merkmale des Abhängigkeitstatbestandes sollen nun untersucht und Strukturmerkmale für die Unternehmensgruppe herausgearbeitet werden. Bevor jedoch
die Wirkungen der mit den Regelbeispielen in § 6 II EBRG gesetzlich vorgegebenen
Beherrschungsmittel analysiert werden, wird zunächst der von der Generalklausel
des § 6 I EBRG vorgegebene Rahmen abgesteckt.
I. Adressat der Einflussnahme
§ 6 I EBRG nennt als Adressaten der Einflussnahme das rechtlich selbständige Unternehmen (abhängiges Unternehmen). Unternehmen wird dabei im Sinne des Unternehmensträgers verstanden, das meint, das zu einer Willensbildung fähige
Rechtssubjekt, welches ein Unternehmen betreibt. Das können natürliche Personen
(Einzelkaufleute) oder Personengesamtheiten natürlicher Personen, die Personengesellschaften, die ein Unternehmen betreiben, sein. Bei juristischen Personen sind es
deren Organe (Vorstand bei der AG, Geschäftsführer bei der GmbH, Vorstand bei
Genossenschaften und Vereinen), die die Willensbildung vornehmen und auf die die
Einflussnahme erfolgen muss. Kennzeichen der beherrschenden Einflussnahme im
Sinne des § 6 I EBRG ist, dass die Einflussnahme auf den Träger der Willensbildung im abhängigen Unternehmen wirken muss. Das auf dem Eigenverantwortlichkeitsprinzip beruhende Interesse des Unternehmensträgers des abhängigen Unternehmens an der Optimierung seiner Geschäftspolitik wird durch die dem herrschenden Unternehmen mögliche Beeinflussung zugunsten fremdbestimmter Interessen
zurückgedrängt.
Der Interessenkonflikt zwischen der Optimierung der Geschäfte des abhängigen
Unternehmens (Interesse des abhängigen Unternehmens) und den fremdbestimmten
Interessen des herrschenden Unternehmens wird nur im Rahmen der Willensbildung
im Hinblick auf die geschäftspolitischen Entscheidungen im Willensbildungsorgan
des abhängigen Unternehmens sichtbar. Daher ist aus der Sicht des abhängigen Unternehmens zu beurteilen,195 ob fremdbestimmte Interessen in die Willenbildung einfließen und das abhängige Unternehmen somit einem beherrschenden Einfluss ausgesetzt ist.
195 BGHZ 62, 193, 196f. (Seitz); BGH NJW 1997, S. 1855, 1856; Windbichler in: Großkommentar zum Aktiengesetz, 4.A. 1999, § 17 Rn. 18.
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II. Gegenstand der Einflussnahme
1. Beständigkeit
Für den aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff wurden die Merkmale der Einflussnahme „beständig“ und „umfassend“ entwickelt.196 Beständig meint hierbei den Gegensatz zu zufällig.197 Die Einflussnahmemöglichkeit im Sinne des § 6 EBRG bedeutet, dass das herrschende Unternehmen eigene Einflussnahmemöglichkeiten aus-
üben kann (unmittelbare Abhängigkeit) oder dass die Mitwirkung Dritter etwa über
Stimmbindungsverträge oder Treuhandabsprachen (mittelbare Abhängigkeit) gesichert ist. Nicht genügen Zufallskoalitionen oder wenn die Mitwirkung Dritter benötigt wird, diese aber nicht gesichert ist.198 Sie muss von gewisser Dauer, aber nicht
kontinuierlich sein.199
2. Umfang der Einflussnahme
Zudem muss die Einflussnahmemöglichkeit umfassender Natur sein.200 Das betrifft
die Frage nach dem Umfang der Einflussnahme. Nach dem sehr strengen Verständnis einiger Kommentatoren201 zum aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff meint
das, sie muss sich auf die gesamte Geschäftstätigkeit und die Grundsätze der Unternehmenspolitik des abhängigen Unternehmens beziehen.202 Folgende Gesichtspunkte sollen dies widerlegen:
(1) Dagegen ist einzuwenden, dass eine Einflussnahme auf die gesamte Geschäftstätigkeit nicht einmal im Rahmen der einheitlichen Leitung in einem Konzern gefordert wird. In streng hierarchisch organisierten Konzernen, wenn das abhängige Unternehmen wie eine Betriebsabteilung geführt wird,203 mag eine allumfassende Einflussnahme gegeben sein. Anders ist es jedoch in dezentralisierten Konzernen. In
diesen beschränken sich Einflussnahme und Leitung auf die Besetzung wichtiger
196 Windbichler in: Großkommentar zum Aktiengesetz, 4.A. 1999, § 17 Rn. 17, Fn. 49.
197 Für den aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff: Hüffer, Aktiengesetz, 7. A. 2006, § 17 Rn.
6.
198 Ebenda. Aus der Rechtssprechung: BGHZ 62, 193, 199 (Seitz); BGHZ 80, 69, 73 (Süssen)
- beide Entscheidungen zum aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff; BGHZ 74, 359
(WAZ) - Entscheidung zum Abhängigkeitsbegriff im Kartellrecht, § 23 I S. 2 GWB a.F.
Die Entscheidungen betreffen alle die sog. gemeinsame Beherrschung durch zwei Muttergesellschaften (Gemeinschaftsunternehmen).
199 Hüffer, Aktiengesetz, 7. A. 2006, § 17 Rn. 7.
200 Ulmer, ZGR 1978, S. 457, 461; so auch Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004, § 17 Rn. 58; Hüffer, Aktiengesetz, 7. A. 2006, § 17 Rn. 6.
201 Ulmer, ZGR 1978, S. 457, 461; Geßler in: Geßler/Hefermehl, Aktiengesetz, § 17 Rn. 13;
Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, Vorb § 311 Rn. 34 f.
202 Ulmer, ZGR 1978, S. 457, 461.
203 Ein schönes Beispiel gibt der Sachverhalt, der der Entscheidung BGH WM 1979, S. 937 =
NJW 1980, S. 231 (Gervais- Danone) zugrunde liegt.
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Führungspositionen in den Konzernunternehmen und Überwachung der Rentabilitätsentwicklung,204 Priorisierung der finanziellen Ressourcen sowie Konzern-
Controlling.205 Unternehmensstrategische Entscheidungen werden weit gehend bei
den Konzernunternehmen belassen.206 Theisen207 bringt hier den Vergleich zwischen
zentraler und dezentraler Konzernfinanzierung: Bei einer zentralen Konzernfinanzierung läuft die Beschaffung und Verteilung der Finanzen über die Planung durch die
Konzernmutter. Bei dezentraler Konzernfinanzierung besteht eine eigenständige Finanzierung der jeweiligen Aktivitäten und Investitionen durch die Konzernunternehmen selbst (eigene profit center). In dezentralisierten Konzernen gibt die Konzernobergesellschaft lediglich Richtlinien für eine Konzernpolitik heraus und belässt
den Untergesellschaften ein erhebliches Maß an selbständigen Entscheidungsspielräumen. Gegen dieses Argument kann wiederum eingewendet werden, dass für den
Abhängigkeitstatbestand eine allumfassende Einflussnahmemöglichkeit zunächst
gegeben sein muss, ob sie in der potentiell gegebenen Breite ausgeübt wird, sei für
den Abhängigkeitsbegriff ohne Belang. Dennoch erscheint zur Bestimmung des Abhängigkeitsbegriffs die Forderung nach einer allumfassenden Einflussnahmemöglichkeit zu weit gehend. Ein Grund, den Umfang der Einflussnahme genauer zu
hinterfragen.
(2) Eine relativierende Betrachtung des Umfanges der Einflussnahmemöglichkeit,
wie sie Geßler,208 Dierdorf 209 und Koppensteiner210 vornehmen, erscheint hier angemessener. Nach Geßler211 genügt für eine konzernbegründende einheitliche Leitung die Wahrnehmung von Leitungsaufgaben (Planung, Organisation, Kontrolle) in
mindestens einem Entscheidungsbereich (Investitions-, Personal-, Absatz-, Finanzpolitik), da ein Unternehmen bereits dann nicht mehr eigenständig geleitet wird,
sondern fremder Leitung untersteht, wenn in einem wesentlichen unternehmerischen
Entscheidungsbereich die Leitungsaufgaben nicht mehr von dem Unternehmen
selbst bestimmt werden können.
(3) Dierdorf 212 lässt eine Einflussnahmemöglichkeit auf einen der wesentlichen Entscheidungsbereiche (Beschaffung, Produktion, Absatz, Finanzierung oder Personalpolitik) ausreichen, da sich eine Einflussnahme auf einen wesentlichen unternehmerischen Teilbereich wegen der Interdependenz der Unternehmensbereiche mittelbar
auch auf die gesamte Geschäftsführung auswirkt.
(4) Koppensteiner213 sieht die These ausschließlich umfassend-genereller Einflussnahme durch Wortlaut und Entstehungsgeschichte nicht belegt und vertritt die An-
204 U. H. Schneider, BB 1981, S. 249, 250.
205 G. Teubner, ZGR 1991, S. 189, 197.
206 U.H. Schneider, BB 1981, S. 249, 258; G. Teubner, ZGR 1991, S. 189, 197.
207 Der Konzern, S. 325.
208 Geßler in: Geßler/Hefermehl, Aktiengesetz, Bd. I, § 18 Rn. 30 ff.
209 S. 88 f.
210 In: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004, § 17 Rn. 26 ff.
211 In: Geßler/Hefermehl, Aktiengesetz, Bd. I, § 18 Rn. 30, 32.
212 S. 89, 91, 78.
213 In: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004, § 17 Rn. 26 f.
82
sicht, dass § 17 II AktG, respektive § 6 II EBRG, lediglich „Höchstanforderungen“
beherrschenden Einflusses214 zum Ausdruck bringen und daher nicht den Schluss
erlauben, dass ein Weniger nicht auch ausreichen könne.215 Er begründet dies mit
der Möglichkeit einer Einschränkung des Weisungsrechtes im Rahmen des Beherrschungsvertrages (§ 308 AktG), die dem beherrschungsvertraglich gebundenen Unternehmen unternehmerische Freiräume einräumen kann.216
(5) Der Vergleich mit den Anforderungen an die einheitliche Leitung innerhalb von
Konzernsachverhalten ist ein Ansatz, dem es nachzugehen lohnt, da Beherrschungsmöglichkeit (Abhängigkeit § 17 AktG und § 6 EBRG) und Leitung (Konzern § 18 AktG) beiderseits Intensität und Gegenstand verschiedener Modalitäten
der Einflussnahme bezeichnen: Potentialität beim Abhängigkeitsbegriff; Aktualität –
ausgeübte Einflussnahme – beim Konzern. Wie von Koppensteiner217 herausgearbeitet, besteht die Möglichkeit, dass das aufgrund eines Beherrschungsvertrages bestehende Weisungsrecht von den Vertragspartnern eingeschränkt wird. Somit kann eine
allumfassende Einflussnahme, die sich auf alle Bereiche der Geschäftspolitik des
abhängigen Unternehmens bezieht, vertraglich beschränkt werden. Gleichwohl liegt
wegen der – unwiderleglichen – Vermutung des § 18 I S. 2 AktG eine Konzernierung vor, für die dann geringere Anforderungen an den Gegenstand der Einflussnahme ausreichten, als zur Begründung eines Abhängigkeitsverhältnisses. Die Vertragspartner des Beherrschungsvertrages können demnach per Vereinbarung die Einflussnahme auf bestimmte unternehmerische Entscheidungsbereiche beschränken.
(6) Es gibt aber auch Fälle, in denen wesentliche Betriebsteile aus einem Unternehmen ausgegliedert und auf eine neu zu gründende Tochtergesellschaft übertragen
werden,218 vgl. § 123 III Nr. 2 UmwG. Die Tochtergesellschaft wird dann als abhängige Gesellschaft gegründet. Dafür wird häufig die Rechtsform der GmbH verwendet wegen ihrer weit gehenden statuarischen Gestaltungsfreiheit. Dabei ist es denkbar, dass im Gesellschaftsvertrag die Leitung bzw. Einflussnahme auf bestimmte
Bereiche der Geschäftsführung, etwa die Finanzausstattung oder die Personalpolitik,
beschränkt wird.219 Dann läge ein Fall vor, in dem trotz Mehrheitsbeteiligung die
Einflussnahme nicht „allumfassend“ wäre. Die Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung gelänge nur mit dem Nachweis, dass eine beherrschende Einflussnahme
214 Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004, § 17 Rn. 23.
215 Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004, § 17 Rn. 26 ff.
216 Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004, § 17 Rn. 27.
217 In: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004, § 17 Rn. 27.
218 Ein Beispiel bietet die Holzmüller-Entscheidung des BGH: BGHZ 83, 122. Vielfach werden auch einzelne Unternehmensbereiche wie Forschung und Entwicklung oder Vertrieb
ausgegliedert und auf eine (gemeinsame) Tochter (Joint Venture; Gemeinschaftsunternehmen) übertragen.
219 Die Möglichkeit beherrschenden Einfluss aufgrund einer Satzungsbestimmung auszuüben,
wird vom Gesetz z.B. in § 290 II Nr. 3 2. Alt. HGB anerkannt. Vgl. dazu WP-Handbuch,
1996, Bd. I Anhang M 45. Praktische Beispiele geben hier einige Absatznetzwerke, bei denen mehrere Vertriebsgesellschaften unter einheitlicher Leitung der Mutter stehen, die sich
auf einzelne unternehmerische Entscheidungsbereiche, wie die Finanzpolitik, beschränken.
83
rechtlich überhaupt nicht möglich sei.220 221 Über die Vermutung des § 18 I S. 3
AktG wäre auch hier das Vorliegen eines Konzerns anzunehmen.
(7) Die Widerlegung der Vermutung erscheint auch wenig aussichtsreich, da die
Rechtsprechung mit Rücksicht auf die sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen
von Konzernen inzwischen von einem weiten Konzernbegriff ausgeht.222 Danach
reicht eine planmäßige Koordinierung der zusammengefassten Unternehmen in einzelnen Unternehmensbereichen wie Finanzierung, Organisation oder Kontrolle zur
Annahme eines Konzerns aus.223 Der weite Konzernbegriff wird nunmehr auch von
einer Mehrheit im Schrifttum vertreten. Dabei wird die Ausübung einheitlicher Leitung in Form von Planung, Organisation, Kontrolle in einem der wesentlichen unternehmerischen Entscheidungsbereiche (Beschaffung, Produktion, Absatz, Finanzierung und Personalpolitik) als ausreichend angesehen.224 225
(8) Im Recht der Unternehmensmitbestimmung ist die nicht unumstrittene Figur des
Konzern im Konzern entwickelt worden.226 Dabei wird von dezentral gegliederten
Konzernen ausgegangen, die unterhalb der Konzernspitze, die lediglich die Leitlinien der Politik bestimmt, weitere Entscheidungszentren auf einer niedrigeren Konzernebene aufweisen, die jeweils für Teile des Konzerns im Rahmen der von der
Konzernspitze erlassenen Richtlinien mit einem erheblichen Maß an Selbständigkeit
einheitliche Leitungsmacht ausüben.227 Diese Rechtsfigur wird erst dadurch ermöglicht, dass die Konzernobergesellschaft eben nicht allumfassend, detailliert ausgeplant ihre Leitungstätigkeit ausübt. Es kommt hierbei auf das Maß an, welches, aus
der Sicht der Unterkonzernspitze, die Obergesellschaft ihr belässt228 oder, aus der
220 Hüffer, Aktiengesetz, 7. A. 2006, § 17 Rn. 19
221 Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 3. A. 2001, § 51 Rn. 35 zu den praktischen
Schwierigkeiten der Widerlegung der Vermutung.
222 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 3. A. 2003, § 18 Rn. 11.
223 BGH NJW 1992, S. 1167; LG Oldenburg ZIP 1992, 1632, 1636 TBB-Entscheidung des
BGH, Erste Instanz) LG Mainz, Die AG 1992, S. 30, 31 (Asko/Massa), LG Stuttgart, Die
AG 1989, S. 445, 447.
224 Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 77f, 88; Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, S. 180 ff., 190; Kleindiek, Strukturvielfalt, S. 44; Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 3. A. 2001, § 51 Rn. 39 f.
225 Die Rechtsfigur des Konzern im Konzern wird überhaupt erst dadurch ermöglicht, dass die
Konzernobergesellschaft eben nicht „allumfassend“ ihre Leitungstätigkeit ausübt. Vgl.
auch v. Hoyningen-Huene ZGR 1978, S. 515, 524; Geßler BB 1977, S. 1313, 1315.
226 Befürworter: Kreutz in: Kraft/Wiese/Kreutz/Oetker/Raab/Weber/Franzen, Betriebsverfassungsgesetz Gemeinschaftskommentar, 8. A. 2005, § 54 Rn. 32 ff. m.w.N.; Fitting/Wlotzke/Wißmann, Mitbestimmungsgesetz, 2. A. 1978, § 5 Rn. 31; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, Betriebsverfassungsgesetz, 23. A. 2006, § 54
Rn. 32; Kropff, DB 1965, S. 1285; Kronstein, BB 1967, S. 39; OLG Düsseldorf, WM 1979,
S. 956 = Die AG 1979, S. 318, 319; modifizierend: Geßler, BB 1977, S. 1313, 1315.; Gegenmeinungen: M. Lutter/U.H. Schneider, BB 1977, S. 553, 556; Galperin-Löwisch,
BetrVG, § 54 Anm. 12; Martens, ZHR 138 (1974), S. 195 ff.
227 Fitting/Wlotzke/Wißmann, Mitbestimmungsgesetz, 2. A. 1978, § 5 Rn. 31.
228 Kreutz in: Kraft/Wiese/Kreutz/Oetker/Raab/Weber/Franzen, Betriebsverfassungsgesetz
Gemeinschaftskommentar, 8. A. 2005, § 54 Rn. 32.
84
Sicht der Obergesellschaft, deren Intensität der Leitungsausübung.229 Damit wird der
Unterschied zwischen dem weiten Konzernbegriff, der sich segmental auf verschiedene unternehmerische Entscheidungsbereiche bezieht, und dem Begriff des dezentralisierten Konzerns deutlich, der die Intensität der ausgeübten Leitungsmacht betrifft. Für den Umfang der Einflussnahme lässt sich daraus Folgendes ableiten: Bezogen auf den Umfang der Einflussnahme muss diese sich nicht auf alle Geschäftsbereiche erstrecken. Es genügt, wenn sie in einem der wesentlichen Entscheidungsbereiche ausgeübt wird. Dazu zählen: Beschaffung, Produktion, Absatz, Finanzierung, Personalpolitik, wobei von der Mehrheit eine Einflussnahme im Finanzbereich
priorisiert wird. Die Intensität der Ausübung der Einflussnahme, die Frage, ob die
Obergesellschaft lediglich Richtlinien der Konzernpolitik herausgibt oder sich mit
der Besetzung wichtiger Entscheidungsgremien begnügt oder ob sie die Geschäftsführung in den konzernabhängigen Unternehmen detailliert bestimmt, ist eine Frage
der einheitlichen Leitung. Inwieweit bzw. wie intensiv sie ausgeübt wird, ist dem
herrschenden Unternehmen freigestellt und beeinflusst das Ergebnis der Frage nach
dem Umfang, den Entscheidungsbereichen der Einflussnahme nur marginal.
(9) Wie oben gezeigt, ist es möglich, den Gegenstand der Konzernleitung vertraglich
bzw. statuarisch einzuschränken, quasi als eine Selbstbindung des herrschenden Unternehmens. Hielte man im Hinblick auf den Gegenstand der Einflussnahmemöglichkeit zur Bestimmung von Abhängigkeitstatbeständen streng am Erfordernis
einer unternehmensgegenständlich „allumfassenden“ Einflussnahmemöglichkeit
fest, hätte das eine Relativierung des Abhängigkeitsbegriffs zur Folge: In den Fällen,
in denen die Leitungstätigkeit vertraglich auf einzelne unternehmerische Entscheidungsbereiche beschränkt wird, könnte für den Abhängigkeitsbegriff nur eine
Einflussnahmemöglichkeit hinsichtlich der festgelegten unternehmerischen Entscheidungsbereiche gefordert werden. Im Übrigen verbliebe es beim Erfordernis einer „allumfassenden“ Einflussnahmemöglichkeit. Die Handhabung relativer Rechtsbegriffe bereitet ungleich höhere Schwierigkeiten230 und birgt Risiken der Rechtsunsicherheit in sich. Für den Abhängigkeitsbegriff des EBRG bestünde bei einer Übernahme des Merkmals einer umfassend-generellen Einflussnahmemöglichkeit die
Gefahr, dass über dieses Kriterium bestimmte Beherrschungsmittel von vornherein
eliminiert würden,231 bevor der spezielle Gesetzeszweck des EBRG betrachtet wurde.
Beispielsweise besteht bei Verträgen als Beherrschungsmittel immer die Möglichkeit, die Gegenstände der Einflussnahme vertraglich auf bestimmte Bereiche
229 Fitting/Wlotzke/Wißmann, Mitbestimmungsgesetz, 2. A., 1978, § 5 Rn. 37.
230 Zu den Schwierigkeiten bei der Begriffsauslegung relativer Rechtsbegriffe, vgl. E. Schumann in: Festschrift für Lüke, S. 767, 771 ff. für die Begriffe „Gesetz“ und „Rechtshängigkeit“. Hier sei noch auf die Probleme der Relativität des Arbeitnehmerbegriffs im Hinblick
auf die statusmäßige Erfassung der hierunter fallenden Personen in sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen sowie bei Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit verwiesen; zu
letzterem: Bittner, JR 1996, S. 220.
231 Diese Gefahr sah Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004, § 17
Rn. 26 für den aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff.
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festzulegen oder per Vertrag bestimmte Bereiche von einer Fremdbestimmung auszuschließen. Verlangte man eine allumfassende Einflussnahmemöglichkeit, würden
die Verträge als Beherrschungsmittel – mit Ausnahme von Beherrschungsverträgen
im Sinne von § 291 I 1.Alt. AktG – von vornherein ausgeschlossen. Damit würde
sich aber das Ergebnis im Hinblick auf taugliche, abhängigkeitsbegründende Beherrschungsmittel sowie das Bild der Unternehmensgruppe verzerren.
Aus diesen Überlegungen folgt, dass eine beherrschende Einflussnahme nicht
sämtliche Geschäftsbereiche des abhängigen Unternehmens umfassen muss. Es genügt, wenn die beherrschende Einflussnahmemöglichkeit einzelne unternehmenswesentliche Entscheidungsbereiche betrifft.
Eine Aufsplittung in einzelne Leitungsaufgaben (Planung, Organisation, Kontrolle) wie Geßler sie vorschlägt,232 erscheint nicht notwendig; vielmehr vermengen sie
sich bei der Erteilung von Anregungen, Hinweisen und ggf. Weisungen an die Organe der abhängigen Gesellschaft. Es wird vielfach nicht möglich sein, einen Hinweis, eine Empfehlung oder auch eine Weisung den Segmenten Planung, Organisation oder Kontrolle zuzuordnen. Maßgeblich ist vielmehr die Festlegung der unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereiche. Als wesentlich können hierbei die
Bereiche Produktion/Produktionsorganisation, Beschaffung/Absatz, Finanzierung/
Investitionen und Personal angesehen werden.
Abhängigkeit ist bereits dann gegeben, wenn ein Unternehmen in einem dieser
unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereiche nicht mehr eigenständig entscheiden kann, sondern von einem anderen Unternehmen fremdbestimmt wird.
Eine Einflussnahme auf ein abhängiges Unternehmen erfolgt aus der Sicht des
beeinflussenden herrschenden Unternehmens zu dem Zweck, es seinen unternehmerischen Interessen nutzbar zu machen. Das heißt, auch ein herrschendes Unternehmen, welches nicht sämtliche, sondern nur einzelne der o. g. unternehmenswesentlichen Entscheidungsbereiche zu beeinflussen vermag, wird seinen beherrschenden
Einfluss auf das abhängige Unternehmen ausüben, wenn dies seinen unternehmerischen Interessen dienlich sein kann. Auch wenn keine allumfassende Beeinflussungsmöglichkeit gegeben ist, wird es seinen Einfluss dennoch ausüben. Die Tatsache dass dem herrschenden Unternehmen nicht in sämtlichen Unternehmensbereichen eine Beeinflussung möglich ist, schützt das dem Einfluss ausgesetzte Unternehmen nicht vor einer Fremdbestimmung in den beeinflussungsgeeigneten Bereichen und verhindert damit nicht das Entstehen einer Abhängigkeitsbeziehung.
3. Art der Einflussnahmemöglichkeit
Neben dem Umfang der Einflussnahme ist die Art der Einflussnahmemöglichkeit zu
betrachten. Hier ist zu untersuchen, ob die einzelnen Beherrschungsmittel eine direkte oder indirekte Einwirkung auf die Willensbildungs- und Leitungsorgane der
232 Geßler in: Geßler/Hefermehl, Aktiengesetz, § 18 Rn. 30.
86
abhängigen Gesellschaft gestatten. § 6 II EBRG stellt eine Abhängigkeitsvermutung
für die Innehabung der Mehrheit der Bestellungsrechte von Organmitgliedern, der
Mehrheit der Stimmrechte sowie für eine Kapitalmehrheit am abhängigen Unternehmensträger auf. Bei der Aktiengesellschaft nach deutschem Recht scheidet die
Möglichkeit einer Mehrheit der Bestellungsrechte wegen der Drittelbeschränkung in
§ 101 II S. 4 AktG aus. In der Aktiengesellschaft ermöglicht eine Stimmrechtsmehrheit seinem Inhaber die autonome Bestimmung der Mitglieder im Aufsichtsrat, dem
Aufsichtsorgan der Gesellschaft (Personalhoheit). Der Aufsichtsrat bestellt die Mitglieder des Vorstands (Leitungsorgan), der die geschäftspolitischen Entscheidungen
trifft. Eine Einflussnahme auf die geschäftspolitischen Entscheidungen ist durch den
Inhaber der Stimmrechtsmehrheit nur insofern möglich, als er den von ihm bestimmten Aufsichtsratsmitgliedern seine Wünsche und Anregungen mitteilt mit der Option
deren Umsetzung im Vorstand. Der Umsetzung seiner Wünsche im Vorstand kann
der Mehrheitsgesellschafter dadurch Nachdruck verleihen, dass er den Aufsichtsratsmitgliedern ihre Abberufung bzw. Nicht-wieder-Bestellung ins Organamt androht. Diese zu befürchtenden persönlichen Nachteile können die Mitglieder des
Aufsichtsrats zu einer Einwirkung auf die Vorstandsmitglieder veranlassen und diesen ebenfalls die Abberufung bzw. eine Nicht-wieder-Bestellung in das Organamt in
Aussicht stellen, wobei die Abberufung das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraussetzt, § 84 III AktG. Das herrschende Unternehmen kann damit gegenüber einer
abhängigen Aktiengesellschaft fremdbestimmte geschäftspolitische Entscheidungen
nicht mit rechtlichen Mitteln durchsetzen. Eine Beeinflussung kann nur über rechtlich unverbindliche Anregungen und Hinweise erfolgen. Somit gewährt die Stimmrechtsmehrheit in der Aktiengesellschaft lediglich eine indirekte Einflussnahmemöglichkeit, die eines Druckmittels bedarf, hier in Form der Androhung persönlicher Nachteile gegenüber den Organmitgliedern. Das heißt, die Einflussnahme wird
immer durch das jeweilige Vorstandsmitglied vermittelt, das für sich abwägt, ob es
die persönlichen Nachteile (Abberufung/Nicht-wieder-Bestellung) hinnehmen will.
Wenn das Organmitglied den Anregungen und Hinweisen nicht nachkommt, hat das
herrschende Unternehmen keine Möglichkeit, beliebige Einzelmaßnahmen gegen
seinen Widerstand durchzusetzen.233 Der mit der Stimmrechtsmehrheit in einer Aktiengesellschaft verbundene Einfluss reicht somit nicht aus, die abhängige Aktiengesellschaft zu irgendetwas zu „zwingen“. Grundlage der Einflussmöglichkeit ist dann
nur die Erwartung, die Organmitglieder werden den Wünschen des Mehrheitsgesellschafters folgen, nicht, weil sie dazu gezwungen werden können, sondern weil sie
regelmäßig an einer Wiederbestellung interessiert sind. Da die Stellung als Organmitglied auf Dauer vom „Wohlwollen“ desjenigen abhängt, der die Zusammensetzung der Gesellschaftsorgane bestimmt, stellt sich die Abhängigkeit für die Formen
der indirekten Einflussnahmemöglichkeiten als Wahrscheinlichkeit einflusskonformen Verhaltens der Organmitglieder dar.234
233 Siehe dazu auch: Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004, § 17
Rn. 21 f.
234 Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004, § 17, Rn. 21.
87
Eine Aktiengesellschaft kann sich aufgrund eines Beherrschungsvertrages (§ 291
I S. 1, 1.Alt. AktG) der Leitung durch ein anderes Unternehmen unterstellt haben.
Dann besteht ein Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand aufgrund Gesetzes (§ 308
AktG), welches dem herrschenden Unternehmen eine direkte Einflussnahme auf die
wesentlichen Unternehmensentscheidungen ermöglicht. Für den Vorstand ergibt
sich grundsätzlich eine Folgepflicht, aber nicht, wenn eine nachteilige Weisung weder den Belangen des herrschenden Unternehmens, noch denen der anderen konzernverbundenen Unternehmen dient (§ 308 II S. 2, 2.HS AktG).235
In der GmbH ist eine Mehrheit der Bestellungsrechte insoweit möglich, als sie im
Gesellschaftsvertrag vereinbart ist (§ 6 III GmbHG). Der Inhaber von mehr als der
Hälfte der Geschäftsführerbestellungsrechte erhält eine Personalhoheit im Leitungsorgan. Gewährt der Gesellschaftsvertrag nicht einem einzelnen Gesellschafter die
Mehrzahl der Bestellungsrechte, ist der Inhaber der Mehrheit der Stimmrechte aufgrund der Bestimmungen der §§ 46 Nr. 5, 47 I, II GmbHG in der Position, den bzw.
die Geschäftsführer zu bestimmen. Über die jederzeitige Möglichkeit der Abberufung als Geschäftsführer (§ 38 GmbHG) kann der nötige Druck für eine Einflussnahme erzeugt werden. Hinzu kommt, dass das Gesetz in § 37 I GmbHG den Gesellschaftern und – mit Blick auf die Abstimmungsmodalitäten § 47 I, II GmbHG –
insbesondere dem Mehrheitsgesellschafter ein Weisungsrecht gegenüber dem Leitungsorgan der Gesellschaft einräumt. Sofern die Weisungen nicht gegen Gesetz
oder Gesellschaftsvertrag verstoßen, besteht eine Folgepflicht des Geschäftsführers.236 Dies ermöglicht eine direkte Beeinflussung der Geschäftspolitik.
Bisher wurde nur die Art der Einflussmöglichkeiten in abhängigen Gesellschaften
in den Gesellschaftsformen Aktiengesellschaft und GmbH des deutschen Rechts betrachtet. Abhängigkeitswirkungen zeigen sich nur in der abhängigen Gesellschaft
bzw. im abhängigen Unternehmen selbst. Das heißt, zur Beurteilung, ob ein Unternehmen von einem anderen abhängig ist, ist nach der Möglichkeit zur Beeinflussung
der geschäftspolitischen Entscheidungen im abhängigen Unternehmen zu suchen.
Das EBRG legt Unterrichtungs- und Anhörungspflichten dem herrschenden Unternehmen einer Gruppe auf, wenn dieses seinen Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hat, § 2 I EBRG. Wegen des gemeinschaftsweiten Bezugs des ERBG muss
mindestens eines der abhängigen Unternehmen seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben (§ 3 II EBRG). Dort werden die Abhängigkeitswirkungen sichtbar.
Dann ist entsprechend der Verfasstheit des abhängigen Unternehmens im jeweiligen
nationalen Recht zu bestimmen, ob die jeweiligen Einflussgrundlagen, eine direkte
oder indirekte Einflussnahmemöglichkeit gewähren.
235 Hüffer, Aktiengesetz, 7. A. 2006, § 308 Rn. 22.
236 Einzelheiten bei: Schneider in: Scholz, GmbH-Gesetz, Kommentar, 9. A. 2000, § 37 Rn.
50.
88
Ergebnis: Je nach Ausgestaltung des nationalen Rechts kann die Mehrheit der
Stimmrechte ihrem Inhaber eine direkte oder indirekte Einflussnahmemöglichkeit
verschaffen. Eine direkte Einflussnahme ist nur aufgrund eines gesetzlichen, gesellschaftsvertraglichen oder vertraglichen Weisungsrechts eröffnet. Im deutschen
Recht gibt es ein gesetzliches Weisungsrecht für den Inhaber der Stimmrechtsmehrheit in einer GmbH (§ 37 I GmbHG) sowie ein vertragliches auf der Basis eines Beherrschungsvertrages nach § 291 I S.1, 1.Alt. AktG. Die Stimmrechtsmehrheit in der
Aktiengesellschaft ermöglicht nur eine indirekte Beeinflussung der Geschäftspolitik
im abhängigen Unternehmen. Eine indirekte Einflussnahmemöglichkeit wirkt über
rechtlich unverbindliche Anregungen und Hinweise, die an die Organmitglieder heran getragen werden und deren Umsetzung in geschäftspolitische Entscheidungen mit
Hilfe eines Druckmittels Nachdruck verliehen wird. Die Stimmrechtsmehrheit und
die Mehrheit der Bestellungsrechte verschaffen ihrem Inhaber eine Personalhoheit
im Aufsichts- oder Leitungsorgan, so dass das Druckmittel hier die Androhung der
Abberufung bzw. Nicht-wieder-Bestellung in das Organamt sein kann. Dieses
Druckmittel stellt den Organmitgliedern persönliche Nachteile in Aussicht und wirkt
daher personenbezogen. Druckmittel des Inhabers der Kapitalmehrheit (§ 6 II Nr. 3
EBRG) kann nur der Abzug seiner Beteiligung sein. Dieses kann immense Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens haben und wirkt daher unternehmensbezogen.
III. Potentialität der Einflussnahme
Ein Abhängigkeitstatbestand ist bereits gegeben, wenn die Möglichkeit (Potentialität) zu einer beherrschenden Einflussnahme („ausüben kann“) auf das abhängige
Unternehmen besteht; eine tatsächliche Ausübung der Einflussnahme ist nicht erforderlich. Darin liegt auch die Abgrenzung der Unternehmensgruppe zum Konzern.
Für das konzernkonstitutive Merkmal der einheitlichen Leitung ist eine permanent
realisierte beherrschende Einflussnahme erforderlich (Aktualität der Einflussnahme),
wohingegen es für Abhängigkeitsbeziehungen, die die Unternehmensgruppe kennzeichnen, ausreicht, wenn das herrschende Unternehmen potentiell in der Lage ist,
beherrschenden Einfluss auf das abhängige Unternehmen auszuüben, ohne dass es
eines Nachweises ihrer tatsächlichen Ausübung bedarf.
IV. Grundlagen beherrschender Einflussnahme
Der methodologischen Dreiteilung237 entsprechend soll zunächst der Wortsinn „beherrschende Einflussnahme“ hinterfragt werden. Die Begriffsauslegung beginnend
237 I. natürlicher Wortsinn i.e.S. = Begriffskern; II. möglicher Wortsinn = Begriffshof und III.
außerhalb des Begriffes liegend, Wank, Juristischen Begriffsbildung, S. 17.
89
beim Wortlaut238 hat Folgendes für sich: Wenn der Gesetzgeber bewusst Begrifflichkeiten verwendet, die bereits im rechtlichen Sprachgebrauch etabliert sind, lässt
das darauf schließen, dass er mit der gleichartigen Formulierung auch gleichartige
bzw. gleich oder ähnlich zu wertende Sachverhalte erfassen und regeln möchte.239 In
der Gesetzesauslegung von einem bereits etablierten Sprachgebrauch abzuweichen,
erfordert Argumentation, u. a. auch weil dies zu einer Relativität der Rechtsbegriffe
und den damit verbundenen Rechtsunsicherheiten führt.
1. Auslegung nach dem Wortsinn beim aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff
Aus dem Wortsinn „beherrschende Einflussnahme“ hat das Reichsgericht240 für den
aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff (§ 17 I AktG) gefolgert, dass das herrschende Unternehmen über Mittel verfügen müsse, die es ihm ermöglichen, das abhängige
Unternehmen seinem Willen zu unterwerfen. Aus § 17 II AktG ist ersichtlich, dass
ein Abhängigkeitsverhältnis derart weitgehende Einflussmöglichkeiten nicht voraussetzt. Die Anwendung der Begriffsnorm des § 17 AktG hat jedoch auch gezeigt,
dass die am Wortsinn orientierte Auslegung nur einen Teilbereich der Sachverhalte
erfassen konnte, die abhängigkeitsspezifische Gefahren beinhalteten und die über
die an § 17 AktG anknüpfenden Normen (z. B. §§ 311, 317, 312 AktG) geregelt
werden sollten. Nach § 17 II AktG wird ein Abhängigkeitsverhältnis – widerleglich
– vermutet, wenn ein Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung (Stimmrechts- oder
Kapitalmehrheit) an einem anderen Unternehmen hält. Die Aktiengesellschaft ist so
verfasst, dass die Hauptversammlung in Ausübung ihres mitgliedschaftlichen
Stimmrechts die Mitglieder des Aufsichtsrats wählt (§ 101 I AktG), dieser wiederum
bestellt die Mitglieder des Leitungsorgans, des Vorstands (§ 84 I AktG). Dem
Mehrheitsaktionär ist eine Einflussnahme lediglich in der Weise möglich, dass er
Anregungen und Hinweise an die Mitglieder des Aufsichtsrats formuliert und seinen
Wünschen über die Androhung ihrer Abberufung Nachdruck verleiht. Die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, die ihre Wiederwahl anstreben werden deshalb
geneigt sind, den geschäftspolitischen „Wünschen“ des Mehrheitsaktionärs nachzukommen. Daraus folgt: Eine Mehrheitsbeteiligung bietet nicht die Möglichkeit der
Erzwingung beliebiger Einzelmaßnahmen; man wird nur erwarten können, dass der
Mehrheitsgesellschafter die Geschäftsführung der Gesellschaft in ihren Grundzügen
zu bestimmen vermag.241 Die Auslegung des aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriffs nach dem Wortsinn hat keine Erkenntnisse über mögliche Beherrschungsmittel, Intensität und Wirkungen der Einflussnahme hervorgebracht.
238 Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. A. 1995, S. 141; Wank, Juristischen Begriffsbildung, S.
17; E. Schumann in: Festschrift für Gerhard Lüke, S. 767, 773.
239 Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd IV, 1911, S. 225 f. bejaht eine Wahrscheinlichkeit
für einen konsequenten Sprachgebrauch.
240 RGZ 167, 40, 49 ff. (Thega).
241 Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 90.
90
2. Auslegung nach dem Wortsinn beim Abhängigkeitsbegriff des EBRG
Ebenso wie § 17 I AktG verwendet § 6 I EBRG den Begriff des beherrschenden
Einflusses.
Für die Auslegung nach dem Wortlaut verbietet sich eine Übernahme der Formel
des Reichsgerichts bereits deshalb, da die Anwendung des aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriffs gezeigt hat, dass mit dieser Formel nur die Fälle erfasst werden
können, in denen das herrschende Unternehmen die Möglichkeit hat, dem abhängigen Unternehmen bestimmte Einzelmaßnahmen aufzuzwingen. Damit erfasste man
nur Beherrschungsmittel, die dem herrschenden Unternehmen ein Weisungsrecht
geben. Das ist nur bei einem Beherrschungsvertrag (für die Aktiengesellschaft: §
291 I 1.Alt. i.V.m. § 308 AktG; für andere Rechtsformen in entsprechenden Anwendung) bzw. bei einer Eingliederung des abhängigen Unternehmens (für die Aktiengesellschaft: § 319 i.V.m. § 323 AktG; für andere Rechtsformen in entsprechenden
Anwendung) gegeben. Lediglich in dem Fall, dass die abhängige Gesellschaft die
Rechtsform einer GmbH trägt, sieht das Gesetz ein Weisungsrecht der Gesellschafter (§ 37 I GmbHG) vor. Der Inhalt der Weisung wird durch die Willensbildung in
der Gesellschafterversammlung formuliert. Die Gesellschafterversammlung entscheidet durch Beschluss mit einfacher Mehrheit (§ 47 I GmbHG). In Anbetracht
dessen wird nur der Gesellschafter seine geschäftspolitischen Vorstellungen durchsetzen können, der die Mehrheit der Stimmrechte auf sich vereinigt. Damit wird jedoch nur ein sehr kleiner Teilbereich von Abhängigkeitsbeziehungen erfasst; genau
genommen nur solche, die auch den Konzerntatbestand nach § 18 I AktG, § 5 MitbestG erfüllen. Der Anwendungsbereich des EBRG ist mit der Bezugnahme auf den
Abhängigkeitstatbestand aber erheblich weiter gefasst worden. Wie § 6 II EBRG
zeigt, will das EBRG aber auch Beherrschungsmittel einbeziehen, bei denen beliebige Einzelmaßnahmen eben nicht autoritär erzwingbar sind, sondern die Beeinflussung subtiler, über den Wunsch der Organmitglieder zu ihrer Wiederwahl vermittelt,
erfolgt. Der von einer Mehrheitsbeteiligung oder der Mehrheit der Bestellungsrechte
vermittelte Einfluss reicht bei der Aktiengesellschaft oder der Personengesellschaft
keineswegs aus, die abhängige Gesellschaft zu irgendetwas zu zwingen. Grundlage
der Einflussmöglichkeiten, die § 6 II EBRG vorgibt, ist vielmehr die Erwartung,
dass Aufsichtsrat und Vorstand bzw. die Geschäftsführung den Wünschen des
Mehrheitsgesellschafters bzw. des Inhabers der Bestellungsrechte entsprechen werden, da die Organmitglieder an ihrer Wiederbestellung interessiert sind. Abhängigkeit ist demnach nicht die Möglichkeit der Ausübung von Zwang, sondern die
Wahrscheinlichkeit einflusskonformen Verhaltens.242
Es bleibt zu erörtern, welche Aussagen aus dem Wortsinn des Begriffs „beherrschender Einfluss“ herauskristallisiert werden können. § 6 I EBRG verwendet ebenso wie § 17 I AktG den Begriff des beherrschenden Einflusses. Das EBRG arbeitet
bei der Beschreibung der Unternehmensgruppe aber nicht mit einer Verweisung auf
die Abhängigkeitsformel des § 17 I AktG, sondern definiert neu. Das lässt darauf
242 Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004, § 17 Rn. 21.
91
schließen, dass beide Abhängigkeitsbegriffe nicht 100 %ig kongruent ausfallen und
das um so mehr, je weiter die für die Begriffsauslegung im Randbereich der Begriffe
maßgeblichen Gesetzeszwecke auseinander liegen. Die für den aktien- und konzernrechtlichen Abhängigkeitsbegriff entwickelten Begriffsmerkmale können daher
nicht übernommen werden, ohne die einzelnen Merkmale am Schutzzweck des
EBRG überprüft zu haben.
Nach § 6 I EBRG muss ein Unternehmen auf ein anderes einen beherrschenden
Einfluss ausüben können. Darin steckt, dass Abhängigkeit nicht ein Zustand mangelnder Autonomie243 und Unfreiheit ist, sondern durch ein positives Element, eine
Beeinflussung, als Aktion, als Handeln gekennzeichnet ist. Die Beispiele des § 6 II
EBRG zeigen, dass sich der Gesetzgeber eine positive Beeinflussung der Organmitglieder des abhängigen Unternehmens vorstellt, die unter Umständen geneigt sein
werden, sich entsprechend den „Wünschen“ des Einfluss Ausübenden zu verhalten.
Eine beherrschende Einflussnahme setzt eine Beeinflussungs- und Steuerungsmöglichkeit voraus. Eine Steuerungsmöglichkeit besteht dann nicht, wenn dem Unternehmen nur zufällige Entwicklungen im Einzelfall dazu verhelfen, dass die geschäftspolitischen Entscheidungen im abhängigen Unternehmen seinen Interessen
entsprechen. Das ist dann der Fall, wenn es auf die nicht gesicherte Mitwirkung
Dritter angewiesen ist oder marktbedingte Umstände eine Entscheidung in seinem
Sinne begünstigen.
Die zur Begründung einer Abhängigkeitsbeziehung tauglichen Beherrschungsmittel sind keinesfalls auf die in § 6 II EBRG genannten beschränkt. Sie sind vielmehr
anhand der Vorgaben der Regelbeispiele in Bezug auf ihre Intensität und Wirkungsweise sowie im Hinblick auf den Schutzzweck des EBRG herauszuarbeiten.
Schutzzweck des EBRG ist es, den Arbeitnehmervertretungen bei fremdbestimmten
geschäftspolitischen Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Arbeitnehmer Unterrichtungs- und Anhörungsrechte einzuräumen. Entsprechend dem Katalog in § 32
II EBRG müssen Gegenstand der Einflussnahme unternehmerische Entscheidungen
sein, die Auswirkungen auf die Arbeitnehmer haben können. Eine beherrschende
Einflussnahme im Sinne des EBRG ist gegeben, wenn das herrschende Unternehmen durchsetzen kann, dass seine Vorstellungen bei Entscheidungen über die Beschäftigungspolitik, Änderung der Arbeitsorganisation, Einführung neuer Fertigungsverfahren usw. Berücksichtigung finden.
Zudem muss für den Abhängigkeitsbegriff des EBRG eine Abgrenzung zu anderen Formen der Abhängigkeit, insbesondere der marktbedingten oder rein wirtschaftlichen Abhängigkeit, gefunden werden. Eine marktbedingte Abhängigkeit, wie
sie § 20 I, II GWB erfassen will, ist dadurch gekennzeichnet, dass der markt- bzw.
wirtschaftlich Mächtigere die Vertragsbedingungen bestimmen, nicht jedoch auf geschäftspolitische Entscheidungen Einfluss nehmen kann. Beispielsweise kann eine
wirtschaftliche Abhängigkeit dazu benutzt werden, die Machtposition auszubauen,
um eine qualitativ höhere Form der Abhängigkeit zu erlangen, mit der eine Beeinflussung der Willensbildung in den Gesellschaftsorganen möglich ist. Das ist zum
243 Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 37.
92
Beispiel dann der Fall, wenn eine Bank mit der Aufkündigung der Finanzierung
droht, wenn das kreditierte Unternehmen ihr nicht ein Bestellungsrecht in den Aufsichtsrat oder ähnliches einräumt.
Festzuhalten bleibt, dass der Begriff des beherrschenden Einflusses im Sinne einer Abhängigkeit nach dem EBRG zunächst dahin gehend auszulegen ist, dass er
nicht auf das Merkmal der gesellschaftsrechtlich vermittelten Einflussnahme zu verkürzen ist, aber sich dennoch qualitativ von einer rein wirtschaftlichen Abhängigkeit
unterscheidet, indem er eine Einflussnahme auf die geschäftspolitischen Entscheidungen, die unternehmerischen Dispositionen im abhängigen Unternehmen, gewährleisten muss. Über die hierzu tauglichen Beherrschungsmittel trifft § 6 I EBRG keine Aussage, enthält aber auch keine Beschränkung auf die in § 6 II EBRG genannten Mittel.
V. Unmittelbare und mittelbare Abhängigkeit
§ 6 I EBRG stellt unmittelbare und mittelbare Beherrschung gleich. Eine mittelbare
Beherrschung liegt vor, wenn das herrschende Unternehmen ein anderes Unternehmen über eine Mittelsperson beherrscht. Diese kann, muss aber nicht, Unternehmenseigenschaft aufweisen. Ist sie ein Unternehmen, braucht sie nicht abhängig zu
sein.244 Das ist denkbar bei Stimmbindungs-, Pool- oder Konsortialverträgen245 sowie bei treuhänderisch gehaltenen Stimmrechten. Bei Stimmbindungs- oder Poolverträgen sind dann unmittelbare (eigenes Stimmrecht) und mittelbare (vertraglich
gesteuertes Stimmrecht anderer) Beherrschung kombiniert.246 Ein anderer wichtiger
Fall mittelbarer Beherrschung liegt bei mehrstufigen Abhängigkeitsverhältnissen.
Hierbei beherrscht das herrschende Unternehmen über ein von ihm abhängiges Unternehmen ein drittes Unternehmen (abhängiges Unternehmen; Mutter-, Tochter-,
Enkelgesellschaften). Für diesen Fall und für den Fall der Beherrschung des dritten
Unternehmens über ein Unternehmen, das Anteile an dem dritten Unternehmen für
Rechnung des herrschenden Unternehmens hält, sieht § 6 III EBRG eine Zurechnung der mittelbar gehaltenen Anteile und Ernennungsrechte (vgl. § 6 II Nr. 1
EBRG) vor.
VI. Anwendungsbereich der Generalklausel § 6 I EBRG / Art. 3 I EBR-Richtlinie gesellschaftliche Entwicklungen und Chancen
Kennzeichen der Abhängigkeit ist die nicht mehr autonome geschäftspolitische Entscheidungsgewalt im abhängigen Unternehmen. Die privatrechtliche Vertragsauto-
244 Windbichler in: Großkommentar zum Aktiengesetz, 4.A. 1999, § 17 Rn. 58
245 Windbichler in: Großkommentar zum Aktiengesetz, 4.A. 1999, § 17 Rn. 58.
246 Ebenda.
93
nomie bietet unterschiedliche Möglichkeiten der Gestaltung von Gesellschaftsstatuten und Verträgen. Daraus ergeben sich die unterschiedlichsten Möglichkeiten für
eine Einflussnahme. Zweck der gesetzgeberischen Konstruktion von Generalklausel
und Regelbeispielen in Art. 3 I und II der Richtlinie und § 6 I und II EBRG war es,
die Möglichkeit beherrschender Einflussnahme eines Unternehmens auf ein anderes
Unternehmen in einem möglichst breitem Sinne zu erfassen.247 Die Generalklausel
wurde daher interpretationsfähig gehalten.
Die im deutschen Recht anerkannten Beherrschungsmittel gehen auf die gesetzlich fixierten Beherrschungsgrundlagen (Mehrheitsbeteiligung § 17 II AktG; Unternehmensverträge nach § 291 AktG248) zurück. Dabei hat sich in Rechtsprechung und
Schrifttum, ausgehend von den gesetzlichen Vermutungen in § 17 II AktG und § 18
I S. 2, 3 AktG, die Ansicht verfestigt, als abhängigkeitsbegründende Beherrschungsgrundlagen nur solche anzuerkennen, die „gesellschaftsrechtlich bedingte oder zumindest vermittelte Einwirkungsmöglichkeiten“ gewähren.249 Das sind neben der
Mehrheitsbeteiligung und den Unternehmensverträgen nach § 291 AktG auch eine
Beteiligung, die knapp unter der 50%-Grenze liegt, sofern über einen längeren Zeitraum eine schwache Präsenz der anderen Gesellschafter in der Hauptversammlung
bzw. Gesellschafterversammlung zu verzeichnen ist (Hauptversammlungspräsenzmehrheit). Es haben sich allerdings in den letzten Jahren Vertragsformen entwickelt,
bei denen beispielsweise ein Vertragspartner in die unternehmensübergreifende Organisation des anderen Vertragspartners eingebunden wird. Beispiele hierfür sind
die vielfältigen Produktions- und Absatznetzwerke wie die Just-in-Time-
Zulieferbeziehungen oder das Franchising. Es gibt aber auch kombinierte Formen,
bei denen eine geringfügige Beteiligung an der Gesellschaft gehalten wird zum
Zwecke einer dauerhaften Anbindung dieses Unternehmens und zusätzlich existentiell wichtige Lieferverträge mit enger organisatorischer Einbindung oder existentiell
wichtige Kreditbeziehungen bestehen.250 251
247 European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions, Working
Paper No. 27 v. 19/20.6.1995, pg. 175, 176.
248 Nach h.M. haben Unternehmensverträge nach § 292 AktG schuldrechtlichen Charakter.
Durch die Gewinngemeinschaft (§ 292 I Nr. 1 AktG) wird eine Gesellschaft bürgerlichen
Rechts gebildet, so dass der Vertrag über eine Gewinngemeinschaft zudem organisatorische Elemente enthält. Dazu Hüffer, Aktiengesetz, 7. A. 2006, § 292 Rn. 2 m.w.N.
249 BGHZ 90, 381, 395 = NJW 1984, S. 1893 (BuM); Befürworter aus dem Schrifttum: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rn. 14a, 15; Koppensteiner in:
Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3.A. 2004,§ 17 Rn. 58 f.; Hüffer, Aktiengesetz, 7.
A. 2006, § 17 Rn. 8; anderer Ansicht: Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 152 ff.;
Prühs, DB 1972, S. 2001, 2002 m.w.N.
250 Hierzu: Ulmer, ZGR 1978, 457, 472 ff.
251 Ein Beispiel bildet der Sachverhalt, der der Entscheidung BGHZ 90, 381 (BuM) zugrunde
lag: Die WestLB war mit 20% an der BuM AG beteiligt und kreditierte der BuM AG das
für diese existentiell notwendige Fremdkapital. Nach der Rechtsprechung des BGH reicht
auch eine solche Kombination von Beteiligung und enger Kreditbeziehung nicht aus, eine
beherrschende Einflussnahmemöglichkeit zu begründen.
94
Vergleicht man § 6 I EBRG mit der Vorgabe in Art. 3 I der EBR-Richtlinie, fällt
auf, dass in der Generalklausel der Richtlinie (Art. 3 I) eine beispielhafte Aufzählung von Beherrschungsmitteln „Eigentum, finanzielle Beteiligung oder sonstiger
Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln“252 enthalten ist, auf die
in der Umsetzungsnorm § 6 I EBRG verzichtet worden ist.253 254 Die in der Generalklausel genannten Beispiele „Eigentum, finanzielle Beteiligung oder Bestimmungen,
die die Tätigkeit des Unternehmens regeln“ beschreiben Einflussnahmemittel. Nach
Ansicht der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen lassen sich über das dritte Beispiel („rules which govern it“) alle denkbaren
Formen der Einflussnahme erfassen.255 Nach der Intention der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen könnten über die gesellschaftsrechtlich vermittelten Abhängigkeitsbeziehungen (institutional dependence) aufgrund einer Mehrheitsherrschaft (majority holding) hinaus, auch die faktische
Kontrolle/Abhängigkeit (de facto control) bis hin zu bestimmten Formen wirtschaftlicher Abhängigkeit (economic dependence) aufgrund vertraglicher Beziehungen
(contractual relationships) erfasst werden.256 Sie sieht als Grundlagen faktischer Abhängigkeit u.a. Franchise-Vereinbarungen, aber auch außervertragliche Beziehungen
(subcontracting relationships) an.257
252 In der englichen Fassung: “ownership, financial participation or the rules which govern it“.
253 Die Kommission hat in ihrem Bericht zur Umsetzung der EBR-Richtlinie die Nichtübernahme der in Art. 3 I EBR-Richtlinie genannten Beispiele in Deutschland, Schweden und
den Niederlanden nicht beanstandet (vgl. Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über den Stand der Umsetzung der Richtlinie 94/45/EG vom
04.04.2000, KOM (2000) 188 endg., www.europa.eu.int).
254 Im Hinblick auf die Übernahme dieser Beispiele sind die anderen Mitgliedstaaten unterschiedlich verfahren. In die Umsetzungsgesetze der Mehrheit der Mitgliedstaaten hat die
beispielhafte Aufzählung im Wortlaut der Richtlinie Eingang gefunden, so z. B. in Irland,
Belgien, Österreich, Griechenland, Portugal und Luxemburg. Das drittgenannte Beherrschungsmittel „Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln“ ist von Dänemark und Frankreich durch nationale Bestimmungen und in Spanien durch Nennung von
Satzungsbestimmungen ersetzt worden. Im italienischen Umsetzungsgesetz wurde auf die
Nennung des dritten Beispiels verzichtet. Die Übernahme der Beispiele unterblieb neben
dem deutschen auch im niederländischen und schwedischen Umsetzungsgesetz sowie in
der tarifvertraglichen Umsetzung in Norwegen, das sich zur Implementierung der Regelungen der EBR-Richtlinie freiwillig verpflichtet hat (vgl. hierzu den Bericht der Kommission
zur Umsetzung der Richtlinie 94/45/EWG vom 4.4.2000, KOM (2000) 188 endg.,
www.europa.eu.int). Finnland und Frankreich integrierten die Umsetzung der EBR-
Richtlinie in geltendes Recht (Finnland: Art. 11 b des Gesetzes über die Zusammenarbeit
in den Unternehmen vom 9.8.1996; in Frankreich wurde die Umsetzung in den Code du
Travail Art. 439-1 integriert) und lassen die Regelungen auf das jeweilige nationale Gesellschaftsrecht Bezug nehmen.
255 European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions, Working
Paper No. 27, v. 19/20.6.1995, pg. 176.
256 European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions, Working
Paper No. 27, v. 19/20.6.1995, pg. 176, 177.
257 European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions, Working
Paper No. 27, v. 19/20.6.1995, pg. 176.
95
Zuvor wurde herausgearbeitet, dass sich eine beherrschende Einflussnahme, wie
sie Art. 3 I EBR-Richtlinie und § 6 I EBRG voraussetzen, auf unternehmerische
Entscheidungen mit Auswirkung auf die Arbeitnehmer in den als wesentlich angesehenen Unternehmensbereichen (Produktion/Produktionsorganisation, Beschaffung/Absatz, Finanzierung/Investitionen und Personal) beziehen muss, wobei die
Einflussnahmemöglichkeit nicht sämtliche dieser Unternehmensbereiche umfassen
muss und eine Einflussnahmemöglichkeit in Bezug auf einzelne dieser Bereiche genügt. Anhand dieser Kriterien wird unter den vertraglichen Beziehungen zu differenzieren sein. Vertragsbeziehungen, die zu einer organisatorische Einbindung eines
Vertragspartners in die unternehmensübergreifende Organisation des anderen führen, können Auswirkungen auf die betriebliche Organisation haben, wie z.B. bei
Just-in-Time-Lieferbeziehungen in Form der Umstrukturierung von Produktionsabläufen, die somit die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer tangieren. Um eben diese Formen unternehmerischer Zusammenarbeit ebenfalls mit einbeziehen zu können,
priorisierte die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen bei der Formulierung der EBR-Richtlinie die Kombination aus Generalklausel und Regelbeispielen in Art. 3 I und II EBR-Richtlinie.258 Bei der Formulierung der Richtlinie sind somit Erwägungen und Intentionen supranationaler Institutionen (Europäische Kommission, Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen) in die Begriffsdefinition eingeflossen, die bei der
Umsetzung und Auslegung der Richtlinie von den Mitgliedstaaten und Rechtsanwendern zu beachten sind. Das heißt, die Begriffsauslegung, die sich in Bezug auf
§ 17 I AktG etabliert hat, kann nicht 1:1 übernommen werden. Über die Aufnahme
der Begriffsdefinition „beherrschende Einflussnahme“ in die Richtlinie259 ist sie Teil
des Gemeinschaftsrechts geworden. Begriffe des supranationalen Rechts sind eigenständig auszulegen. Das wiederum bietet hier die Chance einer Loslösung von der
Beschränkung auf gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussmöglichkeiten und er-
öffnet die Möglichkeit, für die Generalklausel einen eigenständigen Anwendungsbereich zu schaffen. Unter dem Schutzzweck von EBR-Richtlinie und EBRG, der unternehmerische Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Arbeitnehmer und diesbezüglich die Verlagerung von Entscheidungsebenen aufgrund vertraglich oder faktisch eröffneter Einflussnahmemöglichkeiten im Auge hat, erscheint es geboten,
Vertragsbeziehungen, die beispielsweise zu einer Einbindung eines Vertragspartners
in die unternehmensübergreifende Organisation des anderen Vertragspartners mit
Auswirkungen auf die Arbeitnehmer führen, auf ihre Einbeziehungsfähigkeit in den
Begriff der Unternehmensgruppe zu untersuchen.
258 European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions, Working
Paper No. 27 v. 19/20.6.1995, pg. 175 ff.
259 In der englischen Fassung: „dominant influence“.
96
VII. Ergebnis
Durch die Untersuchung des Wortlauts der Generalklausel konnten allgemeine
Rahmenbedingungen für die beherrschende Einflussnahme abgesteckt werden. Aussagen über die Intensität und Wirkungsweise der beherrschenden Einflussnahme
oder über Beherrschungs- bzw. Einflussnahmemittel können jedoch noch nicht getroffen werden. Das Gesetz erkennt in § 6 II EBRG bestimmte Beherrschungsmittel
an und stattet diese mit einer Vermutungswirkung in Bezug auf das Vorliegen einer
beherrschenden Einflussnahmemöglichkeit aus. Daher stellen die Regelbeispiele § 6
II EBRG Mindestanforderungen für die über § 6 I EBRG zu erfassenden Einflussgrundlagen auf. Daher sollen im Folgenden die Regelbeispiele daraufhin untersucht
werden, welche Anforderungen im Hinblick auf Intensität und Wirkungsweise an
Beherrschungsgrundlagen zu stellen sind.
C. Analyse der Regelbeispiele des § 6 II EBRG / Art. 3 II EBR-Richtlinie
Aus dem Wortlaut des § 6 I EBRG ließen sich keine abschließenden Feststellungen
über Intensität und Wirkungen der „beherrschenden“ Einflussnahme sowie über die
Anforderungen an abhängigkeitstaugliche Beherrschungsmittel treffen. Die Vorschrift des § 6 II EBRG enthält eine nicht abschließende Aufzählung von Beherrschungsmitteln, die das Gesetz als abhängigkeitsbegründend ausdrücklich anerkennt. Aus dem Zusammenhang von § 6 I und § 6 II EBRG folgt aber auch, dass das
Gesetz mit Abhängigkeitslagen auch dort rechnet, wo die Abhängigkeitsvermutung
des § 6 II EBRG nicht greift. Die abhängigkeitsbegründenden Beherrschungsmittel
sind also nicht auf die in § 6 II EBRG genannten beschränkt.
Nach § 6 II EBRG wird ein beherrschender Einfluss – widerleglich – vermutet,
wenn ein Unternehmen in Bezug auf ein anderes Unternehmen
- mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des anderen Unternehmens bestellen kann (Mehrheit der Bestellungsrechte) oder
- über die Mehrheit der mit den Anteilen am anderen Unternehmen verbundenen
Stimmrechte verfügt (Stimmrechtsmehrheit) oder
- die Mehrheit des gezeichneten Kapitals besitzt (Kapitalmehrheit).
Dieser Regelung ist zu entnehmen, dass die Möglichkeit, die Mehrheit der Organmitglieder zu bestellen sowie die Inhaberschaft der Stimmrechts- oder der Kapitalmehrheit nach Ansicht des Gesetzgebers260 einem Unternehmen grundsätzlich die
Möglichkeit bietet, einen beherrschenden Einfluss auf ein anderes (abhängiges) Unternehmen auszuüben. Deshalb ist zu untersuchen, welche beherrschungsrelevante
260 Oder vielmehr des Richtliniengebers, da das EBR-Gesetz hierbei exakt den Wortlaut der
EBR-Richtlinie übernimmt.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Europaweit agierende Unternehmen bevorzugen zunehmend Formen der Einflussnahme auf andere Gesellschaften, die sich nicht mehr nur über die Kategorien Austauschvertrag und Konzern erfassen lassen. Um diese einer rechtlichen Regelung zuführen zu können, müssen sie strukturell erfasst und einem Rechtsbegriff zugeordnet werden.
Ausgehend von dem in der EBR-Richtlinie verwendeten Begriff der Unternehmensgruppe werden in dieser Studie vielfältige Abhängigkeitsbeziehungen untersucht. Über die bisher vom deutschen Konzernrecht betrachteten gesellschaftsrechtlich vermittelten Beherrschungsgrundlagen hinausgehend, gelingt die strukturelle Erfassung von organisationsvertraglichen Einflussnahmeformen. Die entwickelten Strukturelemente von Unternehmensgruppen sind auch für andere Bereiche des europäischen Rechts der Unternehmensverbindungen von größtem Interesse.